Warum Nazis Muttersöhnchen sind

German Fight Club

Jürgen Elsässer

Ein postmoderner Faschismus könnte als Bewegung ideologiefreier Amokläufer entstehen. In Deutschland hätte das Modell allerdings wenig Chancen
Im Film "Fight Club" zeigt Regisseur David Fincher halb voyeuristisch, halb erschreckt den postmodernen Faschismus. Es ist eine Massenbewegung ohne Ideologie: ohne Volk, ohne Reich, ohne Führer. Der namenlose Ich-Erzähler, gespielt vom erprobten Psycho-Killer Edward Norton, ist zu Beginn ein seelisches Wrack, das noch die deformiertesten Bedürfnisse dem genuß- und besinnungslosen Vegetieren als Konsummonade geopfert hat: Statt in Pornoheften liest er in Ikea-Katalogen, mit deren Angeboten er sein Leben möbliert. Am Ende eines jeden seiner öden Arbeitstage in einer Versicherungs-Agentur wartet das Nichts: keine Frau, kein Freund, kein Schlaf.
Eines Tages zerschlägt der Tiefgefrorene das Eis um sich. Das ist wörtlich zu verstehen: Er poliert sich die Fresse und lernt zum ersten Mal ein schönes Gefühl kennen: das, wenn der Schmerz nachläßt. Er findet Gleichgesinnte: In einem illegalen Club schlagen sich Männer jeden Alters und Standes in ritualisierten Faustkämpfen, bis roter Rotz über den Beton schliert. Bald begegnen sich überall in der Stadt Typen mit verschwollenen Augen oder Stützkorsetten und blinzeln sich verschworen zu - Hämatome und Wunden sind ihre geheimen Erkennungszeichen. Dem Nobody wachsen Muskeln und Selbstbewußtsein, aus dem Weichei wird ein "Tough Baby". In seinen gleichnamigen Reflexionen über einen "bestimmten Gestus der Männlichkeit" hat Adorno in Minima Moralia schon vor Jahrzehnten diesen Prozeß der Subjektkonstitution in Herren-Clubs - "die Stätte eines auf rücksichtsvoller Rücksichtslosigkeit gegründeten Respekts" - beobachtet. Die als Subjekte losgelassenen Subjektlosen funktionieren durch eine Schubumkehr im Triebhaushalt, die in der Geschichte der Menschheit bis dato unbekannt war, zumindest als Massenphänomen: "Wenn alle Lust frühere Unlust in sich aufhebt, dann ist hier die Unlust, als Stolz sie zu ertragen, unvermittelt, unverwandt, stereotyp zur Lust erhoben ... Die He-Männer wären also ihrer eigenen Verfassung nach, als was sie die Filmhandlung meist präsentiert, Masochisten. Die Lüge steckt in ihrem Sadismus, und als Lügner erst werden sie wahrhaft zu Sadisten, Agenten der Repression." Im letztlich suizidalen Bedürfnis nach Schmerz wächst ein Kollektiv zusammen, das das "Glück der Einigkeit in der Absenz von Glück" findet. Von dort ist der Weg zum Faschismus kurz: "Am Ende sind die Tough guys die eigentlich Effeminierten (Verweiblichten; J. E.), die der Weichlinge als ihrer Opfer bedürfen, um nicht zuzugestehen, daß sie ihnen gleichen."
Als Staat und Polizei sich der Ausweitung der Fight Clubs entgegenstellen, kulminiert der Film in einem Terrorfeldzug der mittlerweile zur kontinentalen Geheimarmee formierten Desperados gegen die verhaßte Ordnung: Die Skyline einer Metropole bricht unter den Detonationen von Megabomben zusammen, der tödlich verwundete Held betrachtet das farbenprächtige Schauspiel Hand in Hand mit seiner endlich wiedergetundenen Geliebten. Endsieg für die Feinde der Zivilisation? Während der Regisseur diese Interpretation zurückweist - immerhin versucht sein Held, die Zündung der Bomben noch zu stoppen -, findet sie bei Teilen des Publikums Zustimmuna. Hatte Adorno im inszenierten Sadismus der He-Masochisten eine Entfernung von der uralten Glückssuche der Menschen gesehen, will der Kritiker von "Film aktuell" darin das Gegenteil erkennen - eine Annäherung: "Ziel (des Fight Clubs) ist es, durch die Besinnung auf Gewalt dem Ursprung der menschlichen Instinkte näher zu kommen und sich von den zahlreichen Zwängen der Gesellschaft zu befreien." Und weiter: "Die Anarchisten sind mir zwar eigentlich etwas zu faschistisch gewesen, aber egal, über diesen Film darf man nicht nachdenken, man muß ihn in vollen Zügen genießen!!!"

