KEIN VORBILD
In einem offenen Brief an Volker Rühe fordert der Schriftsteller Ralph Giordano,
Erwin Rommel aus der Bundeswehr-Tradition zu entfernen
Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister!
Ich schreibe Ihnen diesen Brief mit der Aufforderung, den Namen Erwin Rommel aus
dem öffentlichen Leben der Bundeswehr zu entfernen, und nenne Ihnen im folgenden
die Gründe dafür:
"Die deutsche Wehrmacht hat Italien besetzt. Wer kommunistische und anarchistische
Bestrebungen gegen die Sicherheit unterstützt, ist ein Feind seines Vaterlandes
und verfällt einer strengen Bestrafung durch ein Militärgericht nach den
härtesten Gesetzen. Kommunisten und Ihr alle, die Ihr solchen Parolen folgt,
seid gewarnt!"
So der deutsche Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Italien am 18. September
1943. Zehn Tage zuvor war der "Achsenpartner" unter Marschall Pietro Badoglio
aus der Untergangs-Allianz mit Hitlerdeutschland ausgestiegen. (Der Verfasser der
obigen Drohung, Erwin Rommel, ist bis heute Namenspatron der Bundeswehrkaserne in
Augustdorf bei Bielefeld.)
Am 23. September 1943 meldet sich der Oberbefehlshaber erneut zu Wort:
"Irgendwelche sentimentalen Hemmungen des deutschen Soldaten gegenüber
Badogliohörigen Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden sind völlig
unangebracht. Wer gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf
Schonung verloren und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt,
das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet. Diese Auffassungen müßten
beschleunigt Allgemeingut deutscher Truppen werden." (Das zur Kenntnis des
Wehrbereichskommandos Niedersachsen, in dessen Zuständigkeit die Erwin-Rommel-Kaserne
in Osterode fällt.)
Und am 1. Oktober 1943 verkündet Erwin Rommel: "Dieser Krieg ist ein totaler
Krieg. Soweit die Männer Italiens nicht mehr die Gelegenheit haben, mit der
Waffe für die Freiheit und die Ehre ihres Vaterlandes zu kämpfen, haben
sie die Pflicht, ihre volle Arbeitskraft in diesen Kampf einzusetzen." (Ob
dieser Befehl dazu beitragen wird, daß die Bundeswehrkaserne im süddeutschen
Dornstadt den Namen "Erwin Rommel" verliert?)
Dessen Wort nämlich, sehr geehrter Herr Rühe, setzte eine gigantische
Internierungs- und Deportationsmaschine in Gang, nachdem eine "Sondermeldung"
des Oberkommandos der Wehrmacht über die Vorgeschichte verkündet hatte:
"Nach kurzem, aber von unseren Truppen mit tiefster Erbitterung geführtem
Kampf wurden die italienischen Verbände zur Kapitulation gezwungen." Von
den insgesamt 1,5 Millionen Mann der italienischen Streitkräfte waren in Rommels
Befehlsbereich 416.000 Soldaten gefangengenommen worden. Tausende von ihnen, wie
auch Tausende nach einer Rommelschen Verordnung zwangsausgehobener Zivilisten der
Jahrgänge 1919-1925 wurden nach Deutschland deportiert und dort unter qualvollen
Bedingungen zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen.
Darüber, wie Entwaffnung und Zwangsaushebung vor sich gingen, schreibt Friedrich
Andrae in seinem erschütternden Buch "Auch gegen Frauen und Kinder":
"Die Befehle, die von den deutschen Generälen ohne Protest angenommen
und weitergegeben, von deutschen Offizieren und Soldaten exekutiert wurden, waren
rechtswidrig. Wer sie dennoch befolgte, handelte verbrecherisch, zumindest als Mittäter."
Und Gerhard Schreiberin "Der Zweite Weltkrieg - Militärsklaven im Dritten
Reich" über die Deportationen der Italiener: "20.000 kamen in den
Lagern um, Tausende wurden ermordet, Zehntausende verloren bei den Gefangenen Transporten
das Leben."
Diese Zitate, Herr Verteidigungsminister, sind nur Ausschnitte aus einem Konvolut
von Befehlen, Aufrufen und Direktiven, deren blutige Folgen die Führung der
Bundesmarine nicht davon abgehalten hat, einen ihrer Zerstörer den Namen ihres
Verfassers, "Rommel", zu geben.
Nachdem es Jahrzehnte gedauert hat, bis gegen die zähe Resistenz von Bundeswehrführung
und Verteidigungsministerium erst kürzlich, in ihrer Amtszeit, die nach dem
Uraltnazi Dietl und dem Kriegsverbrecher Kübler benannten Kasernen umgetauft
worden sind, darf gefragt werden, wann endlich auch der Name eines Mannes als Patron
von Bundeswehrkasernen verschwindet, der schon 1938 erklärt hatte: "Die
deutsche Wehrmacht ist das Schwert der neuen Weltanschauung." Wie wahr das
Bild!
Wie wahr, daß die Wehrmacht "Schwert" und Hauptinstrument zur Realisierung
der Welteroberungs- und Versklavungspläne in den Händen der verbrecherischen
NS-Führung war, der einzig bestimmenden Lenkungsgewalt im national-sozialistischen
Deutschland. Wie wahr auch, daß diese Wehrmacht das NS-Mordsystem mit Waffengewalt
über die deutschen Grenzen hinaus bis nach Stalingrad und Narvik, an den Nordrand
der Sahara und die Küste des Atlantiks katapultierte (ihren territorialen Eroberungen
übrigens immer hart auf dem Fuße ein Vernichtungsapparat, dessen Radius
stets identisch mit dem Radius der Wehrmachtsfront war). Wie wahr also auch, daß
die Wehrmacht an der physischen Auslöschung des immensen Opferpotentials, das
ihre Siege eingefangen hatten, selbst dann mitverantwortlich und mitschuldig gewesen
wäre, wenn die Massen-, Serien- und Völkermorde ohne ihre Beteiligung
stattgefunden hätten. Sie war aber darin tief involviert, wie nun spät,
aber überwältigend dokumentiert herauskommt.
An sich, Herr Verteidigungsminister, sollten schon solche Verstrickungen genügen,
um einen der ranghöchsten Militärs in der Hitlerwehrmacht, diesen Schrecken
Europas und der Welt, aus den Traditionskriterien einer demokratischen Armee auszuschließen,
auch ohne den Nachweis erbringen zu müssen, daß es sich um einen glühenden
Gefolgsmann Adolf Hitlers gehandelt hat. Der jedoch war jener Erwin Rommel, von
dem Propagandaminister Joseph Goebbels in der Tischrunde des "Führers"
enthusiastisch erklärt hatte, nun ausnahmsweise mal in Übereinstimmung
mit der Wahrheit: "Kaum ein General ist so durchrungen von der Wichtigkeit
des Propagandaeinsatzes wie Rommel."
Wann also, Herr Rühe, wird sich die Bundeswehr von der Ehrung eines Mannes
trennen, der nach dem 20. Juli 1944 - noch an den Verletzungsfolgen eines Tieffliegerangriffes
leidend - an seine Frau schrieb: "Zu meinem Unfall hat mich das Attentat auf
den Führer besonders stark erschüttert. Man kann Gott danken, daß
es so gut abgegangen ist."
Dazu sei, erstens, angemerkt: Was für die Menschheit, was für Europa,
was für Deutschland eine Tragödie sondergleichen bedeutet (in den nicht
ganz zehn Monaten vom 20. Juli 1944 bis zum 8. Mai 1945 fielen und starben mehr
Soldaten und Zivilisten als seit dem 1. September 1939 umgekommen waren), wurde
von Erwin Rommel ausdrücklich begrüßt.
Und zweitens: Wie vereinbart sich solches Bekenntnis mit dem angeblichen Widerstandskämpfer
und "Mann des 20. Juli" Erwin Rommel? Gar nicht, und das auch dann nicht,
wenn die Legende dafür immer wieder Rommels Selbsttötung, sozusagen kronzeugenhaft,
anführt. Da sie in diesem Punkt, wie ich finde, absichtsvoll diffus bleibt,
hier noch einmal, aufs Wesentlichste komprimiert, die nachprüfbaren Zusammenhänge:
Unter der Folter hatte der Verschwörer Caesar von Hofacker Rommels Stabschef,
Hans Speidel, der Mitwisserschaft am Attentat auf Hitler bezichtigt. In dieser gefährlichen
Situation behauptete Speidel, er habe zwar durch Hofacker von dem geplanten Anschlag
Kenntnis bekommen, sie aber "pflichtgemäß" an seinen Vorgesetzten
Rommel weitergegeben (dem er damit die Verantwortung für die eigene Unterlassung
zuschob). Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage sollte ein "Ehrenhof des
Heeres" entscheiden - in dessen Reihen langjährige Neider und Rivalen
Rommels saßen, darunter Guderian und Keitel. Die hielten den Daumen nach nach
unten. Darauf Hitlers "Alternative": Volksgerichtshof oder Selbsttötung.
Am 14. Oktober 1944 klopfte die Gestapo an die Tore von Herlingen und holte den
Feldmarschall ab - es heißt die Ledermäntel hätten das Gift gleich
mitgebracht.
Bei dem Staatsakt in Ulm schloß Generalfeldmarschall von Rundstedt, zutreffend
und makaber zugleich mit den Worten: "Sein Herz gehörte dem Führer."
So blutig-kitschig, so tragisch-verlogen kann Geschichte sein. Natürlich höre
ich schon die Einwände: Der "Wüstenfuchs" und sein "Fairer
Kampf" in Libyens und Ägyptens Sand mit den "Tommys" der (schließlich
doch siegreichen) 8. Armee des britischen Feldmarschalls Montgomery! Der ritterliche
Kämpfer von Toburk und El Alamein!
Aber wo war es denn, das "Vorbild" Rommel, als halb Italien durch seine
Mitverantwortung in Schutt und Asche sank? Ein verbrecherischer Angriffskrieg verwandelte
sich auch durch seinen erzwungenen Rückzug nicht in einen vaterländischen
Verteidigungskrieg, wie der unverwüstliche Alfred Dregger uns immer wieder
weismachen will. Und egal ob auch, wo immer Erwin Rommel befahl, ob in Italien,
in Frankreich oder als der Hitler direkt unterstellte Verantwortliche für die
"Verteidigungsmaßnahmen an der gesamten Küste gegenüber England"
- er blieb stets des "Teufels General" (in dessen Siegertroß natürlich
auch die Häscherkommandos Adolf Eichmanns mitgezogen wären, um den Juden
Palästinas ihre bewährte Obhut zukommen zu lassen).
Nein es gibt keine persönliche Integrität für den, der in solchen
Höhen einem Verbrecher so lange, so erfolgreich und so hingebungsvoll gedient
hat. Der Zweifel, der Rommel angesichts der sicheren Niederlage gekommen sein mag
und ihn veranlaßte, seine Kenntnis vom Attentat auf den "Führer"
nicht weiterzugeben, kompensiert nicht die aufgesummte Schuld.
Es ist charakteristisch, daß eine Generalität, die Herr über Leben
und Tod von so vielen Millionen Menschen war, vor dem Katastrophenstrategen in der
Wolfsschanze kuschte obwohl sie, wie Rommel, glaubte, Hitlers Krieg "besser"
führen zu können als er selbst. Aber wenn das tatsächlich geschehen
wäre - was anderes als wäre dabei herausgekommen, als Hitlers Herrschaft,
und damit auch die seines Mordsystems, zu verlängern und die Zahl der Holocaustopfer
noch weiter in die Höhe zu treiben?
Nichts, sehr geehrter Herr Verteidigungsminister, gar nichts sollte Sie daran hindern,
wie in den Fällen Dietl und Kübler nun auch der "Erwin- Rommel"-Variante
innerhalb der großen Traditionslüge vom sauberen Waffenrock der Hitlerwehrmacht"
ein möglichst rasches Ende zu bereiten.
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Giordano
Aus "Die Woche" 14. Juni 1996, Seite 12
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt