VOLKSKUNDE
Über den Unterschied zwischen rassistischen Mob und deutschem Pöbel
Ein Aufklärungsversuch
Als sich im September 1991 der Mob in Hoyerswerda zusammenrottete, um unterm stürmischen
Applaus der Menge wie unter freundlicher Beobachtung durch die Polizei ein Ausländerwohnheim
anzugreifen, schien die Empörung des ehrenwerten Deutschlands noch einstimmig.
Für einen kurzen Augenblick tat die bürgerliche Öffentlichkeit so,
als hätte sie begriffen, daß Rassismus und Pogromstimmung zum neuen Deutschland
gehören wie die Faust aufs Auge. Doch der Protest meinte weniger die Gewalt
als das Faustrecht. Denn ein ordentlicher Rechtsstaat mag sich nicht nachsagen lassen,
er nötige seine Bürger dazu, selbst Hand anzulegen. So gesund ist das
Rechtsempfinden dieser Öffentlichkeit, daß sie an der rassistischen Lynchjustiz
nur zu bemängeln hat, das Rausschaffen habe ohne Waffen zu passieren. Und im
Ernstfall läßt sich der deutsche Staat sein historisches Monopol auf
Mord und Totschlag schon gar nicht bestreiten.
Die Halbherzigkeit des Protests speiste sich aus der fundamentalen Schizophrenie
des bürgerlichen Bewußtseins. Links, wo das Herz sitzt, ist der Bürger
ein Humanist reinsten Wassers, ein Apostel der Gewaltfreiheit - rechts dagegen,
wo ihm die Faust in der Tasche juckt, ein Nihilist, ein Jesuit der Gewaltfreiheit
in ihrer zweiten und eigentlichen Bedeutung, d.h. der Freiheit des Staates zur Gewalt.
Weil der Bürger ein staatsterroristischer Pazifist ist, weil er verdächtig
gut verstand, was den Mob umtrieb, weil er nur die Form, in der der Mob sein Anliegen
vortrug, grob und unzivilisiert fand, keinesfalls aber ihren deutschen Inhalt, darum
flaute die Empörung des besseren über das häßliche Deutschland
so schnell ab wie der Appetit beim Essen.
Mannheim-Schönau, das Hoyerswerda der Wessis, kümmert keinen. Daß
die Massen dieses proletarischen Viertels jeden Abend die dortige Grenadierkaserne,
in die man Flüchtlinge zu Hunderten gepfercht hat, so resolut belagern wie
noch nie eine Friedensbewegung je Pershing-Depots umzingelte, fällt weiter
nicht auf. Daß der sozialdemokratische Oberbürgermeister sich mit dem
Mob kritisch solidarisiert und ihm gut zuspricht, während der spärliche
Protest polizeilich behandelt wird, das bringt eine bürgerliche Öffentlichkeit
nicht in Rage, die Gewalt, ob von links oder rechts, schon deshalb abscheulich findet,
weil sie der von oben ins Handwerk pfuscht. Und nur genau so lange abscheulich findet,
wie der Staat braucht, um im Mob seine eigene Hilfstruppe zu erkennen. Kein Wunder
daher, daß das Bewußtsein darüber, daß das sogenannte "Ausländerproblem"
in Wahrheit ein Rassistenproblem darstellt, mit bemerkenswerter Schnelligkeit verdrängt
wurde. Konsequent verwandelt sich das räsonierende Publikum in den Pöbel
und wird zu Claquer, wenn nicht gar Einpeitscher des Mobs.
Während der Mob, der die Flüchtlingslager belagert, demoliert und anzündet,
relativ leicht zu identifizieren ist, ist der Pöbel überall und nirgends.
Der Mob ist dummdeutsch und brutal, der Pöbel liest v. Weizsaecker und spricht
hochtrabend von der "nationalen Identität". Der Mob ist glatzköpfig,
trägt Schnürstifel und Boberjacken - der Pöbel dagegen kommt entweder,
wie in Mannheim-Schönau, im Jogginganzug zur Fete, oder er trägt ein kleines
Schwarzes am Leib und ein Aktenköfferchen in der Hand, wie die Damen und Herren
vom Regierungspräsidium. Der Mob ist braune Sekte und Fraktion, zum Pöbel
dagegen gehören in letzter Instanz alle, die auch stolz darauf sind, "Deutsche"
zu sein. Der Mob ist Avantgarde, der Pöbel Armee. Der Pöbel ist eigentlich
nichts anderes als "das Volk" in Bewegung, das Volk, das die staatliche
Feindbestimmung in eigener Regie exekutiert. Anders gesagt: der Pöbel ist die
Erscheinungsform des Volkes, die es notwendig immer dann annimmt, wenn es den Grundsatz:
"Alle Macht geht vom Volke aus", nicht nur stillschweigend akzeptiert,
sondern höchstpersönlich praktiziert.
Daher ist der Pöbel überall und nirgends, ist überall, wo von der
Volkssouveränität geschwärmt wird, und nirgends, wenn das Volk ganz
germanisch als bewaffneter Mordhaufen agiert. Weder ist er einer bestimmten Einkommensklasse
zuzuordnen noch einer eindeutigen sozialen Klasse. Weil der Pöbel das Volk
in Aktion ist, kann er sich ebensogut aus den Wählern der Grünen wie aus
denen der Reps rekrutieren; er kann den Wiehre-Spießer ebenso mobilisieren
wie den Landwasser-Proleten, von den Eigenheimern ganz zu schweigen. Egal, aus welchem
sozialen Milieu das Mitglied des Pöbels stammt, egal, ob er eine schwere Jugend
gehabt hat oder nicht, gleichgültig, ob er stolzer "Arbeitsplatzbesitzer"
oder geknickter "Modernisierungsverlierer" ist, unerheblich, ob er politisch
beim "Bund gegen Anpassung" oder eher bei den Christdemokraten beheimatet
ist - immer ist er der Auffassung, daß der Staat in erster Linie für
das Volk zu sorgen habe. Und seine herzliche Teilnahme am Treiben des Mobs versteht
der Pöbel nur als Fingerzeig für den Staat, seiner Pflicht auch wirklich
nachzukommen.
Mag auch das Bewußtsein der fraktionsübergreifenden politischen Einheit
des Pöbels noch nicht in voller Pracht und Grausamkeit zur Erscheinung gekommen
sein - die Angst jedenfalls, die der Pöbel zu seiner Rechtfertigung reklamiert,
kennt längst keine Parteien mehr. Eine knallharte Interessenpolitik, die darin
besteht, den globalen Reichtum zuerst in die Schaufenster zu stellen und dann den
Enteigneten das Betteln zu verbieten, läßt sich in einem Land, in dem
man barbusige Zigeunerinnen über die Ehebetten hängt, schlecht verkaufen.
Immer war es den Deutschen unangenehm, ihre schmutzigen Interessen einfach so und
ohne Weihrauch zu vertreten. Daher muß man Angst haben, Angst vor der Apokalypse,
vor dem Ozonloch, vor der Überbevölkerung und vor der Menschenflut. Um
jeden Preis muß man Angst haben, damit die Aggression gegen die Armen als
ihr gerades Gegenteil erscheint, als Notwehr gegen den Feind. Panische Angst muß
dort geheuchelt werden, wo man sich vor der Kapitalisierung des Globus nicht im
mindesten fürchtet. Es ist nicht die Ahnung der totalen Krise, die Menschen
zum Pöbel macht, sondern die egoistische Weigerung, ihren Grund zur Kenntnis
zu nehmen. Die Flucht in die Angst ist nur ein Signal dafür, daß man
sich vor Kapital und Staat überhaupt nicht fürchtet. Ganz im Gegenteil:
besteht doch der Auftrag genau darin, die Folgen auszusperren, die Resultate abzuwehren
und die Rechnung von denen bezahlen zu lassen, die die "neue Weltordnung"
allerdings nicht bestellt haben. Es ist die Wahnidee, der Staat könne, wenn
er nur wolle, zwischen Ausgebeuteten und den Profiteuren eine Grenze ziehen, die
die Leute zum Pöbel werden läßt. Die Deutschen haben sich ein "Ausländerproblem"
erfunden, um nicht über ihren Anteil an sozialer Ungleichheit und ökologischer
Verwüstung anders nachzudenken als es auf den Kirchen- und Parteitagen üblich
ist.
Es lohnt sich nicht, über die rechte Fraktion des Pöbels viel Worte zu
machen. Das Reptil Schönhuber hat ganz recht, wenn er anläßlich
der badenwürttembergischen Landtagswahl bemerkte, "daß die CDU in
ihren Parolen zum Teil weiter ging als wir. Es ist Heuchelei, uns zu diffamieren
und selbst die gleichen Parolen zu gebrauchen". Auch die Grenzen zur Sozialdemokratie
sind mehr als nur fließend; und der ganze Krakeel geht letztlich doch nur
um die Frage, wer den Pöbel anführen darf.
Wenn es den Mob nicht gäbe, der Pöbel würde ihn erfinden. Er entsteht
nicht mir nichts dir nichts - er wird konsequent mobilisiert. Von Staats wegen.
Die bürokratische Fraktion des Pöbels - auch "politische Klasse"
oder "Elite" genannt-, arbeitet schon lange an der Definition des "Deutschen"
und des "Fremden", seit den Nürnberger Gesetzen mindestens und seit
dem Reichsbürgergesetz jedenfalls. So taugt der Streit um die Änderung
des Art. 16 Grundgesetz wesentlich dazu, den Deutschen in Erinnerung zu rufen, was
für ein Glück es ist, von einer Staatsgewalt kommandiert zu werden, die
sich Sorgen macht - und nicht von irgendeinem drittklassigen Drittweltssouverän,
der um jeden froh ist, den er loswird. Obwohl kein Schwein weiß, was das eigentlich
ist, deutsch, muß das Undeutsche doch definiert werden, um den Tatbestand
zu rechtfertigen, daß, wer nicht dazugehört, auch kein Recht auf Leben
geltend machen kann. Das ist die Arbeit der Politik. Zwar ist ihre Absicht, sich
auf sog. "Nichtverfolgerstaaten" zu einigen, der blanke Hohn, zwar ist
die Diffamierung der Massenarmut als "Wirtschaftsflucht" eine bodenlose
Gemeinheit . aber das ändert nichts daran, daß der politisierende Pöbel
persönlich nichts gegen Ausländer hat. Ganz und gar nichts. Für die
"Staatsverdrossenheit", die leider das Gegenteil vernünftiger Staatsfeindschaft
darstellt und vielmehr den Ausdruck einer ziemlichen Sucht nach Autorität,
kann die Politik nichts. Und mehr kann sie nicht tun, als die "Sorgen"
und die "Angst" des Mobs auch wirklich "ernst zu nehmen". Mehr
kann er nicht tun, der Bundespräsident, als vor laufender Kamera kaffeebraune
Gören auf den Arm zu nehmen und zugleich die "nationale Identität"
des Pöbels anheizen. Weil der politisierende Pöbel über die Macht
verfügt, zu definieren, wer als überflüssig, und also undeutsch zu
gelten hat, dienen sich ihm allerhand Reformer und Pläneschmiede an, die ihm
soufflieren möchten. In aller Unschuld erdreisten sie sich, die Selektion humaner
und effektiver als die Bürokratie zu organisieren. Sie schmieden Einwanderungsgesetze,
oft nach amerikanischem Vorbild, um derart ihren Beitrag zur "Zivilgesellschaft"
zu leisten. Oder sie plädieren, wie jüngst Daniel Cohn-Bendit im Hessischen
Rundfunk, dafür, die Debatte zu "versachlichen" - d.h. über
die "Asylantenflut" so pragmatisch wie über die "Autoflut"
zu diskutieren. Dieser multikulturelle Pöbel ist durch die Bank staatstragend,
wenn auch hie und da regierungskritisch. Er macht sich ein Sport daraus, sogar im
Rahmen der landesweiten "Aktionswoche gegen Internierungslager, Schnellverfahren
und Abschiebungen" ein (natürlich) "kritisches Seminar" über
die "Alternativen zu bestehenden Gesetzen zu erarbeiten".
Eine besonders perfide Form des Pöbels ist der pöbelfeindliche Pöbel.
Ihm zufolge müssen "die Anderen" nur deshalb draußen bleiben,
weil ihre Präsenz andernfalls einen rassistischen Pöbel provozieren würde:
Gerade weil man die Ausländer mag, haben sie einem nicht aus der Tasche zu
liegen. Die Bitte des Bürgervereins Unter- und Mittelwiehre an OB Böhme,
die Stadt möge doch wegen der drohenden "sozialen Abwertung" des
Viertels davon absehen, in Vauban-Viertel Flüchtlinge zu kasernieren, ist postmoderne
Variation der alten Naziparole von den "judenfreien Städten".
Der multikulturelle Pöbel, der nicht von ungefähr auf einige Tradition
in Pazifismus und Ökologie verweisen kann, erreicht die Spitze seines Selbstbewußtseins
in der wissenschaftlichen Fraktion des pöbelfeindlichen Pöbels. Die Vorurteilsforscher,
Soziologen und Pädagogen arbeiten so eifrig an der Freisprechung des Mobs,
das sie selber schon fast Nazis geworden sind. Unter dem Problem mancher Historiker,
sich den Nationalsozialismus nicht erklären zu können, weil der Führer
kein Tagebuch geführt hat, leiden sie überhaupt nicht; die moderne, tiefenpsychologische
und themenzentrierte Interviewmethode macht alles möglich. Unter deutschfreundlichen
Antirassisten wohlgelittene Gestalten wie der freiburger Professor Roth oder der
bundesweit agierende Heitmeyer arbeiten nur daran, den Mob für staatliche Zwecke
besser nutzbar zu machen. Indem sie die Volksgemeinschaft zur Propagandaphrase erklären
und den Rassismus aus der Lust der "Modernisierungsverlierer" auf Sündenböcke
ableiten, ignorieren sie konsequent des staatstragenden Charakter des Mobs. Aber
der Mob betreibt den Aufstand für die Ordnung, die sich der Pöbel wünscht
und die der Staat braucht.
Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!
Initiative Sozialistisches Forum
P.S.: Übrigens ist der Eindruck ganz falsch, die Autoren dieses Flugblattes
hätten irgendetwas gegen Deutsche. Ganz im Gegenteil: Einige unserer besten
Freunde sind Deutsche.
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt