Roter Teppich für Jünger
Andreas Benl
Gegner und Fans sind sich einig. Die Planstelle "Nationaldichter" kann
endlich besetzt werden
Hätte sich Ernst Jünger kurz vor seinem 100. Geburtstag erschossen, ihm
wäre ewiger Nachruhm unter seinen rechten Anhängern sicher gewesen. Jetzt
ist es vielleicht zu spät. Ernst Jünger galt im In- und Ausland als Inkarnation
des guten deutschen Konservativen. 1933 hatte er seine radikalfaschistische Phase
schon hinter sich und konnte sich in die "innere Emigration" begeben,
die seine deutschnationalen Schriftstellerkollegen erst nach dem Krieg entdeckten,
als es darum ging, die zurückgekehrten Emigranten des nationalen Verrats anzuklagen.
Zum Jahrhundertjubiläum wurde mit großem Lärm noch einmal das Spektakel
des "zwischen Links und Rechts umstrittenen Dichters" aufgeführt.
Gratulanten, die wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten dazu verdammt waren, dem
Unverwüstlichen in regelmäßigen Abständen Lobeshymnen zu schreiben,
strapazierten noch einmal ihre ganze Phantasie, um Ernst Jünger eine würdige
Laudatio zu widmen. Ein sprachgewaltiger Chronist sollte er gewesen sein, für
manche sogar Vertreter einer deutschen Moderne. Hinzu kamen die Schülerzeitungsaufsätze
aus der Jungen Freiheit und anderen Blättern des neurechten Nachwuchses.
Nach Jüngers verspätetem Tod überwiegt bei den alten Kameraden im
Feuilleton (sofern sie nicht zur fanatischen Fangemeinde gehören) eine gewisse
Erschöpfung, zuweilen sogar Gereiztheit. "Man kann nicht gerade sagen,
daß Ernst Jünger einen nennenswerten Beitrag zur deutschen Literatur
der letzten Jahrzehnte geleistet hätte", schreibt Wolf Jobst Siedler in
der Berliner Zeitung. Frank Schirrmacher will sich in der FAZ zu Stilfragen lieber
gar nicht erst äußern: "Denn es bedurfte längst keiner literarischen
Anstrengung mehr, um dieses Leben symbolisch zu machen." Mit Bertolt Brecht
und Thomas Mann als Repräsentanten großer deutscher Kultur habe Jünger
nur die "Verachtung demokratischer Verkehrsformen" gemein gehabt. Nicht
mehr die angebliche antitotalitäre Geradlinigkeit des Autors steht im Vordergrund,
sondern eine weltanschauliche Ambivalenz, zu deren Beweis schon die Auflistung von
Jüngers linken Freunden und rechten Feinden ausreicht. Ein etwas lauer Abschied.
Doch wo die Gefahr am größten ist, da wächst das Rettende auch.
Jünger wird nicht in Vergessenheit geraten, weil sich jüngere und unverbrauchtere
Anhänger gefunden haben. Wer, wie Alexander Kluge, "bis 1987 nichts"
von Jünger gelesen hatte, dann aber, wie er in der Süddeutschen Zeitung
bekennt, "auf einen Hinweis von (Heiner) Müller alles: Erzählungen,
Romane, Tagebücher. Wirklich alles", der bringt gute Voraussetzungen für
einen produktiven Umgang mit Jüngers Werk mit: "Bei Jünger hatte
ich eine Geschichte zum roten Teppich gefunden, wo er analysiert, daß ein
solcher Teppich ausgebreitet wurde bei der Ankunft des Agamemnon und wie das dann
blutig endete mit dem Tod im Badezimmer. Ich habe das zum Ausgangspunkt für
ein Geschichte gemacht von einem Mann, der 1945 aus dem Krieg kommt zu seiner Frau
und seine Kameraden essen das Liebespaket seiner Frau und sterben an GiftÖ"
Stefan Breuer - vormals kritischer Theoretiker, jetzt Weberianer und Chronist der
Konservativen Revolution - verblüfft in der Berliner Zeitung durch einen Nachruf,
der keines der Klischees ausläßt, die selbst Altkonservative nicht mehr
auszusprechen wagen. Da wird zunächst der "Meister des Überlebens"
gefeiert, der Krieg, Revolution, die schweren Jahre zwischen 1933 und 1945 und:
"Nicht zu vergessen: die ersten Experimente mit LSD" unbeschadet überstanden
hat. Seine 1944 verfaßte Schrift "Der Friede", in der Jünger
die Schuld am "Weltbürgerkrieg" gleichmäßig auf Alliierte
und Nazis verteilt, sei eine Art UNO-Manifest, in dem die "internationale Sicherung
von Freiheit und Menschenwürde" gefordert werde. Den "Nachgeborenen"
steht es nicht zu, auf einen, der so viel erlebt hat, mit dem Finger zu zeigen.
Das Schlußurteil steht von vorneherein fest: "Ein Beobachter dieser Statur
ist nicht zu ersetzen."
Für Jüngers Spätwerk erklärt sich in der taz der nachgeborene
Schriftsteller Klaus Modick zuständig. "Nach 1945 zog sich Jünger
in eine Art zweiter, innerer Emigration zurück (...) Während der 70er
Jahre erschloß er sich durch die kultur- und technologiekritisch grundierten
Tagebücher 'Siebzig verweht' eine neue Leserschaft, auch und vor allem aus
der sogenannten Linken. Allerdings war dies eine Leserschaft, die sich nicht mehr
ideologiekritisch orientierte, sondern eher ökologisch und hedonistisch."
Tatsächlich kann es passieren, daß einem auf Jünger-Symposien grauhaarige
Vollbärte begegnen, die von Jüngers tiefen Einsichten in den verderblichen
Einfluß des naturzerstörerischen jüdisch-christlichen Logozentrismus
berichten.
Zugänge zu Jünger gibt es viele, aber Modick benennt mit Jüngers
"einzigartige(r) Kunst, (Ö) naturwissenschaftliche Erkenntnis mit literarischer
Darstellung zu verschränken" ihren gemeinsamen Nenner: Hätte Jünger
sein ganzes Leben lang den unpolitischen Beobachter gemimt, dann wäre sein
Werk längst als das eines langweiligen Mitläufers ad acta gelegt worden.
Gerade Jüngers auf "Marmorklippen" und im "Waldgang" vermeintlich
überwundene faschistisch-militaristische Vergangenheit ist die Trumpfkarte
seiner literarischen Vita. Glaubwürdiger als andere konnte er den eben noch
fanatisch herbeigesehnten völkischen Staat nach dem verlorenen Krieg als unvermeidbaren,
quasi naturgesetzlichen Schicksalsschlag darstellen, weil er sich etwas früher
zurückgezogen hatte als seine Kollegen. Meisterhaft stilisierte er nach dem
verlorenen Krieg das revanchistische Ressentiment gegen "grobschlächtige
Amerikaner und Pariser Verbrechercliquen, die den Argot in die Literatur einführten"
(Jünger 1948), zum Widerstand gegen diffuse totalitäre Bedrohungen. Der
mild gestimmte Naturfreund der späten Jahre rundet das Bild ab.
Der Mann hat also für jung und alt etwas zu bieten und eignet sich nach wie
vor gut für die Planstelle Nationaldichter, allerdings nicht wegen irgendwelcher
rechter Seilschaften, sondern weil er das ganze Spektrum des deutschen Elends repräsentiert:
Den Krieger für die spätpubertierenden Jungkonservativen, den unschuldigen
Deutschen für die NS-Generation und den biodynamischen Drogenfreak für
die postkritischen 68er.
aus: Jungle World 9/98
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt