"Alles ist hier anders, und doch sind die Grundmuster vertraut: die antiwestliche Rhetorik, die sich nahtlos mit der Begeisterung für die modernste Waffentechnik verbindet; die xenophobe und chauvinistische Exaltiertheit; die Neigung zu paranoiden Konstruktionen, die allenthalben satanische Mäche am Werk sehen, de verbohrte Partikularismus, der zugleich eine weltgeschichtliche Sendung der eigenen Kultur postuliert. Was im Deutschland der Jahre 1918ff durchgespielt wurde, findet heute auf der ganzen Welt ein vielfaches Echo."(Breuer S.201)Ob in Deutschland, wie Stefan Breuer andeutet, diese politischen Strömungen trotz Wiederbelebungsversuche nicht mehr existiert, müßte differenzierter betrachtet werden. Zwar stimmt es, daß die meisten Ideologeme unverständlich und exzentrisch erscheinen, die Versuche ein Charisma der Nation zu erneuern, sind in den letzten 5 Jahren verstärkt aufgetreten und haben den Charakter von Brand-Sätzen gehabt.
"Wer Carl Schmitt kritisiert, legt sich nicht mit der herrschenden Lehre von gestern, sondern mit der herrschenden Meinung von heute an. Das bestätigen wider willen einige Rezensionen, die das eher esoterisch geschriebene Buch zu einem Politikum aufwerten. Ihnen muß zunächst auf gleicher Argumentationsebene geantwortet werden. - Schwierigkeiten scheint hier schon der Buchtitel bereitet zu haben. Sicher kann ein Buchtitel nicht die Differenziertheit einer Analyse zum Ausdruck bringen, vielleicht hätte auch der ursprüngliche Arbeitstitel Mißverständnisse vermieden, der sich scheinbar neutraler auf bürgerliche Rechtstheorie im fortgeschrittenen Industriekapitalismus bezog. Nirgendwo ist allerdings - wie gelegentlich unterstellt - Carl Schmitts Theorie, die wesentlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Kontinuität analysiert wurde, als "faschistisch" bezeichnet. Offenbar besteht die herausfordernde Bosheit meines Buches gerade darin, daß es Carl Schmitts Theorie in allen Phasen (auch nach 1933) als eine eminent bürgerliche interpretiert. So ist auch für die entscheidende Phase nur die temporäre Affinität, nicht die Identität zwischen Interessen und faschistischen System herausgearbeitet. Nur in diesem Zusammenhang ordnet sich meine Unterscheidung zwischen einerseits ökonomischen und andererseits unmittelbar politischen (von Parteijuristen) artikulierten) Interessen an der Entformalisierung des Rechts ein. DIe These, daß beide Intentionen im NS-System sich wechselseitig verstärkten und der organisierte Industriekapitalismus im faschistischen System auch entscheidend gefördert wurde, zielt auf die Kontinuität sozialökonomischer Prozesse, der sich in der inneren Folgerichtigkeit der Theorie Carl Schmitts reproduziert."(I.Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung Carl Schmitts 2.Aufl. X ff)Und weiter;
"Offenbar war der gegenwärtig herrschenden Lehre der Nachweis der Kontinuität im Denken Carl Schmitts besonders unbequem. Die Vorwürfe gegen die Verwendung eines weiten Faschismusbegriffs im Sinne einer Identifizierung von NS-System und BRD, die im Buch keinen Anhaltspunkt finden, richten sich in Wirklichkeit gegen diese Kontinuitätsthese sowie deren Implikationen, zentrale Argumentationsfiguren der Theorie Carl Schmitts (und vergleichbarer Rechtstheorien der Weimarer- und NS-Zeit) als konstitutiv auch für das gegenwärtig dominierende Rechtsverständnis aufzuweisen. Daß dessen gegenwärtige Vertreter, wie z.B. Werner Maihofer, der geistigen Verwandschaft mit Carl Schmitt im Sinne faschistischer Neigungen bezichtigt werden sollten, erscheint unter diesem Aspekt fast als ein gewolltes Mißverständnis. Wenn es in einer Kritik heißt: 'Über Carl Schmitts vorübergehendes Engagement für den Nationalsozialismus braucht hier kein Wort mehr verloren zu werden. Seine Bedeutung in der deutschen Staats- und Rechtslehre wird dadurch nicht aufgehoben", und wenn diese Bedeutung ausdrücklich auch den bürgerlich-liberalen wie den christlich-humanitären Gegnern Carl Schmitts wieder näher gebracht werden soll, so wird das eigentliche Motiv solcher Auseinandersetzungen deutlich: Wer Carl Schmitts Schriften vor 1933 und nach 1945 zur nicht mehr heimlichen, sondern offiziellen Rechtsdoktin der Gegenwart erheben will, muß auf dem radikalen Bruch von 1933/45 bestehen. Jeder Kontinuitäts-Nachweis stört die eingeleitete offene Carl Schmitt-Rezeption."(a.a.O. XIII)Die Kontinuität von bürgerlichen und faschistischen Denken ist das Interessante am Lebenswerk Schmitts. Der Faschismus ist also der Demokratie nicht äußerlich, sondern entwickelt sich bereits in der Demokratie. Daher ist das Problem der Transformation der Demokratie das Entscheidende. Das "Vordringen von Generalklauseln", die dann zur im Ermächtigungsgesetz zur "Ermächtigungsgeneralklausel" sich steigert hat schon Hedemann in "Flucht in die Generalklauseln" gesehen: "Wenn aber der Staat als oberste Macht selbst die Generalklauseln für sein eingenes Verhalten setzt, fließt der Beweglichkeitsfaktor mit dem Machfaktor in Eins zusammen, die Generalklausel hört auf Maßstab zu sein und wird zur einseitig und unkontrollierbar zu führenden Waffe". (Die Flucht in die Generalklauseln, Tübingen 1933 S. 72f)
"Es ist die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich aufhebender Widerspruch, der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert Staatseinmischung heraus. Es reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums." (MEW25,454)Bereits in der vormonopolistischen Phase entspricht der Herrschaft des Kapitals die politische Herrschaft des Staates. Die Transformation der Herrschaft des Kapitals in die politische des modernen Anstaltsstaates hat den Zweck der gewaltsamen Garantie des Modus der reinen Vergesellschaftung. Der abstrakte Universalismus politischer Herrschaft besteht in der abstraktiven Verallgemeinerung individueller Interessen, die den Individuen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang entreißt und in Gegensatz zu ihnen tritt.
"Damit gesellschaftliche Inhalte verbindlich werden können, müssen sie als private Interessen gesellschaftlich beliebig und unverbindlich sein, und wenn sie in der öffentlichen Gewalt verbindlich geworden sind, sind sie vom gesellschaftlichen Lebenzusammenhang abstrahiert und treten ihm als äußerliche Herrschaft gegenüber."(U.K.Preuß, Bildung und Herrschaft, FfM 1975, 36f)Der Wille des Kapitalisten, der zwar formell genauso frei ist wie der des Arbeiters, dennoch aber an die Gesetze der Ökonomie bei Strafe des Untergangs gebunden ist, bestimmt die inhaltliche Seite des Produktionsprozesses. Da der Kapitalist nur fürsichseiendes Kapital ist, also Personifikation ökonomischer Kategorien, kann seine Tätigkeit auch an besoldete Diener übergehen. In der Sphäre der Produktion wird eine private, abstrakte Herrschaft begründet, der in der Zirkulationssphäre eine formelle Freiheit und Gleichheit korrespondiert, die ebenso real wie Schein ist. Real ist sie, insofern im Verkehr die außerökonomische Gewalt gewaltsam eliminiert ist:
"Damit ist also die vollständige Freiheit des Individuums gesetzt: Freiwillige Transaktion; Gewalt von keiner Seite; Setzen seiner selbst als Mittel, oder als dienend, nur als Mittel, um sich als Selbstzweck, als das Herrschende und Übergreifende zu setzen...Gleichheit und Freiheit sind also nicht nur respektiert im Austausch,der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austausch von Tauschwerten ist die Produktive, reale Basis aller Gleichheit und Freiheit."(GR,156)Ebenso real ist jedoch Ungleichheit und Freiheit, die in dieser gleichen und freien Form sich realisieren. Der auf das reine Arbeitsvermögen, seine reine Subjektivität reduzierte Arbeiter muß seine Arbeitskraft verkaufen, weil er von den objektiven Produktionsbedingungen getrennt ist; er wird nur gekauft, wenn er mehr produziert als er als Äquivalent für seine Arbeitskraft erhält. Dem Normalzustand kapitalistischer Vergesellschaftung entspricht juristisch die Allgemeinheit des Gesetzes. Hegel formuliert diesen Sachverhalt treffend:
"Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens nicht bloß das eine Moment vor sich zuhaben, daß dadurch etwas als für alle gültige Regel des Benehmens ausgesprochen werde; sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit."(Rechtsphilosophie 211)Der Universalismus politischer Herrschaft als Form kapitalistischer Herrschaft setzt die Unverbindlichkeit individueller Interessen als solche voraus. Im Normalzustand des Gesetzgebungsstaates herrscht ein Interessenpluralismus, der die Sphäre der privaten Produktion mit der abstrakten politischen vermittelt. Durch Mehrheitsentscheidung kann jedes individuelle Interesse prinzipiell verwirklicht werden. Dies ist indes nur möglich, soweit die private Herrschaft des Kapitals nicht angegriffen wird, was impliziert, bürgerliche Verkehrsformen zu verlassen; dann versagt die Vermittlungsfunktion:
"Versagt seine Vermittlungsfunktion - etwas weil das 'Interesse' an unmittelbarer und verbindlicher Planung des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Produktion und Bedürfnisbefriedigung angemeldet wird -, so schlägt der Universalismus politischer Herrschaft unvermittelt in sein Gegenteil um: im Belagerungszustand findet der Universalismus politischer Herrschaft sein dialektisches Widerspruchsmoment; in ihm schlägt ganz ohne interessenpluralistische Vermittlung direkt Gewaltsamkeit der den Gesellschaftsmitgliedern entzogenen, abstrakten Allgemeinheit als Herrschaft 'sans phrase' durch, um den abstrakten Charakter gesellschaftlicher Allgemeinheit zu bewahren."(U.K.Preuß, Bildung und Herrschaft, FfM 1975, p.38)In Deutschland hatte sich ein Rechtsstaat entwickelt, der der Einsicht Franz Neumanns zufolge eine Schöpfung der ökonomisch aufsteigenden, aber politisch stagnierenden Bourgeoisie war. Die Idee des Rechtststaats war gegenüber politischen Form gegenüber indifferent, also nicht wie in England die der Demokratie. Der Rechtsstaatsbegriff war in Polemik gegen De Maistre und Bonald, die Vertreter einer Theorie einer rein monarchischen Legitimität, gebildet worden. Sicherheit und Berechenbarkeit stehen bereits bei dem Theoretiker der Gegenrevolution Friedrich Julius Stahl im Vordergrund. Die autoritas wird durch das Gesetz begrenzt. Die liberalen Rechtstaatstheoretiker wie Gneist, Mohl, Welcker und Bähr übernehmen den indifferenten Begriff des Rechtsstaats, dem zufolge das Recht indifferent gegenüber der Staatsform ist. Die Genesis des Rechts interessiert sie nicht, sondern nur die Interpretation des positiven Rechts. Bestimmte Rechte gegenüber den Staat wurden bereits fixiert:
"Die Unabhängigkeit der Richter wurde von 1848 an nicht mehr bestritten. Sie wandten die Gesetze wörtlich an. Das freie Ermessen, das in den Generalklauseln am sichtbarsten ist, spielt keine Rolle. (...) Noch 1911 hat der zweite Richtertag folgende Entschließung angenommen: '1.Die richterliche Gewalt ist dem Gesetz unterworfen. Der Richter hat deshalb niemals die Befugnis, vom Recht abzuweichen. 2. Die Zweifelhaftigkeit des Gesetzesinhalts berechtigt den Richter nicht, nach seinem Ermessen zu entscheiden; vielmehr ist der Zweifel durch Auslegung des Gesetzes nach Sinn und Zweck und zutreffendenfalls nach Analogie zu lösen. 3. Ist ein Gesetz verschiedener Auslegung fähig, so hat der Richter derjenigen Auslegung, welche dem Rechtsbewußtsein und den Verkehrsbedürfnissen am besten entspricht, den Vorzug zu geben.' Diese Haltung der Richter gegenüber dem Gesetz ist während der Periode Wilhelms II. verständlich. Der Staat verstand es, seinen Einfluß auf die Richter, obwohl sie unabhängig waren, durchaus zu erhalten. Der soziale Standort des Richters war fixiert. Er begann seine Karriere als Reserveoffizier und lernte dort die Bedeutung von Gehorsam und Disziplin. (...) Der Richter dieser Periode besaß alle Charakteristika des mittleren Bürgertums, das Resentiment gegenüber Arbeiter, vor allem dann, wenn er organisiert und gut bezahlt war, die Verehrung für Thron und Altar, zugleich aber völlige Indifferenz gegenüber Finanzund Monopolkapital."(F.Neumann, Der Funktionswandel des Rechtsgesetzes, in: ZfS VI (1937), p. 568f)1918 änderte sich die politische Lage, bedingt durch die deutsche Niederlage, wurde aus dem 2. deutschen Kaiserreich eine parlamentarische Republik. Wie reagierte die Jurisprudenz? Sie vertrat einen Rechtspositivismus, der die jeweils bestehende Ordnung rechtfertigt. So heißt es in einem Handbuch:
"Zur Rechtsverwirklichung ist nur die Staatsgewalt befugt, die die tatsächliche Macht besitzt ...Die Staatsgewalt (ist) eine Tatsache der Geschichte, ohne Rücksicht auf Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit ihres Entstehungsprozesses. Daher kommen auch den revolutionären Trägern der Staatsgewalt, die sich in deren Besitz zu behaupten vermögen, die Anerkennung ihrer rechtlichen Stellung zu."(Stier-Somlo, Art. Legitimitätsprinzip in HwbR, BD.3, Berlin u. Leipzig 1928, 934)Diese Passage aus dem Handwörterbuch der Rechtswissenschaft bezieht sich auf eine offizielle Formulierung des Reichsgerichts, die das Recht der gelungenen Revolution 1918 fixiert. Aber lange vor der Revolution ist die Legitimitäsfrage aus dem Staatsrecht eliminiert worden, so formulierte Georg Meyer bereits:
"Die Befugnis zur Ausübung der Staatsgewalt ist... nicht durch den rechtmäßigen Erwerb, sondern nur durch den tatsächlichen Besitz derselben bedingt."(G.Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, bearbeitet von G.Anschütz, 6.Aufl. Leipzig 1905, p.24)Die Juristen brauchten sich nicht sonderlich umzustellen. Auch die Weimarer Verfassung akzeptierten sie wie vorher das Wilhelminische Deutschland. Der Staat war jedoch nicht mehr derjenige, den wir in klassischer Form bei Locke, Sieyes und Kant kennengelernt haben. Die Konkurrenz unabhängiger Privatsubjekte war durch die Entfaltung der Tendenz zur Monopolisierung suspendiert. Die Trennung von politischem Staat und Gesellschaft war durch ein "Übergreifen der bürgerlichen Gesellschaft über den Staat" (Marx, GR175) aufgehoben worden
"Im Interesse einer Fortführung des (kapitalistisch organisierten) Produktions- und Reproduktionsprozesses übernimmt der Staat die Funktion einer Sozialisierung der Lasten, die die Möglichkeiten der Einzelkapitale übersteigen. Er wird Subventions- und Planstaat, der seinen Haushalt zu gesamtwirtschaftlichen Zwecken einsetzt, die freilich nach wie vor ihren eigenen Gesetzen gehorchen; er wird Globaladministrator, der über Handels-, Bank-, Betriebs- und Raumordnungen die Verkehrsformen regelt; und er wird zum Verwalter des gesamtgesellschaftlichen Assekuranzfonds, der - in direkten Widerspruch zu den Prinzipien des klassischen Liberalismus - die Individuen vor gesellschaftlich produzierten Risiken des Einkommenverlusts durch Krankheit, Alter, Unfall oder Arbeitslosigkeit schützt. Alle diese Funktionen übernimmt der Staat nicht von sich aus, sondern unter dem doppelten Druck objektiver wirtschaftlicher Zwänge und subjektiver Pressionen, die von den in Assoziationen, Verbänden und Parteien organisierten Staatsbürgern auf ihn ausgeübt werden."(St. Breuer, Nationalstaat und poivoir constituant bei Sieyes und Carl Schmitt, in: Aspekte totaler Vergesellschaftung, Freiburg 1985,p.176)Der Staat macht sich zunehmend zu einem "ideellen Gesamtkapitalisten". Für das Recht hat das entscheidende Bedeutung. Die ungeheuere Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen gerät in Widerspruch zur Gesetzesform des Rechts, wie wir sie oben angedeutet haben. Dies zeigt sich einerseits an der Zunahme von Generalklauseln, durch die eine Entscheidung des Richters zum "politischen Befehl" (Neumann) wird und zur Rehabilitierung des Naturrechts, wie sie die Freirechtsschule vertreten hatte.
"Jedes dieser Phänomene verweist auf rechtliche Gründungsvorgänge durch eine konstituierende Macht. Von der richterlichen Rechtsschöpfung bis zur Untergrundbewegung richten sich deren Intentionen gegen das Legalitätsschema einer etablierten Welt, und noch in einer Äußerung von 1970 ist die Legalität als eine 'fürchterliche Realität' bezeichnet, gegen deren Garantie des legalen Status quo die Aktionen des Partisanen gerichtet sind."(I.Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, p.85f)Unter diesem Aspekt werden einige Texte von Schmitt zu interpretieren sein. Schmitt wechselt zwar seine Positionen andauernd, da er sich immer auf die aktuelle Lage bezieht - die Titel seiner Aufsätz beginnen oft mit "Zur Lage.." -, aber diese Kontinuität liegt vor, wenn er auch den Anspruch hat seine Begriffe aus der Immanenz der jeweiligen historischen Ordnung zu entwickeln. (Darauf konnte er sich später mit Erfolg berufen als er anläßlich der Nürnberger Prozesse von Kempner verhört wurde. Er sagte aus, er hätte nur Diagnosen, was ist, erstellt)
"Rechtsphilosophie ist für mich nicht ein aus einem vorhandenen philosophische System auf juristische Fragen appliziertes Vokabelarium, sondern die Entwicklung konkreter Begriffe aus der Immanenz einer konkreten Rechts- und Gesellschaftsordnung."(Anmerkung zu dem Vortrag über Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943), in Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 19241954 - Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S.427)Daraus läßt sich jedoch nicht schließen, daß er sich mit dem Rechtspositivismus identifiziert, dessen Formalismus ihm durchgängig ein Dorn im Auge ist, und den er auch explizit kritisiert:
"Es ist...nicht angängig, sich mit der landläufigen Methode einverstanden zu erklären, die einen Komplex von Normen, welche der Staat, als eine besondere Macht, emaniert, auf den lediglich faktischen Willen dieses Staates gründet, innerhalb dieses Komplexes aber mit den Mitteln juristischer Argumentation arbeitet und den vernünftigen und richtigen Willen er mitteln will, obwohl der Geltungsgrund der Norm (sc. nach der eigenen Voraussetzung des Positivismus) ein bloß tatsächlicher ist."(Wert des Staates, p.21)Schmitt bedient sich der Methode einer, wie er es nennt "Soziologie juristischer Begriffe", die bestimmte Homologien der Metaphysik mit der Form der politischen Organisation voraussetzt.
"Voraussetzung dieser Art Soziologie juristischer Begriffe ist also eine radikale Begrifflichkeit, das heißt eine bis zum Metaphysischen und zum Theologischen weitergetriebene Konsequenz. Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet. Die Feststellung einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffs."(PTH, 59f)Ein aprioristisches Methodenverständnis weist Schmitt zurück, d.h. er unterstellt sich dem Vorrang inhaltlichen Denkens. Man findet bei ihm die Ablehnung jeglicher Formalismen, wir noch sehen werden. Schmitt beschreibt sein Vorgehen in einem Gespräch mit Joseph Schickel:
"Ich habe eine Methode, die mir eigentümlich ist: die Phänomene an mich herankommen zulassen, abzuwarten und sozusagen vom Stoff her zu denken, nicht von vorgefaßten Kriterien. Das können Sie phänomenologisch nennen, aber ich lasse mich nicht gern auf solche allgemeine methodologische Vorfragen ein." (J.Schickel (Hrg.), Guuerrillos, Partisanen. Theorie und Praxis, München 1970, p.11)
"Die vorliegende Abhandlung stellt sich die Frage, wann eine in der Rechtspraxis ergangene Entscheidung richtig ist, und beantwortet sie dahin, daß die Rechtspraxis selbst darüber entscheide. (...) Die Praxis soll also ihre eigenen Maßstäbe für die Richtigkeit ihrer Entscheidungen haben."(GU,V)Er stellt sich zunächst einmal auf den Boden rechtspositivistischer Argumentation und unterstellt sich dessen Anspruch:
"Der Richter soll so entscheiden, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Richtig entscheiden enthält aber mindestens zwei Tätigkeiten; einmal das richtige Gesetz mit dem zu beurteilenden Tatbestande in Verbindung zu bringen; sodann das, was im Gesetz steht, richtig aufzufassen (von den Fällen, die nicht im Gesetz vorgesehen noch gar nicht zu reden). Wie soll sich nun aus dem Inhalt des Befehls selbst in Zweifelfällen ergeben, daß beide Tätigkeiten vorschriftsmäßig abgelaufen sind? Im Gesetz steht doch nicht mehr als sein manifester Inhalt." (GU,32)Nun kann es Fälle geben, in denen eine Subsumtion unter das Gesetz unbillig wäre oder die Realität das Gesetz überholt hat. Wie soll der Richter dann entscheiden. Er wird sich gegen das Recht entscheiden müssen oder das Recht muß verändert und das positive durch ein überpositives Recht ergänzt werden. Das letztere schließt Schmitt aus und wendet sich gegen die Freirechtsbewegung:
"Es scheint selbstverständlich zu sein: wenn die Subsumtion unter das Gesetz kein richtiges Resultat ergibt, so wird der Fehler wohl am Gesetz liegen, und dieses ist so zu ändern, daß ein richtiges Resultat dabei herauskommt. Das ist die leitende Idee der Freirechtsbewegung. Indem sie ein freies, 'überpositives', etwa aus moralischen Werturteilen oder 'Kulturnormen' entnommenes Recht neben das 'positive' Recht stellt und so unter gesetzlichen Entscheidungen etwas weiteres versteht, als die herkömmliche Methode, hält sie formal das Kriterium der Gesetzlichkeit aufrecht und bewegt sich auf demselben Wege, wie die traditionelle Interpretationslehre.."(GU,40)Schmitt lehnt eine Aushöhlung des Begriffs der Gesetzmäßigkeit ab. Aber dennoch will er einerseits die Flexibilität des Rechts andererseits Rechtssicherheit. Dazu knüpft er an Bentham an:
"Die Tätigkeit des Richters wird nach der (staatspolitischen) Tätigkeit des Gesetzgebers beurteilt. Das heißt bei Bentham nicht das, was es heute heißt, wenn jemand den 'Willen des Gesetzgebers' für den Richter als maßgebend hinstellt. Es bedeutet nur: für beider Tätigkeit gilt ein und dasselbe Kriterium der Richtigkeit: sie sollen der allgemeinen Erwartung, der exspecation, entsprechen; ihr Tun soll berechenbar sein."(GU,64f)In einem anderen Sinne vertritt Schmitt jedoch nun doch einen Positivismus, nämlich einen Positivismus der richterlichen Praxis. Er vertraut der allgemeinen gleichartigen Ausbildung und Fortbildung der Richter und einerseits und der realen Berufspraxis:
"Eine richterliche Entscheidung ist heute dann richtig, wenn anzunehmen ist, daß ein anderer Richter ebenso entschieden hätte. 'Ein anderer Richter' bedeutet hier den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten Juristen."(GU,71)
Der Adressat der Begründung von Entscheidungen ist der Berufsrichter, dessen Berufstätigkeit sich selbst legitimiert. Dabei schließt Schmitt psychologisch begründetes Kriterium der Entscheidungen aus, auf "gefühlsmäßige Vorgänge"(GU73f) und subjektive Überzeugtheit soll es nicht ankommen.
"Das aber, wovon überzeugt werden soll, ist nach der Formel dies: daß dieser Adressat ebenso entschieden hätte, die Entscheidung also voraussehbar und berechenbar und eine in der Praxis gleichmäßige ist. Die Praxis rechtfertigt sich durch sich selber. Die Richtigkeit, die so bestimmt ist, soll nicht die absolute sein, sondern die der modernen Praxis, d.h. aber nicht die, welche bei methodischer Betrachtung als solche anzusehen ist."(GU,86)
Der Richter hat das moderne Rechtsleben zu beobachten und zu studieren. D.h. er muß sich umfassend über die Urteile und gängige Rechtsprechung informieren. Eine weitere Sicherheit gewähren der Instanzenweg und Gerichtshöfe mit mehreren Richtern.(GU75f)
"Die Einheit, die in der Individualität liegt und ihren Wert ausmacht, kann immer nur ein geistiges Band sein, das in normativer Betrachtung gewonnen wird."(WS,7) "Auch das Individuum, das von irgendeiner Staatstheorie zum Wertmittelpunkt gemacht wird, muß sich mit seinem Wert legitimieren, denn von 'Natur' hat nichts seinen Wert, es gibt keinen anderen Wert als den, 'welchen ihm das Gesetz bestimmt'".(WS96)Schmitt zitiert hier Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Das Recht geht hier Schmitt zufolge dem Staat voraus. Höchste Gewalt kann nur sein, was vom Recht ausgeht: "Das Recht ist nicht im Staat, sondern der Staat ist im Recht."(WS,48) Der Staat ist" das Rechtsgebilde, dessen Sinn ausschließlich in der Aufgabe besteht, Recht zu verwirklichen."(WS,52)
"Eine Vereinigung der katholischen Kirche mit der heutigen Form des kapitalistischen Industrialismus ist nicht möglich. Der Verbindung von Thron und Altar wird keine von Büro und Altar folgen, auch keine von Fabrik und Altar. (...) Wohl aber bleibt bestehen, daß er Katholizismus sich jeder Gesellschafts- und Staatsordnung anpassen wird, auch derjenigen, in der kapitalistische Unternehmer herrschen oder eine Organisation der Gewerkschaften und Betriebsräte. Nur kann er sich erst anpassen, wenn die auf der ökonomischen Situation basierende Macht politisch geworden ist, also wenn die zur Herrschaft gelangten Kapitalisten oder Arbeiter in aller Form die staatliche Repräsentation mit ihrer Verantwortung auf sich nehmen."(RK,50f)Im "ökonomischen Denken", worunter er das unternehmerische wie das marxistische gleichermaßen subsumierte, liegt Schmitt zufolge "ein wesentlicher Gegensatz der heutigen Zeit gegen die politische Idee des Katholizismus". Er wendet sich auch gegen die katholische Romantik, die er als Reflex auf den Rationalismus und Mechanismus dechiffriert:
"Darum müßte es einem Katholiken wie ein zweifelhaftes Lob vorkommen, wenn man seine Kirche zum Gegenpol des mechanistischen Zeitalters machen will. Es ist ein auffälliger Widerspruch (..), daß eine der stärksten protestantischen Empfindungen im römischen Katholizismus deshalb eine Entartung und Mißbrauch sieht, weil er die Religion zu einer seelenlosen Formalität mechanisiere, während zu gleicher Zeit gerade Protestanten in romantischer Flucht zur katholischen kirche zurückkehren, weil in ihr die Rettung vor de Seelenlosigkeit eines rationalistischen und mechanistischen Zeitalters suchen." (RK,24)
"Nur in einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft konnte das ästhetisch produzierende Subjekt das geistige Zentrum in sich selbst verlegen. Nur in einer bürgerlichen Welt, die das Individuum im Geistigen isoliert, es an sich selbst verweist und ihm die ganze Last aufbürdet, die sonst in einer sozialen Ordnung in verschiedenen Funktionen hierarchisch verteilt war. In dieser Gesellschaft ist es dem Individuum überlassen, sein eigener Priester zu sein, aber nicht nur das, sondern, wegen der zentralen Bedeutung und Konsequenz des Religiösen, infolgedessen auch der eigene Dichter, der eigene Philosoph, der eigene König, der eigene Dombaumeister an der Kathedrale seiner Persönlichkeit. Im privaten Priestertum liegt die letzte Wurzel der Romantik und der romantischen Phänomene."(PR,26)Schmitts Blick richtet sich auch auf die Dialektik der Aufklärung, die als Konsequenz der nominalistischen via moderna, der Liquidation traditioneller Ontologie und Geschichtsteleologie, irrationalistische Tendenzen und die Angst als Grundstimmung hinterließ:
"Die Realität, deren Macht sich jeden Tag faktisch erwies, blieb als irrationale Größe im Dunkeln. Es gab kein ontologisches Denken mehr. Das ganze, von romantischen Geist beeinflußte Jahrhundert ist erfüllt von einer eigenen Stimmung. So verschieden, systematisch und gefühlsmäßig, die Voraussetzungen, Ergebnisse und Methoden sind, über den Unterschied von Optimismus und Pessimismus hinweg, ist die Angst des einzelnen Individuums herauszuhören und sein Gefühl, betrogen zu sein. Wir sind hilflos in der Hand einer Macht, die mit uns spielt. (...) In der Vorstellung einer geheimen, 'hinter den Kulissen' ausgeübten Macht, die sich in den Händen weniger Menschnen vereinigt und es ermöglicht, mit überlegener Bosheit unsichtbar die Geschichte der Menschen zu lenken, in solchen Konstruktionen des 'Geheimen' mischt sich ein rationalistischer Glaube an die bewußte Herrschaft des Menschen über die geschichtlichen Ereignisse mit einer dämonisch-phantastischen Angst vor einer ungeheuren, sozialen Macht und oft noch mit dem säkularisierten Glauben an eine Providenz." (PR,115f)Schmitt definiert die Politische Romantik als subjektivierten Occasionalismus. Der Occasionalismus war aus dem Problem der Zweisubstanzenlehre Descartes entstanden, zu erklären wie das zweifelsfreie reinen Denken dazu kommt, sichere Erkenntnis der Außenwelt zu verbürgen. Dazu übersetzt er die traditionelle Metaphysik in das neuzeitliche Philosophieren und führte einen ontologischen Gottesbeweis mit der Absicht die Gewißheit welthafter Vorgänge zu begründen. Beim Occasionalismus wird Gott zur wahren Ursache jedes weltlichen Vorgangs.
"Das Problem der wahren Ursache ist das Ausgangsproblem des Occasionalismus. In Gott fand er alle wahre Ursache, und alle Vorgänge dieser Welt erklärte er für einen bloß occasionellen Anlaß. Hier rechtfertigt es sich wiederum, daß die Erörterung der Struktur des romantischen Geistes von Descartes ausging, der von der Argumentation, daß ich bin, weil ich denke, von dem Schluß vom Denken auf das Sein, zu der Unterscheidung von innerlich und äußerlich, Seele und Leib, res cogitans und res extensa geführt wurde. Daraus ergaben sich die Schwierigkeiten, beides miteinander in Einwirkung zu bringen und die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib zu erklären. Die occassionalistische Lösung (...) beseitigte die Schwierigkeiten dadurch, daß sie Gott als die wahre Ursache jedes einzelnen psychischen und physischen Vorgangs ansah."(PR,124f)
"Für diesen Vorgang finden die Occasionalisten Umschreibungen und Vergleiche, die oft an romantische Stimmungen anklingen. Wenn ich ein Haus baue, so ist es eine höhere Kraft, die meinen Plan entstehen läßt, die meine Hand führt, die jeden Stein bewegt, so daß schließlich ein Haus entsteht."(PR,125)
"Daß es zur romantischen Situation gehört, sich zwischen mehreren Realitäten - Ich, Volk, Staat, Geschichte - zu reservieren und sie gegeneinander spielen zu lassen, ist allerdings verwirrend und verdeckt die einfache Struktur iher Wesensart. Ein Occasionalismus mit mehreren durcheinander agierenden 'wahren Ursachen' könnte jeden über seine wahre Natur täuschen. Es ist ein Occasionalismus, der von einer Realität zur anderen entweicht, und dem das 'höhere Dritte', das occasionalistisch notwendig etwas Entferntes, Fremdes, Anderes enthält, bei der beständigen Abbiegung auf ein anderes Gebiet, zum Andren oder Fremden schlechthin und schließlich, wenn die überlieferte Gottesvorstellung fällt, das Andere und Fremde mit dem Wahren und Höhern Eins wird. Erst dann ist die Romantik vollendet. Solange der Romatiker sich selbst als das transzendentale Ich fühlte, brauchte ihn die Frage nach der wahren Ursache nicht zu beunruhigen, er war eben selbst der Schöpfer der Welt in der er lebte. Fichte hatte in der Grundlage seiner Wissenschaftslehre bekannt, der systematische Teil seiner Lehre sei Spinozismus, 'nur daß eines jeden Ich selbst die höchste Substanz'(am Ende von 3 /MB), der Gott des spinozistischen Systems sei."(PR,131f)Die Welt bleibt indes wie sie ist, wenn man sie im Spiel ändert und Beliebiges in sie hineinprojiziert. Dies geht nur wenn außen Ruhe und Ordnung herrschen, so daß von der Politischen Romantik selbst der Metternichsche Polizeistaat zum Organischen, Echten, Christlichen erhoben wird. Die Kritik von Schmitt trifft auch noch den spontaneistischen Kult von Chaos und Tumult der narzißtischen Blüten unserer Zeit:
"Der Romantiker, der kein Interesse daran hat,die Welt in realitate zu ändern, hält sie für gut, wenn sie ihn in seiner Illusion nicht stört. Ironie und Intrige bieten ihm ausreichende Waffen,um seine subjektivistische Autarkie zu sichern und im Okkassionellen zu halten, im übrigen überläßt er die äußern Dinge ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit. Der geistige Revolutionär liebt, auch wenn er theoretisch Tumult und Chaos postuliert, in der gewöhnlichen Wirklichkeit die äußere Ordnung."(PR,138)Die Romantik konnte sich mit alles möglichen verbünden, aufgrund der Beliebigkeit des occassionalistischen Ausweichens in ein Drittes. Sie kann gestern liberal, heute links und morgen rechts sein, indem sie sich dem jeweils Bestehenden akkomodiert:
"Solange die Revolution da ist, ist die politische Romantik revolutionär, mit der Beendigung der Revolution wird sie konservativ, und in einer ausgesprochen reaktionären Restauration weiß sie auch solchen Zuständen die romantische Seite abzugewinnen. (...) Diese Wandelbarkeit des politischen Inhalts ist nicht zufällig, sondern eine Folge der occasionellen Haltung und tief im Wesen des Romantischen begründet, dessen Kern Passivität ist."(PR,160)
"Daß jede Diktatur die Ausnahme von der Norm enthält, besagt nicht zufällige Negation einer beliebigen Norm. Die innere Dialektik des Begriffs liegt darin, daß gerade die Norm negiert wird, deren Herrschaft durch die Diktatur in der geschichtliche-politischen Wirklichkeit gesichert werden soll. Zwischen der Herrschaft der zu verwirklichenden Norm und der Methode ihrer Verwirklichung kann also ein Gegensatz bestehen. Rechtsphilosophisch liegt hier das Wesen der Diktatur in der allgemeinen Möglichkeit der Trennung von Normen des Rechts und Normen der Rechtsverwirklichung. Eine Diktatur, die sich nicht abhängig macht von dem einer normativen Vorstellung entsprechenden, aber konkret herbeizuführenden Erfolg, die dem nach nicht den Zweck hat, sich selbst überflüssig zu machen, ist ein beliebiger Despotismus."(D,XVI)Nun gibt es zwei Möglichkeiten der Ausübung einer Diktatur, die Schmitt von der Art der Legitimation des Diktators her unterscheidet. Die kommisarische Diktatur setzt eine Verfassung, eine pouvoir constituè (konstituierte Gewalt) bereits voraus. Im Ausnahmezustand werden dann Notstandsgesetze angewandt. Dazu gehört ein "Aktions- kommisar", d.h. eine Person, die die Vollmacht hat, um einem zu erreichenden Zweck willen unter Aufhebung aller Rechtsschranken alle Maßnahmen nach Lage der Sache zu treffen. Die souveräne Diktatur legitimiert sich dagegen nur vor der poivoir constituant (konstiuerende Gewalt). Die Diktatur ist daher Schmitt zufolge kein rechtsfreier Zustand:
"Man hat von der Diktatur gesagt, sie sei ein Wunder und das damit begründet, daß man sie als Suspendierung der staatlichen Gesetze mit der Suspendierung der Naturgesetze beim Wunder verglich. In Wahrheit ist nicht die Diktatur dieses Wunder, sondern die Durchbrechung des rechtlichen Zusammenhangs, die in einer solchen neubegründeten Herrschaft liegt. Sowohl die kommissarische wie die souveräne Diktatur hat dagegen einen rechtlichen Zusammenhang. Die souveräne Diktatur beruft sich auf den pouvoir constituant, der durch keine entgegengesetze Verfassung beseitigt werden kann."(D,139)Die Analogie mit der Natur führt Schmitt weiter, in dem er sagt (D,142), daß pouvoir constiuant und pouvoir constituè sich verhalten wie natura naturans und natura naturata (Natur als Subjekt und als Objekt). Auch zum Begriff der Diktatur des Proletariats äußert sich Schmitt. Den Begriff der Diktatur des Proletariats deute er in seinem Sinne als souveräne Dikatur.
"Der Begriff der Diktatur allerdings, wie er in der Forderung der Diktatur des Proletariats liegt, ist in seiner theoretischen Besonderheit bereits vorhanden (1832/1848/MB). Die von Marx und Engels übernommen Vorstellung verwertete natürlich zunächst nur das damals allgemeine Schlagwort, das seit 1830 auf die verschiedensten Personen und Abstraktionen angewandt wurde... Es darf jedoch hier schon bemerkt werden, daß, von einer allgemeinen Staatslehre aus betrachtet, die Diktatur des mit dem Volk identifizierten Proletariats als Übergang zu einem ökonomischen Zustands, in welchen der Staat 'abstirbt', den Begriff einer souveränen Diktatur voraussetzt, wie er der Theorie und Praxis des Nationalkonvents zugrundeliegt. Auch für die Staatstheorie dieses Übergangs zur Staatslosigkeit gilt das, was Engels in der Ansprache an den Bund der Kommunisten im März 1859 für seine Praxis verlangte: es ist dasselbe 'wie in Frankreich 1793'"(D,204f) (2)Die Bolschewiki haben sich in der Tat mit dem Jakobinern von 1793 verglichen. Schmitt trifft deren Selbstverständnis durchaus und seine Formulierungen erscheinen eleganter als die von Lenin. Auch Schmitt sieht kein Gegensatz von Diktatur und Demokratie:
"Auch der Staat, in dem das Proletariat, sei es als Mehrheit oder als Minderheit, die herrschende Klasse ist, herrscht als Ganzes, als 'zentralisierte Maschine', als 'Herrschaftsapparat', Diktatur. Nun will dieser proletarische Staat nichts Definitives, sondern ein Übergang sein. (...) Die Diktatur ist ein Mittel, um einen Zweck zu erreichen; weil ihr Inhalt nur von dem Interesse an dem zu bewirkenden Erfolg, also immer nur nach Lage der Sache bestimmt ist,kann man sie nicht allgemein als Aufhebung der Demokratie definieren."(D,XIV)
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." (PTH, 11)Die klassische Definition des Souveränität als höchste, nicht ableitbare Herrschermacht läßt Schmitt zwar gelten. Er interessiert sich jedoch für die konkrete Anwendung. Und dies ist der Ausnahmezustand. Diesen analogisiert er mit dem theologischen Begriff des Wunders, wie er das bereits mit dem Begriff der Diktatur getan hatte. Solche Analogien hatte Bodin, der die klassische Souveränitätslehre begründete und auf den Schmitt sich implizit bezieht, verwendet. Der Fürst ist bei ihm, das, was Gott für die Schöpfung ist. Die Souveränität gründet bei ihm in der voluntas nicht in der ratio. Gottes Wille geht in der voluntaristischen Gotteslehre des Spätmittelalters seiner Vernunft voran. Die Schrift heißt "Politische Theologie" aufgrund dieser Analogien.
"Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe. Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie. Erst in dem Bewußtsein solcher analogen Stellung läßt sich die Entwicklung erkennen, welche die staatsphilosophischen Ideen in den letzten Jahrhunderten genommen haben. Denn die Idee des modernen Rechtsstaats setzt sich mit dem Deismus durch, mit einer Theologie und Metaphysik, die das Wunder aus der Welt erweist und die im Begriff des Wunders enthaltene, durch einen unmittelbaren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der Naturgesetze ebenso ablehnt wie den unmittelbaren Eingriff des Souveräns in die geltende Rechtsordnung. Der Rationalismus der Aufklärung verwarf den Ausnahmefall in jeder Form. Die theistische Überzeugung der konservativen Schriftsteller der Gegenrevolution konnte daher versuchen, mit Analogien aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen."(PTH,49)die Sozialistengesetze nutzten die Maßnahmen mehr den Gegnern Bismarks. Schmitt bezieht sich explizit auf diesen Sachverhalt. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wen er mit seiner Kritik an der Politischen Romantik auch meinte.
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."Dieser Kernsatz der "Politischen Theologie" ist genauer zu betrachten. Der Fall, in dem sich entscheidet, wer Souverän ist, die Ausnahme, ist entscheidend. Diesen Begriff übernimmt er von Kierkegaard, den er ohne namentliche Nennung zitiert. Ich zitiere die Passage vollständig: "Die Ausnahme erklärt also das Allgemeine und sich selbst, und wenn man das Allgemeine recht studieren will, braucht man sich bloß nach einer berechtigten Ausnahme umzusehen; sie tut das Allgemeine bei weitem deutlicher kund als das Allgemeine selbst. (Das Folgende läßt Schmitt aus/MB) Die berechtigte Ausnahme ist im Allgemeinen versöhnt; das Allgemeine ist von Grund auf polemisch der Ausnahme gegenüber; denn es will sich seine Vorliebe dafür nicht merken lassen, bevor die Ausnahme es gleichsam zu diesem Eingeständnis zwingt. Hat die Ausnahme nicht die Macht dazu, ist sie nicht berechtigt, und daher ist es vom Allgemeinen sehr klug, sich nicht zu früh etwas merken zu lassen. Wenn der Himmel einen Sünder mehr liebt als neunundneunzig Gerechte, dann weiß der Sünder die von Anfangan gewiß nicht; er hingegen vernimmt bloß des Himmels Zorn, bis er zuletzt den Himmel gleichsam nötigt, mit der Sprache herauszurücken. (Dann zitiert Schmitt weiter:) Im Lauf der Zeit wird man des ewigen Geschwätzes vom Allgemeinen und Allgemeinen überdrüssig, das bis zur langweiligsten Fadheit wiederholt wird. Es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht erklären, kann man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich wird man der Schwierigkeit nicht gewahr, weil man nicht einmal mit Leidenschaft an das Allgemeine denkt, sondern mit unvergleichlicher Oberflächlichkeit. Die Ausnahme denkt das Allgemeine mit energischer Leidenschaft. "(Kierkegard, Die Wiederholung, in: Die Krankheit zum Tode und anderes (dtv 6070), p.435f) Den Begriff der Entscheidung haben wir bereits ihm Rahmen der Abhandlung "Gesetz und Urteil" untersucht. Schmitt bezieht sich auf das dort abgehandelte.
"Jede juristische Entscheidung enthält ein Moment inhaltlicher Indifferenz, weil der juristische Schluß nicht bis zum letzten Rest aus seinen Prämissen ableitbar ist, und der Umstand, daß eine Entscheidung notwendig ist, ein selbstständiges determinierendes Moment bleibt. Dabei handelt es sich nicht um die kausale und psychologische Erklärung einer solchen Entscheidung, obwohl auch hierfür die abstrakte Entscheidung als solche von Bedeutung ist, sondern um die Bestimmung des rechtlichen Wertes. (...)". Das rechtliche Interesse an der Entscheidung "ist in der Eigenart des Normativen begründet und ergibt sich daraus, daß ein konkretes Faktum konkret beurteilt werden muß, obwohl als Maßstab der Beurteilung nur ein rechtliches Prinzip in seiner Allgemeinheit gegeben ist. So liegt jedesmal eine Transformation vor. Daß die Rechtsidee sich nicht aus sich selbst umsetzen kann, ergibt sich schon daraus, daß sie nichts darüber aussagt, wer sie anwenden soll. In jeder Umformung liegt eine auctoritas interpositio."(PTH,41f)Während Schmitt jedoch in der ersten Schrift ein Prinzip für die Beurteilung der Richtigkeit des Urteiles aufstellen konnte, geht dies hier nicht mehr. Souverän sind ja nicht die Richter. Die Entscheidung hat daher keinen rationalen Grund.
"Die Entscheidung ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren."(PTH,42)Karl Löwith hat die Gefahr, die mit diesem Dezisionismus verbundene nihilistische "Existentialpolitik" am prägnantesten charakterisiert:
"Wenn man Schmitt zur Bestimmung des Politischen durch den Begriff einer souveränen Entscheidung von jedem zentralen Sachgebiet abstrahiert, so bleibt als Wozu der Entscheidung folgerichtig nur übrig der jedes Sachgebiet übersteigende und es in Frage stellende Krieg, d.h. die Bereitschaft zum Nichts, welches der Tod ist, verstanden als Opfer des Lebens an einen Staat, dessen eigne 'Voraussetzung' schon das Entscheidend-Politische ist. Schmitts Entscheidung für das Politische ist nicht wie eine religiöse, metaphysische oder moralische, überhaupt geistige Entscheidung eine solche für ein bestimmtes und maßgebendes Sachgebiet, sondern nichts anderes als eine Entscheidung für die Entscheidung - ganz gleich wofür -, weil diese ihrerseits schon das Wesen des Politischen ist."(Karl Löwith, Politischer Dezisionismus, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, 9.Jg, 1935, 101ff, 110)Schmitt wendet sich nun noch Schriften der Gegenaufklärung zu, wobei er deren kritische Haltung gegen den Liberalismus teilt, deren positive monarchisch-theologische Legitimationstheorie er jedoch nicht teilt. Was Schmitt an den Politischen Romantikern beklagte, daß sie sich nicht entscheiden können, sondern im ewigen Gespräch verharren, wirft Schmitt auch dem politischen Liberalismus vor. Dabei beruft er sich auf Donoso Cortes, dem spanischen Gegenaufklärer.
"Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu versuchen, statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Die Bourgeoisie definiert er geradezu als eine 'diskutierende Klasse', una clasa discutidora. Damit ist sie gerichtet, denn darin liegt, daß sie der Entscheidung ausweichen will. Eine Klasse, die alle politsche Aktivität ins Reden verlegt, in Presse und Parlament, ist einer Zeit sozialer Kämpfe nicht gewachsen."(PTH,75)Dies kann schwerlich abweisen. Wir werden sehen, daß Schmitt mit dieser Problematik sich weiter beschäftigen wird, wenn er den Parlamentarismus behandelt. Ähnlich wie heute den Kommunikationstheoretikern muß man Schmitt jedoch entgegenhalten, daß die Diskussion und die Öffentlichkeit in der Realität weder in England noch in Deutschland wirklich eine derartige entscheidende Rolle gespielt hat. Die Kritik von Wolfgang Jäger, der die Parallelen zwischen Schmitt und Habermas herausgearbeitet hat, zeigt an dem Öffentlichkeitsund Parlamentarismusbild bei den beiden Autoren (in: Öffentlichkeit und Parlamentarismus , Stuttgart 1973), daß es sich um die Idealisierung des deutschen Bildungsbürgertums und den deutschen Parlamentarismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert handelt, also der Phase des Frühkonstitutionalismus, in der das Bürgertum real politisch einflußlos war und allenfalls in philosophischer Deliberation und professoraler Prinzipienstreit verblieben war. Schmitts Theorie hat jedoch wenigstens den Vorteil, das er diese Idealisierung des Frühkonstitutionalismus nicht zum normativen Ideal erhebt, sondern als unhaltbar entlarvt. Daher ist es lohnenswert die scharfsinnigen Bemerkungen von Schmitt kennenzulernen.
7. Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus(1923)
Schmitts Bild des Parlaments wird in der Replik auf den Einwand von Thoma sehr deutlich:
"Der sachliche, durch politische Kombinationen nicht beirrte Einwand geht dahin, daß ich die geistige Grundlage des Parlamentarismus in ganz veralteten Gedankengängen finde, weil ich Diskussion und Öffentlichkeit für wesentlichen Prinzipien des Parlaments halte; derartiges sei vielleicht vor einigen Generationen maßgebende Vorstellung gewesen, heute aber stände das Parlament längst auf einer anderen Basis. daß der Glaube an Öffentlichkeit und Diskussion heute als etwas Veraltetes erscheint, ist auch meine Befürchtung. (...) Ich sehe aber nicht, worin der heutige Parlamentarismus, wenn die Prinzipien der Diskussion und der Öffentlichkeit wirklich entfallen, eine neue Grundlage finden könnte und weshalb die Wahrheit und Richtigkeit des Parlaments dann noch einleuchtend wären."(GLP (Vorwort 2.Auflage 1926)5f)Das reale Parlament der Weimarer Republik mißt Schmitt an diesem Bild, sieht aber, daß in der Phase des Monopolkapital und der Selbstorganisation der Gesellschaft in soziale und ökonomische Machtgruppen eine konsensuelle Entscheidungsfindung im Parlament bloße Ideologie ist. Seine Kritik könnte auch auf einem Teach-in der Studentenbewegung als linke Parlamentarismuskritik vorgetragen worden sein, ohne daß ihre Herkunft von einem Denker, der, wenn er auch kein Nazi war, so doch dem Faschismus den Weg gebahnt hatte, aus dem Text hervorgegangen wäre.
"Verhandlungen ..., bei denen es nicht darauf ankommt, die rationale Richtigkeit zu finden, sondern Interessen nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen, sind natürlich auch vom mancherlei Reden und Erörterungen begleitet, aber nicht im prägnanten Sinne Diskussion.(...) Die Lage des Parlamentarismus ist heute so kritisch, weil die Entwicklung der modernen Massendemokratie die argumentierende öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht hat. Manche Normen des heutigen Parlamentsrechts, vor allem die Vorschriften über die Unabhängigkeit des Abgeordneten und über die Öffentlichkeit der Sitzungen, wirken infolgedessen wie eine überflüssige Doktrin, unnütz und sogar peinlich, als hätte jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt, um die Illusion eines lodernden Feuer hervorzurufen. Die Parteien (...) treten haute nicht mehr als diskutierende Meinungen, sondern als soziale oder wirtschaftliche Machtgruppen einander gegenüber, berechnen die beiderseitigen Interessen und Machtmöglichkeiten und schließen auf dieser faktischen Grundlage Kompromisse und Koalitionen. Die Massen werden durch einen Propagandaapparat gewonnen, dessen größte Wirkungen auf einem Appell an nächstliegende Interessen und Leidenschaften beruhen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion charakteristisch ist, verschwindet. An seine Stelle tritt in den Verhandlungen der Parteien die zielbewußte Berechnung der Interessen und Machtchancen; in der Behandlung der Massen die plakatmäßig eindringliche Suggestion oder (...) das 'Symbol'. Die Literatur zur Psychologie, Technik und Kritik der öffentlichen Meinung ist heute sehr groß (Schmitt verweist auf Robert Michels "Soziologie des Parteiwesens"/MB). Man darf deshalb wohl als bekannt voraussetzen, daß es sich heute nicht mehr darum handelt, den Gegner von einer Richtigkeit oder Wahrheit zu überzeugen, sondern die Mehrheit zu gewinnen, um mit ihr zu herrschen."(GLP Vorwort 2.Auflage,10f)Schmitt unterscheidet strikt zwischen Parlamentarismus und Demokratie. Den Parlamentarismus schreibt er der Gedankenwelt des Liberalismus zu und bestimmt ihn als "government by discussion". Heute ist es üblich geworden, Parlamentarismus und Demokratie zu unterscheiden. Schmitt hat jedoch die Identifikation von Demokratie und Parlamentarismus des 19. Jahrhunderts zum Kritikobjekt und muß diese Unterscheidung erst einführen. Zunächst ist der Begriff des Parlamentarismus zu präzisieren. Schmitt sieht ihn in enger Beziehung mit dem Begriff der Öffentlichkeit und der Diskussion, wie bereits an anderer Stelle erwähnt. Der Zweck des Parlaments ist die gemeinsame Findung einer richtigen Entscheidung, deren relative Richtigkeit durch Diskussion gewährleistet werden soll. Dazu ein Textbeleg:
"Die ratio des Parlaments liegt nach der treffenden Bezeichnung von Rudolf Smend im 'Dynamisch-Dialektischen', d.h. in einem Prozeß der Auseinandersetzung von Gegensätzen und Meinungen, aus dem sich der richtige Wille als Resultat ergibt. Das Wesentliche des Parlaments ist also öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion, Parlamentieren, wobei zunächst noch nicht an Demokratie gedacht zu werden braucht.(...) Ausgehend vom Recht (als dem Gegensatz zur Macht) zählt er (Guizot/MB) als Wesensmerkmale des die Herrschaft des Rechts garantierenden Systems auf: 1. daß die 'povoirs' immer gezwungen sind, zu diskutieren und dadurch gemeinsam die Wahrheit zu suchen; 2. daß die Öffentlichkeit des ganzen staatlichen Lebens die 'pouvoirs' unter die Kontrolle der Bürger stellt; 3. daß die Preßfreiheit die Bürger veranlaßt, selbst die Wahrheit zu suchen und sie dem 'pouvoir' zu sagen. Das Parlament ist infolgedessen der Platz, an dem die unter den Menschen verstreuten, ungleich verteilten Vernunftspartikeln sich sammeln und zur öffentlichen Herrschaft bringen. Das scheint eine typisch rationalistische Vorstellung zu sein. Doch wäre es unvollständig und ungenau, das moderne Parlament als eine aus rationalistischen Geist entstandene Institution zu definieren. Seine letzte Rechtfertigung und seine epochale Evodenz beruhen darauf, daß dieser Rationalismus nicht absolut und unmittelbar, sondern in einem spezifischen Sinne relativ ist. Gegen jenen Satz von Guizot hatte Mohl eingewendet: wo ist irgendeine Sicherheit, daß im Parlament die Träger der Vernunftsbruchstücke sind. Die Antwort liegt in den Gedanken der freien Konkurrenz und der prästabilierten Harmonie, die allerdings in der Institution des Parlament, wie überhaupt in der Politik, oft in kaum erkennbaren Verkleidungen auftreten."(GLP,43ff)Der Parlamentarismus wird üblicherweise als funktioneller Notbehelf gerechtfertigt. Da das Volk nicht in seiner Gesamtheit an einem Platze zusammenkommen kann und auch nicht jeder Einzelne befragt werden kann, behilft man sich mit einem gewählten Ausschuß. Bereits bei Sieyes hat sich jedoch gezeigt, das hierin eine eigentümliche Dialektik liegt, nach der letzlich aus einem fuktionellen Notbefehlf ein Selbstzweck wird. Eine Verselbständigung der Ausschüsse bis hin zur Diktatur sind dem zufolge im Parlamentarismus potentiell enthalten. Auf diesen Sachverhalt geht Schmitt explizit ein:
"So entsteht die bekannte Stufenleiter: das Parlament ist ein Ausschuß des Volkes, die Regierung der Ausschuß des Parlaments. Dadurch erscheint der Gedanke des Parlamentarismus als etwas wesentlich Demokratisches. Aber trotz aller Gleichzeitigkeit und aller Zusammenhänge mit demokratischen Ideen ist er das nicht, ebensowenig wie er in den praktischen Gesichtspunkten der Expedienz aufgeht. Wenn aus praktischen und technischen Gründen statt des Volkes Vertrauensleute des Volkes entscheiden, kann ja auch im Namen desselben Volkes ein einziger Vertrauensmann entscheiden, und die Argumentation würde, ohne aufzuhören demokratisch zu sein, einen antiparlamentarischen Cäsarismus rechtfertigen." (GLP,42)Diese Tendenz wurde von den klassischen Parlamentarismustheorien gesehen. Die Gewaltenteilung diente der Begrenzung dieser Tendenz.
"Dreiteilung der Gewalten, inhaltliche Unterscheidung von Legislative und Exekutive, Ablehnung des Gedankens, daß die Fülle der Staatsgewalt sich an einem Punkt sammeln dürfe, alles das enthält in der Tat einen Gegensatz zu der demokratischen Identitätsvorstellung."(GLP,47)Dies verbindet sich mit der Vorstellung einer öffentlichen Meinung, die derjenigen der Arcan-Politik sich entgegensetzt. Aufklärung ist so auch ein Öffentlich-Machen:
"Eine von wenigen Menschen hinter verschlossenen Türen betriebene Kabinettspolitik erscheint jetzt als etwas eo ipso Böses und die Öffentlichkeit des politischen Lebens infolgedessen als etwas schon seiner Öffentlichkeit wegen Richtiges und Gutes. (...) Das Licht der Öffentlichkeit ist das Licht der Aufklärung, die Befreiung vom Aberglauben, Fanatismus und herrschsüchtiger Intrige."(GLP,48)Der Öffentlichkeit der Meinung, die durch das Recht auf Rede-, Presse und Versammlungsfreiheit gewährleistet wird, korrespondiert für die Bereiche, wo "die Öffentlichkeit zum Zwang werden kann, (...) die entgegengesetzte Forderung des Wahlgeheimnisses..."(GLP,50)
D.h. die Privatsphäre wird ebenso gesichert, die bürgerliche Öffentlichkeit ist die von Privatleuten, die auch ein Recht auf ihre Geheimnisse haben. Es ist aber auch darin zu erinnern, daß den Einsichten von Richard Sennet zufolge, diese Konstellation von Privatheit und Öffentlichkeit, wie sie ihre Blütezeit im Ancien Regime hatte, in dem Moment ihrer Verallgemeinerung im Laufe des 19. Jahrhunderts ihre destruktiven Tendenzen entfaltet, so daß die Differenz von öffentlich und privat in der "Tyrannei der Intimität" schließlich wieder terroristisch eingeebnet wird. Was in den Kaffeehäusern von Paris beginnt, das klassenneutrale, dafür aber politisch entleerte Gespräch, etabliert sich letzlich auch in der politischen Öffentlichkeit. Die politische Rede verkommt zum small talk und die Entscheidungen werden anderswo getroffen, wie auch Schmitt feststellen wird. Die Aufgabe des Parlaments ist die Gesetzgebung. Sie begründet die autoritäre Befehlsgewalt der Exekutive. In der rationalistischen Deutung des Verhältnisses von veritas und autoritas, nach der letztere der ersteren untergeordentet, sieht Schmitt ein wesentliches Moment des Parlamentarismus.
"Das Gesetz, Veritas im Gegensatz zu bloß Autoritas, und die generelle richtige Norm im Gegensatz zu dem bloß wirklichen konkreten Befehl, welcher (...) als Imperativ immer ein individuelles, unübertragbares Moment enthält, werden als etwas Intellektualistisches aufgefaßt zum Unterschied von der Exekutive, die wesentlich Handeln ist. Gesetzgebung ist deliberare, Exekutive agere. (...) Am wenigsten doktrinär erklärt es der Federalist(1788): Die Exekutive muß in der Hand eines einzigen Mannes liegen, weil ihre Energie und Aktivität davon abhängt; es ist ein allgemeines, von den besten Politikern und Staatsmännern anerkannten Prinzip, daß Gesetzgebung Deliberation ist und deshalb von einer größeren Versammlung wahrgenommen werden muß, während zur Exekutive Dezision und Wahrung der Staatsgeheimnisse gehören, Dinge, 'die in demselben Maße abnehmen, wie die Zahl zunimmt'. (...) die Garantien bürgerlicher Freiheit kann man wohl bei der Legislative, nicht bei der Exekutive konsequent durchführen; in der Legislative verhindern die Gegensätze der Meinungen und Parteien vielleicht manchen heilsamen und richtigen Beschluß, dafür hemmt aber die Argumentation der Minderheit Ausschreitungen der Mehrheit, abweichende Meinungen sind hier nützlich und notwendig; anders in der Exekutive, wo es, namentlich im Krieg und während eines Aufruhrs, auf energisches Handeln ankommt, und dazu gehört die Einheit der Dezision."(GLP,56f)Der relativierte Rationalismus hört bei der Gesetzgebung auf, die Exekutive kann nicht deliberieren, sie muß Maßnahmen ergreifen. Hier sieht Schmitt einer der Keime des Untergangs des Parlamentarismus. In einer anderen Schrift untersucht er dies gründlicher (in Legitimität und Legalität); darauf ist noch zurückzukommen. Hier ist noch darauf einzugehen, daß der Rationalismus durch die Gewaltenteilung beschränkt wird. Die Aufhebung der Balance führt Schmitt zufolge zur Diktatur der Vernunft:
"Ein solcher Rationalismus (Schmitt meint den von Condorcet, der die Mediierung der Staatsgewalt ablehnte/MB) führte zur Aufhebung der Balance, zur Diktatur der Vernunft. Gemeinsam ist beiden die Identifikation von Gesetz und Wahrheit; aber der relative Rationalismus der Balancentheorie beschränkt sich auf die Legislative und Parlament, konsequenterweise innerhalb des Parlaments wieder auf eine nur relative Wahrheit."(GLP,58)In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts werden die liberalen Ideen der Balance der Kräfte in die philosophischen Systeme eingegliedert. Schmitt verweist auf die Theorien organischer Vermittlung bei der Romantik und bei Hegel.
"Während in der deutschen Romantik die liberale Diskussion zum ewigen Gespräch wird, ist sie im philosophischen System Hegels die Selbstentwicklung des Bewußtseins aus Positionen und Negationen zu immer neuen Synthesen. Die ständische, auf nur beratende Mitwirkung beschränkte Vertretung des Volkes hat bei Hegel die Bestimmung, 'daß das öffentliche Bewußtsein als empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen darin zur Existenz komme'; die Stände sind ein vermittelndes Organ zwischen der Regierung und dem Volk, sie haben nur eine Mitwirkung bei der Gesetzgebung; durch die Öffentlichkeit ihrer Verhandlungen erhält das 'Moment der allgemeinen Erkenntnis seine Ausdehnung', durch die 'Eröffnung dieser Gelegenheit von Kenntnissen kommt die öffentliche Meinung erst zu wahrhaften Gedanken und zur Einsicht in den Zustand und Begriff des Staates und dessen Angelegenheit und damit erst zu einer Fähigkeit, darüber vernünftiger zu urteilen'. So ist diese Art von Parlamentarismus 'ein Bildungsmittel, und zwar eines der größten'. (...); die Öffentlichkeit ist das 'größte Bildungsmittel für Staatsinteressen überhaupt'. Dadurch entsteht erst die Lebendigkeit staatlichen Interesses und eine öffentliche Meinung, die nach Hegel die 'unorganische Weise' ist, 'wie sich das, was ein Volk will und meint, zu erkennen gibt'."(GLP,58f)Nun ist der Begriff der Demokratie bei Schmitt zu klären. Schmitt faßt ihn so allgemein, daß er antike wie moderne Demokratie, Rätedemokratie, den Jakobinismus ebenso wie die parlamentarische Demokratie umfaßt. Die Unterschiede liegen dann darin, wer vollwertiges Mitglied des Gemeinwesens ist. Die vollwertigen Mitglieder sind homogen. Dieser Gedankengang ist dem Jakobinismus nicht fern, trotz seiner Liebschaft mit der Gegenrevolution konnte sich Schmitt der Revolutionsliteratur nicht entziehen. Er zitiert immer wieder Sieyes und Rousseau. Der jakobinische Traum von einer Gesellschaft ohne Widersprüche, in den das Soziale eine homogene Substanz darstellt, die im Politischen ihr Kraftfeld hat, ist im 20.Jahrhundert durchaus noch aktuell und zur materiellen Gewalt geworden. Der Leviathan ist immer wieder gerufen worden, aber stattdessen ist Behemoth gekommen. Daß ein Politizismus unvermeidlich zur Regression führt hat Luhmann richtig aufgewiesen:
"Man kann eine funktional differenzierte Gesellschaft nicht auf Politik zentrieren, ohne sie zu zerstören."(N.Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München 1981, 23)Die Homogenität, von der Schmitt spricht, ist eine politische, keine ökonomische. Er behandelt das Verhältnis von ökonomischer und politischer Homogenität nicht systematisch, obwohl er diesen Zusammenhang sieht:
"Aus der ökonomischen Gleichheit folgt noch keine politische Homogenität; wohl können - negativ - große ökonomische Ungleichheiten eine sonst bestehende politische Homogenität aufheben oder gefährden. Die weitere Ausführung dieser Themen gehört in einen anderen Zusammenhang."(GLP,14Anm)Dieser Zusammenhang ist, soviel mir bekannt ist, von Schmitt nicht wieder aufgegriffen worden. In der Unterthematisierung solcher Probleme liegt ein Defizit seiner politischen Theorie. Er unterscheidet zwar explizit zwischen Gemeinwesen, die eine Homogenität ohne Heterogenität besitzen, worunter er Gemeinwesen versteht, die mehr oder weniger eine ökonomische Gleichheit kennen und Gemeinwesen, in denen es Heterogenität gibt und daher Teile der Bevölkerung ausschließen. Hier finden wir schon eine durchaus - kritsch gelesen - Entlarvung des in der Demokratie verankterten alltäglichen Rassismus, gegen den Schmitt freilich keine Einwände hat.
Die Demokratie kann Teile der beherrschten Bevölkerung ausschließen,
"ohne aufzuhören Demokratie zu sein, daß sogar im allgemeinen bisher zu einer Demokratie immer auch Sklaven gehörten oder Menschen, die in irgendeiner Form ganz oder halb entrechtet und von der Ausübung der politischen Gewalt ferngehalten waren, mögen sie nun Barbaren, Unzivilisierte, Atheisten, Aristokraten oder Gegenrevolutionäre heißen. Weder in der athenischen Stadtdemokratie noch im englischen Weltreich sind alle Bewohner des Staatsgebiets politisch gleichberechtigt. Von den über 400 Millionen Bewohnern des englischen Weltreich sind über 300 Millionen nicht englische Bürger. (...) Der moderne Imperialismus hat zahlreiche neue, der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung entsprechende Herrschaftsformen herausgebildet, die sich in demselben Maße ausdehnen, wie sich, wie sich innerhalb des Mutterlandes die Demokratie entwickelt. Kolonien , Protektorate, Mandate, Interventionsverträge und ähnliche Formen der Abhängigkeit ermöglichen es heute einer Demokratie, eine heterogene Bevölkerung zu beherrschen, ohne sie zu Staatsbürgern zu machen, sie von dem demokratischen Staate abhängig zu machen und doch gleichzeitig von diesem Staat fernzuhalten. Das ist der politische und staatstheoretische Sinn der schönen Formel: die Kolonien sind staatsrechtlich Ausland, völkerrechtlich Inland."GLP Vorwort 2.Auflage,14f)Man ersieht hieraus die Nähe von Schmitts Begriff der Demokratie zu dem Sieyesschen Begriff der Nation als Dritten-Stand-Begriff, mit dem Unterschied, das er nicht mehr als polemischer Begriff gegen die ersten Stände gebraucht wird, sondern einen affirmativen Sinn bekommt. Wir werden sehen, daß dieser Begriff im Rahmen der Freund- Feind-Theorie auch einen polemischen Sinn bekommt. Eine zweite Quelle ist Rousseau:
"Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht Demokratie sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform sondern individualistisch-humanitäre Moral und Weltanschauung. Auf der unklaren Verbindung beider beruht die moderne Massendemokratie. Trotz aller Beschäftigung mit Rousseau und trotz der richtigen Erkenntnis, daß Rousseau am Anfang der modernen Demokratie steht, scheint man noch nicht bemerkt zu haben, daß schon die Staatskonstruktion des Contrat Social diese beiden verschiedenen Elemente inkohärent nebeneinander enthält. Die Fassade ist liberal: Begründung der Rechtmäßigkeit des Staates auf freien Vertrag. Aber im weitern Verlauf der Darstellung und bei der Entwicklung des wesentlichen Begriffs, der volonte general, zeigt sich, daß der wahre Staat nach Rousseau nur existiert, wo das Volk homogen ist, daß der wahre Staat nach Rousseau nur existiert, wo das Volk homogen ist, daß im wesentlichen Einstimmigkeit herrscht. Es darf nach dem Contrat social im Staate keine Parteien geben, keine Sonderinteressen, keine religiösen Verschiedenheiten, nicht, was die Menschen trennt, nicht einmal das Finanzwesen."(GLP Vorwort 2.Auflage,18f)Schmitt unterscheidet entsprechend seiner Differenzierung drei Arten von Krisen (vgl.GLP21f): die Krise der Demokratie, die Krise des Parlamentarismus und die des modernen Staates. Die Krise der Demokratie ist in Wahrheit die des Parlamentarismus, weil die Elemente (Demokratie und Parlament), die sich zeitweilig verbunden haben, nicht auf Dauer kompatibel sind und das System sich zwischen den Elementen entscheiden muß. Nach einer "Jakobinerlogik" hat der Parlamentarismus den Keim des eigenen Untergangs in sich. Dies begründet Schmitt folgendermaßen: Die Wahl der Regierung impliziert Schmitt zufolge eine Identität des Mehrheitswillens mit dem allgemeinen Willen. Die Abstimmung erweist, daß der Überstimmte sich im Inhalt des allgemeinen Willens geirrt hat. Es ist dann nur noch ein quantitativer Unterscheid übrig, ob ein Mehrheitswillen oder der einer Minderheit den allgemeinen Willen richtig erfaßt:
"Auch die Staatstheorie des Contrat social enthält einen Beweis dafür, daß man die Demokratie richtigerweise als Identität von Regierenden und Regierten definiert."(GLP Vorwort 2. Auflage)
