Ideologie der Mittellage Deutschlands
Im Wellengang des "Historikerstreits" trieb, beinahe unbeachtet, eine
Flaschenpost von längst verrottet geglaubten Geistern. Die Flasche ist neu,
ihr Inhalt nicht. Zum Vorschein kommt eine Botschaft, die alle Nachgeborenen an
das ewig-unentrinnbare "Schicksal" Deutschlands gemahnt, an das Schicksal
seiner geographischen Lage. Die Deutsche Geschichte - ein Diktat der Geographie?
Und ein Memento, eine Verpflichtung wozu? Zu beißfreudigen Territorialverhalten,
zu melancholischem Rückzug in die "Innerlichkeit" oder zu ausgepichten
strategischen Kabinettsstückchen?
Seiner territorialen Integrität, mithin seiner Souveränität, wähnte
sich das "deutsche Vaterland" nie sicher. Schon deshalb nicht, weil es
in Ost und West, Nord und Süd jeden "natürlichen" Grenzverlauf
als provisorisch erachtete und alle Schlagbäume niederzureißen bestrebt
war. Im missionarischem Auftrag, versteht sich. Nationalgeschichtlich noch jung
und "jugendlich" in seinem kollektiven Ungestüm, klagte der Parvenu
und Gernegroß unter den europäischen Mächten notorisch, ihm mangele
am Nötigsten: an einem Platz fürs Leben, den keiner ihm streitig macht.
Ganz besonders gefiel er sich darin, für sich und nur für sich einen "Sonderweg"
zu beanspruchen. Allerdings sollte dieser Weg mit Rasanz in die Katastrophe führen,
und das gleich zweimal, im Abstand von nur einer Generation - unbelehrbar fanatisch.
Am Ende waren die meisten der zwangsläufig Mithineingerissenen nicht weniger
ruiniert als der eindeutige Urheber des Desaster.
Eines muß klargestellt werden: Die Deutschen kamen sehr glimpflich davon.
Es dabei zu belassen, das unheilschwangere Wespennest so zu zerteilen, daß
die beiden Resthälften halbwegs intakt weiterbestehen und über kurz und
lang auch noch prosperieren konnten, entsprach einer konstruktiven und "humanen",
wenngleich nicht uneigennützigen Logik der Siegermächte. Hätten die
Tage von Jalta für das am Boden liegende Nazi-Deutschland nicht ungleich schwärzer
ausfallen müssen? Man hieb es nicht in kleine Stücke, nahm ihm nicht seine
industrielle Zukunft und wollte es nicht für immer unter Besatzungsstatut halten.
Man war sogar darauf bedacht, treuhänderisch seine nationalstaatliche Identität
zu wahren.
In jüngster Zeit besinnen sich etliche Deutsche wieder verstärkt, als
käme ihnen eine Amnes(t)ie zugute, mit penetranter Sentimentalität auf
"ihre" verlustig gegangene "Heimat. Verwunderlich - oder auch nicht?
- ist dabei, wie viele aus der 68er-Generation in den nostalgischen Chor sich einreihen.
Währenddessen beschwören die Dreisteren unter den Senioren die eingebüßte
Einheit aller Deutschen gar zu dem Zweck, die scheinbar über jede Kriegsschuld
erhabenen Grenzen von 1937 einzuklagen. Sie vermissen, wenn sie es recht bedenken,
einen allseitigen Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland. War die bedingungslose
Kapitulation nicht das gnädigste Friedensangebot, das sich ein Volk von eilfertigen
"Widerständlern" überhaupt wünschen konnte? Immerhin wurden
die Deutschen am 8.Mai 1945 von der totalen Gleichschaltung und vom totalen Krieg,
vom Hypernihilismus des Rassenkampfes und vom wahnwitzigen Kultus des Opfertodes
befreit. Ganz Europa als monolithischer SS- Staat wäre doch die horrendeste
aller Perspektiven gewesen. Daß der Kontinent heute unter der willkürlich-künstlichen
Teilung in zwei Hegemonialsphären zu leiden hat, ist - trotz der durch Stalins
Divisionen geschaffenen Tatsachen - in letzter Instanz von den Deutschen zu verantworten.
Die Nostalgiker sollten das nicht vergessen.
Bis 1871 hatten die europäischen Großmächte - spätestens seit
dem Westfälischen Frieden (1648)) - gemeinsam darauf geachtet, daß von
der geographischen Mitte Europas keine einschüchternde Drohgebärden ausgehen
konnte. Ein System der Machtbalance hatte jahrhundertelang zu verhindern gewußt,
was der "verspätete" Nationalismus schließlich doch heraufbeschwor:
die Zusammenfassung einer beträchtlichen Landmasse, einer großen Bevölkerungszahl,
einer höchst entwickelten und ausbaufähigen Infrastruktur und einer brennenden
Sehnsucht, einzig unter den Völkern dazustehen. Sich in der Mitte des Abendlandes
zu befinden, da, wo alle Wege sich gabeln, versprach, zu etwas besonderen auserkoren
zu sein. 1879 begründete ein gewisser Fritz Bley "die Weltstellung des
Deutschtums" mit schieren Superlativen: "Wir sind ganz zweifellos das
beste Kriegsvolk der Erde! (...) In sieben Völkerschlachten - im Teuteburger
Walde, auf der katalaunischen Ebene, bei Tours und Poitiers, auf dem Lechfelde -
haben wir Europas Gesittung errettet. - Wir sind das tüchtigste Volk auf allen
Gebieten und der schönen Künste! - Wir sind die besten Ansiedler, die
besten Seeleute, ja selbst die besten Kaufleute!"
Um aber seine exzellenten Qualitäten nicht nur prahlerisch zu behaupten, sondern
auch tatkräftig zu beweisen, hat der Deutsche zu kämpfen und zu triumphieren.
Gottgewollt, so Bley, seien der Kampf aller gegen alle und die Herrschaft der Sieger,
sprich des Tüchtigsten. Kein Wunder, daß die martialischen Potenzen an
oberster Stelle stehen. In stolzgeschwellten Brustton gab Werner Sombart in "Händler
und Helden. Patriotische Bestimmungen" aus dem Kriegsjahr 1915 eine Illustrierung
des deutschen Sonderbewußtseins, wie sie den offiziellen Historikern des Zweiten
und hernach des Dritten Reiches nur zu plausibel war: Im Unterschied zu den dekadenten
"Puniern" der westlichen Demokratien (Großbritanien, Frankreich,
USA) und zum despotischen und halbasiatischen Zarenreich hatte die "Kultur"-Nation
der Deutschen die virilen, kampfwilligen und kampferprobten Tugenden des expandierenden
Römischen Reiches auf ihren Banner gestickt.
Der nebulose und historisch nicht im mindesten lupenreine "Reichs"- Mythos
schlug den imaginativen Bogen von Rom zu Preußen und von der Natur - vom organisch
Gewachsenen und "blut"-voll Agonalen - zu einer übersteigerten und
aggressiven Heilserwartung. Die Ewigkeit der Natur konnte in der Hoffnung auf ein
tausendjähriges Reich, die Einheit der Natur im völkisch-nationalen Zwangsverband
und die Evolution der Natur im gnadenlosen Fortschreiten einer "reinen"
germanischen Rasse als ideologisches Muster herhalten, das singulär auf die
Deutschen hin zugeschnitten schien.
Man huldigte dem Krieg als dem schöpferischen Vater aller Dinge. "Durch
Krieg entstanden, konnte das unheilige Deutsche Reich preußischer Nation immer
nur ein Kriegsreich sein", urteilte Thomas Mann, im 1. Weltkrieg noch gegen
die vermeintliche Kulturbarbarei der westlichen Demokratien eingestellt, unmittelbar
nach dem Ende des 2.Weltkriegs über "Deutschland und die Deutschen".
Oft genug konnte man aus dem Munde Bismarcks und der preußischen Generäle
hören, daß Preußens Glanz und Glorie mit der Stärke seiner
Armee stünde und fiele. Indem Preußen das innerdeutsche Rennen 1866 gewann
und das Regiment in Mitteleuropa übernahm, wurde der offensichtlich erfolgreiche
und fürderhin erfolgversprechende Militarismus Preußens zur Schlagader
der jungen Nation. Die Einheit Deutschlands war eine Frucht der preußischen
Militärmaschinerie, Schlag auf Schlag und flankiert durch eine waghalsige Diplomatie.
Jene, nicht diese übte Zwang auf die europäischen Nachbarn aus. Bismarck
war zweifelsohne ein Meister klug berechnender Gleichgewichts- und Vertragsabsicherungsstrategie.
Doch der eherne Realpolitiker verkannte, wie sehr es dem Wesen des "Reichs"
widersprach, jemals saturiert zu sein. Nachdem der Lotse vom Bord gegangen war,
übernahmen Tölpel und Hitzköpfe das Ruder. Der Kaiser selbst wurde
von paranoiden Halluzinationen heimgesucht und gab sich - wie man heute weiß
- antisemitischen Wahnvorstellungen hin. Das Deutsche Reich von Preußens Gnaden
war keinesfalls, wie Michael Stürmer es hinstellt, eine Friedensgarantie für
Europa, die eine strikt obrigkeitsstaatliche Ordnung und einen blockierten Demokratisierungprozeß
im Inneren verlangte, sondern vielmehr ein Pulverfaß für Europa.
Das Land der Mitte, dem keine "natürliche" Grenze natürlich
genug sein konnte, huldigt der "geopolitischen Maxime, daß die innere
Souveränität in dem Maße abnehmen werde, in dem der militärische
Druck von außen zunehmen könne. Um diesem teils imaginären, teils
realpolitisch zu gegenwärtigenden Druck zu begegnen, übte das Deutsche
Reich seinerseits kräftig Druck aus, mit gewaltigen Rüstungsanstrengungen,
provozierenden Flottenbauprogrammen und ständigen Einmischungen in die Interessensphären
anderer, nach dem Motto: "Uns kann keiner das Wasser reichen." Weithin
sichtbar wurde Flagge gezeigt, um den wohlkalkulierten Preis, die ganze Nation von
Kopf bis Fuß zu militarisieren.
Bleiern senkte sich in die deutschen Hirne eine Moral, die in erster Linie der psychologischen
Kriegsführung diente. Generalstabschef Moltke, Sieger über Österreich
und Frankreich, wußte dem Krieg "in Gottes Weltordnung" eine moralische
Stifterrolle sondersgleichen abzugewinnen: im Krieg "entfalteten sich die edelsten
Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Plichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung
des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen".
Eine "tiefe" Todesmystik wohnte bereits der dem französischen Materialismus
abholden deutschen Romantik inne. "Todeslust ist Kriegergeist", faßte
es Ludwig Tieck kurz und bündig. Dieser immergleiche Kriegsenthusiasmus bereitete
den Mutterboden für den Nationalsozialismus. Die enttäuschte, um ihre
höchsten Ideale betrogene Jugend der Frontkämpfer führte den Nazis
ihre ersten Bataillone zu.
Das Sonderbewußtsein und "gesteigerte Seelentum"(Edgar J. Jung)
der Deutschen fraß sich nach der desillusionierenden bürgerlichen Revolution
1848 feisten Kummerspeck an. Fortan fand sich die parlamentarische Demokratie westlichen
Imports ab- und eine obrigkeitsstaatliche Bewältigung der inneren Modernisierungskrise
aufgewertet. Wenn schon Revolution, dann eine "von oben". Junkeradel,
Militär und Bürokratie formulierten einen plausiblen Herrschaftskompromiß.
Je buntscheckiger der deutsche Raum anmutete und je offener sich seine Grenzen nach
Ost und West darboten, desto angemessener erschien es, daß der Staat von seinen
Untertanen Gefügigkeit abverlangte. Die verherrlichte "deutsche Staatsidee",
deren Wurzeln bis zur Reformation zurückreichen, sah eine Art Volksmonarchie
vor, ein wechselseitiges, aber asymmetrisches Treueverhältnis zwischen Volk
und Führer, einen nicht "aufgeklärten", sondern zu seinen heiligen
Gralsquellen zurückgeführten Feudalismus.
Hatte sich doch das deutsche Nationalbewußtsein in der Frontstellung gegen
die Französische Revolution herausgebildet. Das "Reich" suggerierte
zugleich millenaristisches Heil, spirituelles Zentrum, Ordnungsmacht und Imperium.
Seine Ideologie verdeckte, daß das Deutsche Kaiserreich seit 1871 auf einen
Schlag mehrere Probleme zu lösen hatten, die hausgemacht waren und die es historisch
überforderten: die nationale mit der sozialen Frage abgleichen, eine hegemoniale
Rolle in Europa zu übernehmen und - übertriebene Weltmachtansprüche
zur Geltung zu bringen. Zum "Problem aller Probleme(Hermann Onckem) wurde gleichzeitig
die gefährdete Mittellage ausersehen. Die Innenpolitik mußte hinter das
Primat der Außenpolitik zurücktreten. Die antiweltbürgerliche Gesinnung
des Preußentums, allen Deutschen aufgezwungen, zehrte von der Feindschaft
gegen Frankreich, Polen und Dänemark - eine zum Teil abstruse, aber nichtsdestotrotz
in sich stimmige Logik.
Was legt die "Mittellage"-Rhetorik nahe? Sehr einfach folgendes: Wer in
der Mitte lebt, lebt gefährlich, denn er ist ringsum von potentiellen Feinden
umgeben. Als Paradigmen dienen mit Vorliebe der Dreißigjährige Krieg,
der Deutschland - das innerlich zerrissen, ausländische Mächte zu Hilfe
rief - dem Diktat Frankreichs und Schwedens auslieferte, und der Siebenjährige
Krieg des von dreieinhalb Großmächten in die Zange genommen und trotzdem
finten- und folgenreichen Preußenkönigs Friedrich II. Die Schlußfolgerungen
liegen auf der Hand, ungeachtet der besonderen historischen Gegebenheiten: größtmögliche
Einheit nach innen - unter dem Primat der Außenpolitik-, militärische
Aufrüstung und Dressur bis zum Gehtnichtmehr, militärisch-diplomatisches
Hasardspiel, vom Hoffen auf "Wunder"-Wenden ganz zu schweigen. Den ersten
Weltkrieg brach das Deutsche Reich in der Hoffnung vom Zaun, "die Mittellage
ein für allemal zu sprengen durch Hegemonie". Die Alternative hieß
nicht: Souveränität oder Bevormundetsein. Sie hieß Vormachtstellung
oder Untergang. Preußen-Deutschland zog seinen Festlandsdegen und ging unter,
nachdem der Furor teutonicus im zweiten Anlauf mit charakteristischer Gründlichkeit
geräubert, gemordet und gebrandschatzt hatte. Gemessen an den Kriegsfolgen
bleibt die "deutsche Frage" - als Produkt ihres eigenen historischen Scheiterns
- eine nicht innerhalb von ein, zwei Generationen abgegoltene Schuldfrage. Offen
bleibt allein die gesamt-europäische Frage und nicht, wie Andreas Hillgruber
sie mit neutral klingenden Worten aufwirft, die Frage der "Rekonstruktion der
zerstörten Mitte", eine Frage, über deren Absicht man mit guten Gründen
verstimmt sein kann.
Dafür, daß die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan ihre
nationalen Grenzen zu berichtigen trachteten und ihren Machtbereich "notwendig"
ausweiteten, um "nicht kampflos auf die Stufe mittlerer Staaten zurück(zu)fallen",
zeigte Hillgruber bereits 1974 bemerkenswertes Verständnis. Demnach kommen
die neokonservativen Stimmungen im jüngsten "Historiker-Streit" auf
längst Vorgebrachtes zurück, allerdings mit mächtig gesteigertem
Selbstbewußtsein. Altbekannt ist auch die Schutzbehauptung, die Alliierten
hätten es sowieso darauf abgesehen gehabt, das Deutsche Reich zu vernichten,
als hätten sie den deutschen Angriff auf Polen seelenruhig abgewartet, um ihn
als Vorwand zu benutzen zu können. In Noltes Darlegungen erscheint Hitlers
Krieg nicht zuletzt als präventive Reaktion auf den "Vernichtungswillen"
der Alliierten ("German must perish"), werden Wirkungen zu Ursachen allzu
mechanisch-simpel umgefälscht. Die Geschichtsklitterung auf die Spitze treibt
Dirk Kunert in seinem 1986 erschienen Buch "Ein Weltkrieg wird programmiert":
"Als die dramatisch inszenierte Krieg-in-Sicht- Panikmache im Januar und Februar
1939 die Gemüter in einen bisher nicht gekannten Spannungszustand versetzt
hatte, aktivierte Roosevelt das Tempo seiner psychologischen Kriegsführung
gegen das Reich. Die Gerüchte, daß Deutschland umfangreiche Aggressionsabsichten
verwirklichen wollte, waren bar jeder Substanz." So wird der von Hitler früh
geplante und stets im Auge behaltene Eroberungskrieg als Gebärde der Notwehr
gezeichnet - gegenüber böswilligen Goliathgestalten. Stalin und Roosevelt,
die Führer der beiden großräumigen Weltmächte in Ost und West,
hatten es demnach auf einen Kleinen abgesehen, der bloß sein Lebensrecht verteidigen
wollte. Das klingt wie Nazi-Propaganda im nachhinein.
Mit Hilfe der Geographie läßt sich zu guter Letzt auch wieder die - unbestreitbar
"aggressive" - Initiative des Deutschen Reiches in zwei Weltkriegen rechtfertigen.
Die verstiegene Kriegszielpolitk der Mittelmächte im 1.Weltkrieg sah die Annexion
wirtschaftlich bedeutender Territorien in Ostfrankreich und Belgien, den Anschluß
russischer Ostseeprovinzen (Baltikum) ans Reich und einen Ring von "Satelliten"(Polen,
Rumänien, Serbien) um die Wirtschaftsunion "Mitteleuropa" vor. Kein
anderer als der Liberale Friedrich Naumann - dessen Angedenken, die gleichnamige
FDP-Stiftung bewahrt - hat 1916, absichtlich während der Donnerschläge
des Krieges, ein solches "Mitteleuropa" propagiert, da das deutsche wie
das österreichisch-ungarische Kaiserreich für sich allein zu klein seien,
um "große" Politik machen (zu) können". Jene beiden Reiche
sollten den "Kern von Mitteleuropa" bilden. Was dann später mit Holland
oder der Schweiz, mit Italien oder Rumänien geschehe, werde sich erweisen.
Viel radikaler als der in wirtschaftlichen Koordinaten planende Nauman dachten die
Vertreter der nach dem 1.Weltkrieg in Mode gekommen "Geopolitik" laut
über den Zusammenhang zwischen "Lebensraum", territorialen Grenzen
und Verteidigungsfähigkeit eines Volkes nach. Karl Haushofer, der akademische
Doyeen der Geopolitik, wies unablässig auf die ungünstige wehrgeographische
Lage des Deutschen Reiches hin, beklagte die "Grenz-Tragik des deutschen Volkes"
und rief jenes goldene Zeitalter in Erinnerung, als deutsche Kaiser noch in Burgund
und im Baltikum, an der Rhone- und an der Rheinmündung das Zepter führten.
Man sieht: der geopolitisch verbrämte "Reichs-Mythos zielte eben nicht
auf völkisch-nationale Territoriallösung ab. Seiner Bestimmung nach hatte
das "Reich" keine definitiven Volkstumsgrenzen. Aus jener "Grenz-Taktik"
ließ sich eine zentrifugale Expansion in allen Windrichtungen folgern. Dafür
bot die Mittellage nur ein allzu evidentes Alibi.
Jochen Köhler: aus "Deutschland im Herzen Europas". Vom Sonderbewußtsein
in der Mittellage zur Westorientierung, In: Die neue deutsche Ideologie. Einsprüche
gegen die Entsorgung der Vergangenheit, hrg. von W. Eschhagen
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Most recent revision: April 07, 1998
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