Gegen die Walserisierung der Politik
"Einsamer Wolf" Trick
"Eines der auffälligsten Kennzeichen faschistischer und antisemitischer
Propagandisten ist die geradezu zwanghafte Beschuldigung ihre Opfer dessen, was
sie selbst tun oder zu tun vorhaben. Aufgabe der Gegenpropaganda wäre es, ihnen
dies konkret nachzuweisen. Es gibt so gut wie keine Kategorie faschistischer Agitation,
auf die diese Regel sich nicht anwenden ließe. Sie ist das Musterbeispiel
für den Mechanismus psychologischer 'Projektion', der in der gesamten faschistischen
Ideologie spürbar wird.
Neben der Betonung des eigenen Muts und der eigenen Integrität, um das Vertrauen
derjenigen zu erwerben, die sich benachteiligt und einsam fühlen, birgt der
'Einsamer Wolf'-Trick die geheime Berechnung, die universale und ständig wachsende
Furcht vor Manipulation zu beschwichtigen. Sie resultiert aus dem Widerstand gegen
geschäftstüchtige Verkäufer und terminiert in dem halbbewußten
Glauben, jedes in der Öffentlichkeit geäußerte Wort habe weder objektive
Bedeutung, noch stelle es die private Überzeugung des Sprechers dar, sondern
sie Propaganda im weitesten Sinne, die dem Interesse einer dafür zahlenden
Machtgruppe dient. Ursache dieser Auffassung it die wirtschaftliche Zentralisierung
und Monopolisierung der Kommunikationsmittel. Die Erklärung, 'keines Politikers
Geld steht hinter mir', läuft auf die Behauptung hinaus, daß die eigenen
Ausführungen spontan, noch nicht von monopolistischen Organisationen dirigiert
sind. Doch darf die Einstellung zur Manipulation und die psychologische Funktion
dieses Tricks nicht zu sehr vereinfacht werden. Unter den gegenwärtigen sozialen
Bedingungen fürchten die Menschen sich nicht vor Manipulation, sondern haben
umgekehrt auch das Bedürfnis nach ihr und nach Führung jener, die sie
als stark und und fähig erachten, sie zu beschützen. Die hierarchische
Natur unser wirtschaftlichen Organisationen bestärkt den Wunsch, manipuliert
zu werden, selbst untätig zu bleiben. (...) Diese Zweideutigkeit gegenüber
Manipulationen müssen die Agitatoren, die den Einsamer Wolf'- Trick benutzen,
in Rechnung stellen. Sie erwarten nicht, daß ihr Gerede ganz ernst genommen
wird, was auch wahrscheinlich niemals der Fall ist. Während sie mit dem allgemeinen
Mißtrauen gegen Manipulation durch die gegenwärtigen Mächte in Kommunikationswesen
und in der Parteipolitik spielen, suggerieren sie mit dem 'Einsamer Wolf'-Trick,
daß tatsächlich sehr viel hinter ihnen steht, nämlich die wirklichen
Kräfte, die den offiziellen Machthabern entgegenarbeiten. (...) Die Diffamierung
der Manipulation ist das Mittel zur Manipulation. Raffiniert werden die Menschen
zu der Überzeugung gebracht, daß die Initiative bei ihnen liegt und bei
ihrem Vorbild, dem Redner, Ihre vermeintliche Spontaneität wird als Ideologie
hochgehalten, je mehr sie ihnen genommen wird." Aus Th.W.Adorno, Studien zum
autoritären Charakter S. 365
Ein Beispiel dieser Technik bei M. Walser
"Daß ich diese Praxis für bedenklich halte, heißt überhaupt
nicht, daß sie bedenklich sei, das bestätigt nur, was man schon weiß:
Statt links bin ich jetzt rechts. Und da muß ich das doch so sehen, klar.
Das ist der Vorteil der Linksrechtsschiene, man weiß dann immer gleich, warum
einer das sagt, was er sagt. In diesem Klima frei reden? Ich hätte in jedem
Jahr Gründe finden können, warum ich mich nicht der freien Rede anvertrauen
kann, obwohl ich nichts lieber möchte als das. Zur Zeit ist es also der Tugendterror
der political correctness, der freie Rede zum halsbrecherischen Risiko macht."
M.Walser Über freie und unfreie Rede in: DER SPIEGEL 45/1994
Sich als verfolgte Unschuld aufzuspielen, die nicht das sagen kann, was sie will,
weil die bösen Medien sich dann auf sie stürzen, spielte Walser in dem
Text am Beispiel Heitmann vor, der vermeintlich das alles gar nicht gesagt haben
soll, was er gesagt hat. Walser intendiert die Reaktion hervorzubringen, die er
vorab schon denunziert. Er antezipiert jede Kritik an ihm vorab schon als Ungehörigkeit
und als Manipulation, die den "einsamen Wölfen" angetan werde. Das
ist auch eine bekannte Strategie der Immunisierung gegen jede Kritik. Die Texte
sind in der Tat so beschaffen, als ob sie aus der bereits geleisteten Kritik am
gängigen Jargon, rekonstruiert worden sind. Ein von der Kritik über Jahre
als minderwertig gescholtener Autor rächt sich, indem er sich nun provoziert,
indem er sich erst recht dem Kritisierten assimiliert und sich damit der Neuen Rechten
anbiedert.
Daß die Texte immer so angelegt sind, daß sie vieldeutig sind, in dem
Sinne, daß sie auch prinzipiell harmlos ausgelegt werden könnten, während
sie doch genau das Gegenteil betreiben, nämlich die weniger harmlosen Diskurse
hervorzulocken, war stets eine Strategie der Brückenschläge zwischen Mitte
und Rechtsextremismus gewesen. Es ist immer ein Hintertürchen offen, um später
- beim Wort genommen - sich aus der Affaire zu ziehen, daß das alles doch
gar nicht so gemeint gewesen sei und nur die böse Kritik das alles projiziert
hätte. Genau das intendiert eine vermeintliche selbsterfüllende Prophezeiung.
Daß, wenn man seine Texte aus der Kritik an ihnen rekonsturiert, dieselbe
Kritik zu erwarten ist, dürfte gar nicht so verwunderlich erscheinen.
Das Ziel ist dann in doppelter Weise erreicht. Der eigentliche nicht so harmlose
nationalistische Diskurs ist provoziert und jede Kritik wird abgewehrt als bloße
Projektion. M.a.W. es wird den potentiellen Kritikern das vorgeworfen, was man selber
betreibt. Die Rede vom vermeintlichen Tugendterrors der "political correctness"(PC),
die in aller rechtsradikalen Munde ist, hat einzig die Funktion sich gegen jegliche
Kritik zu immunisieren.
"Alles, was jemand auspricht, ist ein Versuch, das Schlimmste nicht sagen zu
müssen. Darum ist alles, was ich ausspreche, so harmlos. Etwas sagen heißt
bei mir, etwas verschweigen. Sollte man auch unsere öffentliche Meinung mit
diesem Vorbehalt zur Kenntnis nehmen."(M.Walser, Händedruck mit Gespenstern,
1979)
Das sollte man ziemlich wörtlich nehmen. Das interessante ist das, was verschwiegen,
aber worauf dann doch angespielt wird, das jeweils nicht mehr jüngste Gerücht.
"Die Sprache sagt nur etwas, wenn sie von Unschuldigen benutzt wird. Der Zustand
dieser Unschuld ist nicht für jeden Intellektuellen ein für alle mal verloren.
Und die Sprache, selber ein Gebildetes, reizt durch Bildungsanfälligkeit durchaus
zu diesem Verlust."(ebenda)
Daß im Satz vorher auf die Kritik angespielt wurde, die genau den Jargon,
von der sprechenden Sprache und der vermeintlichen Unschuld des Primitiven, entlarvte,
nämlich Adornos Jargon der Eigentlichkeit, verrät heimlich, daß
genau das betrieben werden soll, was in der Ideologiekritik thematisiert wurde.
Es ist die Erbärmlichkeit in zweiter Potenz.
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt