Noltes Entwirklichung von Auschwitz

Die antikommunistische Seite der neuen deutschen Ideologie knüpfte an die antikommunistische Tradition der nationalsozialistischen Ideologie an, nur damals hieß diese noch antibolschewistisch. Der Haut gout des slawischen Untermenschen sollte programmatisch mitschwingen, die Drohung eines dämonisierten Asiens gegenüber der germanische Kultur. Nationalismus und Antisemitismus gehören zudem in diesen ideologischen Cocktail des Nationalsozialismus als integrale Bestandteile neben dem Antibolschewismus. Der Historiker Ernst Nolte hat nun den braunen Faden des Antibolschewismus wieder aufgenommen; er verschärfte die Totalitarismusideologie der fünfziger Jahre in den achtzigern, wiederholte sie nicht nur. Wem es bei der Lektüre seines FAZ-Artikels vom Juni 1985 noch nicht aufgefallen ist, der sei vor dem jüngsten Buch Noltes "Der europäische Bürgerkrieg" gewarnt, in dem er seine Thesen auf ganze 600 Seiten ausgedehnt hat. Der Untertitel sprich Bände: "Nationalsozialismus und Bolschewismus".
Nolte selbst nennt sich nun "Ideologiehistoriker"; mit dieser Taufe will er den Kriegsgewinn der Totalitarismustheorie erneut einzustreichen. Beide, Nationalsozialismus und Bolschewismus werden zu radikalen Ideologien Ideologien erklärt; damit sind sie auf eine Stufe gestellt, vergleichbar. Auf die Inhalte kommt es erst in zweiter Linie an. Nolte bleibt bei der Vergleichbarkeit nicht stehen, sondern die Dynamik ist unaufhaltsam. In der Totalitarismus sprach man vom Faschismus in der Vergangenheitsform, vom Kommunismus im Präsens (der Kommunismus _ist_...), daher war er a priori gefährlicher. Nun heißt es bereits - und das ist Noltes Neuheit - der Bolschewismus war _vor_ dem Nationalsozialismus; also: Der Nationalsozialismus läßt sich als Reaktion auf den Bolschewismus verstehen. Die Reparatur des angegriffenen Narzißmus kann jetzt schon als gelungen gelten. Statt des zweimaligen, glücklicherweise gescheiterten Griffs nach der Weltmacht steht Deutschland endlich wieder als das bedrohte, angegriffene Opfer dar: Seit 1914 wird bekanntlich nur zurückgeschossen.
Die Welt vor 1914 zu erreichen, scheint das Hauptziel dieser historischen Manipulation zu sein. Ohne irgendeine weitere Überlegung wird gerade die Gesellschaftsform, aus der sich der Erste Weltkrieg entwickelt hat - mit Folgen von Revolution und Konterrevolution - als merkwürdig heile Welt hingestellt. Tatsächlich ist es die "gute" alte Zeit des Nationalismus, der unbefragt die herrschende Ideologie Europas im Ausgang des 19.Jahrhunderts war. Nationalismus galt hier als Recht auf Selbstbehauptung. Historiker wie Nolte meinen, so weit zurück reiche der Arm kritischer Gesellschaftstheorie nicht. Alle europäischen Staaten seien schließlich imperialistisch gewesen; da dürfe doch keiner mit dem Finger auf den anderen zeigen. Die Sache werde erst anders mit der Oktoberrevolution; hier habe eine Partei - die der Bolschewiki - in Verletzung jedes Nationalstaatsprinzips ganz Europa den Bürgerkrieg erklärt. So mir nichts, dir nichts. Daß der Bürgerkrieg erst aus dem Kampf gegen den Krieg, die Massenschlächterei von drei Jahren, hervorgegangen ist, verschweigt Ernst Nolte. Bei ihm soll es so aussehen: Aufgrund ihrer radikalen Ideologie haben die Bolschewisten die allgemeine Zerrüttung benutzt, um Europa den Krieg zu erklären, indem sie den herrschenden Klassen mit "Vernichtung" drohten. Hier wird das ganze Geschehen in manipulativer und pseudowissenschaftlicher Wiese auf _ein_ Wort reduziert: "Vernichtung" - ein Wort, das zu Recht mit Auschwitz und der nationalsozialistischen Behandlung der von ihnen als Untermenschen deklarierten Tötungsobjekten assoziiert wird. Mit großem Aufwand wird versucht nachzuweisen, daß Sinowjew 1918 zehn Millionen Konterrevolutionäre mit "Vernichtung" gedroht habe. Die Beweisführung wird im Folgenden ganz schlicht: 14 Jahre vor Auschwitz ist den herrschenden Klassen Rußlands mit "Vernichtung" gedroht worden - Menschen, denen sich die Nationalsozialisten wie alle anderen Bürger Europas freundschaftlich verbunden fühlten. Wäre nun die bolschewistische Flut nicht mit den Mitteln von den Nazis gestoppt worden, wären sie selber und mit ihnen die hochmoralischen westlichen Alliierten der bolschewistischen "Vernichtung" zum Opfer gefallen. Das heißt logisch: Auschwitz ist eine Antwort auf die bolschewistische Vernichtungsdrohung. Nolte schränkt ein: Die Antwort sei vielleicht etwas übertreiben, vor allem wegen der Juden. Schon die Nazis hatten dafür einen Ausdruck: "Härten" wären nicht zu vermeiden."
Um diese These wieder abzusichern und einzunebeln, wird von Nolte ein schriftstellerischer Eiertanz aufgeführt. Er spricht von einem "kausalen Nexus" zwischen GULAG und Auschwitz, von "Herausforderung und Antwort, Ursprung und Kopie, Entsprechung und Überentsprechung" Viele kleine Hintertürchen läßt Nolte sich offen, um wieder in die nächste Behauptungssuada entfliehen zu können. Mit vollem Bedacht sage ich: Die Noltesche Argumentationstechnik entspricht der nationalsozialistischen Propagandatechnik, ein intellektuelles Kommandounternehmen gegen die Wahrheit wird ans andere gereiht. Übrig bleiben gegen alle geschichtliche Wahrheit soll der Inhalt der Insinuation: Angefangen haben die anderen, wir haben uns nur gewehrt, aber wer will nachträglich noch den Stab brechen? Nolte weiß wer: Aufklärer, Moralisten, "Volkspädagogen".
Nolte arbeitet unter Ausnutzung aller existierender Vorurteile. Die heftigsten Widerstände gibt es gegen Beschädigungen des kollektiven Narzißmus, das selbstverständliche "Wir". Ist doch dieses "Wir" ein zentrales Kontinuitätsmoment. Aufklärung und Kantische Moral, die in jedem Individuum veranktert ist, gelten dieser Geschichtsschreibung als minderwertige Veranstaltungen. Die antiaufklärerische Agitation spielt deshalb mit dem Vorurteil gegen schulisches Lernen; der Ausdruck "volkspädagogisch" mobilisiert antiintellektuelle Affekte in Kombination mit einem Angebot zur Aufnahme in die Elite der wirklich Wissenden. Diese elitärpopulistische Mischung praktiziert jeder Demagoge, der sich gerne Doktor nennen läßt und gegen Intellektuelle im Namen des hart arbeitenden kleinen Mannes hetzt. Da fast ein jeder Zorn auf die Schule empfindet, meint man mit der Denunziation der Wahrheit als "Volkspädagogik" gekränkte Kollektivgefühle in den Dienst der Wiederherstellung einer nationalen Ideologie stellen zu können.
Die Technik, Affekte mit Scheinwissen aufzurüsten, ist seit Goebbels bekannt: das gezielte Gerücht. Noltes ebenso wie sein FAZ-Artikel strotzen davon. Die Bolschewisten sind die Feinde; aber man muß sich schon des Gerüchtes bedienen, um eine Äußerung - wie die Sinowjews - inmitten eines blutigen Bürgerkriegs gegen Ende eines Weltkrieges mit der gezielten, mitten im Frieden geäußerten Absicht der Ausrottung der Juden, völlig unschuldiger Menschen also, auf eine Stufe zu stellen. In späteren Jahren sind in der Sowjetunion viele Menschen brutal mißhandelt, gequält und zu Tode gebracht worden; Massenvergasungen von Millionen wehrloser Menschen, deren einzige Qualifikation zum Opfer darin bestand, Juden zu sein, hat es nicht gegeben. Auch die Kulaken, von denen die wenigsten wissen, wer sie überhaupt waren, sind mit den Juden überhaupt nicht zu vergleichen. Der Kampf auf dem Dorfe ist keine Erfindung Stalins gewesen, sondern es fand ein zähes zwanzigjähriges Ringen zwischen den Kräften des Staates und den Kulaken statt, das brutal entschieden worden ist. Aber es ging nicht um Wehrlose, es ging nicht im physische Ausrottung, es ging um die Zerstörung einer ökonomischen Grundlage der herrschenden Dorfschicht, die in einem blutigen Kampf und einer abscheulichen Lagerpraxis endete. Wenn etwas vergleichbar wäre, dann könnte man diese Unterdrückung noch mit der Behandlung der politischen Nazi-Gegner von 1933-1939 vergleichen. Selbst das ist schief, aber da stimmt wenigstens noch die formale Analogie. Diese Perspektive wendet Nolte nachträglich auf die gesamte Geschichte von 1917 bis 1945 an. Das führt zur Absurdität: Die Juden können zwar nicht als bewaffnete Bürgerkriegsfeinde der Nazis gelten. Aber die Juden stehen im Zentrum der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
Nolte fragt nicht mehr: Wie konnte das geschehen? Nolte fragt vielmehr: Wie werden wir die Vergangenheit wieder los? Daher muß zunächst das Geschehen infrage gestellt werden. In einer Fußnote wird darauf hingewiesen, daß "sich nicht wenige Ausländer unter diesen _Revisionisten_ befinden" - unter Revisionisten versteht Nolte Totalverleugner von Auschwitz wie Rassinier und Faurisson. "Die Motive sind unterschiedlich, aber häufig ehrenwert: Abneigung gegen eine angebliche Fortsetzung bloßer Kriegspropaganda, Kritik der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, Weigerung, dem toten Gegner Fußtritte zu geben.". Unter der Hand sind die Drahtzieher, Moralisten, Aufklärer und Volkspädagogen eingeführt, die Nolte schon in der FAZ namhaft gemacht hat: "Gerade diejenigen, die meisten und mit dem negativsten Akzent von 'Interessen' sprechen, lassen die Frage gar nicht zu, ob beim Nichtvergehen der Vergangenheit auch Interessen im Spiel waren oder sind, etwa die Interessen der neuen Generation im uralten Kampf gegen die 'Väter' oder auch die Interessen der Verfolgten und ihrer Nachfahren an einen permanenten Status des Herausgehoben- und Privilegiertseins." Im gesamten Historikerstreit hat keiner es gewagt, dies als das zu denunzieren, was es ist, Antisemitismus. Von den Interessierten spricht er nicht im Haupttext seines Buches als "den Überlebenden der _Endlösung_ und den Bürgern Israels", er traut es sich noch nicht zu sagen, aber wer soll es denn sein? Die Juden natürlich. In den Fußnoten wird es deutlich: "Die Literatur über die 'Endlösung' stammt zum weit überwiegenden Teil von jüdischen Autoren". Kann diese Literatur überhaupt wahr sein, wenn sie von jüdischen Autoren stammt - ganz bestimmt nicht, ganze Wahrheit kommt nicht von Interessierten. Zwar werden bei Nolte die Juden nicht aus der menschlichen Gesellschaft, aber doch aus der wissenschaftlichen community ausgeschlossen. Jüdische Autoren werden der repressiven Toleranz unterworfen - man duldet sie, aber man nimmt sie nicht ernst. Im Frankfurter Börneplatz-Konflikt ist dieses Attest beschränkten Zugangs zur geschichtlichen Wahrheit für Juden schon stadtoffizielle Politik geworden. Der Frankfurter Oberbürgermeister billigte den Juden großzügig den Betroffenheitsstandpunkt zu: Im Hinblick auf die geforderte _nationale Identität_ sind sie unzurechnungsfähig. Die Unzurechnungsfähigen sollen doch mit ihren restaurierten Anstalten zufrieden sein. Auschwitz muß derealisiert werden, entwirklicht. Allein auf diese Weise kann man der verlangten "nationalen Identität" näher kommen, die doch nur ein Deckname für chauvinistische Interessen und Kompensation für individuelle Ohnmacht angesichts von in den Händen Weniger konzentrierten Macht sein kann.
aus: Detlef Claussen, Vergangenheit mit Zukunft. Über die Entstehung einer neuen deutschen Ideologie in: Die neue deutsche Ideologie Einsprüche gegen die Entsorgung der Vergangenheit hrg. von W.Eschenhagen

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Most recent revision: April 07, 1998

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