Wie bekämpft man Fundamentalismus?
Die Gründe des Fundamentalismus
Die Denker des 19. Jahrhunderts beschrieben die Entwicklung der bürgerlichen
Gesellschaft ganz triftig in folgender Weise:
"Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene
Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit
und Bewegung zeichnet die Bourgeoisiepoche vor allen anderen aus. Alle festen
eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen
und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie
verknöchern können. Alles Ständische verdampft, alles Heilige
wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung,
ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen."(MEW
4, S. 465)
Die fortwährende Umwälzung, die ununterbrochene Erschütterung aller
Zustände ist nun zum Dauerzustand geworden. Die Unsicherheit und Bewegung erscheint
zu einem Dauerzustand zu werden.
In solcher Situation entsteht Fundamentalismus, nämlich als verzweifelter Versuch,
den entwurzelten, verunsicherten Individuen seelischen Halt zu geben, durch Kitten
ausgerechnet der Fundamente, die endgültig erschüttert sind. Aber gerade
darum besteht der Fundamentalismus auf diese. Von Einwänden gegen seine Überzeugungen
will er keinesfalls etwas wissen, weil er sie zuinnerst allzu schmerzlich selber
spürt. Fundamentalismus ist gleichzeitig immer auch das angestrengte Dementi
seines eigenen Zweifels, ein von Unglauben zersetzter Glaube. Er ist kein Zurück
etwa ins Mittelalter, sondern im Gegenteil eine typische Manifestation der Moderne.
Die erste Form von Fundamentalismus - der Protestantismus - entstand nicht zufällig
in der modernen Gesellschaft Europas, die aus der christlichen hervorging. Eine
späte Variante von Fundamentalismus trug sich 1870 zu als der Papst seine Unfehlbarkeit
verkündete. Im Dogma der Unfehlbarkeit spricht sich allerdings nur der sich
nicht wahr haben wollende Unglaube an die eigene Überzeugungskraft aus. Lehren
- unvereinbar mit eher unwesentlichen christlichen Lehren - wie die von Kant, Marx,
Darwin und Freud verbieten zu wollen, zeugt nur davon, daß der Glaube vom
Unglauben schon zernagt ist. Es ist eine Glauben, der sich wider besseren Wissens
behauptet.
Daß man das Unfehlbarkeitsdogma modernen Menschen nicht weismachen könne,
wußte eine andere nicht weniger fundamentalistische Bewegung, die glaubte,
daß dieser den Glauben schwächen würde, ebenso gut. Die Gruppe gab
sich den Namen "Altkatholiken" und kritisierte, daß die offizielle
Kirche von den alten Lehren abgewichen sei. Man stritt sich also darum, wie der
Glaube gegen den Zersetzungsprozeß, der oben beschrieben wurde, immun gemacht
werden könne. Weitere Dissidenten in beide Richtungen folgten, Boff, Küng,
die Heinemann oder Drewermann, andere Arten von Fundamentalisten, die sich mehr
modern geben. Harter wie weicher Fundamentalismus leben gut nebeneinander.
Fundamentalismus ist nie das gegenteilige Extrem der Moderne, dumpfer Antimodernismus.
Auch im Islam fehlt es nicht an Versuchen, den Koran so zu glätten, daß
er in die neue Welt paßt. Der moderne Islam steht allerdings, obgleich der
überlebensfähige nicht im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, sondern
die Offenheit und Gewalt, mit dem in der Minderheit sich befindliche Extremisten
im Namen Alahs, der Propheten und des Korans den Kampf gegen die Modernisierung
aufnehmen. Der Fanatismus, mit der extrem Minderheiten auftreten, ist allerdings
nur Zeichen eines bereits so erschütterten Glaubens, der vergleichbar mit der
Entwicklung in Europa im Zeitalter der Säkularisation ist. Alles Ständische
verdampft, wie eingangs zitiert wurde. Das Zukunftsweisende an der Modernisierung
zu verspüren war allerdings ein Privileg von Minderheiten im Westen, von wenigen
Europäern oder Europäisierten. Die Dritte Welt und jetzt die zweite haben
nichts als die grauenhafte Seite der kapitalistischen via moderna kennengelernt.
So hat die feierliche Aufforderung zum Mord an einen nicht mal mittelmäßigen
Schriftsteller, der als Beleidiger des Islam auftrat, die Öffentlichkeit erregt
und gilt als Gipfel von Fundamentalismus. Allerdings fand dies nicht bloß
Ablehnung, so beschrieb auch der "Osservatore Romano"(die päpstliche
Zeitung) den Roman Rushdies als "beleidigend für Millionen von Gläubigen":
"Ihr religiöses Gewissen und Gefühl sind beleidigt worden und erheischen
Respekt. Unser eigener Glaube verlangt von uns, die beleidigenden und gotteslästerlichen
Inhalte des Buches zu bedauern."(cit. FR 4.1.92)
Immerhin hat so eine Epoche religiöser Gemeinsamkeit begonnen und der fremde
Glauben wird nicht mehr als beleidigend und gotteslästerlich erachtet, allerdings
geht das nach dem Leitsatz, daß die Feinde meiner Feinde meine Freunde sind.
Daß sich Anfang des Jahrhunderts eine ökumenische Bewegung gründete
war kein Anfall von Toleranz, sondern der gemeinsame Kampf gegen die eingangs beschriebenen
Zersetzungsprozesse der kapitalistischen via moderna.
Der Junikrieg 1967 und der libanesische Bürgerkrieg 1975/76 sind Signum des
Durchbruchs eines islamischen Fundamentalismus. Dies mag prima facie paradox erscheinen,
gilt die Periode dazwischen doch als ein allgemein höchst säkulare, ja
ultra-säkulare Tendenzen verwirchlichende. Doch der erste Blick täuscht,
die sukzessive Gegenbewegung war mit diesem Säkularisationsprozeß eng
verbunden. Säkularer Nationalismus und islamischer Fundamentalismus stehen
in einem engen Zusammenhang. Der israelische Sieg, die Niederlage des arabischen
Nationalismus, hatte seine ideologischen Spuren hinterlassen. Die Niederlage galt
als Strafe, die alle Prophezeiungen bestätigte. Emmanuel Sivan beschreibt einen
typischen Fall eines Jugendlichen, der sich angesichts des choks der militärischen
Niederlage in seinen Zimmer sich einschloß und Ägyptens Orientierungslosigkeit
beweinte. Nach Mühen gelang es der Mutter ihn mit religiösen Gebeten und
Ritualen aus seiner Starre und Trauer zu lösen. Nach weiterer psychischer Stabilisierung
führte ihn eine Freund einem Prediger zu, der ihm den Weg in islamische Theologie
und Mystik wies. Seine Rückkehr zur Relgion demonstrierte er mit einem Vollbart,
gleichzeitig auch Ausdruck seiner neuen Gläubigkeit.
Solch abrupter Umschwung eines Ungläubigen Atheisten vom säkularen Nationalismus
in ein islamischen Selbstverständnis ist so abrupt, wie es erscheint wiederum
nicht. Ist doch der Nationalismus selber ein Glaube an die Nation, an eine Fiktion:
"Jede Nation ist die mit selektiv historisierenden Mitteln betriebene, interessierte
Pathetisierung und emotive Aufladung einer existierenden oder angestrebten souveränen
politischen Großorganisation, ein mythysierende Pathosformel für den
Staat selber; und jede empirische Feststellung eines "Nationalbewußtseins"
testet nur die Wirkung einer Propaganda: Jede Nation ist Indoktrination - das
gilt für die französische wie für die ukrainische, für die
österreichische wie für die deutsche, für die italienische wie
für die abchasische."(Rudolf Burger, Patriotismus und Nation, in: Leviathan
2/1994 S.168)
Es wird nur ein Fundamentalismus durch den anderen ausgetauscht. Es ist völlig
gleichgültig, ob man an die Unfehlbarkeit des Papstes oder an die eingebildete
Gemeinschaft als Nation glaubt, das letztere ist allerdings mörderischer als
das erste.
Der arabische Nationalismus des 19./20.Jahrhunderts beruhte auf der Übernahme
westlicher Institutionen, Einstellungen und Denkweisen, wie liberaler Konstitutionalismus,
Sozialismus, Nationalismus und semi-faschisitischen Baathismus. Die Rückkehr
des Islam kann nur vor den Hintergrund des Scheiterns der westlichen Vorstellungen
in noch nicht entwickelten Ländern verstanden werden.
Der Umschwung von Nationalismus zum islamischen Selbstverständnis weitete sich
von 1967 an aus. Der Volksislam in Ägypten war auf dem von der Modernisierung-
und Säkularisierung unberührten ländlichen Gegenden ohnehin ungebrochen,
so daß der Umschwung vor allen innerhalb der städtischen Eliten stattfand,
während gleichzeitig ein arabischer Nationalismus, der ultra-säkular anfing
sich von säkularen Deutungsmustern immer weiter entfernte. Dieser verband sich
auch mit dem palästinensischen Befreiungsnationalismus, der Konzept des Volkskriegs,
der Berührungen mit dem marxistisch-leninistischen Sozialnationalismus hatte.
Dieser verschmolz zu einer spezifischen kulturell verformten Drittwelt-Ideologie,
die sich an den Siegen der chinesischen, vietnamesischen und algerischen Revolution
orientierte.
Anfängliche Erfolge der palästinensischen Nationalisten, der Guerilla,
verhalfen der Säkularisierung einen Schub. Aber dieser erhielt im Libanon seine
schreckliche Widerlegung, als die laizistischen Vorstellungen sich während
des Bürgerkrieges als leicht unterminierbar erwiesen und in einem blutsüchtigen
Partikularismus ertränkt wurden. Der Nieder gang Beiruts und der Zerfall des
Libanons in sich befehdende Parteien besiegelte auch das Ende der säkularen
Sozialnationalisten (ML-Bewegung). 'Abd al-Malik, ein ehemals sozialnationalistischer,
d.h. marxistisch-leninistischer Soziologe, kann als Beispiel eines Wandels gelten,
der bei den Intellektuellen der Zeit gängig war. Der Soziologe bakannte sich
zu dem protoreligiösen Begriff des hususyya (der Besonderheit islamischen Selsbtverständnisses),
die sich der westlichen Lebensform entgegensetzte. Indem 'Abd al-Malik das islamische
aufbegehren in den Traditionszusammenhangg des islamischen Modernismus stellt, ignoriert
er den anti-nationalistischen Impetus des Revivalismus, konnte aber damit einem
instrumentellen Verhältnis zur islamsichen Revolution Vorschub leisten. Die
Schriften Kohmeinis wurden im Vorwort eines traditionell "linken" Beiruter
Verlags als trotz ihres religiösen Charakters seiner revolutionären Gedanken
als eine nationalistische, gegenwartsbezoge moderniste Ideologie ausgeben, wie Sivan
berichet.
Dieser Trend unter "linken" arabischen Theoretikern, den Islam als progressive,
anti-westliche Form politischer Selbstbestimmung zu deuten, hat allerdings ein entscheidendes
Element linker Theoriebildung, den Laizismus, unterminiert und damit die Aufhebung
des Gegensatzes von Christen und Muslimen revoziert. Diese Art Neutralisierung des
Religiösen war noch fragil, da der arabische Nationalismus sich als säkularisierter
Islam begriff. Der arabische Nationalismus wurde so zunehmend islamisch durchdrungen.
Der radikale Islam war immer dort erfolgreich, wo die Linke gescheitert war, die
ja auch ins andere Lager dann überlief. Daß sie wirkungslos geblieben
waren, ließ sie nach Identifikationen suchen, die schließlich in einen
radikalen Islam als Ausdruck einer der westlichen Rationalität entgegengesetzten
Vernunft gefunden wurde. Dies hat gewissen Parallen mit ehemaligen Sozialnationalisten
(MLern, aber auch der Neuen Linken), die dann ins nationalsozialistische oder faschistische
Lager überliefen, wie manche SDSlers wie Oberlercher, Maschke, Röhl, Mahler
usw.
Auch diese haben sich durch Niederlagen und die eigene Ohnmacht dumm machen lassen
und hängen dann einem Fundamentalismus der Nation an. Wenn ein Fundamentalismus
hierzulande zu bekämpfen ist, dann der der Identifikation mit der Nation.
Was dagegen setzen?
Nun ist es, wie das in nachlassenden Denken der neueren Zeit üblich ist, nicht
so, daß alle Gewißheiten und Wahrheiten erschüttert sind und einem
dogmatisierten absoluten Wissen einfach das Prinzip einer relativierenden öffentlichen
Debatte entgegengesetzt werden können, in der alles gleiches Recht hätte.
Die bestehende Weltgesellschaft, die alles erschüttert und alles Heilige entweiht,
hat durchaus ein hartes Fundament, wenn auch ein paradoxes, es wird täglich
fester gerade durch seine Beweglichkeit, immer stabiler aufgrund seiner prinzipiellen
Instabilität. Alles Statische ist auf dem Dynamischen aufgebaut.
Die Gewißheit über dies Fundament ist das genaue Gegenteil fundamentalistischer
Gewißheiten. Wenn manchmal behauptet wird, daß der Fundamentalismus
an die Stelle des Zweifels und Ungewißheit ein absolutes Wissen, das allem
Zweifel enthoben ist, setze, so wird hier die wesentliche Differenz vertuscht, auf
die es ankommt, die zwischen kritischer, begründeter Gewißheit und dogmatischer
Gewißheit. Selbstverständlich gibt es Tatbestände, die sich des
Zweifels entheben und durch noch so viel Diskussion nicht entkräftet werden
können, wie die, daß in der kapitalistischen Gesellschaft, wer nicht
Eigentümer von Produktionsmittel ist, der totalitären Herrschaft des Lohnarbeitsprinzips
unterworfen ist und somit seine Arbeitskraft zum Markte tragen muß. Die Tatsache,
daß kein Mensch in der kapitalistischen Welt ohne das Fundament überleben
kann, ist allerdings keine ewige, sondern gilt nur solange DIESE Gesellschaft existiert.
Das Tauschprinzip ist nicht ewig und das Dogma der Tauschgesellschaft, daß
gesellschaftliche Beachtung nur das verdient, was sich verkaufen und kaufen läßt,
also zur Ware wird, ist ebensowenig ewig, wie der Glaube an die Unfehlbarkeit des
Papstes.
Der Fundamentalismus der Ware bedarf allerdings keinerlei Propheten, er hat es nicht
einmal nötig, da man - nicht wie an Allah, Jahwe oder Jesus Christus - an ihn
glaubt. Selbst die Kritiker sind gezwungen dem Kapital zu huldigen. Auch eine Kritik
am Kapitalismus muß durch Veräußerung der Kritik als Ware irgendwie
sich in Unterhalt des Kritikers verwandeln lassen und nimmt so die Warenform an,
gegen die sie sich richtet. Das Geld und die Ware wird zwar nicht wie Mutter Maria
heilig genannt, aber jeder behandelt sie wie Heiligtümer.
Die moderne Welt ist also das Negativ des gegen sie aufbegehrenden Fundamentalismus.
Antimodernismen würden nicht weit kommen, auch wenn der Fundamentalismus als
einem Neuen sich mit Alten versetzt. Islamische Staaten, die sich industrialisieren,
würden mit Maßnahmen wie die die Frauen an den Herd und hinter den Schleier
zu drängen, allzuweit nicht kommen, selbst dann nicht, wenn massenweise das
religiöse Bedürfnis nach einen Leben gemäß dem Koran sich durchsetzt.
Die Rückkehr zur Religion ist daher auch nicht mit der Absage an Technik und
Technologie schlechterdings verbunden. Die Erfolge der Moderne gelten als integrierbar
in den religiösen Weltbegriff (den Ausdruck Weltbild vermeide ich absichtlich,
weil man sich kein Bild von der Welt, einen Ganzen machen kann, sondern nur von
einem endlichen Zusammenhang). Die Naturwissenschaften sollen wie der Motor eines
Autos zur Fortbewegung dienen, der Islam aber die Richtung angeben.
Die Gelehrten unter den Fundamentalisten, die jahrzehntelange die Quellen ihres
Glaubens studierten, sind nicht beliebig reproduzierbar, wie die Sektenprediger,
die ihre Halbgebildetheit in Schnellkursen erlernten, damit ihre Sekte eine schnelle
Mark macht. Verkünder des Wahns wir Bhagwan (Osho) nehmen sodenn auch gleich
selber schon die Warenform an, gegen die sie gleichzeitig aufbegehren.
Der Fundamentalismus widerlegt die verbreitete These, daß das Ende aller Utopien
erreicht sei. Er ist selber die rückwärts gewandte, pervertierte Utopie,
die so indiziert, wie totalitär und hermentisch unsere Gesellschaft geworden
ist, die manche als eine offene Gesellschaft uns weismachen wollen.
Der Fundamentalismus ist das utopische Bewußtsein in verkehrter Form.
Ein aggressiver - gar militärischer - Kampf gegen Fundamentalismus wäre
selber fundamentalistisch, d.h. bezeugte nur das Mißtrauen in den eigenen
erschütterten Glauben. Gewalt kann nur gegen unmittelbare Gewalttätigkeit
legitim sein. Und diese würde man heraufbeschwören, wenn der Fundamentalismus
fundamentalistisch bekämpft würde. Ein reflektierter Antifundamentalismus
weiß um die Gründe des Fundamentalismus und geht gegen diese vor und
steigert nicht diesen, indem er ihm noch Zulauf verschafft, indem er die nichtfundamentalistischen
Religionen selber in unnötige Bedrängnis bringt.
Diese heraufbeschworene Gewalt sollte sich besser gegen den Fundamentalismus richten,
der unheilbar ist: Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, die wirklich nur
mit Gewalt ausgerottet werden kann, weil sie Gewalt selber zum Prinzip haben.
Der religiöse Fundamentalismus kann nur der Boden entzogen werden, wenn deren
Anhänger mit vernünftigen Werten - sei's die der jüdisch-christlichen,
sei's der modernen islamischen Tradition - konfrontiert werden, wie säkular
und a-religiös diese auch vermittelt werden. Genau gegen diese Werte richteten
sich schon die Attacken Hitlers, der Menschenrechte als jüdische Erfindung
bezeichnete und abschaffen wollte, durch ein Zurück zur Natur, zum einem Leben
in Einklang mit der Natur. Dies kann man nur als barbarisch zurückweisen. So
schmiert "der Führer":
"Die jüdische Lehre des Marxismus lehnt das aristokratische Prinzip
der Natur ab und setzt an Stelle des ewigen Vorrechts der Kraft und Stärke
die Masse der Zahl und ihr totes Gewicht. Sie leugnet so im Menschen den Wert
der Person, bestreitet die Bedeutung von Volkstum und Rasse und entzieht der
Menschheit damit die Voraussetzung ihres Bestehens und ihrer Kultur. Sie würde
als Grundlage des Universums zum Ende jeder gedanklich für Menschen faßlichen
Ordnung führen. Und so wie in diesem größten erkennbaren Organismus
nur Chaos das Ergebnis der Anwendung eines solchen Gesetzes sein könnte,
so auf der Erde für die Bewohner dieses Sternes nur ihr eigener Untergang.
Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über
die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totenkranz der Menschheit
sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer
durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung
ihrer Gebote. So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers
zu handeln:
Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn."A.H.
Mein Krampf, S. 69f)
"Da aber wahrer Idealismus nichts weiter ist als die Unterordnung der Interessen
und des Lebens des einzelnen unter die Gesamtheit, dies aber wieder die Voraussetzung
für die Bildung organisatorischer Formen jeder Art darstellt, entspricht
er im innersten Grunde dem letzten Wollen der Natur."(327f)
Diese fundamentalistische Negation jüdisch-christlicher Werte, in denen das
Individuum und seine Selbstbestimmung im Vordergrund steht, war Hitlers Werk. Natur,
das hieß für ihn: daß die Schwachen elendig verrecken und die Starken
überleben. Wenn man so will haben sich die Nazis als die Schwächlinge
erwiesen. Sie haben den Krieg verloren und eine zweite Chance werden sie nicht haben
dürfen.
Auch nicht durch einen vermeintlichen Kampf gegen islamischen Fundamentalismus,
der hierzulande nur wegen des vorherrschenden Nationalismus und Rassismus überhaupt
Zulauf bekommt. Dort - z.B. in Stadtvierteln, in denen Individuen verschiedener
Herkunft dauerhaft zusammenleben, essen, lieben und feiern - droht kein Fundamentalismsu
keine Gewalt.
Und zusammen feiern, vögeln und leben ist allemal lustiger als miteinander
kämpfen.
Fazit:
Keineswegs ist religiöser Fundamentalismus hinterwäldlerisch, er entsteht
im städtischen Milieu; er ist keine Rückkehr zum Mittelalter, sondern
eine moderne Bewußtseinsform; er ist nicht pauschal gegen Fortschritt, sondern
verknüpft sich gezielt mit kapitalistischer Wirtschaft und moderner Technik;
er ist auch nicht Folge der Indoktrination fanatischer Mullahs, sondern nur aus
den sozialen Bedingungen der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft zu
erklären. Im Prinzip kann er auch in den politischen Institutionen einer demokratischen
Gesellschaft mehrheitsfähig werden.
Die fundamentalistische Ideologie ist keine eigenständige Bewußtseinsform,
sondern ein reflexiv gewordener, radikalisierter Traditionalismus, d.h. ist eine
Reinterpretation religiöser Tradition. Fundamentalismus ist eine Protestform
der Moderne gegen die Moderne. Er ist ein Richtiges in falscher Form, eine pervertierte
Utopie.
Gegen ihn läßt sich nur etwas unternehmen, wenn man diese Perversion
aufhebt, nicht indem man die Religionen bekämpft, auf die dieser sich bezieht.
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Most recent revision: September 07, 1998
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Martin Blumentritt