Protokolle der Weisen von Zion

Antisemitisches Falsifikat, als dessen Urheber Pjotr Rackovskij, Agent der zaristischen Ochrana, gilt. Als Grundlage diente die 1865 in Brüssel erschienene, gegen Napoleon III. gerichtete Streitschrift 'Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu'von Maurice Joly und der Schauerroman 'Biarritz'(1868) von Sir John Ratcliffe (Pseudonym des Hermann Goedsche). Es handelt sich um fiktive Gespräche auf einer fiktiven jüdischen Geheimkonferenz und deren angeblichen Beschluß, die jüdische Weltherrschaft "unter einem König aus dem Hause Zion" durch Gewalt, Betrug und List zu erringen. Zunächst wohl als Manuskript verbreitet, erschienen sie 1903 erstmals gedruckt in der St. Petersburger Zeitung 'Snamja' und 1905 in dem mystisch-religiösen Buch 'Das Große im Kleinen' von Sergej Nilus. Sie knüpfen an ältere Weltverschwörungsmythen an, die teilweise bis ins Mittelalter zurückreichen und die Juden als Sendboten des Satans und Gefolgsleute des Antichrist darstellen. Die erste deutsche Übersetzung besorgte 1919 Gottfried zur Beek (Pseudonym des Ludwig Müller). Allein zwischen 1920 und 1938 brachte sie es auf 22 Auflagen.
In London tauchten die Protokolle erstmals 1920 als Ubersetzung aus dem Russischen in der konservativen 'Morning Post' auf, obwohl der Herausgeber ihre Echtheit bezweifelte; die einzige, angeblich in der Bibliothek des Britischen Museums vorhandene Urschrift war unauffindbar. Mitte 1921 erhielt die Londoner 'Times' von ihrem Korrespondenten in Konstantinopel ein Original des Joly- Buchs und entlarvte die Protokolle als Plagiat und Fälschung. Dies bestätigten unter anderen Schweizer Gerichte 1935 und 1937.
Die Protokolle wurden in alle Weltsprachen und viele weitere Sprachen übersetzt und gewannen immense politische Bedeutung. In westlichen Ländern, nicht zuletzt in den USA, wurden sie mit einem Appell zum "Kreuzzug gegen den Weltkommunismus" verbunden. In Deutschland gehörten sie zu den Grundlagen der NS-Ideologie und zu den Quellen unzähliger antisemitischer Broschüren und Hetzartikel. Hitler war von ihnen stark beeindruckt, Rosenberg schrieb einen Kommentar zu ihnen, Julius Streicher propagierte sie in seiner antisemitischen Zeitung 'Der Stürmer'. Schließlich wurden die Protokolle eines der Motive für Hitlers Kriegserklärung an die "jüdisch-imperialistischen Mächte" und zum Wegbereiter der Vernichtung der europäischen Judenheit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Protokolle eine weite Verbreitung in den arabischen Staaten - von Kuweit über Saudi-Arabien, den Irak, Syrien und Jordanien, den Libanon, Ägypten, Libyen bis nach Algerien. Sie wurden von arabischen Wissenschaftlern neu übersetzt, die "dritte Säule" des jüdischen Glaubens neben der Bibel und dem Talmud genannt. Mit offizieller Unterstützung erreichten sie riesige, auch fremdsprachige Auflagen, unter anderem für den Export nach Schwarzafrika, wo Israelis als Entwicklungshelfer arbeiteten. Sie kamen ins Europäische Parlament in Straßburg, nach Malaysia wie nach Neuseeland und in lateinamerikanische Länder. Sie zirkulierten in England und den USA in nationalistischen wie arabischen Kreisen und waren unter verschiedenen Titeln, durch immer weitere Ausschmückungen sogar in zweibändigen, aber auch billigen Ausgaben, und in verschiedenen Versionen bekannt. Ein arabischer Bearbeiter berief sich auf einen Bericht, demzufolge die "zionistische Geheimversammlung" 1954 in Budapest stattfand. Ein anderer schrieb 1967, die "jüdische Geheimkonferenz" sei der 1897 in Basel zusammengetretene Erste Zionistenkongreß gewesen, der von zaristischen Spionen auseinandergetrieben wurde, welche die von den flechtenden Juden zurückgelassenen Papiere gesammelt hätten - die Protokolle. In Zeiten der arabisch-israelischen Kriege diente diese notorische Fälschung den Arabern besonders als "Beweis" für den Beginn des offenen jüdischen Kampfes um die Weltherrschaft.
Literatur: Norman Cohn, Die Protokolle der Weisen von Zion. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung. Köln, Berlin 1969.

aus: Legenden Lügen Vorurteile, Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte Hrg. von Wolfgang Benz

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Most recent revision: April 07, 1998

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