"Mit dieser Jakobinerlogik kann man bekanntlich auch die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit rechtfertigen und zwar unter Berufung auf die Demokratie. Der Kern des demokratischen Prinzips bleibt dabei gewahrt, nämlich die Behauptung einer Identität von Gesetz und Volkswillen, und für eine abstrakte Logik macht es eigentlich keinen Unterschied, ob man den Willen der Minderheit mit dem Willen des Volkes identifiziert, wenn es doch in keinem Falle der absolut einstimmige Wille aller (auch der unmündigen) Staatsbürger sein kann." (GLP,35)Schmitt gibt weder Bolschewismus noch Faschismus die Schuld für die Auflösung der Weimarer Republik, sondern umgekehrt ist die Stärke beider Resultat der Auflösung des parlamentarischen Systems und vor allem des Glaubens an die öffentliche Diskussion. So sieht nun seine abschließende Diagnose aus:
"Die Wirklichkeit des parlamentarischen und parteipolitischen Lebens und die allgemeine Überzeugung sind heute von solchen Glauben weit entfernt. Große politische und wirtschaftliche Entscheidungen, in denen heute das Schicksal der Menschen liegt, sind nicht mehr (wenn sie es jemals gewesen sein sollten) das Ergebnis einer Balancierung der Meinungen in öffentliche Rede und Gegenrede und nicht das Resultat parlamentarischer Debatten. Die Beteiligung der Volksvertretung an der Regierung, die parlamentarische Regierung, hat sich gerade als das wichtigste Mittel erwiesen, die Teilung der Gewalten und mit die alte Idee des Parlamentarismus aufzuheben. Natürlich,wie die Dinge heute tatsächlich liegen, ist es praktisch ganz unmöglich, anders als mit Ausschüssen zu arbeiten und schließlich überhaupt das Plenum des Parlaments, d.h. seine Öffentlichkeit, seinem Zweck zu entfremden und dadurch notwendig zu einer Fassade zu machen. Aber man muß dann wenigstens so viel Bewußtsein der geschichtlichen Situation haben, um zu sehen, daß der Parlamentarismus dadurch seine geistige Basis aufgibt und das ganze System von Rede, Versammlungs- und Preßfreiheit, öffentliche Sitzungen, parlamentarische Immunitäten und Privilegien seine ratio verliert. Engere und engste Ausschüsse von Parteien oder von Parteikoalitionen beschließen hinter verschlossenen Türen, und was die Vertreter großkapitalistscher Interessenverbände im engsten Komitee abmachen, ist für das tägliche Leben und Schicksal von Millionen von Menschen vielleicht noch wichtiger als jene politischen Entscheidungen. Im Kampf gegen die Geheimpolitik absoluter Fürsten ist der Gedanke des modernen Parlamentarismus, die Forderung einer Kontrolle und der Glaube an Öffentlichkeit und Publiziät entstanden; das Freiheits- und Gerechtigkeitsgefühl der Menschen empörte sich gegen eine Arkanpaxis, die in geheimen Beschlüssen über das Schicksal der Völker entschied. Aber wie harmlos und idyllisch sind die Objekte jener Kabinettspolitik des 17. und 18. Jahrhunderts neben den Schicksalen, um die es sich heute handelt und die heute der Gegenstand aller Arten von Geheimnissen sind. Vor dieser Tatsache mußte der Glaube an die diskutierende Öffentlichkeit eine furchtbare Desillusion erfahren. Es gibt heute sicher nicht viele Menschen, die auf die alten liberalen Freiheiten verzichten wollen, insbesondere auf Rede - und Preßfreiheit. Auf dem europäischen Kontinent werden trotzdem nicht mehr viele sein, die glauben, jene Freiheiten existieren noch, wo sie den Inhabern der wirklichen Macht wirklich gefährlich werden könnten. (...) Sind Öffentlichkeit und Diskussion in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden, so hat auch das Parlament, wie es sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, seine bisherige Grundlage und seinen Sinn verloren." (GLP,62f)Schmitt befaßt sich in seiner Parlamentarismusschrift zum Schluß noch mit dem Begriff der Diktatur im Marxismus. Dabei unterstellt er - den Leninismus vor Augen - ein instrumentelles Verhältnis zur Praxis, das aus einer richtigen Theorie sich legitimiert, welches auch die Gewaltanwendung rechtfertigt:
"Der überzeugte Marxismus ist sich bewußt, die richtige Erkenntnis sozialen, ökonomischen und politischen Lebens und eine daraus sich ergebende richtige Praxis gefunden zu haben, das soziale Leben objektiv in allen seinen sachlichen Notwendigkeiten aus seiner Immanenz richtig zu erfassen und dadurch zu beherrschen."(GLP,65)Schmitt reduziert den Marxismus nicht auf eine deterministische Weltanschaung, bei dem der Sprung ins Reich der Freiheit der in das der "absoluter Technizität" wäre, in dem es eine "Diktatur der führenden Rationalisten" gäbe. Sondern er faßt die materialistische Geschichtsauffassung im Sinne des hegelschen Idealismus auf. D.h. die Menschheit wird im Marxismus Schmitt zufolge durch die richtige Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit sich selbst bewußt und das Wissen wird dadurch absolut. In diesem Zusammenhang weist er den fehlerhaften Zirkel affirmativer Geschichtsteleologie auf, daß dasjenige, was hergeleitet werden soll bereits vorausgesetzt wird.
"Erst als er sich wissenschaftlich wußte, glaubte der Sozialismus die Garantie einer im wesentlichen untrüglichen Einsicht zuhaben und konnte er sich ein Recht auf Gewaltanwendung zusprechen."(GLP,65)
"Das richtige Bewußtsein ist ein Kriterium dafür, daß eine neue Stufe der Entwicklung beginnt. Solange dies nicht der Fall ist, solange nicht wirklich eine neue Epoche bevorsteht, kann die bisherige Epoche, d.h. die Bourgeoisie, nicht richtig erkannt werden, und umgekehrt: daß sie richtig erkannt ist, enthält wieder den Beweis, daß ihre Epoche zu Ende ist. In solchem Zirkel bewegt sich die Selbstgarantie der Hegelschen und auch die der Marxistischen Gewißheit. Erst die richtige Einsicht in den Gang der Entwicklung gibt also die wissenschaftliche Sicherheit, daß der historische Moment des Proletariats gekommen ist. Die Bourgeoisie kann das Proletariat nicht begreifen, wohl aber das Proletariat die Borgeoisie. Darum bricht über die Epoche der Bourgeoisie die Dämmerung herein; die Eule der Minerva beginnt ihren Flug, und das soll nicht heißen, daß Kunst und Wissenschaft gedeihen, sondern daß die untergehende Epoche das Objekt historischen Bewußtsein einer neuen Epoche geworden ist."(GLP,75)Es folgt eine Auseinandersetzung mit Sorel, den Schmitt in die Tradition von Bakunin und Proudon stellt. Die Kampfmittel, insbesondere der Streik wurden bereits bei diesen Autoren ästhetiziert und heroisiert.
"So wurden Proudhon und Bakunin, die Väter des Syndikalismus und schufen die Tradition, auf welcher, durch Argumente Bergsonscher Philosophie gestützt, die Gedanken von Sorel beruhen. Ihren Kern bildet eine Lehre unmittelbarer aktiver Entscheidung ist, einen noch stärkeren Gegensatz zu dem relativen Rationalismus des ganzen Komplexes, der sich um Vorstellungen wie Balancierung, öffentliche Diskussion und Parlamentarismus gruppiert."(GLP79f)Bei Sorel finden wir auch eine Ablehnung des Parlamentarismus, die in der Tradition des Anarchosyndikalismus steht, einer Bewegung, deren Politik in einer ausschließlich gewerkschaftlich organisierten Form sich vollziehen sollte. Die Kampfformen des Proletariats werden bei Ablehnung parlamentarischer Formen zum Mythus gesteigert. Schmitt sieht bei aller Sympathie für Sorel hier die Schwäche der Argumentation, deren praktische Konsequenzen er folgendermaßen einschätzt:
"Der vom kapitalistischen Zeitalter geschaffene Mechanismus der Produktion hat eine rationalistische Gesetzmäßigkeit in sich und aus einer Mythe kann man wohl den Mut schöpfen, ihn zu zerschlagen; soll er aber weitergeführt werden, soll die Produktion sich noch weiter steigern, was auch Sorel selbstverständlich will, so wird das Proletariat auf seine Mythen verzichten müssen. (...) Hier war Marx auch im vitalen Sinn konsequenter, weil er rationalistischer war. Aber vom Irrationalen aus gesehen, war es ein Verrat, noch ökonomischner und noch rationalistischer sein zu wollen als die Bourgeoisie. Bakunin hat das durchaus richtig empfunden. Bildung und Denkweise von Marx blieben im Überlieferten, das hieß damals im Bürgerlichen, so daß er in geistiger Abhängigkeit von seimen Gegner verharrte."(GLP,86)
8. Begriff des Politischen
Der Begriff des Politischen wird meistens in Bezugnahme auf seine Etymologie als Wissen für die Polis oder in Bezug auf den Staatsbegriff bestimmt. Diese Bestimmung relativiert Schmitt historisch:
"Es gab wirklich einmal eine Zeit, in der es sinnvoll war, die Begriffe Staatlich und Politisch zu identifizieren. Denn dem klassischen europäischen Staat war etwas ganz Unwahrscheinliches gelungen: in seinem Innern Frieden zu schaffen und die Feindschaft als Rechtsbegriff auszuschließen. Es war ihm gelungen, die Fehde, ein Institut des mittelalterlichen Rechts, den konfessionellen Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts (...) ein Ende zu machen und innerhalb seines Gebiet Ruhe, Sicherheit und Ordnung herzustellen. Die Formel 'Ruhe, Sicherheit und Ordnung' diente bekanntlich als Definition der Polizei. Im Inneren eines solchen Staates gab es tatsächlich nur Polizei und nicht mehr Politik..."(BP,10)Politisch war der Staat nur im Verhältnis zu anderen Staaten, da er nach innen befriedet war. Die Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft, mißverständlich meistens als Trennung bezeichnet, war noch nicht gänzlich durch das "Übergreifen der bürgerlichen Gesellschaft über den Staat"(Marx) eliminiert wurde. Damit ist es nicht mehr möglich das Politische mit dem Staatlichen zu identifizeren. Sind außerstaatliche soziale Bewegungen nicht politisch? Sind kirchliche Intervention hinsichtlich des 218 unpolitisch? Das wird man kaum annehmen. Schmitt wendet sich daher gegen die Identifizierung beider Begriffe:
"Dagegen wird die Gleichung Staatlich=Politisch in demselben Maße unrichtig und irreführend, in welchen Staat und Gesellschaft sich gegenseitig durchdringen, alle bisher staatlichen Angelegenheiten gesellschaftlich und umgekehrt alle bisher 'nur' gesellschaftlichen Angelegenheiten staatlich werden, wie das in einem demokratisch organisierten Gemeinwesen notwendigerweise eintritt. Dann hören die bisher 'neutralen' Gebiete - Religion, Kultur, Bildung, Wirtschaft auf, 'neutral' im Sinne von nicht-staatlich und nicht-politisch zu sein. Als polemischer Gegenbegriff gegen solche Neutralisierungen und Entpolitisierungen wichtiger Sachgebiete erscheint der gegenüber keinem Sachgebiet desinteressierte, potentiell jedes Gebiet ergreifende totale Staat der Identität von Staat und Gesellschaft. In ihm ist infolgedessen alles wenigstens der Möglichkeit nach politisch, und die Bezugnahme auf den Staat ist nicht mehr imstande, ein spezifisches Unterscheidungsmerkmal des 'Politischen' zu begründen." (BP,24)Der Begriff des "totalen Staates" ist nicht im Sinne des starken Staates zu verstehen. Später (1933) wird Schmitt den Begriff "total" differenzieren in total in einem rein quantitativen Sinne und total im qualitativen Sinne. Der Weimarer Staat gilt ihm als total im quantitativen Sinne, im Volumen der Staatsinterventionen, nicht in der Intensität und der politischen Kraft. Es ist ein von Behemoth usurpierter Staat, der total aus Schwäche ist:
"Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und der organisierten Interessenten standzuhalten. Er muß jedem nachgeben, jeden zufriedenstellen, jeden subventionieren und den widersprechendsten Interessen gleichzeitig zu Gefallen sein."(Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, p.362)Von diesen Begriff unterscheidet er den des totalen Staats im qualitativen Sinne, den er mit dem italienischen "stato totalitario", dem faschistischen Staat Mussolinis identifiziert und für den er gewisse Sympathien gehabt hat. Wenn Staat und Gesellschaft sich durch das Übergreifen der Gesellschaft über den Staat sich gegenseitig durchdringen, so muß Schmitt zufolge der Begriff des Politische aus dem spezifisch politischen Handeln erklärt werden:
"Das Politische muß (...) in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. (...) Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne des Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe." (BP,26)Die Bestimmung ist nicht aus anderen Kriterien herleitbar, sie ist nicht aus moralischen, ästhetischen und ökonomischen Unterscheidungen wie gut und böse, schön und häßlich, rentabel und nicht-rentabel herleitbar. Die Entscheidung zwischen Freund und Feind ist ja in dem Sinne der Politischen Theologie aus dem normativen Nichts geboren:
"Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteischen' Dritten entschieden werden können."(BP,27)Unter Feind wird der öffentliche (hostis) nicht der private (inimicus) verstanden, weil im Politischen Bezug auf das ganze Volk genommen wird, gleichgültig, ob der Feind außen oder innen angesiedelt ist. Politische Begriffe haben Schmitt zufolge immer einen polemischen Sinn.
"...alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte (haben) einen polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine (in Krieg oder Revolution sich äußernde) Freund-Feindgruppierung ist..."(BP,31)Politik liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn wirkliche Kampfhandlungen vollzogen werden. Es genügt die reale Möglichkeit des Kampfes.
"Die Begriffe, Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsmäßie Negierung eines anderen Seins." (BP,33)
Als Beispiele für Kampf im Inneren führt Schmitt den Kulturkampf Bismarks und den Klassenkampf an. Was Klassenkampf bedeutet, brauche ich, auch wenn er heute zum Scheinkampf entartet ist, nicht erläutern. Der Kulturkampf entstand, als durch die kleindeutsche Einigung der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung sank und die Kaiserwürde an einen Protestanten gefallen war. Es wurde zum Zweck der Repräsantion der katholischen Minderheit das "Zentrum" gegründet. Bismark hatte die Befürchtung, daß sich reichsfeindliche Gruppierungen bilden könnten, die mit katholischen Staaten kollaborierten. Als es einen innerkatholischen Streit gab und die Papisten gegen die Altkatholiken vorgingen, die das Unfehlbarkeitsdogma, die das erste vatikanische Konzil verkündete, ablehnten, unterstützte die preußische Regierung die Altkatholiken. Sie schaffte die geistliche Schulaufsicht ab, errichtete staatliche Standesämter und ging in vielfältiger Weise gegen die Kirche vor. Der Kulturkampf blieb erfolglos, das Zentrum verdoppelte sogar ihre Wählerzahl. Wie
"Im 'Kulturkampf' gegen die römische Kirche zeigte sich, daß selbst ein Staat von der ungebrochenen Kraft des Bismarkschen Reiches nicht absolut souverän und allmächtig war; ebensowenig hat dieser Staat in seinem Kampf gegen die sozialistische Arbeiterschaft gesiegt oder wäre er auf wirtschaftlichem Gebiet imstande gewesen, den Gewerkschaften die im 'Streikrecht' liegende Macht aus der Hand zu nehmen. Diese Kritik trifft in weitem Maße zu. Die Wendungen von der 'Allmacht' des Staates sind in der Tat oft nur oberflächliche Säkularisierungen der theologischen Formeln von der Omnipotenz Gottes und die deutsche Lehre des 19.Jahrhunderts von der 'Persönlichkeit' des Staates ist teils eine polemisch, gegen die Persönlichkeit des 'absoluten' Fürsten gerichtete Antithese,teils eine in den Staat als 'höheren Dritten' ausweichende Ablenkung des Dilemmas: Fürsten- oder Volksssouveränität. (...) Natürlich konnte Bismark dem Papst nicht den Krieg erklären, aber nur, weil der Papst selber kein jus belli hatte; und auch die sozialistische Gewerkschaften dachten nicht daran, als 'partie belligrante' aufzutreten. Es wäre jedenfalls keine Instanz denkbar gewesen, die einer im Ernstfall betreffende Entscheidung der damaligen deutschen Regierung hätte entgegentreten können oder wollen, ohne damit selber politischer Feind und von allen Konsequenzen dieses Begriffs getroffen zu werden, und umgekehrt stellte sich weder die Kirche noch eine Gewerkschaft zum Bürgerkrieg. Das genügt, um einen vernünftigen Begriff von Souveränität und Einheit zu begründen. Die politische Einheit ist eben ihrem Wesen nach die maßgebende Einheit, gleichgültig aus welchen Kräften sie ihre letzten psychischen Motive zieht. Sie existiert oder sie existiert nicht. Wenn sie existiert, ist sie die höchste, d.h. im entscheidenden Fall bestimmende Einheit."(BP,42f)Hier wird deutlich, daß Schmitt den Staat aus den Politischen begründet und der Zweck des Politischen die Herstellung der Ordnung ist. Dabei interessiert ihn nur, daß Ordnung herrscht, nicht welche Ordnung herrscht:
"Die Leistung eines normalen Staates besteht aber darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, 'Ruhe, Sicherheit und Ordnung' herzustellen und dadurch eine normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig normale Situation Geltung haben kann. Diese Notwendigkeit führt in kritischen Situationen dazu, daß der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den 'inneren Feind' bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was das Staatsrecht der griechischen Republiken als (org. gr.Feind in ASCII nicht widerzugeben) Erklärung,das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte..., mit einem Wort der innerstaatlichen Feinderklärung."(BP,46f)Auch außenpolitisch gilt dasselbe, zum Staat gehört die Fähigkeit, den äußeren Feind zu bestimmen. Dies geht nur unter bestimmten Bedingungen. Die Entwicklung der technischen Mittel des Militärs führt dazu, daß nur noch wenige Staaten einen aussichtsreichen Krieg führen können, so daß schwächere auf das jus belli verzichten müssen, wenn es durch Bündnispolitik nicht gelingt ihre Selbstständigkeit zu wahren (vgl.BP 45f) Schmitt lehnt die Vorstellung eines gerechten Krieges ab, es gibt keine Rechtfertigung des Krieges. Dies ist jedoch keinesfalls in einem pazifistischen Sinne intendiert:
"Der Krieg, die Todesbereitschaft kämpfender Menschen, die physische Tötung von anderen Menschen, die auf der Seite des Feindes stehen, alles das hat keinen normativen, sondern nur einen existentiellen Sinn, und zwar in der Realität einer Situation des wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind, nicht in irgendwelchen Idealen, Programmen oder Normativitäten. Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig dafür töten."(BP49f)Die Pluralität von Staaten ist bei ihm die Voraussetzung für die Existenz eines Staates. Ein Weltstaat könnte nicht gegen sich selbst kämpfen.
"Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen folgt der Pluralismus der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere, koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten und kann keinen die ganze Erde und ganze Menschheit umfassenden Welt'staat' geben. Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum."(BP,54)Zum Schluß ist noch eine Textstelle anzuführen, die eine bestimmte richtige Einsicht in die Funktionsweise des Kapitalismus ausdrückt. Schmitt beschreibt die kapitalistische Gesellschaft keinesfalls idyllisch, bestimmte marxsche Einsichten schimmern bei ihm durch. Es ist aber auch darauf hinzuweisen, daß Schmitt an keiner Stelle für eine kollektive Selbstverwaltung der Produzenten votiert, sondern auf die Zentrierung der Gesellschaft auf die Politik das Wort redet. Auch Folgendes macht aus ihm keinen Marxisten:
"Der Begriff des Tausches schließt es keineswegs begrifflich aus, daß einer der Kontrahenten einen Nachteil erleidet und daß ein System von gegenseitigen Verträgen sich schließlich in ein System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelt. Wenn sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten in einer solchen Lage zur Wehr setzen, so können sie das selbstverständlich nicht mit ökonomischen Mitteln. Daß die Inhaber der ökonomischen Macht dann jeden Versuch einer 'außerökonomischen' Änderung ihrer Machtstellung als Gewalt und Verbrechen bezeichnen und zu verhindern suchen, ist ebenfalls selbstverständlich. Nur entfällt dadurch jene Idealkonstruktion einer auf Tausch und gegenseitigen Verträgen beruhenden und eo ipso friedlichen und gerechten Gesellschaft."(BP,76)
"Als 'Gesetzgebungsstaat' wird hier eine bestimmte Art politischer Gemeinwesen bezeichnet, dessen Besonderheit darin besteht,daß es den höchsten und entscheidenden Ausdruck des Gemeinwillens in Normierungen sieht, die Recht sein wollen, daher bestimmte Qualitäten beanspruchen müssen, und denen deshalb alle andern öffentlichen Funktionen, Angelegenheiten und Sachgebiete untergeordnet werden können. Was man in den Staaten des europäischen Kontinents seit dem 19.Jahrhundert unter 'Rechtsstaat' verstand, war in Wirklichkeit nur ein Gesetzgebungsstaat, und zwar der parlamentarische Gesetzgebungsstaat."(GLP,7)Im Gesetzgebungsstaat herrscht die generelle, vorherbestimmte Normierung und die Unterscheidung von Gesetz und Gesetzesanwendung. Schmitt sieht im Glauben an ein Naturrecht eine Legitimation des Staates, in den Glaube an allgemeine Ideen, der Vorrang der ratio vor der voluntas herrscht. Sobald dem Naturrecht jedoch von den Produktionsverhältnissen der Boden entzogen worden ist, verfällt auch der Glaube an die Legalität, der seine Kraft aus dem Naturrecht bezog.
Das Vertrauen auf den Gesetzgeber "bleibt die Voraussetzung einer jeden Verfassung, die den Rechtsstaat in der Form des Gesetzgebungsstaates organisiert. Sonst wäre der Gesetzgebungsstaat ein etwas komplizierterer Absolutismus, der unbegrenzte Gehorsamsanspruch aber eine offene Vergewaltigung und der ehrliche Verzicht auf das Widerstandsrecht eine unverantwortliche Dummheit. Wenn der Gesetzesbegriff jeder inhaltlichen Beziehung zu Vernunft und Gerechtigkeit beraubt, und zugleich der Gesetzgebungsstaat mit seinem spezifischen, alle Hoheit und Würde des Staates beim Gesetz konzentrierenden Legalitätsbegriff beibehalten wird, kann jede Anordnung beliebiger Art, jeder Befehl und jede Maßnahme, jedes Kommando an irgendeinen Offizier oder Soldaten und jede Einzelanweisung an einen Richter, kraft 'Herrschaft des Gesetzes' legal und rechtmäßig durch Parlamentsbeschluß oder die sonstigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Instanzen vorgenommen werden. Das 'rein Formale' reduziert sich dann auf das leere Wort und die Etikette 'Gesetz' und gibt den Zusammenhang mit dem Rechtsstaat preis.(...) Auf keinen Fall ist dieses Legalitätssystem voraussetzungslos. Eine voraussetzungslose Gleichsetzung des Rechts mit dem Ergebnis irgendeines formalen Verfahrens wäre nur vorausetzungslose, also blinde Unterwerfung unter die reine, das heißt von jeder inhaltlichen Beziehung zu Recht und Gerechtigkeit losgelöste Dezision der mit der Gesetzgebung betrauten Stellen, voraussetzungsloser Verzicht auf jeden Widerstand. Es wäre das sic volo sic jubeo in seiner naivsten Form und nur psychologisch, aus den Rudimenten irgendeines Aberglaubens oder aus Residuen einer früheren, inhaltsvolleren Gesetzesreligion zu begreifen. Man kann das 'Positivismus' nennen, wie man jede Art von Dezisionismus kritiklos als Positivismus bezeichnen kann; nur täuscht dieses Wort heute nicht mehr darüber hinweg, daß jener voraussetzungslose Formalismus ein rein politisch motivierter Unterwerfungsanspruch mit rein politisch motivierter Verneinung jeden Widerstandsrechtes ist."(LL,24f)Daraus kann man schließen, daß mit der Vollendung des Kapitalismus, wenn die traditionellen Relikte eliminiert worden sind, nur noch ein formales Legalitätssystem übrig bleibt. Es herrscht das Mehrheitsprinzip. Dies hält Schmitt nur aufgrund einer Homogenität des Volkes für möglich. Sonst findet ihm zufolge nur die Unterdrückung der Minderheit durch die Mehrheit statt:
"Die Methode der Willensbildung durch eine einfache Mehrheitsfeststellung ist sinnvoll und erträglich, wenn eine substantielle Gleichartigkeit des ganzen Volkes vorausgesetzt werden kann. In diesem Fall liegt nämlich keine Überstimmung der Minderheit vor, sondern die Abstimmung soll nur eine latent vorhandene und vorausgesetzte Übereinstimmung und Einmütigkeit zutagetreten lassen. Da Demokratie auf der Voraussetzung des unteilbar gleichartigen, ganzen, einheitlichen Volkes beruht, so gibt es für sie in der Sache und im Wesentlichen überhaupt keine Minderheit und noch weniger eine Mehrzahl fester, konstanter Minderheiten. Man läßt sich auf das Verfahren der Mehrheitsfeststellung ein, nicht etwa, weil man aus Relativismus oder Agnostizismus darauf verzichtete, das Wahre und Richtige zu finden - das wäre (...) nur wie Hans Kelsen zugibt, 'nur in ruhigen Zeiten', also nur wenn es nicht darauf ankommt, möglich. Sondern man setzt voraus, daß kraft der gleichen Zugehörigkeit zum gleichen Volk alle in gleicher Weise im Wesentlichen das Gleiche wollen. Entfällt die Voraussetzung (...) so ist der gegenstandslose, inhaltsleere Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheitsfestellungen das Gegenteil von Neutralität oder Objektivität; er ist nur die quantitativ größere oder geringere Vergewaltigung der überstimmten und damit unterdrückten Minderheit. Die demokratische Identität von Regierung und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden hört dann auf; die Mehrheit befiehlt und die Minderheit hat zu gehorchen. Sogar die arithmetische Addierbarkeit hört dann auf, weil man vernünftigerweise doch nur Gleichartiges zu einer Summe zusammenzählen kann."(LL,31)In der gleichen Chance, die Mehrheit zu erreichen sieht Schmitt den Formalismus durchbrochen, dies hält er für ein materielles Gerechtigkeitsprinzip. Die Legalität der staatlichen Macht - so gesichert - soll das Widerstandsrecht aufheben, aber - so Schmitt - der Mißbrauch der Macht kann durch ein funktionalistisch- formalistisches System nicht verhindert werden. Die jeweils herrschende Mehrheit hat immer Vorteile, einen "politischen Mehrwert", wie Schmitt es nennt:
"Wer die Mehrheit hat, macht die geltenden Gesetze, außerdem macht er die von ihm gemachten Gesetze selber geltend. Geltung und Geltendmachung, Produktion und Sanktion der Legalität ist sein Monopol. Das Wichtigste ist aber, daß das Monopol der Geltendmachung des geltenden Gesetzes ihm den legalen Besitz der staatlichen Machtmittel und damit eine über die bloße Normen-'Geltung' weit hinausgehende politische Macht verleiht. (...) Infolgedessen bewirkt, über jede Normativität hinaus, der bloße Besitz der staatlichen Macht einen zur bloß normativistischlegalen Macht hinzutretenden politischen Mehrwert, eine überlegale Prämie auf den Besitz der legalen Macht und auf die Gewinnung der Mehrheit."(LL,35)Die Prämie beruht 1) auf der Ermessungshandhabung, 2) der Legalitätsvermutung und 3) der sofortigen Vollziehbarkeit.
"'öffentliche Sicherheit und Ordnung', 'Gefahr', 'Notstand', 'nötige Maßnahmen', 'Staats - und Verfassungsfeindlichkeit', 'friedliche Gesinnung', 'lebenswichtige Interessen' usw." (LL,35)Schmitt zeigt dies an der Weimarer Verfassung, insbesondere kritisiert er bestimmte Generalklauseln und Notstandsverordnungen. Er sieht im zweiten Teil der Verfassung sogar eine Gegenverfassung, die dem Reichspräsidenten Befugnisse eines kommisarischen Diktator gibt. Der Reichspräsident ist anscheinend dem parlamentarischen Ge- setzgeber untergeordnet, seine Maßnahmen müssen vom Reichstag toleriert werden. Aber durch seine Überlegenheit aufgrund seines politischen Mehrwerts (vgl.LL,35) kann er auch gegen das Parlament seine Interessen durchsetzen.
Ad 2) "hat der legale Inhaber der Staatsmacht für den Zweifelsfall, der bei solchen unbestimmten Begriffen in politisch schwieriger Lage natürlich immer eintreten wird, die Vermutung der Legalität auf seiner Seite."(LL35)
Ad 3) "endlich sind seine Anordnungen auch bei zweifelhafter Legalität zunächst einmal vollziehbar, selbst Beschwerdemöglichkeiten und justizförmiger Schutz vorgesehen sind. Bei einem Wettrennen zwischen Exekutive und Justiz würde die Justiz meistens zu spät kommen, auch wenn man ihr das in politisch interessanten Fällen für sie selbst nicht unbedenkliche Instrument einstweiliger Maßnahmen und Vefügungen in die hand gäbe. Deshalb bedeutet die justizförmige Chance zwar eine notwendige Korrektur und einen nicht zu verachtenden Schutz, aber sie kann nicht politisch entscheidend sein und für sich allein das Gerechtigkeitsprinzip diser Art Legalität, die Offenhaltung der gleichen Chance, nicht tragen."(LL,35f)
"Der Vorsprung ist freilich sehr groß: er entscheidet nach seinem Ermessen über die Voraussetzungen seiner außerordentlichen Befugnisse (Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung) und über ihren Inhalt, die 'nötigen' Maßnahmen; er kann deshalb Maßnahmen, deren Aufhebung der Reichstag verlangt hat, in allerkürzester Zeit von neuen erlassen; das Außerkraftsetzungsverlangen hat keine rückwirkende Kraft, der außerordentliche Gesetzgeber kann also gegenüber dem ordentlichen Gesetzgeber vollendete Tatsachen schaffen; ja eigentliche, besonders wirksame Maßnahmen, zum Beispeil das Eingreifen mit bewaffneter Hand und die Erschießung eines Menschen, können überhaupt nicht mehr 'außer Kraft gesetzt werden'."(LL,72f)Die sog. Machtergreifung Hitlers erfolgte dann ja in diesem Sinne verfassungsgemäß durch die Ausnutzung der Befugnisse des Reichspräsidenten Hindenburg. Schmitt hat also die rechtlichen Möglichkeiten für eine faschistische Machtergreifung aufgewiesen. Indes ist hinzuzufügen, daß er 1932 sich für die Lösung Schleichers, den Hitler dann ablöste, öffentlich einsetzte. Er veröffemntlichte folgenden Wahlaufruf:
"Wer den Nationalsozialisten am 31. Juli die Mehrheit verschafft, obwohl er nicht Nationalsozialist ist und in dieser Partei nur das kleinere Übel sieht, der handelt töricht. Er gibt dieser weltanschaulich und politisch noch gar nicht reifen Bewegung die Möglichkeit, die Verfassung zu ändern, das Staatskirchentum einzuführen, die Gewerkschaften aufzulösen usw. Er liefert Deutschland dieser Gruppe völlig aus. Deshalb: es war bisher unter Umständen gut, die Widerstandsbewegung Hitlers zu fördern, am 31.Juli ist es überaus gefährlich, weil die 51 Prozent der NSDAP eine 'politische Prämie' von unsichtbarer Tragweite geben."(Tägliche Rundschau 19.7.32 cit. nach L.-A.Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt)Schmitt wendet sich zwar gegen die Nazis, legte jedoch verfassungstheoretisch eine Zeitbombe in die Weimarer Verfassung, indem er auf die juristischen Möglichkeiten der Auflösung der Weimarer Republik hinwies. Er hatte die Hoffnung, daß das bürokratische "Gehäuse der Hörigkeit"(Weber) durch eine charismatisch, plebizitär legitimierte autoritärer Herrschaft, die die Verschlingung von Staat und Gesellschaft auflösen würde, beseitigt werden würde. Eine plebizitäre Legitimation hielt er für die momentan einzig mögliche.
"Und doch ist die plebizitäre Legitimität die einzige Art staatlicher Rechtfertigung, die heite allgemein als gültig anerkannt sein dürfte. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ein großer Teil der heute zweifellos vorhandenen Tendenzen zum 'autoritären Staat' hier eine Erklärung findet. Diese Tendenzen lassensich nicht einfach als reaktionäre ode restaurative Sehnsucht erledigen. Von weitaus größerer Bedeutung ist die Erkennnis, daß in der Demokratie die Ursache des heutigen 'totalen Staates', genauer der totalen Politisierung des gesamten menschlichen Daseins zu suchen ist, und daß es (...) einer stabilen Autorität bedarf, um die notwendigen Entpolitisierungen vorzunehmen und , aus dem totalen Staat heraus, wieder freie Sphären und Lebensgebiete zu gewinnen." (LL,93)
"Ich würde heute nicht mehr zwei, sondern drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens unterscheiden, nämlich außer dem normativistischen und dem dezisionistischen noch den institutionellen Typus. (...)Während der reine Normativist in unpersönlichen Regeln denkt und der Dezisionist das gute Recht der richtig erkannten politischen Sitution in einer politischen Entscheidung durchsetzt, entfaltet sich das institutionelle Rechtsdenken in überpersönlichen Einrichtungen und Gestaltungen. Und währende der Normativist in seiner Entartung das Recht zum bloßen Funktionsmodus einer staatlichen Bürokratie macht und der Dezisionist immer in Gefahr steht, durch die Punktualisierung des Augenblicks das in jeder großen politischen Bewegung enthaltende ruhende Sein zu verfehlen, führt ein isoliert institutionelles Denken in den Pluralismus eines souveränitätslosen Wachstums. So lassen sich die drei Sphären und Elemente der politischen Einheit - Staat, Bewegung, Volk - den drei juristischen Denktypen sowohl in deren gesunden wie ihren entarteten Erscheinungsformen zuordnen. Der sogenannte Positivismus und Normativismus der deutschen Staatsrechtslehre der Wilhelminischen und der Weimarer Zeit ist nur ein degenerierter - weil statt auf ein Naturrecht oder Vernunftsrecht begründeter, an bloß faktisch 'geltende' Normen angehängter - daher in sich widerspruchsvoller Normativismus, vermischt mit einem Positivismus, der nur ein rechtsblinder, an die 'normative Kraft des Faktischen' statt an eine echte Entscheidung sich haltender, degenerierter Dezisionimsus war."(PTH,8)Von nun ab ist die Ordnung nicht mehr aus dem normativen Nichts geboren, sondern gilt als "substantiellee, seinsmäßige, wesentlich öffentliche Ordnung". Über den Nationalsozialismus sagt er dann in seiner Schrift "Staat, Bewegung, Volk":
"Der Nationalsozialismus denkt nicht abstrakt und schablonenhaft. Er ist ein Feind alles normativistischen Machens. Er sichert und pflegt jede echte Volkssubstanz, wo er sie trifft, in Landschaft, Stamm oder Stand. Er hat das bäuerliche Erbhofrecht geschaffen; das Bauerntum gerettet; das deutsche Beamtentum von fremdartigen Elementen gereinigt und dadurch als Stand wiederhergestellt."(SBV,32)Die "Machtergreifung" ist für ihn der Todestages Hegels:
"An diesem 30.Januar ist der Hegelische Beamtenstaat des 19. Jahrhunderts, für den die Einheit von Beamtentum und staatstragender Schichten kennzeichnend war, durch eine andere Staatskonstruktion ersetzt worden. An diesem Tage ist demnach, so kann man sagen, 'Hegel gestorben'. Das bedeutet aber nicht, daß das große Werk des deutschen Staatsphilosophen bedeutungslos geworden und der Gedanke einer über den Egoismus gesellschaftlicher Interessen stehenden politischen Führung preisgegeben wäre. Was an Hegels mächtigem Geistesbau überzeitlich groß und deutlich ist, bleibt auch in der neuen Gestalt wirksam."(SBV,31f)Über das Gesetz im neuen Staat schreibt er:
"Gesetz ist für uns nicht mehr eine abstrakte, auf einen vergangenen Willen bezogene Norm; Gesetz ist Wille und Plan des Führers."(Die Rechtswissenschaft im Führerstaat, in ZAkDR 2.Jg. 1935, 439)Die Schriften jüdischer Autoren will er nicht verbrennen, sondern nur aussondern.
"Alle juristischen Schriften jüdischer Autoren gehören (...) bibliothekstechnisch unterschiedlos in eine besondere Abteilung 'Judaica'. Entscheidend ist ferner das Problem der Zitate ... Wenn es aus einem sachlichen Grunde notwendig ist, jüdische Autoren zu zitieren, dann nur mit dem Zusatz 'jüdisch'. Schon von der bloßen Nennung des Wortes 'jüdisch' wird ein heilsamer Exorcismus ausgehen." (Die deutsche Rechtswissenschnaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, Sp. 1195f)Die Nazis waren ihm nicht sehr dankbar. Bereits 1936 griff der "Schwarze Korps", die Zeitschrift der SS Schmitt an und warf ihm seine früheren jüdischen Freunde vor. Ein Artikel von katholischen Emigranten wurde u.a abgedruckt mit dem Titel: "Auf dem Wege in die Emigration oder ins Konzentrationslager?"
"Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und eine händlerische Bezeihung. Durch seine händlerische Begabung hat er oft einen scharfen Sinn für das Echte; mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das Echte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler."(DRZ, H20 1936, S.1197)Der Aufsatz endet mit dem Satz "'Indem ich mich des Juden erwehre', sagt unser Führer Adolf Hitler, 'kämpfe ich für das Werk des Herrn'."
"Die Angriffe gegen ihn, die zum Verlust der Ämter...führten, hatten ihre Gründe nicht etwa in einer inneren Distanzierungg oder gar Widerstandshaltung Schmitts gegenüber dem Nationalsozialismus...Das Gegenteil trifft zu. Das vom Schmitt gerade zwischen 1933 und 1936 geleistete Übersoll von weltanschaulichen Loyalitätsbekundungen wirkte auf seine mächtigen Gegner und Konkurrenten in der Kollegenschaft, in der Partei und besonders in der SS ebenso unglaubwürdig wie provokativ. Sie fürchteten einen weiteren Aufstieg und griffen ihn deswegen frontal an. Nicht Schmitt hat sich 1936/7 vom Nationalsozialismus abgewendet. Es war umgekehrt...Für eine Stilisierung der Rolle Schmitts im Sinne...eines heimlichen Widerstands gegen die Machthaber fehlte jede tatsächliche Grundlage." (Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich S.81)
Der Leviathan ist als Staat "entweder wirklich vorhanden, dann funktioniert er als das unwiderstehliche Instrument der Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und dann hat er alles objektive und alles subjektive Recht auf seiner Seite, da er ... alles Recht selber macht; oder er...erfüllt seine Funktion oder Friedenssicherung nicht..., dann kommt (es) vor, daß... die große Maschine an Rebellion und Bürgerkrieg zerbricht."(Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes S. 69)Der Staat soll für Ordnung sorgen, d.h. die Homogenität herstellen. In der zitieren Parlamentarismusschrift hieß es:
"Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogen."(GLP 14)Und in der Verfassungslehre:
"Der zentrale Begriff der Demokratie ist Volk und nicht Menschheit"(VL 234)Das richtete sich schon bei Schmitt gegen Liberalismus, Marxismus und gegen die jüdische Geistestradition.
"Der Nationalismus sagt nicht, wie der Patriotismus dies tut, daß das Deutsche erhaltenswert sei, weil es deutsch sei. Die Nation ist für den Nationalisten kein Selbstzweck, der von der Vergangenheit her klar und sichtbar und bereits erfüllt vor uns liegt. Der Nationalismus ist durchaus auf die Zukunft der Nation gerichtet. Er ist konservativ, weil er weiß, daß es keine Zukunft ohen Verwurzelung in der Vergangenheit gibt. Und er ist politisch, weil er weiß, daß er der Vergangenheit wie der Zukunft nur sicher sein kann, wofern er die Nation in der Gegenwart sichert."(Moeller van de Bruck, Das Dritte Reich 1923 cit 3. Aufl. 1931 S.230)Es wird deutlich, daß der Liberalismus im Lichte eiens völkischen Nationalismus kritisiert wird. Es fällt ja auch der Satz "Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde."
"Wir bekamen ein Republik, deren Grundlage nicht die Verfassung von Weimar ist, sondern der Vertrag von Versaille. Wir wurden ganz und gar zu Hörigen, und auch an Hörigengeist fehlte es nicht, Geist von Frankophilen, die in unsere Feinde verliebt und ihrem Denken verfallen sind." (Drittes Reich S 24)Schmitt war nicht so populistisch eingestellt. Die sog. "Neue Rechte" injiziert in ihre Schmittdeutung ein wenig Moeller van de Bruck. Gemeinsam ist beiden die antiwestliche Orientierung, die Schmitt in Das Reich 19.4.1942 folgendermaßen formulierte:
"Aber gerade das Volk ist dem liberalen Menschen völlig gleichgültig. Der Liberalismus ist die Partei der Emporkömmlinge. Er ist die Partei einer Zwischenschicht, die verstanden hat, sich zwischen das Volk als Nation und die Auslese einzuschieben, die sich aus dem Volke heraus ständig, aber nicht berechensam, sondern schöpferisch vollziehen muß, wenn das Vol als Nation schöpferisch bleiben soll. Die Angehörigen dieser Zwischenschicht haben das Wachstum der Nation übersprungen oder sich als Fremdkörper in sie eingedrängt." (Drittes Reich S. 82)
"Weltmarkt, Welthandel, Weltmeer und der große Mythos der Freiheit erhielten ihren konkreten Inhalt dadurch, daß die Angloamerikaner das fabelhafteste aller Monopole innehatten, nämlich das Monopol, Hüter der Freiheit der ganzen Erde zu sein. Damit ist es nun zu Ende. Das große Thema des gegenwärtigen Weltkriegs liegt gerade in dem Gegensatz gegen eine solche universalle Weltmacht und ihren Weltordnungsanspruch."Man muß sich nun nicht mehr wundern, daß die Edelnazischülerzeitung "Junge Freiheit" in einem Artikel "Die Heuchelei des Westens" Alain de Benoist den Westen geißeln läßt: Den "Westen, diese verblühte Hure, die nur dem Geld nachläuft und seit Jahrhunderten nicht davon ablassen kann, anderen Völkern ihre Identität zu nehmen"(2/91 S.7)
"Der Westen wird alle Kriege gewinnen, außer dem letzten. Und wenn es eines Tages einen Dritten Weltkrieg geben muß, werden ihn die USA und der europäische Kontinent gegeneinander austragen"(ebenda)So ist die "Neue" Rechte das Alte noch einmal. Und Carl Schmitt, von dem nur seine Verblödungsformen übriggeblieben sind, ist einer der Schlüssel für ihre Ideologie.