8. Mai-Gruppe c/o Antinationales Büro, Hamburg
Militanter deutscher Abwehrkonsens
Deutsche Presse und Wissenschaft gegen Daniel Jonah Goldhagen
"Einmal muß Schluß sein", hatten alle gedacht und im vergangenen
Jahr mit den Gedenkfeiern zum 50jährigen Ende des Zweiten Weltkrieges die unliebsame
Vergangenheit endgültig ad acta legen wollen, um sich nunmehr ungestört
und unbelastet den neuen großdeutschen Ambitionen in Ex-Jugoslawien und anderswo
widmen zu können. Und nun dieser Angriff gegen die gewöhnlichen Deutschen..
Nachdem das Buch Goldhagens im Frühjahr 1996 in den USA, GroBbritannien und
Irland zu einem Bestseller avancierte, konnten es auch die deutschen KolumnistInnen
nicht länger ignorieren. Sie alle erklärten die Deutschen zu Opfern. Zu
Opfern einer infamen Verleumdung, einer Anmaßung, eines "Pamphlets".
Der "Überzeugungstäter"(1), der
"Rächer"(2) der "Staatsanwalt im
großen Indizienprozeß gegen die "normalen Deutschen"(3) der "Scharfrichter"(4):
ein Jude, Daniel Jonah Goldhagen, Autor des Buches "Hitlers willige Vollstrecker.
Gewöhnliche Deutsche und der Holocaust". Innerhalb einer einzigen Woche
wurde das Buch und sein Autor hierzulande von allen Seiten zerrissen, diffamiert
und unmöglich gemacht. Am 12.April eröffnete Die Zeit die Debatte. Mit
der Unterstellung, Goldhagen propagiere von Neuem die Kollektivschuldthese wurde
die deutsche Volksgemeinschaft aufgestachelt. Die Zeit erhoffte sich zur Steigerung
der Auflagenzahl einen neuen Historikerstreit, doch dieser blieb aus. Hatten noch
1986 linksliberale deutsche Akademiker gegen die Nivellierungsthesen Noltes(Hitler
als Antwort auf die "asiatische Tat" Stalins) und anderer konservativer
Autoren Partei ergriffen, so waren sich nun alle von links bis rechts einig in der
Ablehnung der Thesen Goldhagens. Linksliberale Historiker wie Hans-Ulrich Wehler,
Eberhard Jäckel und Hans Mommsen sowie linke Koryphäen der Arbeiterbewegung
wie Reinhard Kühnl und Emil Carlebach taten sich in der Diffamierung Goldhagens
sogar weitaus stärker hervor als ihre konservativen Kollegen. Wie Hanno Loewy
schrieb: "Die Reaktionen waren von einer Heftigkeit als gelte es einer nationalen
Gefahr zu begegnen."(5) Oder mit den Worten des
türkischen Schriftstellers Zafer Senocak: "Bemerkenswerterweise haben
auf das Buch nicht so sehr die rechtsradikalen Deutschen reagiert, sondern die Liberalen.
Das selbstzufriedene, demokratische Deutschland hat sich als unsicheres, schnell
beleidigtes und in seinen Grundwerten keineswegs gefestigtes Konstrukt geoutet...Durch
das Buch von Goldhagen ist der Verteidigungsfall eingetreten. Die Stunde der Schicksalsgemeinschaft
hat geschlagen."(6)
Deutsche Historiker
An vorderster Front dieser Schicksalgemeinschaft stand Eberhard Jäckel mit
der folgenden Abqualifizierung Goldhagens: "Dann kommt von der Universität...eine
durch und durch mangelhafte, miálungene Dissertation, und der Medienwald
erzittert, als sei ein Komet eingeschlagen. Ein dutzendmal bin ich von Redaktionen
gefragt worden, was ich von Daniel Jonah Goldhagens Buch halte. Ich sage es unverblümt.
Es ist nicht auf der Hö,he der Forschung, es genügt mittelmäáigen
Ansprüchen nicht, es ist einfach schlecht (...)Das Buch(...)ist wenig mehr
als ein Rückschritt auf längst überholte Positionen, schlimmer noch
ein Rückfall auf das primitivste aller Stereotypen."(7)
Doch die Abqualifizierung der Studie als unwissenschaftlich, reichte Jäckel
keineswegs aus. Um dem Juden Goldhagen zum Täter zu machen, unterstellte er
ihm Rassismus: "Wiederholt sagt Goldhagen man müsse die Deutschen und
ihren Antisemitismus vor und während der Nazizeit "anthropologisch"
betrachten. Damit verrät er seinen ganzen Ansatz. Unter Anthropologie kann
man Verschiedenes verstehen. Sie ist auch ein Teilgebiet der Biologie, die die angeborenen
und nicht die erworbenen Eigenschaften der Menschen untersucht. Daraus ist die Rassenlehre
hervorgegangen und aus ihr der rassistische Antisemitismus. Goldhagen bringt sich
in eine verdächtige Nähe zu diesem biologischen Kollektivismus."(8)
Sein Kollege Wehler sekundierte:
"Unter umgekehrten Vorzeichen erlebt ein Quasirassismus, der jede Erkenntnisanstrengung
von vorneherein eisern blockiert, seine pseudowissenschaftliche, mentalitätsgeschichtlich
camouflierte Wiederauferstehung."(9)
Während sich Wehler und Jäckel in der Rolle des Opfers eines imaginierten
antideutschen Rassismus gefielen, versuchten es andere mit einer Ehrenrettung der
Volksgemeinschaftals und dem Herunterrechnen der TäterInnenzahl. So meint der
Historiker Mommsen feststellen zu können, daß das antisemitische Gewaltpotential
in Deutschland von Massenhaftigkeit weit entfernt gewesen sei. Allenfalls mehrere
10000 MörderInnen seien zu konstatieren und bei denen sei der Antisemitismus
keineswegs immer die primäre Motivation gewesen. "Aktive Antisemiten im
Sinne der Unterstellung von Goldhagen", so Mommsen, "gab es in Deutschland
auch nach 1933 nur 10 Prozent."(10)
Unterboten wird die TäterInnenzahl noch von Augstein im Spiegel. Für ihn
gab es nur einen Täter und der hatte ein Alibi:
"Sicher ist, nur einer hat den Krieg begonnen, einer allein, der absolute HitlerDer
unselige Versailler Diktatfrieden ebnete dem auf Eliminierung eingeschworenen Rassisten
und Antisemiten Adolf Hitler den Weg zur Macht."(11)
Von eben diesem Hitler wurden laut Augstein allenfalls ein paar Dumme, eigentlich
Unmotivierte zum Morden verführt. Es sei klar, so der Spieqel-Herausgeber,
daß die Männer der Polizeibataillone, die Goldhagen untersuchte, "nicht
die Elite von Partei, Staat und Wehrmacht verkörperten, daß sie brave,
ideologisch uninteressierte Biertrinker und Skatspieler waren, keine irgend erheblichen
Aktivisten. Wer tapfer und klug genug war, konnte sich um das Morden auch herumdrücken.
Aber hier waren nicht die Tapfersten und Klügsten versammelt, sondern...der
Bodensatz von Leuten mit Familie... Wenn sie "freiwillig" mordeten, so
hatten sie doch im Kopf: Was soll ich tun, wenn ich das hier nicht tue?"(12)
Also: mildernde Umstände für die deutschen Biertrinker und Skatspieler.
Als Kronzeuge für die Behauptung, daß Deutsche nicht aus Überzeugung
und tiefverwurzeltem Antisemitismus töteten, wird von fast allen deutschen
Goldhagen-Gegnern Christopher Browning angeführt. Browning, ebenfalls us-amerikanischer
Wissenschaftler benutzte bei seiner Arbeit "Ganz normale Männer"
über das Polizeibataillon 101 ähnliche Quel len wie Goldhagen, kam jedoch
zu anderen, täterentlastenden Schlußfolgerungen. So lobte z.B. der deutsche
Historiker Norbert Frei, Browning hätte "plausibel das Prozeßhafte
und Situative" herausgearbeitet, "ausgeprägte Gehorsamkeitsvorstellungen,
Gruppendruck, emotionale Verrohung, Alkoholmißbrauch, Realitätsverlust,
Aggressionsabfuhr."(13)
Mit einer Entziehungskur und einer Gruppentherapie wäre den deutschen MörderInnen
demnach zu helfen gewesen.
Als zweiter Entlastungszeuge wird in fast allen deutschen Artikeln zu Goldhagen
ein deutscher Jude instrumentalisiert. Es handelt sich um Victor Klemperer, dessen
Tagebücher von 1933-45 kürzlich veröffentlicht wurden. Die Goldhagen-KritikerInnen
berufen sich immer wieder auf eine Tagebucheintragung, ohne diese vor Klemperers
Gesamtwerk und seinem persönlichen Hintergrund zu reflektieren. In der angeführten
Passage beschreibt Klemperer, daß er, wenn er in Dresden mit dem gelben Stern
auf die Straße ging, bei der deutschen Bevölkerung über nd Gesten
der Freundlichkeit und der Beschämung ihm gegenüber registrierte.
Daß sowohl Hannah Arendt als auch Adorno bereits vor Jahrzehnten das mögliche
Einhergehen einer antisemitischen Vernichtungsbereitschaft mit der Verteidigung
des einen "guten Judens" aus der Nachbarschaft darstellten (14), wird von den deutschen PublizistInnen und Historikern geflissentlich
verschwiegen.
Deutsche Linke
Nachdem Wehler, Jäckel, Mommsen, Augstein und Co. gegen Goldhagen in Stellung
gegangen waren, durfte mensch gespannt sein, in welcher Weise sich der Linken zurechnende
Historiker auf das Buch reagierten. Doch die Hoffnung auf eine Kritik der deutschen
Kritik trog. Der linke "Faschismusexperte" Reinhard Kühnl bezog sich
stattdessen positiv auf Mommsen, Wehler und Jäckel und bezeichnete den Antisemitismus
als untergeordneten Teil der faschistischen Konzeption, die von ganz anderen Triebkräften
und Zieleetzungen bestimmt gewesen sei, weshalb er den Begriff "Vernichtung"
für eine andere Opfergruppe reserviert:
"Im Vordergrund stand die Vernichtung des politischen Gegners auf der Linken
- für den auch die KZ gebaut wurden - und die Vorbereitung des Eroberungskrieges
"(15) Mit dieser Gewichtung erneuerte Kühnl
den Mythos vom breiten Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung, der jegliche Vorstellung
einer rassistischen und antisemitischen deutschen Volkegemeinschaft kategorisch
ablehnt. Schließlich ging auch Kühnl zum Gegenangriff über und projizierte
sein Deutschtum auf Goldhagen. Sein Vorwurf: "Zur Erklärung der Tatsache,
daß der Holocaust gerade von Deutschland organisiert wurde, greift Goldhagen
auf eine Vorstellung zurück, die leider ihre Nähe zum völkischen
Nationalismus nicht verleugnen kann."(16)
Unterstützung fand Kühnl u.a. in der DKP-Zeitung Unsere Zeit(UZ) durch
Emil Carlebach. Die Überschrift seines Artikels "Nicht Antisemitismus,
sondern Profitgier und Kadavergehorsam" war Programm. Demnach waren allein
die Pläne der monopolkapitalistischen Konzerne und der "geistigen Elite",
die Hitler an die Macht gebracht hätten, verantwortlich für Krieg und
Judenmord. Demgegenüber hätten am 5.März 1933 mehr als 12 Millionen
Wähler für SPD und KPD gestimmt, wie Carlebach zu wissen vorgab "gegen
die Mordpläne der Regierung." Ihr Widerstand habe zuerst gebrochen und
ausgeräumt werden müssen, bevor man an die Judenvernichtung gehen konnte.
Hätte Carlebach das Buch Goldhagens gelesen, wüßte er, daß
auch in der Basis von SPD und KPD antisemitische Überzeugungen verbreitet waren
und diese keineswegs aus Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung
gegen die Nazis wählte. Carlebach ging noch weiter.
Noch während der Kriegsjahre und der Judenvernichtung könne "Professor
Goldhagen" hinter dem Kadavergehorsam der kleinen Leute keinen Antisemitismus
finden.
Für die positive Aufnahme des Buches von Goldhagen im englischsprachigen Raum
weiß der DKP-Autor eine Erklärung: Die Goldhagen-Diskussion ist eine
Strategie des us-amerikanischen Imperialismus. Er schreibt: "Wem kann eine
solche Diskussion nützen? Angesichts der aufbrechenden Gegensätze USA/Deutschland
um weltweiten Einfluß kann die "antideutsche" Stoßrichtung
eine propagandistische Wirkung haben."(17)
Die konservativen Blätter und die deutschen Opfer
Während linksnationale und linksliberale Historiker und PublizistInnen also
versuchten, sich selbst und ihre Nation hier und heute gegen Goldhagen zu verteidigen,
wurde in den konservativen Blätter der Opfermythos der deutschen Schicksalsgemeinschaft
auf alle Zukunft projiziert. So stellte Frank Schirrmacher in der FAZ fest: "Glaubt
man den Thesen des Buches, kann der Weg der Deutschen ins einundzwanzigste Jahrhundert
nur mit Skepsis und Furcht betrachtet werden... Versteht man recht, was sich hier
abspielt, dann geht es darum, die Deutschen für das kommende Jahrhundert wieder
auf einen Sonderweg festzulegen."(18) Eine ähnliche
Argumentation vertrat Jost Nolte in der Welt Er chrieb: "Mehr als ein halbes
Jahrhundert nach Hitlers Tod und nach der Wende von 1989/90, die an den Ergebnissen
des Zweiten Weltkrieges rüttelte, sah es endlich so aus, als habe die Geschichte
die Deutschen vom Schicksal des Sisyphos erlöst. Goldhagen hat sich alle Mühe
gegeben, sie in die Verdamnis zurückzustoßen."(19)
Damit ist die deutsche Schicksalgemeinschaft rekonstituiert. Eine Schicksalgemeinschaft,
die nun ein Jude erneut in die Verdamnis zurückstoßen will. Nicht die
Deutschen haben in der Geschichte einen mörderischen Sonderweg beschritten,
nein, sie wurden und werden auch heute darauf festgelegt. Also, wenn hier etwas
schief läuft, dann nur weil die Deutschen vom Ausland und vor allen den Juden
dazu gezwungen werden. Als Lösung dieses Dilemmas böte sich vielleicht
wieder einmal ein Präventivkrieg an.
Kollektivschuld
In der Halluzination der Kollektivschuld wurde dieser Opfermythos, vollständig
und über alle Parteigrenzen hinweg, aktualisiert. Nachdem Volker Ulrich wie
oben erwähnt, bereits im ersten Beitrag der Zeit, Goldhagen der Wiederbelebung
der Kollektivschuldthese bezichtigt hatte, wurde der Ball von allen Seiten bereitwillig
aufgenommen, um Goldhagens Arbeit zu diskreditieren.
Die Frankfurter Rundschau sprach am 12.4.1996 von der "Arbeit zur kollektiven
Schuld der Deutschen"(20)und die taz-LeserInnen wußten am folgenden Tag:
"Hitler's willing Executioners belebt die nicht so taufrische These von der
deutschen Kollektivschuld neu."(21) Währenddessen
hieß es bei Frank Schirrmacher:
"Alles in allem bildet die Kollektiv-Schuld-These den Kern dieses Buches und
bemerkenswert ist nur, daß Goldhagen sie historisch und soziologisch radikalisiert.
Er ergänzt sie um die These vom eminent antisemitischen und vernichtungsbereiten
Nationalcharakter der Deutschen."(22)
Jost Nolte ging in der Welt noch einen Schritt weiter:
"Auf direkten Weg wird der Völkermord wieder zur Kollektivschuld, darüber
hinaus unversehens zur Erbsünde."(23)
Der Spiegel klagte: "Ein ganzes Volk muß büßen - diese Nazi-These
von der kollektiven Schuld der Juden kehrten die Sieger 1945 vorübergehend
gegen die Deutschen. US-Wissenschaftler Daniel Goldhagen hat sie wiederbelebt."(24)
Nachdem die deutschen Medien so die Alarmglocken geläutet hatten, trat der
deutsche Außenminister Kinkel am 8.5.1996 (51.Jahrestag des Kriegeendes) vor
dem American Jewish Committee(AJC) entschieden gegen Goldhagen auf und wies eine
deutsche Kollektivschuld für die Verbrechen der Nazis mit Nachdruck zurück.
Gleichzeitig bestritt er jegliche Verantwortung und Unterstützungsbereitschaft
der übergroßen Mehrheit der Deutschen für die rassistische Anschlagswelle
der letzten Jahre, die im ührigen jetzt abgeebbt sei.(25)
Vor dem Hintergrund der Beteuerungen Goldhagens, er habe nie eine deutsche Kollektivschuld
behauptet, ihm ginge es vielmehr um die individuelle Tätermotivation und -verantwortung,
können die Vorwürfe der Medien und des Außenministers nur als irrationale
Projektionen bezeichnet werden. Günter Anders hat den im Frühjahr 1996
zu beobachtenden Mechanismus bereits 1988 beschrieben. Für ihn wird die Kollektivschuldthese
nur deshalb immer wieder von den Deutschen in die Welt gesetzt, damit sie von ihnen
zurückgewiesen werden kann. "Gäbe es das Wort nicht," so Anders,
"Ihr würdet es erfinden, um es zu bekämpfen. So wie Ihr, wenn es
uns Juden nicht gegeben hätte, Juden erfunden und sogar hergestellt hättet,
um uns verfolgen und liquidieren zu können."(26)
Die deutscheste Tageszeitung
Die taz entpuppte sich in der Einheitsfront gegen Goldhagen - wohl nicht zum erstenmal
- als noch "reinere" und deutschere Tageszeitung als ihre Vorbilder aus
Bonn und Frankfurt. Zu dem schon bekannten halluzinatorischen Vorwurf, Goldhagen
propagiere die Kollektivschuld, dem Opfermythos und der Forderung nach einem endgültigen
SchluBstrich unter die Vergangenheit kam hier eine gehörige Portion Anti-Amerikanismus.
Zur Holocaust und USA-Expertin erkoren die Berliner Alternativen die Filmredakteurin
Mariam Niroumand. Hatte noch vor kurzem das deutsche Publikum die Filmfiktion vom
guten Deutschen in "Schindlers Liste" für bare Münze genommen,
machte Niroumand es nun im Falle Goldhagens umgekehrt. Bei ihr wurde Realität
zur Fiktion, die dichte Beschreibung der Greueltaten "gewöhnlicher Deutscher"
gegenüber den europäischen Juden bei Goldhagen zur Erfindung eines us-amerikanischen
Schundfilmregisseurs. So hieß es bei Niroumand u.a.: " - die leicht angewiderten
Auslassungen Goldhagens über schwangere Nazifrauen gehören eher in das
Arsenal der Nazi-ScumIkonographie von Billigvideos, in der sie dann immer Hilde
oder Else hieBen...Vernichtungsorgien für die ganze Familie von Hitler's little
helpers - in der Tat wird hier das Fantasy-Material der vierziger und fünfziger
Jahre neu aufbereitet, eine Art "Pulp-Fiction" mit soziologischem Tarncode."(27)
Mariam Niroumand ein Einzelfall in der linksalternativen taz? Keineswegs. Am 7.8.
wurde Goldhagens Studie in derselben Zeitung als "Pornographie des Horrors"
bezeichnet und am 4.9. sprach Hannes Heer dort von "Goldhagens Comichild."(28) Der ganze Holocaust also ein schlechtes Fantasy-Produkt,
na denn, laßt uns endlich einen anderen Film einlegen, über den wir uns
in Deutschland besser amüsieren können. Aber nein, zuerst noch müssen
die amerikanischen Juden kräftig gerüffelt werden. Warum auch müssen
sie diesen antideutschen Streifen immer wieder aus der Schublade holen ? Niroumand
meint, daß Goldhagens Beschreibung des deutschen Antisemitismus erlaubt, "ihn
als permanente, wenn auch latente Drohung zu charakterisieren. Schon möglich,
daß eine solche Drohung amerikanischen Juden als brauchbarer Schutzschild
geqen die antisemitische Verdächtiqunqsrhetorik von Leuten wie dem schwarzen
Aktivisten Louis Farrakhan erscheint oder auch als identitätsstiftend in Zeiten
schwindender Bindung an die Religion." (29)
Zu kritisieren sei aber laut Niroumand auch "Die Zeit", die sich zum Erfüllungsgehilfen
dieser Strategie der us-amerikanischen Juden gemacht habe.
"Was aber die Hamburger Zeit geritten haben mag, dieses Machwerk mit dem Startschuß
für einen "neuen Historikerstreit" zu versehen, lohnt einen Moment
verwunderten Nachdenkens", fordert Niroumand die LeserInnen auf, um dann gleich
die Antwort zu geben:
"Es ist die zur Flagellanten-Geste verkommene Selbstbezichtigungsrhetorik...Erst
die Dämonisierung deutscher Innenansichten liefert das rechte Maß an
Scham, Schicksalsmacht und Zerknirschtheit, das hier offenbar noch immer gebraucht
wird."(30) "Warum ist die Vorstellung von
einem schlicht und ergreifend kriminellen Ausländer...so schwer zu ertragen?
Hängt es...noch immer damit zusammen, daß wir 'ein Volk der Täter'
sind, das es nicht erwarte könne, 'noch einmal getreten zu werden'?"(31) Goldhagen - ein krimineller Ausländer? Sorry,
letzeres schrieb Frau Niroumand im Januar über Safwan Eid. Aber der Gestus
und die scheinbar masochistischen, getretenen Opfer sind die gleichen: Deutsche.
Einmal muß Schluß sein und zwar sofort, fordert Niroumand im Chor mit
ihren deutschen Pressekollegen. Laßt uns nun endlich voller Befriedigung und
Selbstbewußtsein das neue deutsche Reality-TV-Programm beklatschen. Jeder
us-amerikanische Jude, der uns dabei stört, wird sofort des Saales verwiesen.
Antisemitismus in der deutschen Goldhagen-Kritik
Frau Niroumand fand breite Unterstützung.
Die Juden haben sowieso keine Ahnung, sind voreingenommen und dumm, so der Tenor
der deutschen Medien, der sich z.B. in der Frankfurter Rundschau folgendermaßen
ausdrückte:
"Was und wieviel" an der Forschung Goldhagens "wirklich neu ist,
wird dabei in der US-Debatte nur selten gefragt, diskutieren hier doch meist jüdische
Nicht-Historiker, sprich Journalisten und Kolumnisten unter sich."(32)
Auch antisemitische Verschwörungstheorien, z.B. von den Juden als Beherrscher
des weltweiten Medienkartells, finden sich desöfteren in den deutschen Beiträgen,
etwa bei Ekkehardt Krippendorf, der Goldhagens Arbeit eine "publizistisch hochgespielte
Dissertation" (33)nennt oder im Hamburger Arbeiterkampf(
jetzt Analyse und Kritik), wo wir erfahren, daß Goldhagen über gute "Medien-Connections"(34) verfüge.
Frank Unger wußte im Freitag, warum das Buch in den USA zum Bestseller wurde.
Er schrieb: "Wie immer, wenn in den USA der Holocaust zur Sprache gebracht
wird, geht esum die Opferrolle der Juden. Und da trifft es sich gut, daß gerade
zu einer Zeit, wenn der moderne Staat Israel wegen seiner militärischen Aktionen
verstärkt internationaler Kritik ausgesetzt ist, ein Buch auf den Markt kommt,
was an die historischen Opfer der Juden erinnert."(35)
Die Gefahr eines verstärkten deutschen Antisemitismus im Jahr 1996 wird in
den deutschen Medien durchaus gesehen. Der Schuldige für die neueste Entfesselung
des deutschen Volkszorns ist ebenfalls bereits ausgemacht. Sein Name: Goldhagen.
Der Spiegel und die taz bemerken im Chor: "Ob dieses Buch am Ende aufklärend
wirkt oder die Glut verborgener Ressentiments aufs neue schürt, bleibt noch
eine offene Frage."(36) "Die Hohepriesterim des verkappten deutschen Antisemitismus"(37) Gräfin Dönhoff meint: "Auch ist die
Befürchtung, daß das Goldhagen-Buch den mehr oder weniger verstummten
Antisemitismus wieder neu beleben könnte, leider nicht ganz von der Hand zu
weisen."(38) und Professor Mommsen folgert: "Die
ätzende Schärfe, mit der Goldhag n den Deutschen den Willen zum "dämonischen
Antisemitismus" zuspricht und sie nicht nur als Komplizen, sondern pauschal
als lustvolle Täter hinstellt, ist sicherlich nicht geeignet, Ressentiments
stillzulegen."(39) Anders gesagt: Angesichts
der Endlösung sind die Juden besonders verpflichtet, den Deutschen gegenüber
fair zu sein und keine kritischen Äußerungen zu tätigen, denn dies
könnte auf sie selbst zurückschlagen.
Der Prozeß
Der Täter Daniel Jonah Goldhagen war überführt. Seine Delikte: Diffamierung
aller Deutschen und Minderung ihres weltweiten Ansehens sowie Schürung eines
offenen Antisemitismus in Deutschland. Dafür mußte ihm der Prozeß
gemacht werden. Was noch fehlte war das Motiv. Um dies zu ermitteln, gab der Spiegel
ein Gutachten in Auftrag. Zum Gutachter wurde Henryk M.Broder ernannt.
Er zeichnete folgendes Täterprofil: "Über den Horror und den Terror
vom Hörensagen, mit dem die Kinder von Uberlebenden aufwachsen, sind ganze
Bibliotheken geschrieben worden. Man weiß, welchem Druck sie ausgesetzt sind,
die Erwartungshaltungen der Eltern zu erfüllen, wie schwer es ihnen fällt,
ein eigenes Leben zu leben. ...Könnte es sein, daß Daniel Jonah Goldhagen
schon mit 12, 13 Jahren mehr über Adolf Eichmann und Heinrich Himmler wußte
als über Tom Sawyer und Huckleberry Finn? Daß er in einem Alter, in dem
andere Jungen Baseball und Rugby spielen, mit seinem Vater darüber diskutierte,
warum die Bahnlinien nach Auschwitz nicht bombardiert wurden? Könnte es sein,
daß er keine andere Wahl hatte, als die Flucht nach vorn anzutreten, das Erbe
und den Auftrag des Vaters zu übernehmen und das Buch zu schreiben, das die
Holocaust-Forschung revolutionieren sollte?"(40)
Eine verlorene Kindheit, eine deformierte Persönlichkeit. Daniel Jonah Goldhagen
hatte keine andere Wahl. Die wahren Schuldigen sind seine Eltern, exemplarisch für
alle Uberlebenden des Holocaust.
Das Motiv war gefunden, nun konnte der Prozeß eröffnet werden. Der Autor
von "Hitlers willing executioners" kam Anfang September unbefangen zu
einer Diskussionsreise nach Deutschland. Doch dann fand er sich unvorbereitet am
5.September in der ARD in der ersten öffentlichen Verhandlung in der Sache
"Deutsches Volk gegen Goldhagen" wieder. Laut Süddeutscher Zeitung
erzählte Goldhagen später, "er sei dahin gegangen, ohne sich weiter
Gedanken zu machen. Als er aber die Sitzordnung gesehen hat, Delinquent Goldhagen
gut ausgeleuchtet auf der einen Seite, seine Kritiker zusammen mit dem Moderator
wie ein hoher Gerichtshof ihm gegenüber, da hat er sich schon "ein wenig
gewundert", wie er höflich sagt..."You know suddenly I found myself
with this ARD in the position of Der Angeklagte. Das ist doch merkwürdig."(41) konnte er das Szenario auch im nachhinein nicht begreifen.
Die deutschen Fernsehzuschauer dagegen verstanden sofort. Aufgefordert von Moderator
Martin Schulze und Sabine Christiansen, die Goldhagen in den vorhergehenden Tagesthemen
als neuen Vertreter der "Kollektivschuld"-These präsentierte, konfrontierten
sie den Angeklagten u.a. mit folgenden Fragen: "Ist Herr Goldhagen bereit zuzugeben,
daß auch Juden schlimme Taten begangen haben?" und "Bedenkt Herr
Goldhagen nicht, daß er mit seinem Buch das Verständnis, ja die Freundschaft
zwischen Deutschen und Juden wieder kaputtmacht?"(42)
Resüme
1. Das Buch Goldhagens hat die Deutschen im Prozeß der stillen
Etablierung ihres neuen "nationalen Projekts", der großdeutschen
"Normalität" ohne die "Last der Vergangenheit" und mit
weltweiter Interventionsbereitschaft empfindlich gestört. Dies zeigt die hysterische
Reaktion von Medien, Wissenschaft und Politik im Frühjahr diesen Jahres.
2. Um Goldhagen zu diffamieren und zu bekämpfen, wurde er in Deutschland von
Anfang an als Vertreter der Kollektivschuldthese deklariert. In alter deutscher
Tradition erklärten sich die deutschen TäterInnen im Laufe der Debatte
zu Opfern, während die Opfer zu antideutschen TäterInnen qemacht werden.
3. Der Antisemitismus in der Reaktion auf Goldhagen belegt, wie der Opfermythos
die aggressive Aufladung in sich trägt: als Befreiungsschlag gegen die Juden.
Dies widerlegt Goldhagen dort, wo er die Deutschen nach 1945 freispricht.
4.Der Lichterkettenreflex oder Der Schein trügt:
Die Hetzkritik gegen Goldhagen ist nicht folgenlos geblieben. Wir interpretieren
den großen Andrang zu seinen Veranstaltungen Anfang September und die zumindest
teilweise Parteinahme des Publikums für ihn als eine hauptsächlich emotionale
Reaktion auf die Tatsache, daß die Kritik an Goldhagen den Bogen überspannt
hatte: Liberale Schöngeister wollten nun - gerade für das Ausland - die
bessere Gesinnung und das besssere Deutschland zur Schau stellen, um in einer Art
Lichterkettenreflex den geradezu entlarvenden Eindruck, den die deutsche Kritik
hinterlassen hatte, gerade zu rücken. Goldhagen hat es diesem Teil des Publikums
ziemlich leicht gemacht. Wer so pointiert jede Kontinuität in Abrede stellt,
historisiert den Nationalsozialismus und verhindert politischen Erkenntnisgewinn:
Die NS-Zeit wird zum fremden, gruseligen Planeten, die dann in der Tat mit neuer
Unbefangenheit betrachtet werden kann, da irgendwelche Rückschlüsse auf
die deutsche Gegenwart per definitionem ausgeschlossen sind.
Die offenen Flanken, die Goldhagen den VerteidigerInnen der deutschen Nation bietet,
sollten uns jedoch nicht dazu verleiten, den Blick von der deutschen Realität
zu wenden.
5. Gab es noch 1986 hierzulande einen heftigen Historikerstreit um den Nationalsozialismus,
so steht 1996 die Einheitsfront der deutschen Wissenschaft gegen den Feind von außen.
In der vordersten Reihe stehen Linksliberale, die ihr Deutungsmonopol des NS und
der "Vergangenheitsbewältigung" sowie ihren Mythos von der möglichen
Trennung des deutschen Staates von der deutschen Gesellschaft in Frage gestellt
sehen. Die Aufrechterhaltung ihrer Vorstellung denokratischer Kontinuität einer
deutschen "Zivilgesellschaft" ist mit Goldhagen nicht möglich. Dies
gilt im gleichen Maße für den linken Mythos eines im Grunde antifaschistischen
und philosemitischen deutschen Proletariats.
Dagegen propagieren rechtskonservative Wissenschaftler wie Arnulf Baring auch in
der Goldhagen-Debatte weiter "Die selbstbewußte Nation", die sogar
in punkto selbstsicheren Auftretens etwas von dem "charmanten Überzeugungstäter"
aus Harvard lernen könne. Als traurigste und schnellsten zu beseitigende Hinterlassenschaft
der Nachkriegszeit beklagte Baring als SchluBwort der Anhörung Goldhagens vor
dem Fernsehpublikum die deutsche Feigheit vor dem (jüdischen) Feind.
Anmerkungen:
(1) Augstein, Rudolf, Der Soziologe als Scharfrichter,
in: Der Spiegel, Nr.16/1996, S.29
(2) Bauschmid, Elisabeth, Der Rächer hat Charme,
in: Süddeutsche Zeitung, 12.9.1996
(3) Semler, Christian, Ein Provokateur auf Tour, in:
Die tageszeitung(taz), 7./8.9.1996
(4) Augstein. a.a.o.
(5) Loewy, Hanno, in: Frankfurter Rundschau, 15.6.1996
(6) Senocak, Zafer, "Das selbstzufriedene Deutschland
hat sich als unsicheres und schnell beleidigtes Konstrukt geoutet", in: Süddeutsche
Zeitung, 19.8.1996
(7) Jäckel, Eberhard, Einfach ein schlechtes Buch,
in: Die Zeit, 17.S.1996
(8) Jäckel, a.a.O.
(9) Wehler, Hans-Ulrich, Wie ein Stachel im Fleisch,
in: Die Zeit, 24.5.1996
(10) Mommsen, Hans, Schuld der Gleichgültigen,
in: Süddeutsche Zeitung, 20./21.7.1996
(11) Augstein, in: Der Spiegel, Todbringende "Humanisten",
Nr.33/1996, S.40 u.49
(12) Augstein, in: Der Spiegel, Nr.16/1996, S.29/30
(13) Frei, Norbert, Ein Volk von "Endlösern"?,
in: Süddeutsche Zeitung, 13./14.4.1996
(14) vgl.Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem u.
Adorno, Theodor W., Studien zum autoritären Charakter
(15) Kühnl, Reinhard, Kampf ums Geschichtsbild,
in: junge Welt, 24.6.1996
(16) Kühnl, Reinhard, a.a.O.
(17) Carlebach, Emil, Nicht Antisemitismus, sondern
Profitgier und Kadavergehorsam, in: UZ, 26.7.1996
(18) Schirrmacher, Frank, Hitlers Code, in: FAZ, 15.4.1996
(19) Nolte, Jost, Sisyphos ist Deutscher, in: Die
Welt, 16.4.1996
(20) Arning, Matthias, Für die einen brillante
Provokation, für die anderen naives Pamphlet, in: Frankfurter Rundschau(FR),
12.4.1996
(21) Niroumand, Mariem, Little Historians, in: taz,
13./14.4.1996
(22) Schirrmacher, Hitlers Code, a.a.O.
(23) Nolte, a.a.O.
(24) Der Spiegel, 21/1996, S.48
(25) vgl. International Herald TriDune, Bonn Foreign
Minister Defines the Holocaust, 9.5.1996
(26) Anders, Günter, Wir Eichmannsöhne,
München, 1988, S.80ff
(27) Niroumand, Mariam, a.a.O.
(28) vgl. Bodemann, Y.Michal, Die Bösen und die
ganz normalen Guten, in: taz, 7.8.1996 u. Heer, Hannes, Die große Tautologie,
in: taz, 4.9.1996
30 Niroumand, a.a.O.
(31) Niroumand, in: Die tageszeitung, 29.1.1996
(32) Arning, Matthias/Paasch, Rolf, a.a.O.
(33) Krippendorff, Ekkehart, Zivilcourage, im: Freitag,
14.6.1996
(34) Kt., Der Völkermord als "nationales
Projekt"?, in: ak 392, 1.7.1996
(35) Unger, Frank, Gemeinschaftsunternehmen Judenmord,im:
Freitag, 26.4.1996
(36) Der Spiegel, Nr.33/1996, S.49 u. taz, 7.8.1996
(37) Zimmermann, Moshe, in: Goldbagen Diskussion in
München, Bayern3, 10.9.1996
(38) Gräfin Dönhoff, Mit fragwürdiger
Methode, in: Die Zeit, 6.9.1996
(39) Mommeen, Hans, Die dünne Patina der Zivilisation,
in: Die Zeit, 30.8.1996
(40) "Ich bin sehr stolz". Henryk Broder
über Goldhagen, Vater und Sohn, in: Der Spiegel, Nr.21/1996, S.58/59
(41) Roll, Evelyn, Eine These und drei gebrochene
Tabus, in: Süddeutsche Zeitung, 9.9.1996
(42) ARD 5.9.1996. 23.Uhr 10
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt