Nach 1945 hat der Nazismus in Deutschland weniger in politischer Form organisiert überlebt als im state of mind der Bevölkerung. Die neumodische Variante ist der ökologisch-tierliebende Gemütsfaschismus, die als Tierliebe getarnte Mordlust, die unter dem Namen einer Kritik eines "Spezieismus" das Gedankengut Richard Wagners und Hitlers wiederbelebt. Uli Krug hat diesem Sachverhalt einen Artikel geschrieben, den ich nicht vorenthalten möchte.

Böse Juden, liebes Vieh
Was hat Tierliebe mit Menschenhaß zu tun, und wie hängen Tierrechts-Debatte und Euthanasie-Diskussion zusammen? Eine Polemik
Die hierzulande nur allzu gern ausgestellte, exaltierte Tierliebe ist keineswegs ein Zeichen für ein besonders empfindsames Gemüt, das mit der malträtierten Kreatur mitlitte, weil es auch in dessen Leid die allgegenwärtige Degradierung alles Lebendigen zum schieren Material des Warentauschs aufspürte. Ganz im Gegenteil gehört diese Tierliebe, die sich in deutschen Sprichwörtern, denen zufolge Tiere doch die besseren Menschen seien, mitteilt, zu den Grundzügen der autoritären Persönlichkeit und ihres "Zwangs-, Neid- oder Strafsyndroms" (Pohrt) - wie der Schäferhund zum Führer.
Mit einer prominenten Ahnenreihe, die den militanten Vivisektionsgegner Richard Wagner ebenso einschließt wie die Biodynamiker Rudolf Steiner und Heinrich Himmler, teilt das tierliebe Massenbewußtsein der BRD in den 90er Jahren ein und dasselbe Ressentiment - ein Ressentiment, das sich im Namen der Natur, sprich eines naturgemäßen Lebens, gegen die verderbte, naturferne, abendländische Zivilisation aufzulehnen meint. Was diesem Bewußtsein als unverrückbare Naturgesetzlichkeit vorkommt, der die menschliche Gesellschaft sich wieder zu unterwerfen habe, ist in Wahrheit aber das gesellschaftliche Zwangsverhältnis selber. Dieser Zwang, der den ihm Unterworfenen das Uberleben nur als realisierte Ware Arbeitskraft gestattet, wird zur unhinterfragbaren Naturnotwendigkeit, zum ewigen Kampf ums Dasein, fetischisiert. Das Bild des Tieres in der gesellschaftlichen Mythologie veränderte sich in diesem Prozeß radikal.
Horkheimer und Adorno haben das sehr eindringlich in der Dialektik der Aufklärung beschrieben: Früheren Kulturen erschien es stets als "Verdammnis ..., in einen Tierleib gebannt zu sein": Das Tier verkörperte dabei das Leid, aus dem kein Weg führt, "das Dasein ohne Licht der Vernunft", denn "die Welt des Tieres ist begriffslos" und damit "aufs vital Vorgezeichnete beschränkt". Gegen diese Beschränkung lehnte sich ursprünglich menschliche Vernunft auf, deren Wesen darin besteht, Bewußtsein von der Veränderlichkeit des vital Vorgezeichneten entwickeln zu können, um die Naturverfallenheit des Menschen zu lindern, wenn nicht aufzuheben. Doch schon in der Rede der frühen Aufklärung davon, daß der Mensch der Wolf des Menschen sei, verschiebt sich das Bild vom Tier: Der Vernunft, die sich allein in den Dienst des Warentauschs stellt, wird das Tier zur negativen Utopie. Seiner vorgezeichneten Natur unterworfen, bildet es nun das Role-model für das blinde Unterworfensein unter den Umschlag der Waren, der alles und jeden zum Material für seinen vernunftlosen Selbstzweck macht. Dieser Selbstzweck allein bestimmt, wer jagt und wer gejagt wird, wer lebt und wer stirbt: So wird "die ganze ausgetüftelte Maschinerie moderner Industriegesellschaften bloß Natur, die sich zerfleischt" (Horkheimer/Adorno). Je mehr sich der gesellschaftliche Schrecken der universalen Konkurrenz aller gegen alle dem archaischen Schrecken des "survival of the fittest" anähnelt, desto höher steigt die Natur und ihre Verkörperung im Tier in der Achtung der Ideologen. "Unschuldig" und seiner "natürlichen Bestimmung" angepaßt, exekutiert es seit Jahrmillionen die Ausmerzung der Schwachen und Uberflüssigen: "Voraussetzung der Tier-, Natur und Kinderfrommheit des Faschisten ist der Wille zur Verfolgung" (Horkheimer/Adorno).
Wen wundert es da, daß in W.Pohrts Untersuchung über das Massenbewußtsein in der BRD (Der Weg zur inneren Einheit, Hamburg 1991) der Satz, daß Tierquälerei strenger bestraft werden sollte, von den Befragten nicht nur über alle sozialen und kulturellen Unterschiede hinweg allgemein geteilt wurde, sondern auch am höchsten mit dem Satz korrelierte, demzufolge der "Zuwandererstrom" aufhören müsse. Nicht zuletzt hat sich eine ökopazifistische "Linke", die mit Vorliebe auf das hörte, was die Bäume ihr flüsterten, um die neuerliche Salonfähigkeit dieser - im wahrsten Sinne des Wortes - bestialischen Reflexe fetischistischen Bewußtseins verdient gemacht (so räsonierte beispielsweise bereits in KONKRET 10/88 ein Autor, von dem noch zu sprechen sein wird, angesichts von Robbenbabys und Pandabären über die "Notwendigkeit des sanften Verschwindens der Menschen von der Erde"): Der sich lange Zeit "links" gebende Geisteszustand, der die Kritik der Politischen Ökonomie zugunsten sogenannter Ökologie verabschiedete, der sich auf Kirchentagen und Ökocamps dem völkischen Erlösungsschmachten anschloß, und der die urdeutsche Lebensreform von Monteverita über Birkenstock bis zur Steinerschule wieder ausgrub, entdeckt folgerichtig in Zeiten, in denen der Weltmarkt in zuvor ungekanntem Ausmaß nicht mehr verwertbare Menschen ausstößt, sein Herz für Tiere.
Nicht mehr nur in einschlägigen Tierrechtscafes und im autonomen Blättchenwald jedoch treiben Veganer und Tierrechtler ihr Unwesen. Das liberale Feuilleton öffnet bereitwillig seine Pforten notorischen, zum Tierrecht sich bekennenden Betroffenheitsschreibern. Nicht fehlen darf dabei natürlich der Prototyp des sanftmütigen Dissidenzkatholiken, Eugen Drewermann. Sein "Plädoyer für eine neue Ethik, die den Menschen nicht zum Maß aller Dinge erhebt" ("Zeit", 2.8.96), kämpft auf zwei Ebenen gegen die Auflklärung an: "Ökologisch" gegen "die Isolation des Menschen von der ihn umgebenden Natur" und "psychologisch" gegen "die Isolation der Vernunft vom GePühl". Ein Programm also, das mit professionell sanfter Rhetorik fordert, menschliche Gesellschaft mit der Invarianz des Naturkreislaufs in eins zu setzen und zugleich auf die Vernunft zu verzichten, die diese Gleichsetzung als unreflektierte Naturalisierung der Herrschaft des Tausches über die Menschen entlarven könnte. So sind für Drewermann "bestimmte finanzstarke Sondergruppen der menschlichen Spezies" - früher nannte man diese noch unverblümt "jüdische Finanzaristokratie" - am "Artenegoismus" schuld, der dafür sorgt, daß "naturwidrig" und gegen jede "Artgerechtigkeit" dem der Scholle verhafteten Kleinbauern und seinen "fröhlichen Kälbern" durch Massentierhaltung die Existenzgrundlage entzogen wird.
Den größten Beitrag zur "Umweltzerstörung" und damit zum Leid der Tiere aber schreibt Drewermann in schlechter alter ökologischer Tradition der "Uberbevölkerung" zu: Die Perfidie des Tierfreundes, der nach dem Bild des nichtproduzierenden Tieres und seines im vorab festgelegten sogenannten Nahrungsspielraumes auch das Verhältnis des Menschen zu seinen von ihm proten Ressourcen festlegt, vermag da, wo Unterverteilung herrscht, nur Überbevölkerung erkennen. Diese "neue Ethik", die salbungsgsvoll - auf den Ökopaxjargon schielend - "die Integration des Menschen in die Natur fordert", kann "im Kampf gegen die Gefahr der Menschheit, gegen die Überbevölkerung", nur so ausfallen: Wo 90% des Zuwachses auf die Entwicklungsländer entfallen" und nach Drewermanns Meinung sowieso jedes "Problem des menschliichen Daseins", wie "Krieg und Kriminaliät" oder "Familiengründung und -aufzucht" auf das "Echo aus 250 Millionen Säugerentwicklung in den en des Zwischenhirns in unseren Köpfen zurückführe, wäre im "sittlichen" Recht derjenige, "der ernsthaft verlangen wollte, es weniger Menschen geben, auf daß Schimpansen, Kattas und Warane ... eine zum Überleben behielten".
Während Drewermann unter Verwendung von baskischer Lyrik und Albert Schweitzer darumherumredet, daß seine Sorge ums Getier nur der maskierten Mordlust des Marktsubjektes an allen, die ihm seine eigene potentielle Uberflüssigkeit vor Augen führen ("Uberbevölkerung der dritten Welt") geschuldet ist, werden andere aus dem "kritischen" Spektrum deutlicher. Der Schriftsteller Hermann Peter Piwitt verzichte in der "Süddeutschen Zeitung" vom 13. April 96 auf jegliche pastorale Schleimigkeit - und auf seine eigenen pseudo-antikapitalistischen Phrasen von 1988. Denn er war es der in KONKRET 10/88, wie bereits erwähnt, die Menschheit verschwinden lassen wollte und im Sozialismus "die Chance einer ökologischen Erziehungsdiktatur" sah. Wo Drewermann betulich auf 250 Millionen Jahre tierisches Zwischenhirn verweist, greift Piwitt ohne Zaudern in die Kiste reaktionärer Populärwissenschaft, die mit der Bezeichnung des Menschen als "Killeraffen" gesellschaftliche Konflikte schon immer als ewiges und notwendiges Produkt eines natürlich-angeborenen Aggressionstriebs erklären wollte. Und statt von den Möglichkeiten der Warane an der Seite einer dezimierten Menschheit zu schwärmen, läßt er seinen eliminatorischen Gelüsten gänzlich freien Lauf; deshalb auch bringt Piwitt einen Mann ins Spiel, dessen Erwähnung Drewermann tunlichst vermeidet - Peter Singer. Für dessen "praktische Ethik", die versucht, "Grenzen zu bestimmen, zwischen unverzichtbarem und verzichtbarem Leben", haut Piwitt die Faust donnernd auf den Stammtisch: "Denn so gründlich er (Singer, U.K.) die aristotelischjüdisch-christliche Tradition der Tierverachtung aufdeckt und kritisiert, so moderat, so angelsächsisch-pragmatisch ist er in seinen praktischen Konsequenzen. Er fordert nicht, was immerhin bedenkenswert wäre: die Halbierung der Bevölkerungszahl (!) in unseren überbevölkerten Verschwenderländern."
Hat Drewermann noch das schändliche Wirken der "finanzstarken Sondergruppen" und die "Gefahr der Uberbevölkerung" getrennt, so verbindet Piwitt umstandslos die beiden Hauptingredienzen der antisemitischen Tierliebe: einerseits das Verharren im Bewußtseinsstand eines bösartigen Kleinbauern, der noch nicht gemerkt hat daß seit Jahrhunderten bereits ein Mehrprodukt erzielt wird und nicht etwa konstant große Vorräte durch zu starke Vermehrung zu schnell aufgezehrt werden, und der, statt sich beispielsweise die Frage zu stellen, wieso die Butterberge der EG in Kühlhallen vor sich hinranzen, lieber die halbe Menschheit umbringen möchte (1988 hätten's auch noch etwas weniger Menschenopfer getan: "Wie denn wohl einer ... sich plötzlich mit der Entscheidung betraut sieht, entweder die letzten Fischotter oder zehntausend Menschen zu retten. Ernst sehe ich ihn abwägen: Was von beiden ist seltener, schutzbedürftiger, unersetzlicher, reicher an Talenten und weniger gemeingefährlich?"); andererseits die tierethisch sich gebende Wahnvorstellung des stets Konfusion verbreitenden ewigen Juden der die im Einklang mit der Natur sich befindende arische Welt durch die Verlockungen des Geldes und des Fleischverzehrs aus ihrer artgemäßen Ordnung brachte.
Das, was Wagner, Hitler, die Anthroposophen und heutige nordisch-religiöse Ökoromantiker wie Baldur Springmann und Henning Eichberg eint, taucht als Kampf gegen einen "zweitausend Jahre lang religiös betonierten Rassismus der Menschenart" in zeitgenössischer Diktion von Singer auch als "Speziezismus" bezeichnet - wieder auf. Das Beharren auf der Rückkehr zur sogenannten natürlichen Ordnung - ideologisches Abziehbild des kapitalistischen bellum omnium contra omnes -, für die das gesunde Tier steht, das seiner Bestimmung "Jagen und Gejagtwerden" nachkommen muß, schließt stets die Mentalität des Vernichters des Unnatürlichen - des Kranken und rassisch-genetisch Minderwertigen - ein: "The bizarre world of Germany", in der, wie Daniel Goldhagen mit äußerstem Befremden festhält, als "moral imperative" galt, Kühen bei Viehtransporten genügend Raum im Waggon zu gewähren, während man beim nächsten Wagen kaum die Tür noch schließen konnte, weil er übervoll mit Juden gestopft war, war Konsequenz solcher Tierliebe. Wie sehr man auf den Ressentimentzusammenhang, der zwischen dem bösen Juden und dem lieben Vieh besteht, in Hinsicht auf die Öffentlichkeit baute, zeigt nicht zuletzt der NS-Hetzfilm "Der ewige Jude", dessen Schlußsequenz, quasi als Gipfelpunkt der Verwerflichkeit, minutiös die Schächtung eines Kalbes vorführt.
Nun wähnen sich aber die deutschen Speerspitzen des Antispeziezismus zu Unrecht des Faschismus verdächtigt. Von Alice Schwarzer über Piwitt bis zur Gruppe "Linkswende" und ihrer Zeitschrift "Novo" werden sie nicht müde zu betonen, daß Singer, der Autor von Animalliberation und damit geistiger Ziehvater der Bewegung, von aus Deutschland geflüchteten Juden abstamme und daß deshalb die wahren Faschisten diejenigen seien, die Auftritte des Tierrechtlers und Euthanasiebefürworters Singer zu verhindern suchten. Diesen absurden Umkehrschluß untermauern die Singer-Fans regelmäßig mit dem Hinweis, daß Linke und Behindertenorganisationen schließlich bei ihrer "intoleranten" Kampagne reaktionären Lebensschützern zugearbeitet hätten: Wer gegen Singer sei, halte es mit dem Erzbischof Dyba, schallt es sinngemäß aus jeder dritten Ausgabe von "Emma".
Tatsächlich ist der Widerspruch zwischen Lebensschutz und Kindermord nur ein scheinbarer, denn an Mordlust fehlt es speziell altvölkischen und neurechten Lebensschutzhardlinern keineswegs. Betrachtet man beispielsweise den "Weltbund zum Schutze des Lebens", die erste deutsche Organisation, die sich "Umweltschutz" auf die Fahne geschrieben hatte, so fällt bereits beim Blick auf die Namen ihrer Unterabteilungen, wie der vom Neonazi Jürgen Rieger geleiteten "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung", auf, daß den Lebensschützern die Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben, die auch Singer umtreibt, bestens geläufig ist. Da beider Weltbilder vor Biologismus nur so strotzen, stimmen ohne jeden Zweifel die braunen Lebensschützer mit den Tierfreunden ebenfalls darin überein, daß etwas gegen die sogenannte Uberbevölkerung getan werden müsse. Der Unterschied besteht einzig und allein im klassischen Rassismus, dem die famosen Lebensschützer frönen: Während die rechten Ökologen sich um die Aufzucht der höherwertigen arischen Rasse sorgen, Uberbevölkerung also als zahlenmäßig ungünstige Relation zwischen hochwertigem und minderwertigem Menschenmaterial begreifen, kennt der "pragmatische" Utilitarist Singer keine rassischen Unterschiede beim überschüssigen Biomaterial (obwohl auch er als Metropolenbewohner Afrika meint, wenn er "Problem des Bevölkerungswachstums" sagt: "Wenn die Leute dort nicht so viele Kinder hätten, wären wir der Lösung des Hungerproblems einen Schritt näher"; "Novo", Juli/August 96).
Noch unsinniger aber ist der Konter, mit dem Cornelia Filter in "Emma" 2/94 gegen das "Rede- und Publikationsverbot", welches "die Fortschrittlichen" über den "provozierenden Singer" verhängten, aufwartet: Sie, die Fortschrittlichen, könnten den Ethiker nur zum "Nazi aufbauen", indem sie "gänzlich seine Bedeutung für die internationale Tierbefreiung" ignorierten. Eines dieser tierliebenden Hauptverdienste, das die Emmas so richtig auf den Geschmack brachte, war das von Singer initiierte "Great Ape Project" mit der Forderung, die "Gemeinschaft der Gleichen" um die Menschenaffen zu erweitern. Menschenrechte für die Großen Menschenaffen - so der Titel des u.a. von Singer herausgegebenen Sammelbandes - fordert "Emma" voll Sensibilität und Mitgefühl. Da warb in "Emma" 6/94 dann auch die Affenforscherin Jane Goodall, bekannt aus der "Bunten" sowie aus Funk und Fernsehen, für eine Menschenrechtsdeklaration (das Kernstück des "Projects"), die ebenfalls in derselben Nummer abgedruckt war und der sich "frau" per Unterschrift gleich anschließen konnte. "Der Schimpanse, der Gorilla und der Orang-Utan ... haben geistige Fähigkeiten und ein emotionales Leben, die hinreichend sind, ihre Einbeziehung in die Gemeinschaft der Gleichen zu rechtfertigen", steht in dieser Deklaration zu lesen; und daß dies "ein Augenblick (ist), da aus eben der westlichen Gesellschaft, die ihre Herrschaft so unerbittlich ausgedehnt hat, eine rationale (!) Ethik hervorgegangen ist, die die moralische Bedeutung der Zugehörigkeit zu unserer eigenen Spezies in Frage stellt".
Den Rückfall der Vernunft in den blinden Kreislauf, in dem Verwertung und Natur identisch scheinen, bezeugt die Debatte um die Menschenrechte der großen Affen wie keine zweite. Bei der Biologin Goodall ist diese sekundäre Naturverfallenheit der Vernunft, die ihr ureigenstes Mittel, die Sprache, völlig verachtet, bereits zur degoutanten Vollendung gediehen: Nur in einem Nebensatz erwähnt sie noch, daß Schimpansen bloß "nicht sprechen können", sich ansonsten aber - außer um 1 lächerliches Prozent DNA - nicht von den afrikanischen Sklaven der Neuzeit unterschieden. Gleichheit dessen, was ein Gesicht trägt, wird nicht mehr durch die in Sprache - ob geschrieben oder gesprochen - liegende Potenz des erkennenden Bewußtseins bestimmt, sondern durch die potentielle Fähigkeit, stumpfsinnigste Industriearbeit verrichten zu können. Singer zustimmend zählt "Emma" 4/94 folgende Kriterien auf: Ein Schimpanse benutzt Werkzeuge, erlernt die Anfangsbegriffe der Taubstummensprache und ist fähig, aus eine r wechselnden Anzahl von Gegenständen immer den mittleren herauszugreifen. Vergessen wurde hier nur, daß er vermutlich auch fähig ist, eine Stempelkarte in die Stechuhr einzuführen.
Bei der "rationalen Ethik", von der in der erwähnten Deklaration die Rede war, handelt es sich also um eine Ethik der industriellen Rationalisierung. Mit diesem Manöver wird die Grenze zwischen Mensch und Tier als durch Vernunft, d.h. Bewußtwerdung, komplexe Kommunikation und Wissenskumulation bestimmte aufgehoben und die Rechtsgemeinschaft nur durch die zumindest potentielle industrielle Verwertbarkeit ihrer Mitglieder bestimmt. Dieser Imperativ bestimmt bei Singer die Grenze zwischen "personalem", erhaltenswertem Leben und "nicht-personalem", zur Vernichtung freigegebenem Leben. Daher rührt auch sein Insistieren auf den Menschenaffen, das Primat der Primaten: Die Wal- und Delphinbegeisterung teilt zwar zweifelsohne das tierrechtelnde Ressentiment gegen die Vernunft mit Singer, verfehlt aber den Praxisbezug der Euthanasie, der durch die virtuelle industrielle Potenz der Affenhand hergestellt wird.
"The Great Ape Project" entpuppt sich als das, was man bei der Autorenschaft Singers und Konsorten sowieso vermuten mußte: als Tateinheit von Tierrecht und Euthanasie. Diese streift so das ihr zu eng gewordene historische Korsett des Nationalsozialismus ab, um die Mordlust "pragmatisch" zu verallgemeinern. Der sich mit Verweis auf die Fähigkeiten von Menschenaffen legitimierenden "rationalen Ethik" geht es nicht mehr so sehr um die Züchtung wahnhaft bestimmten Volks und Rasse, sondern nur noch um die nun schrankenlose, ebenso wahnwitzige Bestimmung von Verwertbarkeit oder Nichtverwertbarkeit des ihr anheimfallenden Menschenmaterials. Singer und die Gilde der Bioethiker sind nur dann keine Nazis, wenn man sich diese nur als "Stürmer"-lesende Stammtisch-Antisemiten vorstellen kann. Seinesgleichen stellt vielmehr die Weiterentwicklung des bevölkerungsplanenden, kühl-rationalen Typus' "Vordenker der Vernichtung" dar, der sicherlich über den "Stürmer"-Pöbel die Nase rümpfte, der aber deshalb um so mehr das verkörpert, was bereits Goethe im Faust befürchtet hatte: "Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein."
Die Verdoppelung des Wahns in hie Strategen und da Sturmabteilungen kennzeichnet allerdings auch den postnazistischen, ökologisch- tierlieben "Gemütsfaschismus" (Pohrt). Im wohlanständigen Feuilleton, im feministischen Magazin oder in einer liberal-linken Kleinzeitschrift kocht ein jeder mit dem Versuch, die Grenze zwischen Mensch und Tier aufzuheben noch sein eigenes Süppchen: Dienen sich die Drewermanns und Piwitts als ökologische Stichwortgeber globaler "Bevölkerungspolitik" an, so betreibt die Differenzfeministin, iniem sie sich ihrem Kätzchen gleichmacht, die ang ersehnte Regression aufs scheinbar bioogische Substrat, und der "Novo"-Redakeur darf sich wieder politikfähig-nahe beim lolk wähnen, wenn er die Diskussion der ~uthanasie deswegen fordert, um sich selbst inzureden, daß "die Bevölkerung der >volksriologischen Reinigung< keine Symphatien bgewinnen konnte" ("Novo", Juni/August 96). Blank und ohne strategischen Uberau hingegen tritt die innere Motivation, mit er sie alle an der "Selbstzerstörung der Auflärung" (Horkheimer/Adorno) arbeiten, der um sich schlagende Vernichtungswille des tischistischen Marktsubjekts nämlich, bei der veganen "straight edge"-Bewegung zutage. Das 1995 in Deutschland nachgedruckte vegane Kultbuch A Declaration Of War. Killig People To Save Animals And The Environnment eines gewissen "Screaming Wolf" spricht Klartext: "Liberators firmly believe e best thing that could happen to the Earth and all of its non-human inhabitants is that human societies come to an end, along with all people. Human caused destruction to the environment and to other creatures would end. The tyranny of humankind would be over. That is a cause for which liberators would gladly martyr themselves."
"Es lebe der Tod" und "Nieder mit der Intelligenz" hatten Francos Bataillone sich auf die Fahnen geschrieben, als sie in ihre Blutbäder zogen. Heute sind dies die Losungen der Tierrechtler und Animal-Liberators.
Uli Krug in Konkret 9/96

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Most recent revision: April 07, 1998

E-MAIL: Martin Blumentritt