"Wir
Nazis. - Immer wieder zu formulieren: das Schuldbekenntnis der Deutschen nach
der Niederlage des Nationalsozialismus 1945 war ein famoses Verfahren, das völkische
Gemeinschaftsempfinden in die Nachkriegsperiode hinüberzuretten. Das Wir zu
bewahren war die Hauptsache. Aber man erklärte nicht einmal, wir
hätten uns empören, wenigstens mit jenen verbinden sollen, die nicht mitmachten,
die den Verfolgten halfen, aber wir hatten verständlicherweise Angst. Die Anderen
sind nicht Nazis, sondern die Amerikaner und der Widerstand. Welch unendliche Kühle
und Fremdheit haben die armseligen 20. Juli-Feiern gekennzeichnet. Das Schuldbekenntnis
heißt vielmehr, wir und die Nazis gehören zusammen, der Krieg
ist verloren, wir müssen Abbitte tun, sonst kommen wir nicht rasch
genug wieder hoch. Erst wenn die Sieger Konsequenzen ziehen wollten, griff man zur
unverschämten Lüge und behauptet das Gegenteil der Schuld, wir
haben nichts davon gewußt, anstatt wir wollen es nicht wissen.
Selbst noch das Ich stand für das Wir. Ich war kein
Nazi, im Grunde waren wir's alle nicht. Das Wir ist die Brücke, das Schlechte,
das den Nazismus möglich machte. Der Unterschied zwischen dem Einzelnen und
dem Kollektiv wird eingebnet, wer ihn bewahrt, steht draußen, gehört
nicht zu uns, ist wahrscheinlich ein Kommunist. Als ob es dort nicht
wenigstens genauso wäre. Wer in der Politik und vielen anderen Sparten von
sich selbst spricht und die Landsleute als sie bezeichnet, erscheint,
auch wenn die Hörenden es nicht realisieren, ihnen als Verräter - nur
im Zufallsfall als anständiger Mensch." Max Horkheimer, Notizen 1950-1969
Dämmerung, 200f:
Hörten wir diese Wir nicht aus jeder Weizsäckerrede heraus,
den Rassismus, der gegenüber dem Rassismus sich erhaben dünkt; das Wir
der Kerzenhalter und das Wir derjenigen, die der Trauer verfallen, nur
wenn sie staatlich verordnet ist?
Noch in der Gegenrede gegen rechtsextremistische Gewalttäter wird auf die Volksgemeinschaft
eingeschworen, die jene hervorbringt. Der Rassismus wurde von Weizsäcker besser
präsentiert als von den Dreggers, Lummers und Stoibers, er ritzt sich in die
naiven Herzen ein besser ein als der plumpe Rassismus.
In der Predigt für das Wir der guten Deutschen, wird das Wir
der häßlichen Deutschen konstituiert. Der falsche Widerstand gegen den
Rassismus ist der Rassismus, der in der Republik seine Wirksamkeit entfaltet.
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt