Linksradikalismus und nationaler Befreiungskampf
Der üble Streich, den Berliner Volkskrieger dem taz Redakteur Johann Legner
zur Strafe dafür spielten, daß er einen vernünftigen Artikel schrieb,
kann - anders, als viele meinen - nicht Gegenstand politischer Diskussionen werden.
Nur deshalb, weil Max & Moritz neuerdings mit &hibar;Antifaschistische Aktionsgruppen®
unterzeichnen, machen sie noch lange keine Politik. Die Frage ist nicht, ob man
Gründe hat, solche üblen Streiche abzulehnen, sondern die Frage ist die,
wie man seinen Gründen Geltung verschafft. Nicht die Motive der Übeltäter
sind von Interesse, sondern von Interesse ist, wie man sie dazu zwingen kann, sich
bei Legner zu entschuldigen und den angerichteten Schaden zu bezahlen.
Die revolutionäre Überwindung bürgerlicher Verkehrsformen setzt diese
immer voraus. Mit Demoliertrupps also, die mit der für Deutschland charakteristischen
Mischung aus Larmoyanz und Brutalität das Faustrecht der Prärie für
sich in Anspruch nehmen, um gleichzeitig laut zu klagen, daß man sie kriminallsiert
und zensiert - mit ihnen kann man nicht politisch diskutieren, sondern man muß
ihnen klar machen, daß es verboten ist und bleibt, Privatpersonen zu denunzieren,
zu schikanieren und ihnen die Scheiben einzuschmeißen. Vielleicht blieb mangels
Absicht und Entschiedenheit, die &hibar;Antifaschistischen Aktionsgruppenen®
für ihren üblen Streich zur Rechenschaft zu ziehen, die ganze Libanondiskussion
in der taz ein wenig flau - obwohl diese Diskussion Fragen zum Gegenstand haben
müßte, für welche sich aus unerfindlichen Gründen die westdeutsche
Linke seit längerem brennend interessiert, die Fragen also nach Sinn und Zweck
nationaler Befreiung, Souveränität und Identität.
Der gegen Israel oder den Zionismus üblicherweise erhobene Vorwurf ist der,
daß dieser Staat dort gegründet wurde, wo vorher andere Menschen lebten.
Die Gründungsakte aller bisherigen Gemeinwesen aber waren keine der Gerechtigkeit,
sondern stets solche der Gewalt. Sogar der Bilderbuchfrieden idyllischer Stämme
und Völker, die einträchtig und in Harmonie mit den Nachbarn das Land
der Väter nach alter Sitte bestellen, ist in der Regel ein Frieden, der auf
dem ursprünglichen Gewaltakt der Landnahme und Vertreibung anderer beruht.
Das von Nationen, Völkern, Stämmen untrennbare, weil logisch zwingend
zu ihrem Begriff gehörende Recht, zwischen sich selbst und dem Fremden zu unterscheiden,
und den Fremden als fremden Eindringling zu betrachten und zu verjagen, wenn er
sich niederlassen will - dies Recht ist nur der legalisierte und kontinuierlich
gewordene ursprüngliche Gewaltakt der Landnahme und Vertreibung.
Kein Volk erhielt seinen Platz auf der Erde zugesprochen nach Maßgabe rechtmäßiger
Besitzansprüche von einer überirdischen Instanz, sondern jedes Volk hat
sich irgendwann in der Geschichte seinen Platz mit Gewalt genommen; nicht nur aus
praktischen Gründen - weil es eine überirdische gerechte Verteilungsinstanz
nicht gibt, - sondern viel mehr noch deshalb, weil es im emphatischen Sinn kein
Exklusivrecht für Deutsche, Franzosen, Israelis geben kann, irgendein Fleckchen
Erde ausschließlich zu besitzen, und weil es ein Unrecht ist, wenn auf irgendeinem
Fleckchen Erde Menschen nicht leben dürfen, nur deshalb, weil sie Türken,
Vietnamesen, Juden oder Palästinenser sind. Das Recht auf nationale Autonomie
und staatliche Souveränität ist nur ein anderer Name für das Unrecht,
Leute zu schikanieren, auszuweisen, abzuschieben mit der Begründung, daß
sie den falschen Paß oder die falsche Geburtsurkunde besäßen, und
dieses Unrecht ist keine Verfälschung der Nationalstaatsidee, sondern ihr -
bisweilen durch die Toleranz einsichtiger Menschen freilich gemildertes - Wesen.
Der Rechtsanspruch von Menschen, Völkern, Nationen auf ein Stück Erde
ist nur ein anderer Name für den Anspruch, andere von diesem Stück Erde
zu vertreiben. In jeder feierlichen Proklamation des Existenzrechts eines Volkes
steckt die Drohung, das Existenzrecht diesem oder einem anderen Volk zu entziehen.
In Wahrheit aber besitzt der Mensch ein Existenzrecht so wenig, wie er auch kein
Recht, sich dort aufzuhalten, wo er gerade ist, oder kein Recht zu atmen, besitzt
- ganz einfach deshalb, weil weder die bloße Existenz, noch das mit dieser
Existenz verbundene Dasein auf einem Stück Erde, noch das Atmen Dinge sind,
welche unter die Rechtsverhältnisse fallen. Kein Mensch hat ein Recht darauf,
an einem bestimmten Ort zu leben, weil dieses bloße Dasein an irgendeinem
Ort kein Unrecht sein kann und deshalb keiner Rechtfertigung bedarf. Nicht weil
sie sich durch fleißige Arbeit ein Anwesenheitsrecht erworben haben, sondern
weil sie da sind, müssen alle Türken in Deutschland bleiben dürf
en. Nicht weil die Palästinenser ein Recht auf Palästina besaßen,
sondern weil sie dort waren, war es ein Unrecht, daß sie von Israel vertrieben
wurden.
Das Schachspielen mit den Gebietsansprüchen von Bevölkerungsgruppen haben
die Linksradikalen deshalb früher den Machthabern überlassen, denn nicht
die Bevölkerung stand für die Linksradikalen zur Disposition, sondern
das Produktionsverhältnis, die Machtverhältnisse, die Regierung. Ein Krieg
zwischen zwei Bevölkerungsgruppen, deren beider Ziel es ist, die jeweils andere
von einem Stück Land zu vertreiben, hätte eben deshalb die Linksradikalen
theoretisch bestätigt und praktisch ratlos gemacht. Ein solcher Krieg, wie
er zwischen Israel in der Rolle des vertriebenen Vertreibers und den Palästinensern
in der Rolle der Vertriebenen seit Jahrzehnten geführt wird, hätte die
Linksradikalen in ihrer Erkenntnis bestätigt, daß es für soziale
Probleme keine nationale Lösung gibt, jenfalls keine andere als endloses Blutvergießen
. Dieser Krieg hätte die Linksradikalen gleichzeitig ratlos gemacht, denn er
bietet keine Möglichkeit, Partei zu ergreifen, weil
1. beide Parteien dasselbe wollen: den exklusiven Besitzanspruch auf
ein und dasselbe Fleckchen Erde; die eigene Flagge, die eigene Armee, den eigenen
Staat.
2. die Entwicklung Israels nur noch einmal zeigt, daß jeder Nationalstaat,
auch dann, wenn humanitär gesonnene Leute ihn aus lautersten Motiven und mit
den besten Absichten gründen, dazu neigt, ein gefräßiges Ungeheuer
zu werden.
3. die schlimme Vergangenheit und Gegenwart Israels als Zukunftsprognose für
einen Palästinenserstaat und als Warnung vor ihm begriffen werden muß,
denn dieser Staat könnte sich von Israel nur dadurch unterscheiden, daß
seine Bewohner nicht Israelis, sondern Palästinenser heißen. Im Libanon
wurden die israelischen Truppen als Befreier gefeiert und waren die Palästinenser
verhaßt; kaum deshalb, weil sich die Palästinenser im Libanon wie freundliche,
verständige und bescheidene Gäste benahmen, wenn sie selbst die Mehrheit
hatten und die PLO die Macht; kaum deshalb, weil Palästinenser unsympathische
Leute sind, sondern deshalb, weil Menschen dann, wenn sie als Volk auftreten, im
Umgang mit Minderheiten niemals besonders zartfühlend und zimperlich sind.
4. also der nationale Befreiungskampf der PLO kein Kampf für die Abschaffung
aller Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse ist, sondern ein Kampf
für den Erwerb der Voraussetzungen, unter denen sich mit Sicherheit alle Ausbeutungs-
und Unterdrückungsverhältnisse wiederholen.
5. schließlich Linksradikale weder den Vorteil noch den feinen Unterschied
sehen können, der angeblich darin besteht, wenn Menschen nicht von fremden
Truppen massakiert werden, wie jetzt im Libanon, sondern von den Truppen des eigenen
Landes, wie in Hama, oder doch von den Truppen wenigstens verwandter Völker,
wie jetzt im Krieg zwischen Iran und Irak; weil Linksradikale nicht mit jenen Unterdrückern
nicht nur nationaler Minderheiten, sondern auch der großen Mehrheit der Bevölkerung
paktieren können, die sämtliche arabischen Regimes heute sind.
Wenn trotzdem heute militante Linke im idiotischen Konflikt zweier völkischer
Nationalismen keinen Grund zur Ratlosigkeit sehen, fast zur Resignation, sondern
eine willkommene Gelegenheit, mitzumischen, blindlings und fanatisch Partei zu ergreifen
und sich mit aller Einbildungskraft ins Schlachtgetümmel des 'nationalen Befreiungskampfes'
zu stürzen, dann hat das nichts mit Linksradikalismus zu tun, sondern mit den
bösen verschwiegenen Sehnsüchten, die im Herzen dieses Volkes schlummern.
Den Nutzen davon werden nicht die Palästinenser und den Schaden davon wird
nicht Israel haben, sondern die Leidtragenden werden die Ausländer in der Bundesrepublik
sein - dann, wenn die Deutschen den nationalen Befreiungskampf nicht mehr stellvertretend
für andere Völker, sondern bei sich selber führen, dann, wenn das
Bündnis zwischen Milltanz und Mob (&hibar;Liebe Hausbewohner, schmeißt
ihn raus®) eine realistische politische Basis bekommt.
Wolfgang Pohrt, Kreisverkehr, Wendepunkt, S. 15ff
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt