Das grüne Band der Sympathie
Justus Wertmüller
Nationale Identitätssucht und völkische Aggressivität, Antisemitismus
und Verfolgungswohn: Die deutsche Liebe zum Islam hat eine Solidargemeinschaft ganz
eigener Art hervorgebracht
Zu den argumentativen Tricks deutscher Freunde des Islam gehört es seit jeher,
ein einseitiges Araberbild in der deutschen Offentlichkeit zu beklagen sowie auf
rassistische und eurozentrische Vorurteile hinzuweisen, die stets zu Gunsten des
prowestlichen Israels gingen. Die Warnung vor antiislamischer Gesinnung findet jedoch
in der Wirklichkeit kaum einen Anlaß, sondern ist in erster Linie Ausdruck
eines Ressentiments.
Deutsche und muslimische Ideologen haben gemeinsam, daß sie die eigenen Völker
für fremdbestimmt und finsteren Mächten ausgesetzt erklären, ihre
gegenseitige Solidarität ist eine von Sich-Verfolgt-Wähnenden. Als Deutschland
im März 96 auf Drängen der USA einen internationalen Steckbrief gegen
einen iranischen Minister erließ, der für Terroranschläge verantwortlich
ist, beschimpfte die iranische Regierung nicht etwa die deutschen Strafverfolgungsbehörden,
sondern "zionistische Kräfte", die die Deutschen dazu veranlaßt
hätten. Wenn islamistische Killerkommandos Israelis ermorden, werden die Angegriffenen
von deutschen Politikern und Kommentatoren zu Sanftmut und Friedenswillen ermahnt
- daß die Motive der Mörder dem politisierten Islam entstammen, bleibt
in der Regel unerwähnt. Noch das beste in deutscher Sprache erhältliche
Buch über den politisierten Islam (Meier: Der politische Auftrag des Islam)
bringt es fertig, Auszüge aus der Gründungscharta der Hamas abzudrucken,
ohne deren berüchtigten Artikel 7 zu zitieren. Diesem zufolge "wird der
Tag des Gerichts kommen, und die Moslems werden die Juden bekämpfen und sie
töten. Dann werden die Juden versuchen, sich hinter den Felsen und Bäumen
zu verbergen, aber die Felsen und Bäume werden ausrufen: "Moslem, hinter
mir verbirgt sich ein Jude, komm und töte ihn." Schließlich bemüht
sich Meier ja um interkulturelle Toleranz, soll heißen: Er engagiert sich
für ein islamisches Identitätsprojekt jenseits extremistischer Ausprägungen,
und damit steht er für die herrschende Politik hierzulande.
"Eine gewisse Islamisierung des christlichen Abendlandes, das nach dem Tod
Gottes den Glauben an sich selbst verloren hat, ... (kann) auch Europa nachhelfen",
meint Claus Leggewie (Alhambra, 1993). Der Kulturjournalist Ingo Arendt räsoniert
in der "Taz" vom 8.9.95: "Zwar ist das erotische Sufi-Märtyrertum,
die Freude zu sterben, um eins mit Gott zu sein, auch Vorbild für die Todesbereitschaft
fundamentalistischer Mordbanden. Wie wichtig aber eine ernsthafte Erörterung
dieser Fragen wäre, zeigt auch unsere anschwellende sozialwissenschaftliche
Diskussion um eine neue Aktualität der Askese." Die Vorstellungen der
Sufis "von der Unmittelbarkeit von Welt und Natur" seien heute wieder
attraktiv, weil sie "Indiz für die Verlustseiten des Prozesses unserer
Zivilisation" seien. Und der Bundespräsident fragt in seiner Rede zur
Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Annemarie Schimmel unschuldig:
"Ist es nicht denkbar, daß wir uns mit dem Islam so schwertun, weil er
auf tiefer Volksfrömmigkeit beruht, während wir selbst in einer weitgehend
säkularisierten Welt leben?"
Unbehagen an westlicher Rationalität, eine vermeintliche Sinnkrise und die
Sehnsucht nach Identität tauchen in allen der zahlreichen proislamischen Verlautbarungen
der letzten Jahre auf. Das Verlorengeglaubte scheint in der islamischen Welt aufgehoben
zu sein, mit der die Deutschen, so glauben sie, mancherlei gemein haben: "Arabern
und Deutschen ist dort, wo sie frei aus sich selbst leben, ein Einheitsdenken eigen,
das Weltliches und Religiöses im gesamten Leben miteinander vereinbart, so
daß Lebensbejahung und Weltzugewandtheit in einem tief im Relidösen verankerten
Dasein eine widerspruchslose, natürliche Sinneinheit bildep. ... Die beiden
großen Völker haben viele Eigenschaften und Tugenden gemeinsam. Beide
sind durch ihren kriegerischen Mut, ihre Heldenhaftigkeit und männliche Gesinnung
bekannt, und beide schätzen die Ehre und verherrlichen das Recht und die Freiheit."
Diese Erwägungen stammen von Sigrid Hunke (Kamele auf dem Kaisermantel, 1978).
In der Person dieser Erfolgsautorin manifestiert sich die Kontinuität deutsch-islamischer
Freundschaft: 1942 promovierte sie bei dem SS-Rassepsychologen C.F. Clauß,
seit mehr als dreißig Jahren schreibt sie über islamische Kulturleistungen,
nebenher ist sie Mitglied in der neofaschistische Religionsgemeinschaft "Deutsche
Unitarier und Ehrenmitglied im "Obersten Rat für islamische Angelegenheiten".
Noch 1993 empfahl Rudolf Bahro während einer Vorlesungsreihe an der Berliner
Humboldt-Universität ihre Bücher wärmstens.
Völkischer Nationalismus vs. westliche Rationalität
Die tiefe Freundschaft zwischen den Deutschen und westasiatischen Völkerschafte
setzte nach dem Ersten Weltkrieg ein. Aktivitäten wie das Bagdad-Bahn-Projekt
und de Kaiserbesuch in Palästina 1898 hatten im Ersten Weltkrieg zwar zu einer
Koalition mit dem osmanischen Reich geführt, die Mehrheit der vorderasiatischen
Völker war ab auf Seiten der Alliierten, die ihnen nationale Souveränität
versprochen hatten, in den Krieg gegen die Hohe Pforte eingetreten. Als 1919/20
klar wurde, daß England und Frankreich keineswegs bereit waren, ihre westasiatischen
Mandatsgebiete in die Unabhängigkeit zu entlassen, wandte sich die islamische
Welt praktisch und ideologisch von den Kolonialmächten ab. Seither orientier(t)en
sich islamische, besonders arabische Nationalisten am Kriegsverlierer Deutschland,
in dessen Schicksal sie das eigene wiederzuerkennen glaub(t)en.
Die Gründungsfigur des modernen arabischen Nationalismus, Sati al-Husri (1882-1968),
ist als der "arabische Fichte" in die Ideologiegeschichte eingegangen.
Mit ihm setzte die nationale Identitätssuche im Zeichen einer aus Deutschland
importierten völkischen Substanzideologie ein - in ausdrücklicher Abkehr
vom politisch-rationalistischen Begriff der Nation, wie ihn die englische und französische
Aufklärung entwickelt hatte. Nationen sind dieser Lehre zufolge biologisch
und kulturalistisch vorgeprägte Kollektive, deren Auftrag darin liege, einen
ihnen gemäßen "Volksstaat" zu gründen. Der al-Husri Schüler
Michel Aflaq (1912-1989), Gründer und Chefideologe der Baath-Bewegung, wußte
seinen Lehrer politisch zu aktualisieren, nicht zuletzt durch die Lektüre von
Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts, ein Buch, das er 1937 studierte und zwar,
wie die folgenden Ausführungen zeigen, offensichtlich mit Gewinn. 1943 hielt
Aflaq in der Universität Damaskus einen Vortrag, dessen Hauptthesen nicht nur
jedem deutschen Nazi-ldeologen aus dem Herzen sprechen müssen, sondern heute
von fast allen islamischen Ländern und Bewegungen geteilt werden: "Seit
eineinhalb Jahrhunderten sind die Araber mit dem Westen erneut verbunden infolge
des Angriffs Napoleons auf Ägypten. Dieser gewiefte Mensch hat jene Verbindung
in Gang gesetzt, indem er Flugblätter anbringen ließ, auf denen die Verse
des Koran an der Seite der Erklärung der Menschenrechte niedergeschrieben waren.
Seit jenem Augenblick haben die Araber nicht davon abgelassen, ... ihr neues Erwachen
in eine verzerrte Richtung zu lenken" (Aflaq: Ewige Botschaft der arabischen
Nation, zit. n. Meier).
Bei derart gravierenden Verzerrungen - ausgelöst vom gleichen welschen Teufel,
der schon Fichte und Arndt zur Begründung des deutschen Nationalismus anstachelte
- droht Identitätsverlust, "das heißt, daß die europäische
Kultur ihre eigene (die der Araber, J.W.) überflüssig werden läßt".
