Rechtfertigung des NS-Staates

Alle Anstrengungen, den historischen Nationalsozialismus zu rehabilitieren, um damit modernisierte Varianten dieser Ideologie gesellschaftsfähig zu machen, stoßen auf das Hindernis seiner moralischen Kompromittierung durch den von ihm ausgelösten Weltkrieg und die in seinem Zeichen verübten Verbrechen. Aus diesem Grund werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung mit großer Hartnäckigkeit und erheblichem materiellem Aufwand angefochten, um eine den Nationalsozialismus freisprechende Meinung zu verankern. Diese meist über "graues Schrifttum" verbreitete Entlastungspropaganda stützt sich auf Abhandlungen einer Gruppe von überwiegend nicht wissenschaftlich ausgebildeten Historikern, die in apologetisch-rovisionistischer Absicht gegen die Forschungsergebnisse der Fachwissenschaft Position beziehen.
Zu den immer wieder abgehandelten Themen dieser Tendenzgeschichtsschreibung zählen: Kriegsschuldfrage, Leugnung und Verharmlosung der dem NS-Regime vorgeworfenen Verbrechen gegen Menschlichkeit, Völkerrecht und Kriegsrecht, Verherrlichung der Deutschen Wehrmacht und Kritik der europäischen Nachkriegsordnung. Im allgemeinen konzentriert sich die historische Betrachtung auf Politik- und Kriegsgeschichte; es dominiert der ereignisgeschichtliche Zugang. Als Triebkräfte der historischen Prozesse werden fast ausschließlich einzelne Personen Hitler, Churchill, Roosovelt, Stalin usw. - angegeben, denen entsprechend dem ideologisch bestimmten FreundFeind-Schema jeweils ausschließlich gute oder böse Absichten unterstellt werden. Was sich aus diesen personalisierenden Erklärungen nicht begründen läßt, wird häufig mit nebulosen Verschwörungstheorien abgestützt, nach denen das nationalsozialistische Deutschland Ziel und Opfer von Weltverschwörungen der Juden, Kommunisten, Freimaurer usw. gewesen sei.
Charakteristisch für die apologetische Geschichtsschreibung sind Darstellungen, in denen die Geschichte wie ein "Steinbruch" ausgebeutet wird, um mit aus dem Zusammenhang gerissenen Einzelfakten, oft unter Mißachtung des chronologischen Ablaufs, ein dem Propagandaziel entsprechendes Geschichtsbild zu montieren. Dabei werden entscheidende Fakten und Zusammenhänge ignoriert, falsche Kausalzusammenhänge konstruiert, Ursache und Wirkung vertauscht, um den Nationalsozialismus von seiner historischen Schuld zu entlasten. Das Produkt dieser Manipulationen sind Geschichtsklitterungen. Zerrbilder der historischen Wahrheit. Eine verfeinerte Methode besteht darin, den Interpretationen der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung in weiten Passagen zu folgen, um dann bei den entscheidenden Fragen die apologetisch-revisionistische Version einzubauen.
Es dominieren affektgeladene Darstellungsformen und eine geringe Bereitschaft zu rationaler Analyse sowie das häufige Ansprechen von Vorurteilen und die Aktivierung von Ressentiments. Eine beliebte Argumentationsform rechtfertigender Geschichtsschreibung ist das "Aufrechnen" von allen möglichen Untaten der Weltgeschichte, um die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren. Durch den Hinweis auf fremde Schuld soll die eigene geringer erscheinen, um möglichst alle Nationen auf das moralische Niveau des Nationalsozialismus herabzuziehen. Bewußt wird dabei der Unterschied zwischen (fraglos unentschuldbaren) Exzessen und grausamen Geschehnissen im Zuge von Kriegshandlungen und der aus rassistischen Motiven angeordneten und planmäßig durchgeführten Verfolgung und Vernichtung von wehrlosen Minderheiten verwischt.
Die Verteidiger des Nationalsozialismus legen wenig Wert auf die Uberprüfbarkeit ihrer eigenen Aussagen, können sie doch mit einer gläubigen Lesergemeinde rechnen, die alles bereitwillig annimmt, was die vorgefaßte Meinung stützt. Entsprechend gering ist die Bereitschaft zur Beachtung der Grundregeln wissenschaftlicher Arbeit und Redlichkeit. Besonders charakteristisch ist der skrupellose Umgang mit Fachliteratur und Quellen, wenn es gilt, die apologetischen Interpretationen abzustützen. Zu den häufigsten Tricks und Manipulationsmethoden, um Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen, zählen:
- Ignorieren beziehungsweise Abwerten aller gegen die eigene Geschichtsversion sprechenden Quellen,
- dafür Herausstreichen und Uberzeichnen von scheinbaren oder tatsächlichen Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten in Details - seien sie nun von der Geschichtswissenschaft bereits erkannt und aufgeklärt oder nichtum daraufLin die gesamte wissenschaftliche Beweisführung pauschal als unglaubwürdig abzuqualifizieren.
- Verzerrende Deutung von Quellen durch Ausblendung zentraler Aussagen, die gegen die apologetische Interpretation sprechen würden;
- Vortäuschen von Wissenschaftlichkeit durch Zitierweisen, die jedoch eine Überprüfung der aufgestellten Behauptungen nicht zulassen. Besonders häufig ist ein gegenseitiges "Sich-im-Kreis-Zitieren" der einschlägig bekannten Autoren;
- Verfälschendes Zitieren durch sinnentstellende und sinnverkehrende Auslassungen, Umstellungen oder Einfügungen, so daß der ursprünglich vom Autor beabsichtigte Sinn der zitierten Aussage verzerrt oder gar ins Gegenteil verkehrt wird;
- "Unterschlüpfen" unter die Autorität und das Prestige berühmter Persönlichkeiten oder Institutionen (UNO, Rotes Kreuz, Gerichte) durch Zitierung von willkürlich aus dem Sinnzusammenhang gerissenen Teilaussagen oder der Unterschiebung von Aussagen zur Bestätigung der eigenen Glaubwürdigkeit.

Zentrales Agitationsfeld revisionistischer Geschichtsschreibung sind nach wie vor die Massenmordaktionen des NS-Regimes gegen ethnische Minderheiten und 4ndere ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen. Besonders bei den Versuchen, die Massenvernichtung der Juden zu bestreiten, lassen sich mehrere Argumentationslinien feststellen: - generelle Leugnung der Judenvernichtung;
- Leugnung der fabrikmäßigen Massentötung in Gaskammern, aber Zugeben von Tod durch Hunger und Seuchen;
- Zugeben der Massenverbrechen, aber Anzweifeln der Höhe der Zahl der Opfer;
- Zugeben der Verbrechen, aber Darstellung als Ubergriffe von Untergebenen, von denen Hitler nichts gewußt haben soll
- Darstellung der Verbrechen als Folge von Kriegshandlungen, an denen die Juden selbst schuld gewesen seien, da sie Deutschland angeblich den Krieg erklärt hätten.

Diesen einander widersprechenden Entlastungsargumentationen sind die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Historiographie entgegenzuhalten. Danach sind die Massenverbrechen des Nationalsozialismus in vielfältiger Weise zu belegen, obwohl noch in den letzten Kriegsphasen angesichts des sich abzeichnenden Sieges der Alliierten versucht worden ist, systematisch sämtliche Zeugen der Massenmorde zu beseitigen, und alle Spuren zu tilgen. Historiker, aber auch Gerichte stützen sich auf folgende Beweise:
- Dokumente und Akten nationalsozialistischer Dienststellen und Ämter;
- Photographien und Filmaufnahmen nationalsozialistischer Dienststellen;
- Photographien von einzelnen Angehörigen der SS und der Wehrrnacht, die trotz strengstem Verbot aufgenommen und häufig auch bei Kriegsgefangenen gefunden wurden;
- Photographien und Filme, welche von den Alliierten bei der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager aufgenommen wurden;
- Aussagen von Opfern, welche die Verfolgung überlebten;
- Aussagen von Zeugen aus der nicht beteiligten Zivilbevölkerung, der Wehrmacht und anderen Personengruppen;
- Aussagen von Tätern, die oft nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung, als es keinen Grund mehr zum Leugnen gab, ihre Taten zugaben oder ihr Wissen um die Massenverbrechen des Nationalsozialismus preisgaben. Hier ist besonders darauf zu verweisen, daß bei Gerichtsverfahren von den Beschuldigten fast nie die Tatsache dieser Verbrechen abgestritten wurde, sondern immer nur ihre persönliche Beteiligung. Auch der häufig als Entlastungsgrund strapazierte "Befehlsnotstand" stellt eine Verteidigungsstrategie dar, die die Tatsache dieser Verbrechen nicht in Abrede stellt.

Die aufwendigsten Beweissicherungsverfahren wurden von den Alliierten in den Nürnberger Prozessen und von Justizbehörden vor allem in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Die apologetische Geschichtsschreibung kommt an diesen Beweisen nicht vorbei. Ilm sie zu entkräften, muß sie pauschal alle belastenden Zeugenaussagen für erlogen, Geständnisse für erfoltert, Dokumente Photographien und Filmaufnahmen für gefälscht oder manipuliert erklären.
Die breite Öffentlichkeit steht dieser unverhohlenen Spekulation mit Informationsdefiziten, mit ihrer Fülle von absurden Thesen, unbewiesenen Behauptungen' Verdrehungen, Verfälschungen, zynischen Zahlenspielereien und dem immer wieder angewendeten argumentativen Verwirrspiel oft hilflos gegenüber. Obwohl die Methode. immer neue Behauptungen aufzustellen und von der Fachwissenschaft den Gegenbeweis zu verlangen, von keinem Wissenschaftszweig akzeptiert werden kann, muß sich die Geschichtswissenschaft immer wieder mit den Propagandaeinfällen der NS-Apologeten auseinandersetzen, stößt doch diese pseudowissenschaftliche Literatur immer noch auf beträchtliches Interesse.

Gustav Spann

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Most recent revision: April 07, 1998

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