Kay Diesner - ein German Psycho

Edward Norton findet in Brad Pitt sein Alter Ego, das ihn zum Prügeln, zur Gründung des Fight Clubs und schließlich zur Formierung der rebellischen Milizen inspiriert. Am Schluß des Filmes wird klar, daß er ihn nicht getunden, sondern erfunden hat: Der angehimmelte Kumpan ist eine Einbildung, Hirngespinst einer Schizophrenie. Wie es zu solchen Geistesstörungen tatsächlich kommen kann, hat der Psychoanalytiker Julian S. Bielicki in seiner Studie Der rechtsextreme Gewalttäter (Hamburg 1993) untersucht: "Wenn das Kind sich emotional von der Mutter nicht distanzieren kann oder darf ..., dann wird es in seiner Entwicklung dahingehend gehemmt, daß es die Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich ungenügend erfahren, erleben und erlernen kann. Daraus folgt, daß es unzureichend zwischen seiner Innenwelt und der Außenwelt unterscheiden kann, zwischen seiner Phantasie und der äußeren Realität, zwischen seinen Gebühlen und den Gefühlen anderer Menschen etc. Solche Menschen können dann auch schlecht zwischen eigenen Gedanken und äußeren Stimmen unterscheiden. Wo ein anderer sagen würde, er habe etwas gedacht, meint ein Psychotiker, er habe Stimmen gehört." Bielicki weiter: "Während der letzten fünfzig bis siebzig Jahre veränderte sich die Problematik der Psychotherapie-Patienten weg von der neurotischen Ödipus-Problematik, wie sie von Freud beschrieben wurde und in der die subjektive Angst vor dem Vater eine kritische Rolle spielt, hin zu Borderline-Störungen, die auf einer ungelösten symbiotischen Beziehung zur Mutter basieren."
Ein Paradebeispiel für den Entwicklungsgang solcher Muttersöhnchen ist der Ostberliner Nazi-Terrorist Kay Diesner, der zur Zeit wieder vor Gericht steht. Diesner hat im Februar 1997 in Berlin einen PDSBuchhändler zum Krüppel geschossen und anschließend einen Polizisten ermordet. Der Amokläufer wurde 1972 in Berlin-Friedrichshain geboren, die Eltern trennten sich ein Jahr später, der Junge wuchs bei seiner Mutter auf. "Kay ist ihr Lieblingskind, er übernimmt die Haßgefühle, die Ingrid Diesner gegenüber ihrem Geschiedenen entwickelt, bereitwillig", schreibt Laura Benedict in ihrer Diesner-Biographie mit dem treffenden Titel Sehnsucht nach Unfreiheit (Berlin 1998). Als Diesner in die Pubertät kam, verstärkte sich die hettige Abneigung gegen seinen Erzeuger noch. Er erschien ihm nicht männlich genug, habe "so 'ne komische Art, so kindisch - 'Hier ist dein Papi' vollkommen blöde." Seine eigene Männlichkeit drückte sich vor allem im martialischen Outfit aus - noch zu DDR-Zeiten lief er mit Bomberjacke und Doc Martens-Stiefeln in der Schule auf, nach der Wende kamen zunächst Gaspistolen, dann eine langläufige Pumpgun hinzu. Die phallische Aufmachung änderte nichts an der Kontaktschwäche zum anderen Geschlecht. Einer seiner ersten intensiveren Kontakte zu einer Frau war ein gewalttätiger Angriff auf ein Mädchen im Bahnhof Berlin-Lichtenberg im Februar 1991. Diesner schlug auf die Wehrlose mit einer Machete ein und verletzte sie mit diesem Ersatz-Penis schwer. Bei der Verhandlung gab er zu seiner Rechtfertigung an, das Mädchen habe "ein Messer gezogen und auf seinen Unterleib gezielt".
Bis zu seinem Amoklauf im Februar 1997 hatte der 25jährige zwei enge Beziehungen zu Frauen gehabt, beide Liebesverhältnisse brach er nach je neun Monaten ab. "Seine Idealfrau ist seine Mutter, die ihn immer verwöhnt hat und die er vergöttert", faßt Laura Benedict zusammen. Mit Kathleen, der zweiten dieser beiden Beziehungen, hatte er nie Sex, statt dessen hielt er ihr "ziemlich fanatisch" Vorträge über die germanischen Götter Odin und Thor. Wenn sie mit ihm Schluß machen würde, so gibt Kathleen später eine Bemerkung Diesners wieder, "würde er in ein PDS-Haus rennen, dort Amok laufen und im Fernsehen sagen, daß er es nur ihretwegen getan hat". Genau das ist dann geschehen - allerdings mit einem bezeichnenden Unterschied zur vorherigen Drohung: In der Öffentlichkeit hat er anschließend nicht Kathleen für seine Taten verantwortlich gemacht, sondern die PDS, die eine "extrem deutschteindliche" Partei sei. Statt von Liebe zu seiner Mutter spricht er von Liebe zu Deutschland, als Störenfried dieser Liebe gilt ihm die PDS.

Mutter-Land-Söhnchen

Alfred Hitchcock hat in "Psycho" die Horrorstory einer extremen Mutterbindung verfilmt: Der jugendliche Hauptdarsteller, gespielt von einem genial verklemmt wirkenden Anthony Perkins, sticht in seinem Motel reihenweise blonde Frauen ab. Wenn er zur Tat schreitet, zieht er sich das Kleid seiner verstorbenen Mutter an und eine an sie erinnernde Perücke über. Aber das ist keine Verkleidung: Er ist, wie Norton in "Fight Club", gespalten in zwei Persönlichkeiten, bei ihm sind's die eigene und die vorgestellte seiner Mutter.
Es muß allerdings nicht zum Ausbruch der Psychose kommen, wenn an Stelle der Mutterbindung eine Symbiose mit etwas anderem tritt, das in ähnlicher Weise stabilisierend auf den Ich-Schwachen wirkt. Sigmund Freud spricht in seinem Aufsatz "Massenpsychologie und Ich-Analyse" von der "Schieflheilung" psychischer Störungen durch die Bindung an ideologische Gemeinschaften - das Individuum verhindert also den Ausbruch einer seelischen Krankheit dadurch, daß es sich in größere Kollektive einfüblt und auflöst. Freud nennt als Beispiel dafür explizit nur die Religion und die Armee und läßt die Übertragung auf andere ideologische Gemeinschaften offen. Wilhelm Reich hingegen stellt, Freud implizit folgend, vor allem die Nationfixierung als "Schiefheilung" der frühkindlichen Mutterfixierung vor: "Im Kern der Familienbindung wirkt die Mutterbindung. Die Vorstellung von Heimat und Nation sind in ihrem subjektiv-gefühlsmäßigen Kern Vorstellungen von Mutter und Familie."
Im Unterschied zum American Psycho artikuliert sich sein deutsches Äquivalent öfter politisch als privat, anders gesagt: es kommt öfter zu einer Verpuppung der persönlichen in der politischen Pathologie. Werner Bohleber hat gezeigt, warum der Ubergang von der Mutter- auf die Mutterlandfixierung hierzulande zwingender ist als in anderen Gesellschaften: "Vor allem in der deutschen kollektiven Vorstellungswelt ist der Nationalismus mit der Vorstellung von der Nation als eines lebendigen Organismus verknüpft ... So ist in diesem Denken die wesentliche menschliche Einheit, in der die Natur sich verwirklicht, nicht das Individuum ... oder ein freiwilliger Verband von Individuen, der willentlich aufgelöst, verändert oder verlassen werden kann, sondern die Nation." Die organizistische Vorstellung von der Nation ist ein Reflex auf den deutschen Sonderweg: Im Unterschied zu Frankreich, wo die Nation sich 1789 ff. als politisches Bündnis unter Führung der Bourgeoisie konstituierte, mußte man in Deutschland, wo dieses Bündnis und damit eine bürgerliche Revolution nie zustande kam, die Nation vor-politisch begründen - als Gemeinschaft gleichen Blutes.

Nazismus ist nicht Narzißmus

Das Hitler-Bild im Kinderzimmer von Bad Reichenhall, der Nazi-Scum bei den Attentätern von Littleton werden zur Erklärung der Mordtaten oft als unbedeutend eingeschätzt. Falls damit die unmittelbare politische Prägung der Killer-Kids gemeint ist, dürfte das richtig sein. Ein psychoanalytischer Hintergrund für die Idolatrie des Faschismus bei vielen Jugendlichen besteht dennoch. wie Bielicki einwendet: "Wenn heute viele Stimmen zu hören sind, daß die Rechtsradikalen keine 'richtigen Nazis' seien, sondern Kinder oder unreife Jugendliche, dann muß dem widersprochen werden: Alle Nazis, früher und heute, sind unreif gebliebene, pathologische, kindliche Persönlichkeiten." Demnach wäre Hitler für die Kids kein politisches Vorbild, sondern ein charakterliches - ein Terminator, der sich von niemandem etwas bieten ließ und seiner Mutti bis zuletzt die Treue hielt. So würde auch erklärlich, warum der keusche Adolf in der Hitliste der Muttersöhnchen-Poster spielend vom keuschen Arnold überflügelt wird: Als Terminator ist Schwarzenegger weitaus häufiger im Kino präsent, und niemals in der Rolle des Losers.
Mit der Zunahme der Masse der Loser in Wirtschaft und Gesellschaft könnte aber gerade Arnolds Endsieg in "Terminator II" on the long run weniger attraktiv sein als der Untergang von Adolf in "World war II". Adorno schildert den deutschen Nationalsozialismus als Projekt kollektiver Selbstmörder, die - ganz wie die Jungs von Littleton und Bad Reichenhall - im Mord an "den anderen" nur die schauerliche Kulisse für ihren eigenen Abgang inszenierten: "In den Konzentrationslagern und Gaskammern wird gleichsam der Untergang von Deutschland diskontiert. Keiner ... konnte das Moment tödlicher Traurigkeit, des halbwissend einem Unheilvollen sich Anvertrauens übersehen das den angedrehten Rausch, die Fackelzüge und Trommeleien begleitete ... Bleibt kein Ausweg, so wird dem Vernichtungsdrang vollends gleichgültig, worin er nie ganz fest unterschied: ob er gegen andere sich richtet oder gegens eigene Subjekt."
Auch Diesner wollte offensichtlich andere nur deswegen zur Hölle schicken, um selber möglichst schnell dorthin zu kommen. Seine Verbrechen waren so stümperhaft geplant - die Schießerei mit den Polizisten endete nur zufällig nicht für ihn selbst tödlich -, daß das masochistische Strafhedürfnis evident ist. Auch bei der gerade laufenden Revisionsverhandlung bemüht er sich nicht, von der bekannten Blindheit der deutschen Justiz auf dem rechten Auge zu profitieren, um eine Milderung oder Verkürzung seiner lebenslänglichen Haftstrafe zu erreichen; statt dessen nutzt er jede Chance, den Richter zu provozieren und gegen sich aufzubringen. Vermutlich wird das ganze mit aufgeschnittenen Pulsadern enden - ein letzter Liebesdienst für Deutschland.
Der Befund, Nazismus sei Narzißmus, war also schon immer nur die halbe Wahrheit. Die geschichtliche Tendenz ist eine andere: "Der Narzißmus, dem mit dem Zerfall des Ich sein libidinöses Objekt entzogen ist, wird ersetzt durch das masochistische Vergnügen, kein Ich mehr zu sein" (Minima Moralia). In dieser Perspektive wären die ausgelöschten Ichs die Elementarteilchen des Faschismus. Allerdings: Eine faschistische Bewegung oder gar ein faschistischer Staat ist das noch lange nicht. Damit am Ende der Weimarer Republik ein Kollektiv zum Morden und Selbstmorden zustande kam damit die Muttersöhnchen nicht vorfristig und unkoordiniert Amok liefen, bedurfte es der prekären Stabilisierung der Ich-Schwachen durch den Mutter-Ersatz Mutterland. Finchers Film macht nun ein Szenario auf wie sich ein stabilisierendes Kollektiv auch ohne völkisches, rassistisches Brimborium konstituieren könnte: In seinem multikulturellen Fight Club kommen die Schläger nicht aus Liebe zur Nation zusammen, sondern aus purem Haß auf sich selbst, der im Rudel mehr Spaß macht als alleine zu Hause zwischen Ikea-Möbeln.
Droht die neue Barbarei also nicht aus der Formierung von Nationalismus und Rassismus, sondern von ideologiefreien Serial killers, die "dem Ursprung der menschlichen Instinkte näher kommen und sich von den zahlreichen Zwängen der Gesellschaft befreien" ("Film-Kritik") wollen, um etwa ihre entschwindende Männlichkeit wiederzugewinnen? Das Beispiel Diesner zeigt, daß die Sache zumindest in Deutschland noch nicht entschieden ist. Einerseits ist Diesner nur ein postmoderner Cowboy, der sich aus Frust über ein davongelaufenes Mädchen in einer für seine Bewegung unproduktiven Gewalttat abreagierte. Andererseits entzündet sich sein Haß aber an seiner "Liebe zu Deutschland", und Feind sind ihm nicht seine Nachbarn und Volksgenossen (wie beim ordinären Amok), sondern all jene, die diese Liebe stören. Man könnte einwenden, daß die große Masse auch der deutschen Kids anders tickt, daß die Kinder von Calvin Klein und Lara Croft nur noch auf die neuesten Produkte von Hifi und Cyberworld abfahren. Auch hier aber wäre ein Einwand aus Minima Moralia zu berücksichtigen: "Die Fülle des wahllos Konsumierten wird unheilvoll. Sie macht es unmöglich, sich zurechtzufinden, und wie man im monströsen Warenhaus nach einem Führer sucht, wartet die zwischen Angeboten eingekeilte Bevölkerung auf den ihren."