Um dem abzuhelfen, empfiehlt Aflaq einen religiös-kulturalistisch angereicherten
arabischen Nationalismus. Seine Trumpfkarte ist der Islam, der nie eine der westlichen
Religionskritik vergleichbare Beschädigung erfahren hat und damit geeignet
ist, jene Leerstelle zu füllen, die der Identitätswahn völkischer
Nationalismen immer offen läßt. Der Islam sei für die Araber "stärkster
Ausdruck der Einheit ihrer Identität, in der das Wort und das Empfinden mit
dem Denken, die Anschauung mit dem Handeln, die Seele mit dem Schicksal in Einklang
stehen". Das Mißtrauen gegen eine kritische Vernunft, mit der Nationalstaaterei
zwar teilweise begründet, noch Ieichter jedoch grundsätzlich in Frage
gestellt werden kann, führt Aflaq zur spirituellen Verbindung von Geist, Volk
und Auftrag. Zu jener Traditionslinie also, die von Fichte zu Rosenberg und weiter
über die oben zitierte Hunke zu Bahro und dem Bundespräsidenten Herzog
führt. "Es reicht nicht aus, daß die Theorien und Reformen in sich
logisch aufgebaut sind, sondern sie müssen sich organisch aus einem allgemeinsten
Geist entfalten, der ihre Quelle und ihr Ursprung ist." Das Prinzip des Ursprungs
"ist vor allem anderen spiritueller Natur: es ist der Glaube der Nation an
ihre Botschaft, und der Glaube ihrer Söhne an sie."
Freundschaft im Zeichen des Antiimperialismus
1981 zeichneten deutsche Gelehrte im Auftrag der offiziösen "Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik" das arabische Deutschland-Bild
und das deutsche Geschichtsverständnis in einem Zug: "Araber und Deutsche
waren die Hauptverlierer der Nachkriegsregelungen nach dem Ersten Weltkrieg; und
nun nach dem Zweiten befand sich Deutschland in arabischen Augen in einer ganz ähnlichen
Lage wie die Araber: seiner nationalen Einheit beraubt, in mehrere Teile zerrissen,
von fremden Mächten militärisch besetzt, politisch bevormundet und wirtschaftlich
durch Demontagen und Reparationen ausgeplündert." Zwar wird keineswegs
bestritten, daß "sich junge Nationalisten in verschiedenen arabischen
Ländern vom Aufstieg des Faschismus in Europa haben beeindrucken lassen",
bedeutsamer aber ist der Hinweis, "daß Deutschland - selbst nie als Kolonialmacht
in der Region aufgetreten - zum Befreier von britischer und französischer Herrschaft
hätte werden können" (Büttner/Hünseler: "Die politischen
Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den arabischen Staaten",
in: Kaiser/Steinbach: Deutsch-Arabische Beziehungen, 1981).
Woher diese Ideologen des Schmidt/Genscher-Außenmi nisteriums ihren Antiimperialismus
bezogen haben, belegt folgender Ausschnitt aus einem Kulturprogramm der Interradio
AG, verbreitet in arabischer Sprache über die Sender Athen, Tunis und Rom am
12. Dezember 1940: "Die beiden großen Völker haben viele Eigenschaften
und Tugenden gemeinsam. Beide sind durch ihren kriegerischen Mut, ihre Heldenhaftigkeit
und männliche Gesinnung bekannt, und beide schätzen die Ehre und verherrlichen
das Recht und die Freiheit. Außerdem sind beide Völker noch durch andere
Bande verbunden. Die Leiden und Ungerechtigkeiten, unter denen sie nach dem Ausgang
des Weltkriegs zu leiden hatten, mußten sie teilen, denn beide großen
Völker wurden in ihrer Ehre beleidigt, ihre Rechte wurden ihnen verleugnet
und mit Füßen getreten. Beide bluteten aus denselben Wunden, aber beide
hatten auch einen gemeinsamen Feind: nämlich die Alliierten, die sie zerspalteten
und ihnen keinen Anspruch auf Ehre gönnten" (zit.n. Schwanitz: Jenseits
der Legenden, 1994).
Wilhelm Döhle, deutscher Generalkonsul in Jerusalem, schrieb in einem Bericht
an das Auswärtige Amt vom 22. März 1937, daß die palästinensischen
Araber "eine große Sympathie für das neue Deutschland und seinen
Führer (zeigten), eine Sympathie, die um so höher zu werten ist, als sie
auf ideeller Grundlage ruht". Ausschlaggebend dafür sei der Umstand, daß
sie "in ihrem Kampf um ihre Existenz einen arabischen Führer ersehnen
und weil sie sich im Kampf gegen die Juden in einer Front mit den Deutschen fühlen"
(zit.n. Tillmann: Deutschlands Araberpolitik im Zweiten Weltkrieg, 1965).
Die gemeinsame Front aus Deutschen und Arabern auf antikolonialistischer, mithin
"ideeller" Grundlage ist Wirklichkeit geworden. Seit Mitte der dreißiger
Jahre forcierte Deutschland eine Nahost-Politik, die zunächst 1943 mit Rommels
Niederlage in Nordafrika endete. Die Deutschen konnten sich bei ihren arabischen
Unternehmungen breiter Unterstützung durch die arabische Bevölkerung sicher
sein, das gilt vor allem für die Palästinenser und die irakischen Faschisten
unter ihrem Führer al-Gailani.
Nach dem gescheiterten Volksaufstand der Palästinenser 1936 gegen die britische
Mandatsherrschaft erklärte der damalige deutsche Außenminister von Neurath:
"Die Bildung eines Judenstaates oder jüdisch geleiteten Staatsgebildes
... Iiegt nicht im deutschen Interesse, da ein Palästina-Staat das Weltjudentum
nicht absorbiert, sondern zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis für
internationales Judentum schaffen würde ... Es besteht daher ein deutsches
Interesse an Stärkung des Arabertums als Gegengewicht gegen etwaigen solchen
Machtzuwachs des Judentums" ("Aus Akten des Auswärtigen Amtes",
"Taz", 16.2.91). Loyalster Verbündeter aus dem "Arabertum"
war der Palästinenserführer und Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini
(1895-1974), der mit seinem gegen die Juden gerichteten Vernichtungswillen eine
nationale Tradition im arabischen Raum begründete, die vom palästinensischen
Nationalrat, der unter Vorsitz al-Husseinis am I . Oktober 1948 in Gaza tagte, bis
zur Hamas reicht. Während eines Besuchs bei Hitler erklärte Husseini am
30. November 1941: "Die Araber seien die natürlichen Freunde Deutschlands,
da sie die gleichen Feinde wie Deutschland, nämlich die Engländer, die
Juden und die Kommunisten hätten ... Die Araber erstrebten die Unabhängigkeit
und Einheit Palästinas, Syriens und des Irak und die Beseitigung der national-jüdischen
Heimat" (ebd.).
Al-Husseini stellte Hitler eine aktive arabische Kriegsbeteiligung in Aussicht,
"und zwar nicht nur negativ durch Verübung von Sabotageakten und Anstiftung
von Revolutionen, sondern auch positiv durch die Bildung einer arabischen Legion".
Die kam dann auch zustande. Insgesamt mehr als 6.000 arabische und nordafrikanische
Muslime kämpften 1943 in Tunesien für Deutschland. Über 20.000 Muslime
aus Südosteuropa, aber auch aus Kaukasien wurden zur muslimischen SS-Division
"Hanjar" (Schwert) zusammengezogen und erhielten Spezialaufgaben. Mehrheitlich
waren es bosnische Muslims, die 1943 von Husseini persönlich in Sarajevo rekrutiert
wurden (s. Enzyklopadie des Holocaust, 1993, Bd. II). Gemeinsam mit Kroaten beteiligten
sie sich nicht nur an der Vernichtung der jugoslawischen Juden, sie widmeten sich
auch der Massenliquidierung serbischer Zivilisten. Die kaukasischen Angehörigen
dieser SS-Divisionen kämpften für freie, muslimische Kaukasusstaaten,
Tschetschenien zum Beispiel. In einer Buchreihe, die für christlich-muslimisches
Verständnis wirbt, erklärte ein deutscher Mullah 1981, daß viele
Muslims in die SS eingetreten seien, "um an der Seite der deutschen Truppen
für die Befreiung ihrer bereits vom zaristischen Rußland annektierten
Heimatgebiete zu kämpfen.... Die moslemischen Soldaten in der deutschen Wehrmacht
waren ebensowenig Faschisten wie die Freiheitskämpfer in Afghanistan"
(Abdullah: Geschichte des Islams in Deutschland, 1981). Auch dem Berliner Professor
mit Forschungsschwerpunkt Vorderer Orient, Gerhard Höpp, ist es um eine "differenzierte"
Darstellung der muslimischen SS-Einheiten und ihres Gründers zu tun. Simon
Wiesenthals 1947 erschienenes Buch über al-Husseini, Großmufti - Großagent
der Achse, bezeichnete er 1994 als "emotionsgeladenes Pamphlet".
Al-Husseini ist 1945 aus Frankreich in den Nahen Osten geflohen, wo ihm noch Jahrzehnte
unermüdlichen Wirkens für die arabische Sache vergönnt waren, zum
Beispiel als langjähriger Präsident der palästinensischen Exil-Regierung.
Er war nicht der einzige, der sein Werk nach 1945 ungestört fortsetzen konnte:
Hunderte deutsche Kriegsverbrecher, vor allem SS-Angehörige, flohen wie der
Mufti in den Nahen Osten. Sie fanden nicht nur in den dortigen deutschen Gemeinden,
die zugleich rührige NSDAP-Auslandsabteilunge n waren (z.B. in Kairo und Damaskus),
tatkräftige Unterstützung, sondern mehr noch in den arabischen Nationalstaaten
und Mandatsgebieten, allen voran Ägypten, das allerlei Verwendung für
ihre Kenntnisse und Gesinnung beim Aufbau von Streitkräften, Befreiungsarmeen
und Folterzentren hatte. Stellvertretend für sie alle mag hier Gottlieb Judejahn
stehen, die Romanfigur aus Wolfgang Koeppens Tod in Rom (1954), ein Freikorps-Landser
und Judenschlächter: "Wo Judejahn befahl, war Preußens alte Gloria,
und wo Judejahn hinkam, war sein Großdeutschland. Der Sand der Wüste
war noch immer der Sand der Mark. Judejahn war verjagt, aber er war nicht entwurzelt;
er trug sein Deutschland, an dem die Welt noch immer genesen mochte, in seinem Herzen
... Auf grünem Tuch leuchtete nun rot der Morgenstern. Hier konnte man noch
Ladenhüter verkaufen, Nationalstaatstrug, Mark der Treue und Feindschaft den
Israelis, diesen immer nützlichen Brüdern, denen Judejahn auch heute wieder
Geld, Ansehen und Stellung verdankte."
Nach dem Krieg
Am 10. September 1952 wurde das Wiedergutmachungsabkomm en zwischen der BRD und
Israel geschlossen. Für alte Freunde Deutschlands ein herber Schlag. In einem
Memorandum beklagte die "Delegation der arabischen Staaten" "die
groteske Situation, daß ausgerechnet unsere Freunde zu Helfern unserer Feinde
werden wollen", und drohte Wirtschaftssanktionen an.
Wiedergutmachungszahlungen an Israel, die Westeinbindung der BRD und schließlich
Waffenverkäufe an Israel unter dem damaligen Kriegsminister F.J. Strauß
trübten die deutsch-arabischen Beziehungen nachhaltig: Islamische Staaten nahmen
diplomatische Beziehungen zur garantiert antizionistischen DDR auf, die in jeder
nationalchauvinistischen Regung der islamischen Welt ein Zeichen fortschrittlichen
Strebens nach nationaler Unabhängigkeit entdeckte.
Mit dem Sechs-Tage-Krieg erreichte die Sympathie der BRD-Deutschen für Israel
einen kurzen, aber heftigen Höhepunkt. Mit ihrer Begeisterung für den
israelischen Sieg projizierten sie ihre enttäuschten Hoffnungen auf Blitzkrieg
und Massenvernichtung auf die Opfer von damals, die nun angeblich mit den Arabern
das taten, was zuvor die Deutschen an ihnen verübt hatten. Die "Aufarbeitung"
der Verbrechen an den Juden war damit zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen,
weitere Solidarität mit Israel wurde zunehmend als Ärgernis empfunden.
1981 konnte im Auftrag der "Gesellschaft für Auswärtige Politik"
eine Erdmute Heller ein Fazit ziehen: "Die jahrelange einseitige Parteinahme
für Israel auf Kosten des Ansehens der Araber war eine falsche Form der Vergangenheitsbewältigung"
(zit.n. Kaiser/ Steinbach). Die wenigen Journalisten, "die in den Jahren vor
1973 gegen den politischen Strom schrieben, mußten innerhalb der deutschen
Medien mit Desinteresse und Widerstand rechnen. Bei mangelnder Konformität
in Sachen Israel gab es selbst nach 1973 in Rundfunkanstalten noch Versuche der
israelischen Lobby, über die Aufsichtsgremien Disziplinarverfahren einzuleiten
und damit solche Journalisten mit dem Vorwurf der mangelnden Objektivität bzw.
des Antisemitismus zu disqualifizieren."
Nach 1967 hatte zunächst die neue Linke mit ihrem unter dem Deckwort "Antizionismus"
feilgebotenen Antisemitismus mit dazu beigetragen, diese "falsche Form der
Vergangenheitsbewältigung" zu korrigieren. Das weitere taten der Jom-Kippur
Krieg, der zur allseitigen Zufriedenheit klarmachte, daß Israel besiegbar
ist, und die daran sich anschließende Änderung der deutschen Außenpolitik
unter sozialdemokratischer Verantwortung. "Die Fesselung durch das "Auschwitz-Syndrom",
der oftmals vernommene israelische Vorwurf deutscher Untreue... beeinflußten
die bundesdeutsche Politik in erheblichem Maße," resümiert ein Kinan
Jaeger in der offiziösen Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte"
(13.4.95) diesen Schwenk. Es sei dabei zu "einem ausgeprägten Konflikt
zwischen Moral- und Realpolitik (gekommen)", was "wohl zwangsläufig
zu einer sehr ambivalenten bundesdeutschen Haltung gegenüber den am Nahost-Konflikt
beteiligten Parteien" hätte führen müssen.
Wohin die moralisierende Realpolitik zielte, machte Helmut Schmidt am 30. April
1981 in der ARD klar: "Man kann nicht im Palästinenser-Konflikt der einen
Seite alle Moral zuerkennen und gegenüber der anderen Seite die Achseln zucken.
Das geht insbesondere nicht, wenn man Deutscher ist, in einer geteilten Nation lebt
und den moralischen Anspruch auf Selbstbestimmung des deutschen Volks erhebt. Dann
muß man auch den moralischen Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen
Volkes anerkennen." Menachem Begin verstand, woher der Wind weht, wenn ein
deutscher Kanzler das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser zu einer Frage
deutscher Verantwortung erhebt: "Es ist nackte Arroganz und Frechheit, meiner
Generation der Generation der Vernichtung und der jüdischen Wiedergeburt zu
sagen, daß es uns gegenüber keine, den Arabern gegenüber hingegen
wohl eine Verpflichtung gibt! Solche Worte wurden nicht vernommen, seit die Welt
gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sah, was uns in den Krematorien angetan worden
ist" ("FAZ", 5.5.81). Schmidt, mutmaßte Begin, fühle sich
anscheinend immer noch an seinen Fahneneid als deutscher Wehrmachtsoffizier gebunden.
Einen Fahneneid in Sachen Antisemitismus und völkischer Verfolgungswahn haben
sie beide abgelegt, die Deutschen und die islamischen Nationen. Jetzt, wo es Deutschland
gelungen ist, qua Wiedervereinigung ein schönes Stück Identität hinzuzugewinnen,
kann die moralische Verpflichtung, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen
und anderer islamischer Völker zu verteidigen, erst so richtig ihre Wirkung
entfalten. Vom leidigen "Auschwitz-Syndrom" ist man ohne souveränitätseinschränkend
e Siegermächte längst befreit. Gemeinsam mit islamischen Nationen gibt
man die Verantwortung für Auschwitz an diejenigen, die es befreit haben, zurück.
An der "Rampe von Srebrenica" (Freimut Duve) reichen deutsche Freunde
des muslimischen Befreiungskampfes ihren islamischen Kampfgenossen die Hand. "Es
ist eine unumstößliche Tatsache, daß das, was sich gegen die Muslime
Bosnien-Herzegowinas abspielt, eine Operation der Ausrottung darstellt, die in der
jüngeren und ferneren Geschichte einzigartig ist .. Eine Ausrottung, vor der
die Vernichtungsaktionen, die Hitler und die Abteilungen der Gestapo gegen die Juden
in aller Welt begangen haben, gering erscheinen! ... Diese Ausrottung ist systematisch
geplant in der Absicht, die Wurzeln des Islams mitsamt den Muslimen aus dem gesamten
europäischen Kontinent herauszureißen."
Nein, das ist kein Flugblatt des Dschihad, sondern ein - nach Meier: Der politische
Auftrag des Islum zitierter - Leitartikel des Reißmüllers vom Dienst
der halboffiziellen ägyptischen Tageszeitung "al-Gumburiya" vom 21.
November 1992.
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Most recent revision: April 07, 1998
E-MAIL:
Martin Blumentritt