Kulturelle
Identität, Defensiver Rassismus
Der Beitrag zur nationalen Einheit, den die Kultur dank ihrer stetig wachsenden
Beliebtheit leisten konnte, erschöpfte sich freilich nicht darin, die Leute
als Darsteller im Gesamtkunstwerk einer Menschenkette einander nur händchenhaltend
näherzubringen. Was die Leute weit mehr als Gemeinsamkeit eint, ist der gemeinsame
Feind, weshalb die Gründungsversammlung jeder deutschen Einheitsbewegung vor
der Kardinalfrage steht, wen man rausschmeißen muß, um ein Gefühl
von Gemeinsamkeit entwickeln zu können. Und wie die Kultur oder die Berufung
auf sie stets ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Identifizierung von Fremden gewesen
war, so wurde sie es auch diesmal. Wenn Zimmermann begründen will, warum Türken
verschwinden sollen, sagt er: "Die kommen aus einem andern Kulturkreis",
und wie er reden alle.
Selbst der offensive Rassismus des expansiven Imperialismus pflegte unter dem Deckmantel
einer Doktrin aufzutreten, die schamhaft nur den qualitativen Unterschied zwischen
den verschiedenen Kulturen heraushob und es der Phantasie des informierten Zeitungslesers
überließ, sich den Rest selber zu denken, denn in dieser veredelten Form
war der Rassismus auch Bildungsphilistern und Schöngeistern bekömmlich.
Die Herrenrasse hatte sich in dieser Doktrin zum Kulturvolk geläutert, eine
Vokabel, die neuerdings wieder im Wortschatz patriotischer Mythenbildnern wie Werner
Herzog auftaucht. Während die Herrenrasse nur mordet oder plündert, erfüllt
das Kulturvolk in Ausübung derselben Tätigkeit eine Mission und begreift
sich als Bringer und Geber. "Kolonialpolitik zu betreiben, kann unter Umständen
eine Kulturtat sein", grübelte der Sozialdemokrat Bebel 1906, und ein
Jahr später pflichtete ihm Genosse Bernstein bei: "Eine gewisse Vormundschaft
der Kulturvölker über die Nichtkulturvölker ist eine Notwendigkeit,
die auch Sozialisten anerkennen sollten." Schärfer umrissen, durchdachter
und klarer formuliert schon damals das Bildungsprogramm der Konservativen: "Unsere
Kultur drängt dahin, die außereuropäischen Länder durch europäische
Kultur zu beherrschen", hieß es in einer Propagandabroschüre der
Kolonialbewegung, und "Das Problem Neger auf eine höhere Kulturstufe zu
heben, kann nur durch Arbeit geschehen" - ein Vorgriff auf die Parole "Arbeit
macht frei", die später in großen Lettern von den Toren der Vernichtungslager
prangen sollte, und gleichzeitig als verunglückte Satzkonstruktion ein Dokument
des kulturellen Überflusses, den mit den armen Wilden zu teilen das Anliegen
auch der Sozialdemokraten war.
Ihre vielseitige Verwertbarkeit in der politischen Propaganda verdankt die Kultur
zwei Eigenschaften, einerseits ihrem Abgrenzungs- und Ausgrenzungsvermögen,
andererseits ihrer Unbestimmtheit. Das Abgrenzungsvermögen brauch Erkennungsdienst,
um den Fremden oder den Feind, in jedem Fall das Opfer, eindeutig identifizieren
zu können. Unbestimmtheit ist erforderlich, damit die eindeutige Identifizierung
nach Willkür und Belieben vorgenommen werden kann. Die Kultur als ein Ding,
von dem jeder gern spricht und von dem keiner genau sagen kann, was es eigentlich
ist, hat deshalb auf der politischen Bühne stets die Rolle eines Wandschirms
gespielt, hinter den die Akteure traten, um das Kostüm, die Feinde, die Verbündeten,
die Fronten zu wechseln. Gleichzeitig war der Kultursektor die Drehscheibe, auf
welche man die öffentliche Diskussion schob, um ihre Inhalte und ihre Richtung
nach Maßgabe der Opportunität zu verändern unter Beibehaltung der
Illusion, es werde noch immer nach Vernunftsgründen entschieden, wo in Wahrheit
der Instinkt und die Reflexe die Orientierung gaben. In Tönung, Färbung
und Richtung der Kulturdebatten spiegeln sich die wechselnden Konstellationen materieller
Interessen.
Während der expansive Imperialismus des letzten Jahrhunderts gezwungen war,
den kulturellen Unterschied zu seinen Gunsten zu werten, um sich selbst als überlegenen
Bringer und Geber betrachten zu können, kann der defensive, vornehmlich an
Besitzstandswahrung interessierte Imperialismus der Gegenwart sich die Selbstbeweihräucherung
sparen. Die nichtwertenden Variante der Lehre von der Ungleichheit der Kulturen
genügt ihm, weil auch sie den fließenden Übergang der Lehre von
der Ungleichheit der Rassen enthält. Beiden gemeinsam ist der Trick, die von
Land zu Land verschiedenen Sitten und Gebräuche der Menschen einfach zu Wesensmerkmalen
von Völkern aufzufassen. Als Wesensmerkmale wiederum sind die verschiedenen
Sitten, Bräuche und Eigenschaften der Leute nicht mehr erklärungsbedürftig,
sondern sie sind selbst der erklärende Grund für alles und jedes. Erst
unter der stillschweigend mitgedachten Voraussetzung nämlich, daß die
Kultur in genauer Umkehrung des marxistischen Schemas von Basis und Überbau
als geistige Grundlage von Macht und Reichtum, nicht als ihr Anhängsel, mißverstanden
wird, kann die Nebensache Kultur zu einer Hauptsache werden, die das Interesse einer
breiten Öffentlichkeit zu fesseln vermag. Erst dann wird die Banalität,
daß in anderen Ländern andere Sitten herrschen, zum bedeutungsschwangeren
und folgenschweren Grundsatz der Erkenntnis vertieft.
Der simple Zweck der komplizierten Konstruktion besteht darin, die zufälligen
eigenen materiellen Privilegien, die man im Prinzip so leicht verlieren kann, wie
man sie bekam, als Abkömmlinge unverlierbarer kultureller, ethnischer, völkischer
und in letzter Instanz stets rassischer Wesensmerkmale deklarieren zu können.
Als Anknüpfungspunkt für die Gedankenfäden, die den vergänglichen
irdischen Besitz mit dem unvergänglichen Wesen verknüpfen, um jenen zu
sichern, wird eine Identität gebraucht. Die neuerdings grassierende Seuche
nach derselben hat keinen anderen Grund als das Elend in der Dritten Welt: Es darf
bloß kein Zufall sein, daß man nicht in den Slums von Rio oder Bombay
zur Welt kam.
Voraussetzung für Identität aber ist der Unterschied. Sich diesen einzuhämmern,
war der verborgene Zweck jener grenzenlosen Verachtung der eigenen Kultur und rückhaltlosen
Bewunderung der fremden, die dem nationalen kulturellen Wiedererwachen voranging.
Die Schwärmerei für Fern-Ost und Wild-West, für Bhagwan und Wigwam,
für die Andersartigkeit der Exoten ganz allgemein sollte den Schwärmern
vor allem eines beweisen: daß nichts als höchstens ihr Mitgefühl
sie mit dem Elend in der Dritten Welt verbindet.
aus: W.Pohrt, Kulturelle Identität, Defensiver Rassismus ein Aufsatz aus dem
Jahre 1984
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt