Gerade wir als Deutsche - Ein widerlicher und schleimiger
Euphemismus für nationale Gesinnung, für nationalhymnische Gefühle,
für kollektiven Wahn, eine Redewendung also , die extra erfunden worden zu
scheint für Leute wie Martin Walser und solche, die gerne so sein würden.
Die nationalsozialistische Vergangenheit wird in dieser Formel zum kuriosen Argument
dafür, daß die Deutschen gegenüber den Juden und gegenüber
den Rest der Welt eine besondere Verantwortung hätten. Die Verantwortung besteht
darin, die Juden und den Rest der Welt davon abzuhalten, das gleiche zu tun wie
die Deutschen im zweiten Weltkrieg, nämlich die Juden auszurotten und den Rest
der Welt zu erobern. Weil das aber niemand tut und auch niemand in Sicht ist, der
die Mittel und Möglichkeiten dazu hätte, gehen die Deutschen mit ihrer
Verantwortung hausieren, d.h. sie müssen zunächst sich und andere davon
überzeugen, daß alle möglichen Konflikte auf der Welt, ob Bürgerkrieg,
Pogrome oder Stammesfehden, schon so schlimm sind wie das, was die Deutschen angerichtet
haben.
Dazu ergab sich eine günstige Gelegenheit, als 1982 die israelische Armee in
den Libanon einmarschierte. Sofort meldete sich die Mahn- und Warngesellschaft aus
"historischer Verantwortung der Deutschen gegenüber den Juden" zu
Wort, um gegen die Vernichtung des palästinensischen Volkes zu protestieren.
Und auch die Grünen kannten plötzlich keine Parteien mehr, sondern nur
noch Deutsche, und waren der "Meinung, daß wir Deutschen eine besondere
Verantwortung haben, wenn es darum geht, Praktiken einer Ausrottungspolitik verhindern
zu helfen".
Als ehemalige Täter fühlten sie sich verpflichtet, "Israel mit Lob
und Tadel als Bewährungshelfer moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht
rückfällig werde"(Wolfgang Pohrt). Wolfgang Pohrt schrieb auch, daß
die Deutschen mit ihrem Verantwortungsfimmel einem strafrechtlich verurteilten Kinderschänder
glichen, der sich besonders qualifiziert für einen Job im Kindergarten fühlt.
Weil zwei angezettelte Weltkriege nicht gut in die Biographie des selbsternannten
Weltfriedensrichters passen, nahm man am Bild des Täters eine Retusche vor,
die ihn in ein arglose Opfer verwandelte: "Gerade unser besonderes Verhältnis
zum Volk der Juden sollte uns veranlassen, hart mit dieser Politik ins Gericht zu
gehen. Denn unser Volk hat die Folgen rassistischer Gewaltpolitik am eigenen Leib
erfahren", schallte es aus ethisch besonders engagierten Kirchenkreisen.
Wilhelm Reich schrieb in "Massenpsychologie des Faschismus", daß
Hitler der Ausbruch einer Geisteskrankheit erspart geblieben wäre, weil seine
Wahnvorstellungen auf massenhafte Resonanz stießen. Individuelle und kollektive
pathische Projektion gingen auch während des Golfkrieges konform. "Dabei
ist nichts so verständlich wie die Friedenssehnsucht gerade der Deutschen,
ist sie doch das logische Ergebnis eines schweren nationalen Traumas", welche
darin besteht, daß die Verbrechen "von den Nazis im Namen der Deutschen
begangen wurden", schrieb Oskar Lafontaine, ohne daß ihn jemand deshalb
verprügelt oder wenigstens schräg angeguckt hätte. Was daraus folgt,
machte Lafontaine deutlich, als sich Marcel Ophüls darüber beschwerte,
daß auf dem nach seinem Vater benannten Filmfestival in Saarbrücken der
Althans-Selbstdarstellungsfilm gezeigt werden sollte. Es wäre "höchste
Zeit", meinte Lafontaine, "daß die alten Opfer des Nazismus und
ihre Familien aufhörten, sich ständig zu beklagen".
Besondere Verantwortung verspüren einige besonders gute Deutschen wieder anläßlich
des Kriegs im Bosnien. Diesmal war die Friedenssehnsucht bereits so stark, daß
sie am liebsten gleich mitgeballert hätten. "Auschwitz verpflichtet uns
auch, Handlungen ernst zu nehmen, die Angehörige von Volksgruppen ermorden,
um den Rest durch Terror in die Flucht zu schlagen" schraubt Freimut Duve das
Verantwortungsniveau hoch und das Neutralitätsgebot herunter. Man weiß
zwar nicht so genau, warum Auschwitz notwendig ist, um "Handlungen ernst zu
nehmen", aber man ahnt, dahinter steckt ein großer Moralist, und der
sagt uns: Gerade wir als Deutsche, die wir schließlich Fachmann in Fragen
des Genozids sind, müssen es genau wissen: Hier muß hart durchgegriffen
werden. Wehret den Anfängen! Denn: "Wer der Ausrottung eines anderen Volkes
tatenlos zusieht, verwirkt seine Rechte"(Peter Glotz). Eva Quistorp fällt
gleich das passende Beispiel ein: "Warum wurde Auschwitz nicht rechtzeitig
befreit?" Horkheimer hatte doch nicht übertrieben, als er über die
Wandlungen des Schuldbekenntnisses der Deutschen schrieb, die Nazis, das waren in
Wirklichkeit die Amerikaner.
Von der "unverschämten Lüge" des "Wir haben nichts gewußt"
der Nachkriegszeit hat sich das "Wir" in das Kollektiv gerettet, das über
den Massenmord bestens Bescheid weiß. Was die Deutschen durchaus gelernt haben:
So glimpflich wie sie selbst wollen die Deutschen die neuen Kriegsverbrecher, vorzugsweise
die Amerikaner, seit einigen Jahren die Serben, nicht davonkommen lassen. Das nationale
Identität stiftende "Wir" lechzt bereits wieder nach der Macht, um
der Kriegshetze Taten folgen zu lassen.
Mit den Verbrechen der Nazis läßt sich jedoch keine "besondere Verantwortung"
begründen. Das auftrumpfende Gerede "Gerade wir als Deutsche" ist
eine handfeste Drohung, egal ob es Frieden ohne Waffen oder mit Waffen schaffen
will. Wenn sich aus der Vergangenheit etwas ableiten ließe, dann höchstens:
Gerade wir als Deutsche sind besonders verpflichtet, die Klappe zu halten."
Klaus Bittermann; aus: Bittermann/Henschel, Das Wörterbuch des Gutmenschen.
Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache
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Most recent revision: April 07, 1998
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