Judenvernichtung: Die Zahl der Opfer
Beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß gaben enge Mitarbeiter Adolf
Eichmanns, des für die Deportation der Juden aus ganz Europa in die Vernichtungslager
zu ständigen Mannes im Berliner "Reichssicherheitshauptamt", zu Protokoll,
die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus betrage zwischen 5 und
6 Millionen. Forschungen der Historiker und Ermittlungsergebnisse der Juristen aus
zahlreichen Prozessen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen haben diese
Größenordnung des Völkermordes bestätigt.
Freilich ist es nicht möglich, eine absolute Zahl mit mathematischer Exaktheit
anzugeben. Diese Tatsache benutzen Rechtsextreme und Neonazis seit Jahrzehnten dazu,
die Dimension des Holocaust zu verharmlosen, zu verkleinern oder ganz zu leugnen.
Zum "Beweis" dienen statistische Tricks angebliche Erklärungen des
Internationalen Roten Kreuzes oder der UNO und immer wieder neue Anstrengungen,
mit denen die technische Unmöglichkeit der Massenvernichtung in Auschwitz und
den anderen Vernichtungslagern nachgewiesen und die tatsächlichen Beweise als
gefälscht erwiesen werden sollen (siehe Auschwitz-Lüge). Die älteste,
aber bis zur Gegenwart immer wieder zitierte "Quelle" zur Verharmlosung
des Völkermordes ist eine aus den frühen Nachkriegsjahren stammende angebliche
amtliche Feststellung des Roten Kreuzes, nach der es insgesamt im NS-Staat höchstens
300000 Opfer rassischer, religiöser und politischer Verfolgung gegeben habe.
Die erst in Schweizer Zeitungen, dann unter deutschen Rechtsextremisten verbreitete
Angabe ist eine Erfindung von interessierter Seite, wie aus der Stellunguahme des
Internationalen Komitees vom Roten Krenz gegenüber dem Institut für Zeitgeschichte
in München vom 17. August 1955 hervorgeht. Die Veröffentlichung dieses
Sachverhalts störte die weitere Verbreitung der unsinnigen Zahl nicht. Zehn
Jahre später, am 11. Oktober 1965, distanzierte sich das Rote Kreuz abermals
entschieden: "Wir möchten eindeutig klarstellen, daß das Internationale
Komitee vom Roten Kreuz in Genf überhaupt nichts mit diesen Behauptungen zu
tun hat. Die Statistiken über die Kriegsverluste und die Opfer politischer,
rassischer oder religiöser Verfolgungen fallen nicht in sein Zuständigkeitsgebiet
und haben nie dazugehört. Selbst wenn es sich um Kriegsgefangene handelt (die
seit 1929 durch ein internationales Abkommen geschützt sind und für die
wir wie Sie wissen, einen Zentralen Suchdienst besitzen). wagen wir keine Zahlen
zu nennen, da wir uns wohl bewußt sind daß wir nicht im Besitze sämtlicher
Auskünfte betreffend diesen Personenkreis von Kriegsopfern sein können.
Um so mehr sind wir verpflichtet, uns jeglicher Schätzung zu enthalten, wenn
es sich um Zivilpersonen handelt, die zu jener Zeit durch keinerlei Konvention geschützt
waren und sich somit der Aktion des Roten Kreuzes fast vollständig entzogen."
Einige Jahre später setzte ein Neonazi die Behauptung in Umlauf, die UNO habe
die jüdischen Verluste mit insgesamt 200000 beziffert. Auf Nachforschungen
des Instituts für Zeitgeschichte antwortete die Vertretung der Bundesrepublik
bei der UNO am 1. August 1974, daß die "erwähnte Zahl von 200000
jüdischen Opfern des NS-Regimes mit Sicherheit nicht auf Feststellungen der
Vereinten Nationen beruht".
Die Unmöglichkeit, eine absolute Zahl exakt zu bestimmen, wird von den Rechtsextremen
auch als Beweis genommen für die Unfähigkeit der Historiker beziehungsweise
für politische Absicht. Tatsächlich liegt das Problem unter anderem darin,
daß ein großer Teil der Ermordeten nicht namentlich registriert wurde;
das gilt sowohl für die Massaker der "Einsatzgruppen" auf dem Territorium
der Sowjetunion (siehe Babi Jar) als auch für den Massenmord durch Giftgas
in den Vernichtungslagern Auschwitz, Treblinka, Maidanek, Chelmno usw., ebenso für
die Pogrome an rumänischen Juden, denen wie den Massenerschießungen in
Serbien Menschen in der Größenordnung von Hunderttausenden zum Opfer
fielen.
Trotz der teilweise schlechten Quellenlage hat die historische Forschung anhand
der Korrespondenz und Berichterstattung der SS selbst, mit Hilfe von Deportationslisten
und Zeugenberichten zweifelsfreie Beweise erbracht, denen zufolge die Zahl der jüdischen
Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft weit über 5 Millionen liegt. Rechnet
man die in Ghettos und Lagern aufgrund der Verhältnisse (Hunger, sanitäre
Zustände, Entbehrung, Verzweiflung usw.) ums Leben Gekommenen, die Selbstmorde,
die an den Folgen nach der Befreiung Umgekommenen dazu, so überschreitet die
Zahl der Holocaust-Opfer mit Sicherheit die 6-Millionen-Grenze.
Gesicherte Minimalzahlen für die einzelnen Länder unter nationalsozialistischer
Herrschaft nach neuesten Forschungsergebnissen des Instituts für Zeitgeschichte:
Deutsches Reich 165.000, Österreich 65.000, Frankreich und Belgien 32.000,
Niederlande 102.000, Luxemburg 1200, Italien 7.600, Griechenland 60.000, Jugoslawien
55.000 bis 60.000, Tschechoslowakei 143.000, Bulgarien 11000, Albanien 600, Norwegen
735, Dänemark 50, Ungarn 502.000, Rumänien 211.000, Polen 2.700.000, Sowjetunion
2.100.000-2.200.000.
Wolfgang Benz, in Legenden Lügen Vorurteile
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Most recent revision: April 07, 1998
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