PC zwischen Gesinnungsklempnerei und Stammtisch-Herrenwitz
Gerhard Scheit
YO! PoMo!
Die Diskussion um Political Correctness changiert zwanglos zwischen Gesinnungsklempnerei
und Stammtisch-Herrenwitzen. Die Untersucbung ihres philosophischen Unterbaus hilft
bei ihrer Kritik weiter
Das Gespenst, das in Europa umgeht, ist diesmal aus Amerika gekommen, und im Unterschied
zu seinem Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert ist es wirklich nur ein Wort -
oder eigentlich nicht einmal das, sondern eine Abkürzung: PC. Nicht Personal
Computer, ein anderes, ebenfalls binäres System ist gemeint: Political Correctness.
Ob Lothar Baier recht hat, wenn er (in einem Dossier der Züricher "Wochenzeitung")
dessen Herkunft in der Selbstironie der Linken ortet? "Es sollte einmal etwas
zum Lachen sein, zum Lachen der Linken über sich selbst und das nicht immer
unverkrampfte Bemühen nach diskriminationsfreiem Verhalten." In diesem
Sinn wäre jedenfalls ein humorvolles Official Politically Correct Dictionary
& Handbook von Henry Beard und Christopher Cerf zu verstehen, das 1992 in England
erschien. Unter dem Stichwort "Fatism" etwa kann man hier lesen: "Discrimination
against people of size by the hegemonic nonfat majority". Die Autoren meinen
es zwar nicht ernst, sie zitieren aber bei jedem Stichwort aus ernstzunehmenden
angloamerikanischen Publikationen. Der Humor wird allerdings gespenstisch, wenn
Wörter wie "Eurocentrism" Hand in Hand gehen mit solchen wie "Anthropocentrism":
"The belief that human animals are superior to nonhuman animals and therefore
have the right to enslave, experiment upon them, and eat them".
Tatsächlich läßt sich PC als oft hilfloser Versuch verstehen, den
kleinsten gemeinsamen Nenner, die gemeinsame Sprache aller möglichen sogenannten
neuen sozialen Bewegungen, von der Frauenbewegung bis zu Tierschutzgruppen, zu finden.
Der schwarze, manchmal billige Humor des Handbook verdankt sich nicht zuletzt der
dabei drohenden Gleichsetzung aller Formen von Diskriminierung und Repression. (Im
raschen Schritt über das Tier-Mensch-Übergangsfeld kann Political Correctness
sogar in die Korrektheit des Sozialdarwinisten umschlagen: Der "Euthanasie"-Propagandist
Peter Singer klagte bekanntlich das Menschenrecht für Menschenaffen ein.)
Mit der Selbstironie ist es wie mit der Selbstkritik, sie gibt dem Gegner Gelegenheit
zu partizipieren: Konservative empfinden in Amerika an den sprachlichen Verrenkungen
der PC reichlich Schadenfreude, sie amüsieren sich königlich über
die Drohungen der selbsternannten Sprachwächter - und gewiß nicht wenige
Linke können sich hier lachend von ihren Idealen verabschieden. Unbestritten
ist, daß die Komik, die dieses Wort heute in Frankreich oder Deutschland verbreitet,
nur mehr die Qualität eines Stammtisch-Herrenwitzes hat: ein Kürzel für
die Anmaßungen von Minderheiten, Frauen, Schwulen, Schwarzen... - fast schon
vergleichbar dem Klang einer anderen Abkürzung: "Emanze". Es signalisiert
die Gefahr einer Diktatur des Citoyens - vor der zu warnen ist, über die aber
gleichwohl gelacht werden darf, wie eben über die drohende "Weiberherrschaft".
Im "Spiegel" - am Nebentisch sozusagen - wird dankbar mitgegrinst: Unter
dem Titel "Hexenjagd auf dem Campus" eröffnet Matthias Matussek seine
eigene Jagd auf Hexen: Eine Kämpferin für Political Correctness charakterisiert
er als "leicht altjüngferlichen Typ Mitte 50", ihresgleichen seien
verantwortlich für jenen "stalinistischen Frost", der sich "über
alle Bereiche der amerikanischen Öffentlichkeit gelegt" habe, über
"Parlamente, Firmen, Schulen". Oh, wenn er sich doch nur über die
Redaktion des "Spiegel" gleichfalls legte.
"Wer künftig eine Diskussion ersticken will", so Lothar Baier, "muß
nur das Wort Political Correctness in die Debatte werfen." Es mag merkwürdig
klingen, aber hinter jedem Schlagwort des PC-Sprachschatzes verbirgt sich umgekehrt
auch ein im weitesten Sinn politisches Problem, das diskussionswürdig wäre
- man könnte es selbst hinter "Fatism" entdecken. Lächerlich
wird es nur durch die Gleichschaltung mit allen anderen und - was damit zusammenhängt
- durch eine seltsame Idolatrie des Sprachlichen, eine ungewöhnliche, geradezu
zwanghafte Fixierung auf die Sprache. Die Citoyens der PC sind, wie es scheint,
von der fast magischen Vorstellung durchdrungen, daß das Wort selbst bereits
das Problem sei (nicht ein Problem bezeichne, selbst nur ein Teil davon wäre)
- und damit dem Sprechen der gleiche Status wie dem Handeln zukäme. Es lohnt
sich, diesem neuen wilden Denken und seinen Ursprüngen nachzugehen.
Von Frankreich oder Deutschland aus betrachtet mutet es auf den ersten Blick etwas
rätselhaft an, daß Political Correctness in den USA zugleich die Durchsetzung
der neo- und poststrukturalistischen Theorien im Intellektuellenmilieu - die Hegemonie
also von Levi-Strauss, Foucault, Lacan, Barthes und Derrida auf dem Campus - bedeutet.
Zumal dient es hier den Konservativen als Schlagwort, um alles Neue, Liberale, Linke
abzuwehren und die Herrschaft eines Marxismus-Feminismus-Syndroms an den Universitäten
zu beklagen. Aber auch im bereits zitierten Politically Correct Handbook wird dieser
Zusammenhang hergestellt: "Postmo- dernism" oder besser "Pomo"
heißt: "A movement whose view of society provides a theoretical basis
for much of what has come to be known as >politically correct( thougth".
Den französischen Theorien, die in Nordamerika mit dem Stigma der Political
Correctness behaftet sind, ist nun durchaus gemeinsam, daß sie die Welt analog
zur Sprache auffassen: als Zeichensystem. Sie entleihen nicht nur ihre Begriffe
der Linguistik, sie betreiben die Gesellschaftswissenschaften - Soziologie, Geschichte,
Psychoanalyse, Ethnologie, Literaturwissenschaft - als Linguistik. Mit Claude Levi-Strauss
hat die Suche nach einer "logischen Syntax der sozialen Realität"
begonnen; er entdeckte in den Verwandtschaftsbeziehungen früher Stammeskulturen
linguistisch-interpretierbare Regelsysteme und verallgemeinerte, daß jede
"Kultur als ein Zusammenhang symbolischer Systeme betrachtet werden kann, an
deren Spitze die Sprache, die Heiratsregeln, die Wirtschaftsbeziehungen, die Kunst,
die Wissenschaft, die Religion stehen". Das Basis- Überbau-Dilemma des
Marxismus scheint beseitigt, wenn alle möglichen Verhältnisse zwischen
den Menschen als sprach-analoge Systeme begriffen werden, wenn die Sprache selbst,
wie Foucault es ausdrückt, zum "Modell" dient, "für die
Analyse der Erscheinungen anderer Bedeutungen, die nicht eigentlich sprachlicher
Natur sind". Und überall in den Wissenschaftszweigen - in der Psychoanalyse,
in der Literaturwissenschaft, in der Philosophie, in der Geschichte - begann mit
solchen Hypothesen die große strukturalistische Suche nach Homologien.
Vielleicht wird ein zukünftiger Archäologe des Wissens darüber staunen
können, welche Faszination einstmals davon ausging, gesellschaftliche Beziehungen
mit linguistischen Termini zu benennen. In Frankreich kleidete sich bald die gesamte
nach-existentialistische Theoriebildung nach dem Modell der Sprache: Klassen- und
Familienformen figurieren seither etwa als Codes, Machtstrukturen als Dispositive,
Ideologien als Diskurse; sie verbreiten eine bezaubernde szientifische Eleganz,
wogegen die alten marxistischen und soziologischen Termini eher schäbig wirken
- abgetragene und verschlissene Kleidungsstücke, mit denen man allenfalls in
Deutschland sich noch sehen lassen kann.
Sollte es sich aber wirklich nur um eine Mode handeln, dann lehrt das Beispiel der
USA: Wenn zwei dasselbe tragen, so ist es nicht dasselbe. Diedrich Diederichsen
konnte sich in seinem kürzlich erschienenen Buch Freiheit macht arm darüber
wundern, welch seltsame politische Blüten die Foucault-Rezeption treibt - je
nach dem, an welchem Ort und zu welcher Zeit die Lektüre stattfindet: "In
den sozialdemokratischen späten Siebzigern war Foucault auch in Deutschland
noch links,und sei es anarchistisch, heute liefert er die Modelle für "Genealogie",
"Archäologie" oder "Ethnologie" der wiedereinmal neu geborenen
Nation. In Amerika ist er der meistzitierte Autor linker, feministischer und antirassistischer
Autoren vom kunsttheoretischen bis zum aktivistischen Zentrum." Und daraus
folgert Diederichsen: Es ist gleichgültig, was man trägt, entscheidend
ist, wer es trägt: Da Foucault in Deutschland kein Autor geworden ist, der
"von neuen "Emanzipationsbewegungen" (oder wie immer man sie nennen
will) gesellschaftlich geerdet und fruchtbar gemacht worden" ist, hat seine
Rezeption "im günstigsten Fall eine Depolitisierung, im ungünstigeren
... eine Rehabilitie- rung rechter Positionen möglich gemacht."
Die vieldiskutierte Frage, ob es sich hier um fortschrittliches oder reaktionäres,
linkes oder rechtes Denken handelt, ist offenbar falsch gestellt. Das eigentliche
Problem scheint nicht unmittelbar politischer Natur, es liegt in der Analogiebildung
sprachlicher und gesellschaftlicher Strukturen: Sie macht den Tod des Subjekts gleichsam
unwiederstehlich. Im Grunde war es immer schon ein strittiger Punkt der Linken:
Wenn Marx sagte, das Individuum sei Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse,
so legten die einen den Schwerpunkt auf die Verhältnisse, die anderen auf das
Individuum; wenn es heißt, ie Menschen machen die Geschichte selbst, aber
nicht unter selbstgewählten Umständen, etonten die einen - in klassisch-idealistischer
Tradition - das selbsttätige Subjekt, die anderen - in Anlehnung an die Milieutheorie
- die Umstände. Während das dialektische Denken von dieser Spannung lebt,
schlägt sich das strukturalistische auf die Seite der Umstände. Und im
Gegenzug mystifiziert die Kritik des Strukturalismus wiederum das Subjekt; so schrieb
Jean Améry, der leidenschaftliche Gegner Foucaults: "Es ist der Mensch,
der die Sprache schafft, die soziale Praxis verwandelt, die Natur erkennend neu
gestaltet. Er ist Subjekt und Objekt der Erfahrung, Ursprung und Ziel der Geschichte,
er ist Be-deuter einer Realität, die ihn hervorgebracht hat und die er, bedeutend,
zu jeder Stunde neu hervorbringt."
Mit der Sprache aber hat der Strukturalist ein Modell zur Hand, mit dem das Subjekt
nicht einfach abgetan wird, wie in der Milieutheorie oder im Vulgärmaterialismus,
sondern als eine Frage der Konstruktion sogar besonderes Interesse fordert. Mit
diesem Modell kann die vom Tauschwert provozierte Entwicklung des Subjekts mit einiger
Konsequenz durch- und nachgespielt werden - ohne den Tauschwert beim Namen zu nennen.
Die Ironie von Foucaults Darstellungen besteht ja darin, daß er als Dispositiv
der Macht beschreibt, was das Subjekt als seine Befreiung erlebt. Es fühlt
sich ganz so frei wie der Waren- und Geldeigentümer am Markt, dessen Effekt
er ist. Der Neo- oder Poststrukturalist betreibt tatsächlich so etwas wie die
linguistische Mimikry des Marktes. In Levi-Strauss' frühem Buch über Die
elementaren Strukturen der Verwandtschaft ist die Analogie von Sprache und Tausch
am Beispiel des Inzestverbotes sogar noch explizit durchgeführt - allerdings
werden in diesem Fall nicht Produkte getauscht sondern Frauen.
Die Analogien von Sprache und Markt, Kommunikation und Tausch sind offenkundig.
Wie Saussure betont hat, gründen die subjektiven kommunikativen Akte in einem
Beziehungsgefüge, dessen Glieder nicht substantiell bestimmt sind, in dem vielmehr
"Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des anderen
sich ergeben". Solche Relationalität kennzeichnet auch die Beziehungen
der mit einander tauschenden Waren- und Geldeigentümer. Die Phoneme sind gleichsam
die Gebrauchswerte der Sprache: Sie müssen sich voneinander signifikant unterscheiden,
nur dann kommen Signifikate zustande. Doch hier endet auch die Analogie von Sprache
und Tausch: in der Frage, was sie unterscheidet. Es sei denn, man wollte davon abstrahieren,
ob jemand Geld, Ware oder seine Arbeitskraft anbietet. Wenn sich Machtverhältnisse
nicht nur - wie die Sprache - unmittelbar zwischen Menschen, sondern auch vermittelt
durch die Produktion von Dingen, Gebrauchswerten, konstituieren können, vermag
die Unmittelbarkeit der Sprache und des Tausches etwas zu verdecken. Blickt man
nur auf den Mechanismus des Marktes, so wird man keine Geschichte wahrnehmen können:
Alles Geschichtliche erscheint hier als Wiederkehr des Immergleichen, des Tausches.
Darin liegt das vielfach diskutierte Grunddilemma strukturalistischer Methodik verborgen:
daß sie Genese und Veränderung von Machtstrukturen - ob es sich nun um
Kapital oder Staat handelt - nicht zu analysieren und darzustellen vermag, interessiert
sie doch immer nur - analog zur Sprache - die synchrone Relation der einzelnen Elemente
innerhalb eines gleichsam vorgegebenen Systems - mag es nun "epistem"
heißen, wie bei Foucault, oder "Produktionsweise", wie bei Althusser
und Balibar. (Tatsächlich erscheint der Versuch der letzteren, das Kapital
selbst nicht als geschichtlichen Prozeß sondern buchstäblich wie einen
Text zu lesen, besonders paradox.) Gleichwohl ahnt der neostrukturalistische Philosoph,
wenn er den Boden der frühen Stammeskulturen verläßt und die Geschichte
des Abendlandes studiert, eine bewegende "Macht" hinter oder in diesen
Strukturen; sie wird ihm zum unbewegten Beweger: Bei Foucault erscheint er wie ein
unsichtbarer Gott, der nach Belieben die Dispositive in der Geschichte auswechseit
- oder der an einem Kaleidoskop dreht, in dem der Strukturalist immer neue Konfigurationen
des Subjekts, immer neue Effekte, erblickt.
Die unsichtbare Macht ist allgegenwärtig. Alle Zeichen des Systems, alle Tätigkeiten
des Subjekts sind gleich unmittelbar zu diesem Gott. Mit der Homologie von Sprache
und Tausch, der Vorstellung der Welt als eines Zeichensystems, geht die Differenz
von Sprechen und Handeln verloren. Foucaults Begriff des Geständnisses vermag
ohne Zögern die Identität von inquisitorischer Folter und therapeutischer
Psychoanalyse zu behaupten: Den Unterschied begreift Foucault als eine bloße
taktische Verschiebung innerhalb eines Dispositivs der Macht.
Man könnte sagen, die neostrukturalistischen Theorien haben in dieser linguistisch
inspirierten Abstraktion das Gefühl der der realen Ohnmacht politischer Subjekte
unter den Bedingungen der Kapitalverwertung zur Sprache gebracht ("Wir sind
alle Beherrscherrschte"); sie haben - mit ihrem eigenen Vokabular - den Marxschen
Begriff der Charaktermaske ausbuchstabiert; sie haben mit welchen Mitteln auch immer
- die Linke dazu angestiftet, die geschichtsphilophische Teleologie des frühen
Marx und einen von ihr abgeleiteten Subjektbegriff zu verabschieden. Darin liegt
ein Verdienst, das angemessen zu beurteilen noch immer schwer fällt.
In der amerikanischen Rezeption ieser Theorien geschieht nun etwas Paradoxes: In
der Welt als Zeichensystem wird die Rekonstruktion der Handlungsfähigkeit versucht.
"Denn selbst wenn das Subjekt eine kulturelle Konstruktion ist, verfügt
es nichtsdestoweniger über eine Handlungsmöglichkeit", schreibt erfrischend
apodiktisch Judith Butler in ihrem Buch Gender Trouble.
"Das Subjekt wird vo n den Regeln, durch die es erzeugt wird, nicht determiniert,
weil die Bezeichnung kein fungierender Akt, sondern eher ein regulierter Wiederholungsprozeß
ist ... , daher ist die "Handlungsmöglichkeit" in der Möglichkeit
anzusiedeln, diese Wiederholung zu variieren." Das heißt, Subversion
ist möglich: Ein Effekt zu sein bedeutet für das Subjekt nicht, daß
es schicksalhaft determiniert ist. "Für den Feininismus besteht die kritische
Aufgabe nicht darin, einen Standpunkt außerhalb der konstruierten Identitäten
zu errichten." Die Teilhabe an jenen Verfahren der Wiederholung, die Identität
konstituieren, bietet die Möglichkeit, "ihnen zu widersprechen".
Dies kann bedeuten, "die Geschlechter-Konfigurationen zu vervielfältigen,
die substantivische Identität zu destabilisieren und die naturalisierten Erzählungen
der Zwangsheterosexualität ihrer zentralen Protagonisten: "Mann"
und "Frau" zu berauben". Die Travestie etwa, die Verkleinung der
Männer als Frauen, der Frauen als Männer, ist "queer" (sonderbar,
seltsam, irreführend); sie stiftet Verwirrung zwischen den Geschlechtern, und
diese Verwirrung ist - im Sinne Butlers - Handeln; Straßenhappenings von Lesben
und Schwulen, "Kiss-ins" der Homosexuellengruppe "Queer Nation",
Demonstrationen mit Maskerade - auf all diese Aktionsforinen läßt sich
Butlers Konzept beziehen.
Ein Kulturpessimist wie Robert Hughes, der sich mit seinem Buch Culture of Complaint
(Untertitel der deutschen Ausgabe: "Wie sich die Amerikaner in Political Correctness
verstrickt haben") offenbar - wie Neil Postman - beim deutschen Feuilleton
einschmeicheln möchte, kann gar nicht genug über die vom Campus aus unternommene
Suche nach Handlungsmöglichkeit spötteln: Madonna sei "zum Pin-up-Girl
der amerikanischen Gelehrtenwelt geworden, gewandet in die Lochstickerei der Theorie,
bald dünner verschleiert, bald dicker ... Es gibt eine Lacansche Madonna, eine
Baudrillardsche Madonna, eine Freudsche Madonna, eine Foucaultsche Madonna ... Ist
man gar eine marxistische Feministin wie Melanie Morton, so kann man auch aufzeigen,
daß ihre Songs "sich dem entziehen, was wir in der Narrativik ideologische
Geschlossenheit nennen würden"." Wird aber Handlungsfähigkeit
womöglich gefunden - und dies gar noch außerhalb des Campus, gebraucht
auch Hughes andere Injurien: Wenn Feministinnen etwa die Veranstaltung eines Abtreibungsgegners
und Todesstrafenbefürworters zum Scheitern bringen, spricht er wirkungsvoll
von "NS-mäßigem Gezeter".
Unter der Devise "Gute Laune ist progressiver als Kulturpessimismus" empfängt
dagegen Diedrich Diederichsen dankbar die PC-Impulse aus Amerika: "Die vielgeschmähte
amerikanische p.c.-Bewegung ... ist einerseits auf einer symbolischen Ebene fast
unsinnig verbohrt und unnachgiebig und hat damit ... tatsächlich Definitionsmacht
errungen. Sie muß extreme, sinnlose Partikularismen ertragen, um halbwegs
universell auftreten zu können ... Sie ist extrem symbolisch (also scheinbar
unmaterialistisch, unpolitisch), findet darin aber die Form einer Radikalität,
die es erlaubt, fast alles diskutierbar, anwendbar, genießbar zu finden, indem
man es ausspricht, austrägt, darlegt." Zwischen Aussprechen und Austragen
liegt zuweilen ein Unterschied, und so kann Diederichsen hinzufügen: "Diesselbe
Lage ließe sich auch im schwärzesten Pessimismus beschreiben. Und zwar
nicht unbedingt falsch." Aber gute Laune sei, wie gesagt, progressiver als
Kulturpessimismus.
Die äußere Not realer Ohnmacht wird - im akademischen Milieu - allzuleicht
als Tugend von Sprachspiel und Sprachpolizei verinnerlicht, zumal die Rekonstruktion
von Handlungsfähigkeit mit der neostrukturalistischen Dekonstruktion die Vorstellung
teilt, die Welt sei ein Zeichensystem. "Dort, wo kulturelle Repräsentationen
nicht über sich hinausgehen", schreibt Angela Davis, "lauert die
Gefahr, daß sie zu reinen Surrogaten für Aktivismus werden, und das ist
der Anfang und das Ende jeder politischen Praxis." Wie aber diese Gefahr erkennen,
wenn das gesellschaftliche System als Summe kultureller Repräsentationen wahrgenommen
wird? Cornelia Eichhorn hat an Judith Butlers Konzeption kritisiert, daß sie
jene durch soziale Verteilungskämpfe und Arbeitsteilung geschaffenen Kräfteverhältnisse
aus dem Auge verliere, die "die Möglichkeiten der einzelnen Individuen,
in den Kampf um die Bedeutungen einzugreifen, bestimmen. Butlers Projekt entpuppt
sich ... als Verfahren der potentiellen Negierung von Gewaltverhältnissen im
semiologischen Universum der unaufhörlichen Verschiebung von Signifikaten."
Entscheidend bleibe, "in welcher ökonomischen und politischen Situation
auf ein "Spiel der Signifikate" gesetzt wird und wie es in den herrschenden
Machtverhältnissen situiert ist" ("Die Beute" 1/94).
Die parodistischen Verfahren, die Butler favorisiert - die Karnevalisierung der
Identitäten, wie man mit einem Seitenblick auf Michail Bachtin sagen könnte
-, sind nicht unbedingt subversiv. Eine fast schon banale Weisheit: Es kommt stets
darauf an, wer sie in welchem Zusammenhang verwendet. So erschrak Diedrich Diederichsen,
als er bei den Neonazis von Rostock Malcolm- X-Kappen entdeckte. Der afrocentric
Dress- und Music-Code bietet offenbar keine Gewähr für politisch anständige
Subversion. Es gibt keinen politisch korrekten Geschmack - und es gibt keine Hautfarbe,
die vor rassistischem und biologistischem Bewußtsein schützt: HipHop
transportiert zuweilen antisemitische, frauen- und schwulenfeindliche Einstellungen.
Auch der Beitrag von Michele Wallace in dem von Diederichsen herausgegebenen Sammelband
über schwarze Kulturkritik Yo! Hermeneutics produziert eine seltsame Identität,
die als schwarzer Feminismus figuriert: "Wenn der lebensspendende Aspekt des
weiblichen Körpers und der Familie weiterhin keine Berücksichtigung findet,
bleibt eben immer nur die leblose, unmenschliche Abstraktheit von Kriegsspielen
übrig." Diederichsens Rezept für solche Fälle - "Es hilft
nur Identität, wo Identität herrscht" - scheint fragwürdig;
abgesehen davon, daß die Anspielung auf Brechts "Es hilft nur Gewalt,
wo Gewalt herrscht" eine dubiose Analogie von Identität und Gewalt andeutet,
und selbst wenn die Abgrenzung gezogen wird: "Wer ohne primäre Not Identität
verlangt oder verehrt, ist ein Faschist" - die Frage ist doch immer, welche
Not auch herrscht: Identität wovon? Und der Poptheoretiker wird gewiß
nicht meinen, jene etwa von Antisemitismus und afroamerikanischem Rhythmus könnte
irgendwo helfen.
Die Welt ist also nicht bloß ein Zeichensystem, sie ist - immer noch - ein
Ort der Konflikte. Nach deren Maßgabe erst lassen die Zeichen sich deuten.
David Mamets "Oleanna" ist ein Zwei-Personen-Stück über Political
Correctness. Darin verfolgt die Stu- dentin Carol die Strategien von Judith Butler,
um sich gegenüber John, dem Dozenten, der bald Professor werden wird, zu behaupten:
Sie spielt mit den Signifikaten, sie vervielfältigt die Geschlechterkonfigurationen,
indem sie zunächst eine schüchterne junge Frau ist; als der Dozent dann
mit der Geste des Hilfreichen sich ihr - auch körperlich - nähert, verschiebt
sie die Bezeichnung, variiert sie ihre Rolle; die Falle schnappt zu: Sie klagt ihn
der sexuellen Belästigung an. Political Correctness entpuppt sich als Waffe
in einem Machtkampf zwischen ungleich Mächtigen. Das Spiel mit der Sprache,
die Kontrolle über sie, und das universitäre Rechtssystem bieten Carol
eine Handhabe gegen den Mächtigeren. Und sie mißbraucht dies insofern,
als sie von Vergewaltigung spricht, wo es sich nur um eine Berührung handelte.
Doch im Grunde nimmt sie damit das Verhalten des Dozenten nur vorweg: Als sie sich
nämlich in seine Familienverhältnisse mischt, ihn auffordert, nicht mehr
"Baby" zu seiner Frau zu sagen, endet auch die Reichweite der Sprache:
Der angehende Professor wird gewalttätig. Political Correctness eignet sich
eben nicht zuletzt dazu, die Machtfrage zu stellen. Die Antwort geht freilich über
sie hinaus - und es ist ratsam, sich dafür zu wappnen.
aus Konkret 7/94
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt