Der veredelte Faschist
Ernst Jünger schrieb Handbücher für den stilvolleren Reaktionär.
Von Jutta Ditfurth
Es ist vollkommen gleichgültig, ob Ernst Jünger ein guter oder ein schlechter
Schriftsteller oder ein "Dandy" (Spiegel) war; er ist einer der Wegbereiter
des NS-Faschismus. Es gibt keinen moralischen Freiraum, neben dem eine "abstrakte
Leistung" gewürdigt werden könnte.
Jünger war kein NSDAP-Mitglied, sondern einer, der die Nazis aus der elitären
Position des "besseren Faschisten" kritisierte, einer dem die Nazis "zu
flach", "stillos", weder energisch noch wirksam genug waren. Der
weitgehend unkritische Jubel um seine Person verhöhnt auf das widerwärtigste
alle Opfer des Faschismus.
Jünger propagierte bereits nationalsozialistisches Gedankengut und eine umfassende
faschistische Ideologie, bevor die Nazis ihre "Reihen in Stellung" gebracht
hatten. Jahre, bevor Goebbels im Sportpalast den "totalen Krieg" ausrief,
forderte Jünger ihn in seinem Buch "Die totale Mobilmachung". Er
schrieb eine Reihe von kriegsverherrlichenden Büchern, die die Vision des totalen
Staates glorifizieren und gleichzeitig "Handbücher" sind, mit praktischer
Anleitung, wie der Faschismus zu führen sei.
Jünger arbeitete für eine reaktionäre Revolution, die Demokratie,
Individuum und Freiheit vernichten und einen totalen Militärstaat aufbauen
sollte. In Büchern wie "Der Arbeiter" (1932) glorifiziert er die
Maschinenwerdung des Menschen, den "Typus" als Gegenbild zum Individuum,
die Unterwerfung unter den "totalen Staat". Seinen Menschentypus sieht
er in einem Zusammenhang mit der "Rassenlehre".
Jünger ist 37 Jahre, als er schreibt: "Erst mit dem Eintritt dieser Erscheinungen
wird Staatskunst und Herrschaft im größten Stile, das heißt Weltherrschaft
möglich sein." ("Widerstand 4") Die totale Diktatur ist gleichsam
ein Naturgesetz.
Ernst Bloch schrieb in "Prinzip Hoffnung": "Was Ernst Jünger
sich als Einheit von Arbeitertum und Soldatentum ausgedacht, ist die gleiche Demagogie
im Kommandoton, die Rosenberg in Blut und Waberlohe vorgeführt hat (...), so
sah Gesamtutopie faschistisch aus."
Jünger sehnte den Krieg herbei: "Die Gliederung aller Deutschen in das
große Hundertmillionenreich der Zukunft, das ist das Ziel, für das es
sich wohl zu sterben und jeden Widerstand niederzuschlagen lohnt. Uns aber leite
über alles Niederträchtige hinweg unsere große, klare und verbindende
Idee: das Vaterland, in seinem weitesten Sinn gefaßt. Dafür sind wir
alle zu sterben bereit." ("In Stahlgewittern")
Ein "großer" Schriftsteller? "In göttlichen Funken spritzt
Blut durch die Adern, wenn man zum Kampfe über die Felder klirrt im klaren
Bewußtsein eigener Kühnheit. Unterm Sturmschritt verwehen alle Werte
der Welt wie herbstliche Blätter. Auf solchen Gipfeln der Persönlichkeit
empfindet man Ehrfurcht vor sich selbst. (...) Gewiß wird der Kampf durch
seine Sache geheiligt; mehr noch wird eine Sache durch Kampf geheiligt. (...) Mir
ist Kampf immer noch etwas Heiliges, ein Gottesurteil über zwei Ideen."
("Der Kampf als inneres Erlebnis")
Jünger verlangte die totale Mobilmachung für den Zweiten Weltkrieg. Er
wollte die große Revanche für den Ersten Weltkrieg. ("Krieg und
Krieger") "Wir brauchen für die kommenden Zeiten ein eisernes, rücksichtsloses
Geschlecht. Wir werden wieder die Feder durch das Schwert, die Tinte durch das Blut,
das Wort durch die Tat, die Empfindsamkeit durch das Opfer ersetzen - wir müssen
es, sonst treten uns andere in den Dreck." ("In Stahlgewittern")
"Leben", sagt Jünger, "heißt töten." ("Der
Kampf als inneres Erlebnis")
Der Menschenverächter ist vom Morden berauscht: Krieg ist ein "vom überschäumenden
Blute der Jugend berauschtes Fest", die Stunde der "großen Gefühle".
Auf einer einzigen Seite in "Der Kampf" schreibt er: "Blutdurst",
"Wollust des Blutes", "sich auf den Gegner stürzen, ihn packen,
wie es das Blut verlangt!", "Lechzen, sich im Kampfe völlig zu entfesseln".
Dies mündet schließlich in: "Orgien der Wut" (...) "an
grenzenlosem Schwung nur dem Eros verwandt".
Krieg, Schmerzen und Blut betrachtet er unter dem Gesichtspunkt der Erlebnisintensität
für sich selbst. Der Krieg wird zum Kunstwerk - für den Überlebenden.
Wer den Naziideologen ästhetisiert - "Dandy" - hat eine Flanke offen,
in absehbarer Zeit auch der deutschen Beteiligung an Kriegen eine spezifische "Ästhetik"
abzugewinnen. Andere Menschen werden zum Material für den eigenen Rausch, der
die Langeweile des eigenen sinnleeren Lebens unterbrechen soll.
Einmal schildert Jünger eine Exekution, die mitzuerleben er gewünscht
hatte, und bezeichnet diesen Wunsch als einen "Akt höherer Neugier",
ein anderes Mal beschreibt er, wie er bei einem Fliegerangriff auf Paris, auf dem
Balkon stehend, zuschaut und ein Glas Champagner in der Hand hält, in dem Erdbeeren
schwimmen.
1930 äußert sich Jünger "Über Nationalismus und Judenfrage":
"Hiermit hängt der Mangel an Folgerichtigkeit zusammen, die dem Antisemitismus
der nationalen Bewegungen, die sich als revolutionär bezeichnen, eigentümlich
ist. (...) Man (wird) durch den Mangel an Instinktsicherheit überrascht, aus
dem heraus der Stoß gegen den Juden zwar oft unter großem Aufwand, aber
immer viel zu flach angesetzt wird, um wirksam zu sein." ("Über Nationalismus
und Judenfrage")
Jünger will "den Juden" als das schlechthin "andere" entlarven:
"Die Erkenntnis und Verwirklichung der eigentümlichen deutschen Gestalt
scheidet die Gestalt des Juden ebenso sichtbar und deutlich von sich ab, wie das
klare und unbewegte Wasser das Öl als eine besondere Schicht sichtbar macht.
In dem Augenblick jedoch, in dem der Jude als eine eigentümliche und eigenen
Gesetzen unterworfene Macht unverkennbar wird, hört er auf, am Deutschen virulent
und damit gefährlich zu sein. Die wirksamste Waffe gegen ihn, den Meister aller
Masken, ist, ihn zu sehen (...), im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche
Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste
Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbarer werden, und
er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder
Jude zu sein oder nicht zu sein." ("Über Nationalismus und Judenfrage")
Die Revolutionäre von 1918/19 verachtet der Herrenmensch als "Ausgeburten
des Hungers und der Feigheit, viehisch ist der einzige Ausdruck (...). Den Deserteuren
scheint sich in sicherer Entfernung ein geistiges Zuhältertum und geschäftsmäßiges
Literatenpack zuzugesellen, für das sofort die Prügelstrafe wiedereingeführt
werden müßte." ("Das Wäldchen")
Der Feind sind nicht nur KommunistInnen oder SozialistInnen: "Ich hasse die
Demokratie wie die Pest", sagte Jünger 1925. In der letzten Zeit formulierte
er es taktischer, die "Demokratie (ist) eine Pforte zur Gewalt". Für
den erträumten deutschen Militärstaat ist das mindeste die Abschaffung
der Pressefreiheit (1932): "(...) die Trockenlegung jenes Sumpfes der freien
Meinung, in den sich die liberale Presse verwandelt hat." ("Der Arbeiter")
Ernst Jünger mußte, um nach 1945 weiter "gesellschaftsfähig"
zu sein, auf eindeutig faschistische Bekenntnisse verzichten und jeder Aufklärung
über seine Vergangenheit - von der er sich nie distanzierte - aus dem Weg gehen.
Eine Zeitlang flüchtete er in unpolitische Tagebuchnotizen, Meditationen über
Sanduhren und Schmetterlinge und in mythisch abstrakte Fiktionen.
Erfolgreicher Opportunist, der er stets war, brauchte er zehn Jahre für die
Herausgabe seiner gesammelten Werke, denn er hatte viele Texte zu verändern.
Sein Verhältnis zu seinem faschistischen Werk blieb ungebrochen. Er liebte
es, seine braunen Bekenntnisse in schwülstigen Bildern zu verbergen. In einem
neuen Votwort für "Der Arbeiter", jene Hymne an den totalen Staat,
schrieb der Käfersammler und spätere Kohl-Freund 1963: "Das Werk
über den Arbeiter erschien im Herbst 1932, zu einer Zeit, in der bereits an
der Unhaltbarkeit des Alten und der Heraufkunft neuer Kräfte kein Zweifel mehr
bestand. Es stellte und stellt den Versuch dar, einen Punkt zu gewinnen, von dem
aus die Ereignisse in ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeit nicht nur zu begreifen,
sondern, obwohl gefährlich, auch zu begrüßen sind." ("Der
Arbeiter") Und in einem Leserbrief an die rechtsextreme Deutsche Soldatenzeitung
vom 9. Mai 1960 rühmt er sich: "Ich habe unter anderem dafür gesorgt,
daß in meinem Bezirk keine weiße Fahne gehißt wurde." Ein
"Dandy".
Vermeintliche Distanzierungen vom NS-Faschismus geraten Jünger gelegentlich
zum Gegenteil. Der Zeitung Le Monde antwortet er 1973: "Aujourd'hui encore,
je ne puis pardonner ê Hitler (...) d'avoir gaspillé cet instrument
magnifique qu'était notre armée." ("Heute noch kann ich
Hitler nicht verzeihen, dieses wunderbare Instrument, das unsere Armee ist, mißbraucht/verschwendet
zu haben.") Jünger ist enttäuscht von Hitler, weil der die gute Sache,
für die er, Jünger, gelebt hat, nämlich den "totalen Krieg",
versiebt hat.
In der 8. Auflage von "Strahlungen" (1980) finden wir eine scheinbare
Distanzierung von der Shoah, jedoch aus antisemitischen Gründen: "Es heißt,
daß seit der Sterilisierung und Tötung von Irren die Zahl der geisteskrank
geborenen Kinder sich vervielfacht hat, ganz ähnlich (...) führt die Dezimierung
der Juden zur Verbreitung jüdischer Eigenschaften in der Welt, in der alttestamenterische
Züge sich ausbreiten. Durch Ausrottung löscht man die Urbilder nicht aus;
man macht sie eher frei."
Noch mit 76 Jahren gab er seinen Namen für die Herausgeberschaft der italienischen
faschistischen Monatszeitschrift La Destra. In dieser Zeitung standen 1972 Sätze
wie: "Das Blut von einer Million Menschen ist gut vergossen, wenn es nur eine
Ruhmeslegende für die kommenden Generationen schafft (...), wozu es vergossen
wird, spielt keine Rolle." Und dem Spiegel sagt er 1984: "Mit Hitlers
Sudetenland-Politik und dem Anschluß Österreichs bin ich noch heute völlig
d'accord."
1982 erhielt Ernst Jünger den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. Nachdem
wir (die Autorin war von 1981 bis 1985 linke grüne Stadtverordnete; J.D.) Textauszüge
aus Jüngerschen Werken veröffentlicht hatten, Veto gegen die öffentliche
Anerkennung faschistischen Gedankenguts einlegten und Widerstandsaktionen ankündigten
(und auch durchführten), brach in der alten BRD ein heftiger, wochenlanger
Tumult los. Bürgerliche AntifaschistInnen fanden wir auf unserer Seite, Josef
Fischer und seine Gang verteidigten hingegen Jünger. Die Feuilletons der Republik
waren tief gespalten.
Jünger bekam schließlich, durch ein Spalier von Polizisten in die Paulskirche
schreitend, seinen Preis. Zu diesem Preis hatte er eine ganz persönliche Beziehung:
Im Oktober 1930 hatte Jünger versucht, mit zwanzig von Goebbels bestellten
SA-Männern eine nazikritische Rede zu stören, was schließlich zu
einem Tumult mit Polizeieinsatz führte. Die Rede wurde von Thomas Mann gehalten,
dem Goethepreisträger von 1949.
aus: Jungle World 9/98
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt