Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939-1944
Einleitung zu:
"Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung": das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen/Walter Manoschek (Hg.). - Hamburg: Hamburger Ed., 1995 ISBN 3-930908-05-0 NE: Manoschek, Walter [Hrsg.]

"Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung" Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939-1944
Das Klischee von der scharfen Trennung zwischen der SS, die die "Schmutzarbeit" verrichtete, und der "anständigen" Wehrmacht, die ihre "Pflicht für die Heimat" an der Front erfüllte, wird seit Kriegsende kultiviert und lebt in der deutschen und österreichischen Gesellschaft bis heute nahezu ungebrochen fort. Auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde die Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg im Osten und Südosten erst in den letzten Jahren ausgeleuchtet. Dabei ist verstärkt der Anteil der Wehrmacht an der Judenvernichtung ins Blickfeld gerückt.(1) Bekannt sind die sogenannten "verbrecherischen Befehle" der Wehrmachtsführung, die bereits bei der Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion erlassen wurden und im Zuge des propaglerten "Weltanschauungskrieges" gegen den "jüdischen Bolschewismus" ihre Fortsetzung fanden: sie reichten vom "Kommissarbefehl" des OKW-Chefs Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, in dem der Truppe befohlen wurde, politische Kommissare im Operationsgeblet "sofort mit der Waffe zu erledigen", über die Anweisung des Oberbefehlshabers des Heeres, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, an hohe Truppenführer, "daß der Kampf von Rasse zu Rasse geführt wird, und mit nötiger Schärfe" vorgegangen werden muß, bis hin zu den berüchtigten Befehlen von Generalfeldmarschall von Reichenau und Generaloberst von Manstein vom Herbst I94I, in denen sie zum Feldzug "gegen.das 'üdisch-bolschewistische System" und zum Verständnis "für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum" aufriefen.
Die mehr als drei Millionen Soldaten des deutschen Heeres im Osten wurden vom Oberkommando der Wehrmacht am Tag des Überfalls auf die Sowjetunion in einem Tagesbefehl mit den Zielen des Ostkrieges vertraut gemacht - Ziele, die der herrschenden NS-Ideologie vom "jüdischen Bolschewismus" entsprachen: unter anderem sollte die Truppe energisch "durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden". Diese Anordnungen wurden durch die Wehrmachtspropaganda entsprechend unterstützt: Im Juni-Heft der "Mitteilungen für die Truppe" von 1941 etwa hieß es: "Was Bolschewisten sind, daß weiß jeder, der einmal einen Blick in das Gesicht eines der Roten Kommissare geworfen hat. Hier sind keine theoretischen Erörterungen mehr nötig. Es hieße die Tiere beleidigen, wollte man die Züge dieser zu einem hohen Prozentsatz jüdischen Menschenkinder tierisch nennen."
Als der Krieg im Osten begann, war das totalitäre nationalsozialistische Gesellschaftssystem seit Jahren etabliert, hatte sich der rassistische Antisemitismus insbesondere seit Kriegsbeginn immer mehr zum zentralen ideologischen Kern des NS-Systems entwickelt. Wie die hier abgedruckten Feldpostbriefe zeigen, entsprachen die von oben "verordneten" und propagierten Judenbilder den Überzeugungen und Ansichten so mancher Soldaten. Vor diesem Hintergrund und angesichts von Feldpostbriefen, in denen mit größter Selbstverständlichkeit geschrieben steht, "die Juden müßten mal alle weg bzw. kaltgestellt werden", in denen die Juden als "bettelnde Hyänen" charakterisiert werden und andernorts ein Schreiber voller Stolz seinen Eltern berichtet, daß er und seine Kameraden bisher etwa 1ooo Juden "mit Knüppeln und Spaten erschlagen" hätten, drängt sich die Frage auf, ob die einschlägigen Befehle der Wehrmachtsführung nicht aus einem Amalgam von "Du mußt" und "Du darfst" bestanden. (2)
Der Zweite Weltkrieg aus der Perspektive des "kleinen Mannes" war bislang kaum von Forschungsinteresse. Die fast ausschließliche Fixierung auf die traditionelle Perspektive "von oben" ist um so erstaunlicher, als mehr als zehn Millionen deutscher und österreichischer Soldaten Hitlers Armee angehörten. Es war im wesentlichen diese Frontgeneration, die die Geschichte und Gesellschaft der drei großdeutschen Nachkriegsländer (auf sehr unterschiedliche Weise) bestimmte - jene (Männer-)Generation, die - ob bewußt oder unbewußt - von der Kriegserfahrung und den Feindbildern nachdrücklich geprägt war.
Die wenigen Ansätze, die sich mit einer "Mentalitätsgeschichte des kleinen Landsers" beschäftigen, ließen die rassistischen Anschauungen und Taten dieser Soldaten ausgeklammert; meist, (3) werden die Leiden des Frontalltags beschrieben, und die Mannschaftssoldaten vornehmlich als Opfer des Krieges dargestellt, womit zumindest implizit 'an einem nunmehr umgekehrten "Soldatenmythos von unten" gewoben wird. (4)
Die hier auszugsweise abgedruckten Feldpostbriefe stammen aus der "Sammlung Sterz", die in der Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart aufbewahrt wird.(5) Es handelt sich dabei um den Nachlaß von Reinhold Sterz, der - bis zu seinem frühen Tod - in akribischer Kleinarbeit etwa 50.000 Feldpostbriefe aus der NS-Zeit gesammelt und systematisch archiviert hat.
In diesen Briefen spiegeln sich von Kriegsbeginn an alle Arten judenfeindlicher Stereotypen wider. Durch die zeitchronologische Zusammenstellung wird deutlich, wie verblüffend synchron sich die antisemitischen Stereotypen der Briefeschreiher zum jeweiligen Stand der nationalsozialistischen judenpolitik verhielten. Die Fülle antijüdischer Forderungen reicht von der Vertreibung der Juden aus Europa ("Mögen sie, nämlich die Juden, einen anderen Erdteil mit ihrem Besuch beehren", Gefreiter A. M., I - 8.1940), bis zur dezidierten Forderung nach der "Endlösung": "Es gibt nur eins für das Judentum: Vernichtung" (Feldwebel E. E.18.12.1942). Der Vernichtungswille existiert bis zum Kriegsende. Doch ab I943 - als sich die militärische Niederlage deutlich abzuzeichnen begann - mischte sich der Vernichtungswille immer stärker mit Rache- und Bestrafungsphantasien. Die bedrohlichen Konsequenzen, die die eigenen Verbrechen nach sich ziehen könnten, traten nunmehr als Angstprojektionen in den Vordergrund: "Dazu hört man im Radio immer wieder, wie man von seiten unserer Gegner mit uns Deutschen verfahren will, wenn der Krieg zu Ende ist. Bis zur Hälfte soll das deutsche Volk zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Für uns in Westdeutschland ist es da vielleicht noch gut, unter die Besatzung der Westmächte zu kommen. Die Juden werden da ja bestimmt Vergeltung halten. Ich bin aber der Meinung, die werden ihre Feinde schon wiedererkennen. Im ganzen gesehen scheint es so, daß das Strafgericht Gottes noch nicht zu Ende ist" (Gefreiter H. W., 29. 9. 1943).
Walter Manoschek

Anmerkungen
1) Eine umfassende Bibliographie zu diesem Themenbereich ist abgedruckt in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, 3. Jg., Juni/Juli I994, Heft 3.
2) Siehe dazu Jan Philipp Reemtsma, Charisma und Terror. Gedanken zum Verhältnis intentionalistischer und funktionalistischer Deutungen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, in: Arbeitsstelle des Frankfurter Lern- und Dokumentationszentrum des Holocaust, Fritz Bauer Institut, Materialien Nr. 1O, S. 12.
3) In dem - insgesamt sehr verdienstvollen - Sammelband "Der Krieg des kleinen Mannes" (Wolfram Wette [Hg.], München 1992) beschäftigen sich acht Aufsätze mit dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg aus Sicht der Mannschaftssoldaten. In keinem dieser Beiträge wird die rassistische Dimension des Krieges angesprochen. Volker Ullrich hingegen analysierte u. a. Feldpostbriefe aus der "Sammlung Sterz" unter dem Gesichtspunkt, inwieweit Wehrmachtssoldaten - und vermittels der Feldpostbriefe auch die "Heimatfront" - über die Judenvernichtung Bescheid wußten (Volker Ullrich, "Wir haben nichts gewußt" - Ein deutsches Trauma, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Oktober 1991, Heft 4, S. I I-46).
4) Buchbender/Sterz etwa charakterisieren ihre Zielsetzung folgendermaßen: "Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch, sein persönliches Schicksal, fernab von Statistiken und Zahlen, in denen die Schrecken des Krieges anonym bleiben" (Ortwin Buchbender/Reinhold Sterz [Hg.], Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpostbriefe I939-I945, 2. Aufl., München I983, S- 9). In einem Kapitel werden - allerdings kommentarlos - insgesamt elf Briefauszüge antisemitischen Inhalts abgedruckt.
5) An dieser Stelle möchte ich Frau Irina Renz von der Bibliothek für Zeit-Geschichte in Stuttgart für ihre hilfreiche und unbürokratische Unterstützung bei der Rechercheart herzlich danken.

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Most recent revision: April 07, 1998

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