Die Transparenz gebietet es, daß ich am Anfang deutlich mache,
in welchem Verhältnis ich zu den Veranstaltern der "Wehrmachtsausstellung"
stehe. Ich habe am wissenschaftlichen Begleitband Vernichtungskrieg. Verbrechen
der Wehrmacht 1941 bis 1944 mitgearbeitet und den Text für den in
der Ausstellung gezeigten Film über die sowjetischen Kriegsgefangenen
verfaßt. Ich habe mehrfach im Begleitprogramm der Ausstellung Vorträge
gehalten. An der Konzeption der Ausstellung und an der Auswahl der Bilder
war ich nicht beteiligt.
In den letzten Wochen wurde die Kritik an der Wehrmachtsausstellung
vor allem durch die Arbeiten zweier ausländischer Historiker verschärft.
Der ungarische Historiker Krisztián Ungváry veröffentlichte
in der neuesten Ausgabe von Geschichte in Wissenschaft und Unterricht einen
Aufsatz unter dem Titel "Echte Bilder - problematische Aussagen". Von seinem
polnischen Kollegen Bogdan Musial erschien in den Vierteljahrsheften für
Zeitgeschichte ein ebenfalls sehr kritischer Aufsatz. In einem Artikel
in der Frankfurter Allgemeinen vom 5. November hat Ungváry nun noch
nachgelegt. Unter der vollmundigen Überschrift "Reemtsmas Legenden.
Nicht nur Bilder können lügen" behauptet er, die Rücknahme
der Kernthesen der Ausstellung sei "unvermeidlich, wenn die Aussagen der
Ausstellung fachlich geprüft werden". Er meint offenkundig, daß
er dies mit seiner Kritik bereits leistet. Besondere Empörung hat
bei ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und bei den konservativen
Kritikern die These ausgelöst, die Wehrmacht habe zum Nationalsozialismus
keinen Abstand gehalten, sie sei eine verbrecherische Organisation gewesen
und sei spätestens 1943 zu "Hitlers Wehrmacht" geworden. Günther
Gillessen, in der FAZ einer der prononciertesten Kritiker, setzte dagegen
die Behauptung, die Wehrmacht sei, anders als dies Hitler gewünscht
habe, nicht die "zweite Säule" des NS-Staates gewesen, sie sei bis
zum 20. Juli 1944 vielmehr "ein feldgrauer Strang im braunen Geflecht"
gewesen, einer der wenigen Orte, an dem sich der Einzelne dem Zugriff der
Partei habe entziehen können. Hitler habe dem höheren Offizierskorps
mißtraut. Ungváry argumentierte vor wenigen Tagen in der FAZ,
die Distanz der Wehrmacht zu Hitler ergebe sich schon daraus, daß
Hitler die meisten seiner Feldmarschälle und Generalobersten abgelöst
und einige s den Anschein, dies sei wegen Konflikten um die verbrecherische
Kriegführung geschehen.
Allen Generalsmemoiren zum Trotz entspricht dies in keinem einzigen
Fall der Wahrheit. In den Konflikten, die mit dem Scheitern des Blitzkriegskonzepts
vor Moskau im November/ Dezember 1941 begannen, ging es allein um die "richtige"
Führung der Operationen.
Gillessens idyllisches Bild von der Wehrmacht als einem Ort der inneren
Emigration ist mit den Ergebnissen der historischen Forschung nicht vereinbar.
Einzelne Offiziere haben das, wenn sie der Zufall mit Gleichgesinnten zusammenbrachte,
sicher so empfunden. Eine Verallgemeinerung verbietet sich aber, wenn man
die Entwicklung der Wehrmacht im NS-Staat einigermaßen kennt. Anders
als Gillessen meint, stellte das Bild von der "zweiten Säule" des
NS-Staates nicht einen Wunsch Hitlers dar, sondern das Selbstverständnis
der Führung von Wehrmacht und Heer. Sie hatte seit 1933 alles daran
gesetzt, die Wehrmacht "in den NS-Staat" zu führen, in der Hoffnung,
in diesem Staat eine führende Rolle spielen zu können. Die Basis
war dabei, wie Manfred Messerschmidt schon vor dreißig Jahren überzeugend
gezeigt hat, eine "Teilidentität der Ziele", bei der ein radikaler
Antikommunismus, bei vielen Soldaten gekoppelt mit einem radikalen Antisem
r. Die Wehrmacht wurde in diesem Sinne indoktriniert und diese Indoktrination
wurde im Ostkrieg mit verheerenden Folgen wirksam.
Wieweit man die Wehrmacht als "Hitlers Armee" bezeichnen kann, wird
umstritten bleiben. Ich selbst würde diesen Begriff nicht verwenden.
Die Verwendung ist aber im Wesentlichen auch eine Frage der Perspektive.
Mit Sicherheit hat es viele Soldaten gegeben, die sich nicht als "Soldaten
des Führers" verstanden. Der Anteil dieser Soldaten an der Gesamtwehrmacht
dürfte allerdings 1940 bis 1942, in der Phase der Siege, entschieden
niedriger gewesen sein als nach Stalingrad, als die Niederlage immer klarer
abzusehen war.
Aus der Sicht der Wehrmachtführung und vieler Truppenführer
war aber die Schaffung dieser "Armee des Führers" ein Ziel, das es
nach unten durchzusetzen galt. Ähnliches gilt für die Frage,
in welchem Maße die Wehrmacht als eine verbrecherische Organisation
angesehen werden kann. Manche der Kritiker unterstellen den Organisatoren
der Ausstellung in manchmal bewußtem Mißverständnis, sie
verwendeten den Begriff im Sinne einer quasi freiwilligen Organisation
von Verbrechern - was offenkundig absurd wäre.
Anders stellt sich das Problem aus der Perspektive der Führung
von Wehrmacht und Heer unter der Frage dar, welchen Beitrag die Organisation
Wehrmacht dazu leistete, die nationalsozialistischen Verbrechen zu ermöglichen.
Man wird dann schwerlich darum herumkommen, die Wehrmacht als eine verbrecherische
Organisation anzusehen. Manfred Messerschmidt hat dafür den Begriff
geprägt, die Wehrmacht sei der "stählerne Garant des NS-Systems"
gewesen. Daß Soldaten in untergeordneten Stellungen dabei oft wenig
oder gar keine Entscheidungsmöglichkeiten hatten, ist offenkundig.
Hans-Adolf Jacobsen, emeritierter Politologe an der Universität
Bonn, Jahrgang 1925, selbst noch Wehrmachtsoffizier, kritisiert an der
Ausstellung ebenfalls, sie differenziere nicht genug. Man dürfe nicht
von der Wehrmacht als Ganzem sprechen und müsse mehr die "Möglichkeiten
und Grenzen absoluter Verhaltensweisen von Soldaten" im Ostkrieg verdeutlichen.
Er vertritt gleichwohl in der Frage der Verantwortung für die Verbrechen
eine andere Position: Die Wehrmacht sei das ausschlaggebende Instrument
der NS-Kriegsführung gewesen, Wehrmacht und SS hätten, "gewissermaßen
arbeitsteilig, den gleichen Krieg mit den gleichen Zielen" geführt.
Auf jeden Fall seien die Soldaten der Wehrmacht "allesamt nicht nur Opfer
einer gewissenlosen Führung, sondern auch im historischen Sinne Mittäter"
- im historischen, nicht im strafrechtlichen Sinne. Es sei in "erster Linie
ihrem Kampfgeist, ihren Leistungen und bestimmten [...] Unterstützunon
SS und Polizei zu verdanken", daß der Genozid an den Juden eingeleitet
werden konnte.
Ganz allgemein kann man sagen, daß diejenigen Kritiker, die
selbst wissenschaftlich über den Krieg im Osten gearbeitet haben,
in ihrer Kritik an der Ausstellung wesentlich zurückhaltender und
sachlicher sind als historische Laien oder Historiker, deren Spezialgebiete
in anderen Bereichen liegen. Ich denke dabei etwa an Horst Möller,
den jetzigen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, dessen eigentliche
Forschungsarbeit sich auf die Zeit vor dem Nationalsozialismus erstreckt.
Ich bin sicher, daß weder Helmut Krausnick noch Martin Broszat, seinen
Vorgängern, sein unsäglicher Vergleich der Wehrmachtsausstellung
mit Ausstellungen totalitärer Regime in den Sinn gekommen wäre.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage, ob und wieweit sich die Wehrmacht
mit dem Gedanken des Vernichtungskrieges identifiziert habe. Einzelthemen,
die dabei eine besondere Rolle spielen, sind die Behandlung der sowjetischen
Kriegsgefangenen und die Durchführung des Kommissarbefehls, der Partisanenkrieg
und die Judenmorde der SS-Einsatzgruppen. Dazu ist festzustellen, daß
es zwar Truppenteile gab, die ihre Gefangenen anständig behandelten,
daß dies aber, zumindest im Jahr 1941, mit Sicherheit nicht die Regel
war.
Die Belege, die für die Nichtdurchführung des Kommissarbefehls
angeboten werden, können nicht überzeugen. Es wird dabei immer
wieder auf die vielen Dutzende eidesstattlicher Versicherungen verwiesen,
in denen Generalstabsoffiziere 1945/46 vor alliierten Vernehmungsoffizieren
versicherten, in ihrem Verband sei der Befehl nicht durchgeführt worden.
Wie zuverlässig solche Versicherungen sind, mag ein Beispiel zeigen.
Der ehemalige Oberbefehlshaber der Panzergruppe 2, Generaloberst Guderian,
behauptete in seinen Memoiren, er habe den Befehl nicht gekannt, er sei
wohl schon von der - ihm übergeordneten - Heeresgruppe Mitte nicht
weitergegeben worden.
Der ehemalige 1. Generalstabsoffizier der 17. Panzerdivision, Oberst
i.G. Bogislav von Bonin - später Militärexperte des Spiegel -
versicherte an Eides statt, der Befehl sei auf dem Dienstweg von der Panzergruppe
2 an die Division gekommen. Der Kommandierende General des XXXXVII. Panzerkorps,
General Joachim Lemelsen, habe die Durchführung des Befehls aus militärischen
und moralischen Gründen verboten. Der Beweis dafür, daß
sowohl Guderian wie auch Bonin gelogen haben, findet sich im Militärarchiv
in Freiburg: Ein Befehl Lemelsens vom 30. Juni 1941, in dem er sich einerseits
vehement gegen die vielen Erschießungen von Kriegsgefangenen in seinem
Korps wendet, andererseits aber den Kommissarbefehl ausdrücklich bekräftigt:
Der bekanntgegebene Erschießungsbefehl des Führers, betont er,
beziehe sich nur auf politische Kommissare und Freischärler: "Einwandfrei
als dazu gehörig festgestellte Leute sind abseits zu führen und
[...] zu erschießen." Besonders zweifelhaft erscheint mir die Argumentation
im Zusammenhang mit dem Partisanenkrieg. Die Ausstellung, sagen die Kritiker,
werde der Realität des grausamen Partisanenkrieges nicht gerecht,
den Stalin gegen die Wehrmacht entfesselt habe.
Die sowjetischen Partisanen hätten unter völliger Mißachtung
von Haager Landkriegsordnung und Genfer Konvention einen grausamen Krieg
geführt, und die Maßnahmen der deutschen Seite - also auch die
auf den Fotos in der Ausstellung gezeigten Hinrichtungen - seien rechtens
gewesen: Auch die Haager Landkriegsordnung erlaube die Exekution von Freischärlern.
Wissenschaftlich haltbar ist diese simplifizierende Darstellung längst
nicht mehr. Bei allem, was man Stalin sonst vorwerfen kann - den Charakter
des Partisanenkrieges bestimmte nicht er. Hitler hatte beschlossen, den
Krieg im Osten außerhalb aller völkerrechtlichen Bindungen zu
führen. Die militärische Führung stimmte dem zu, nicht zuletzt
aus militärischen Gründen. Angebliche Proteste der militärischen
Führung haben sich als Legende erwiesen. Die Kriegsziele im Osten,
besonders die Ausbeutungsziele, ließen großen Teilen der Bevölkerung
von vornherein nur die Alternativen bedingungslose Unterwerfung mit der
Aussicht, bei Sklavenarbeit zu verhungern, oder verzweifelter Kampf. Schon
in der Planungsphase erwartete die deutsche Führung wegen der vorauszusehenden
Hungersnöte als Folge der geplanten Ausplünderung der Nahrungsquellen
der UdSSR die Entstehung einer Partisanenbewegung. Der sogenannte Kriegsgerichtsbarkeitserlaß
vom 13. Mai 1941 hatte zum Ziel, die völlige Unterwerfung der sowjetischen
Bevölkerung durch präventive Gewalt zu sichern. Eine wesentliche
Rolle spielte dabei die vom Generalstabschef des Heeres, Generaloberst
Halder, eingefügte Klausel, daß bei Angriffen aus Ortschaften
"kollektive Gewaltmaßnahmen" - Niederbrennen von Häusern, Erschießen
von Einwohnern - verhängt werden sollten. Die Führung des Heeres
und die Befehlshaber in der Truppe schworen die Verbände auf die entsprechende
Kriegführung ein. Nach der verbindlichen Auslegung der Heeresführung
sollte dabei schon die Nichtbefolgung deutscher Befehle als "Widerstand"
mit Exekutionen geahndet werden.
Die Kriegführung der Wehrmacht war von allem Anfang an erbarmungslos
- sicher nicht in allen Verbänden, aber in der Summe. Vom ersten Tag
an wurden Dörfer niedergebrannt und die Dorfbevölkerung mit Frauen
und Kindern umgebracht. Versprengte Rotarmisten oder entflohene Kriegsgefangene
galten nach örtlich festgelegten Fristen automatisch als Partisanen
und wurden erschossen, selbst wenn sie unbewaffnet aufgegriffen wurden.
Eine organisierte Partisanenbewegung war im Jahr 1941 weitgehend nicht
existent. Die dann 1942 sehr stark anwachsende Partisanenbewegung war weit
mehr eine Folge der Kriegführung der Wehrmacht als der organisatorischen
Potenz der KPdSU. Stalin hatte eine organisatorische Vorbereitung des Partisanenkrieges
vermieden, da er befürchtete, daß sich diese gegen ihn wenden
könnte.
Die Partisanen des Jahres 1941 waren in erster Linie versprengte Rotarmisten
und entflohene Kriegsgefangene, für die der Partisanenkampf die einzige
Überlebenschance war. Die Stärke der Partisanenbewegung wird
für Anfang 1942 auf wenige Zehntausend, für Sommer 1942 auf 120
- 150.000 geschätzt. Allein im Rückwärtigen Heeresgebiet
Mitte wurden aber in der Zeit vom Juni 1941 bis Mai 1942 80.000 angebliche
Partisanen als "erledigt" gemeldet - bei 1024 eigenen Verlusten (= 1,3Prozent).
Schon diese Zahlen zeigen a), daß im Jahr 1941 von einer echten Partisanengefahr
keine Rede sein konnte, und b), daß von Wehrmachtverbänden im
Rahmen der "Partisanenbekämpfung" Zehntausende Unschuldige umgebracht
wurden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir völlig berechtigt, daß
in der Ausstellung (Katalog, S. 138) für das Jahr 1941 von einem "Partisanenkrieg
ohne Partisanen" gesprochen wird. Auf der anderen Seite bedeutet das, daß
ein großer Prozentsatz derjenigen Zivilisten, die 1941 als angebliche
Partisanen exekutiert wurden, gar keine Partisanen waren. Dies traf nicht
zuletzt auf Juden zu, deren Ermordung vielfach damit begründet wurde,
daß sie "Partisanen" oder "Partisanenhelfer" seien. Der Einwand,
daß die Haager Landkriegsordnung die Hinrichtung von Freischärlern
erlaube, ist völlig unhaltbar, weil die deutsche Seite selbst im Ostkrieg
von vornherein das Völkerrecht beiseite geschoben hatte und der Sowjetunion
gegenüber die Haager Landkriegsordnung gar nicht anwendete.
aus: Aufbau - deutsch-jüdische Zeitung in New York 26/99
Die Transparenz gebietet es, daß ich am Anfang deutlich mache,
in welchem Verhältnis ich zu den Veranstaltern der "Wehrmachtsausstellung"
stehe. Ich habe am wissenschaftlichen Begleitband Vernichtungskrieg. Verbrechen
der Wehrmacht 1941 bis 1944 mitgearbeitet und den Text für den in
der Ausstellung gezeigten Film über die sowjetischen Kriegsgefangenen
verfaßt. Ich habe mehrfach im Begleitprogramm der Ausstellung Vorträge
gehalten. An der Konzeption der Ausstellung und an der Auswahl der Bilder
war ich nicht beteiligt. In den letzten Wochen wurde die Kritik an der
Wehrmachtsausstellung vor allem durch die Arbeiten zweier ausländischer
Historiker verschärft. Der ungarische Historiker Krisztián
Ungváry veröffentlichte in der neuesten Ausgabe von Geschichte
in Wissenschaft und Unterricht einen Aufsatz unter dem Titel "Echte Bilder
- problematische Aussagen". Von seinem polnischen Kollegen Bogdan Musial
erschien in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte ein ebenfalls
sehr kritischer Aufsatz. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen
vom 5. November hat Ungváry nun noch nachgelegt. Unter der vollmundigen
Überschrift "Reemtsmas Legenden. Nicht nur Bilder können lügen"
behauptet er, die Rücknahme der Kernthesen der Ausstellung sei "unvermeidlich,
wenn die Aussagen der Ausstellung fachlich geprüft werden". Er meint
offenkundig, daß er dies mit seiner Kritik bereits leistet. Besondere
Empörung hat bei ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und bei
den konservativen Kritikern die These ausgelöst, die Wehrmacht habe
zum Nationalsozialismus keinen Abstand gehalten, sie sei eine verbrecherische
Organisation gewesen und sei spätestens 1943 zu "Hitlers Wehrmacht"
geworden. Günther Gillessen, in der FAZ einer der prononciertesten
Kritiker, setzte dagegen die Behauptung, die Wehrmacht sei, anders als
dies Hitler gewünscht habe, nicht die "zweite Säule" des NS-Staates
gewesen, sie sei bis zum 20. Juli 1944 vielmehr "ein feldgrauer Strang
im braunen Geflecht" gewesen, einer der wenigen Orte, an dem sich der Einzelne
dem Zugriff der Partei habe entziehen können. Hitler habe dem höheren
Offizierskorps mißtraut. Ungváry argumentierte vor wenigen
Tagen in der FAZ, die Distanz der Wehrmacht zu Hitler ergebe sich schon
daraus, daß Hitler die meisten seiner Feldmarschälle und Generalobersten
abgelöst und einige s den Anschein, dies sei wegen Konflikten um die
verbrecherische Kriegführung geschehen.
Allen Generalsmemoiren zum Trotz entspricht dies in keinem einzigen
Fall der Wahrheit. In den Konflikten, die mit dem Scheitern des Blitzkriegskonzepts
vor Moskau im November/ Dezember 1941 begannen, ging es allein um die "richtige"
Führung der Operationen.
Gillessens idyllisches Bild von der Wehrmacht als einem Ort der inneren
Emigration ist mit den Ergebnissen der historischen Forschung nicht vereinbar.
Einzelne Offiziere haben das, wenn sie der Zufall mit Gleichgesinnten zusammenbrachte,
sicher so empfunden. Eine Verallgemeinerung verbietet sich aber, wenn man
die Entwicklung der Wehrmacht im NS-Staat einigermaßen kennt. Anders
als Gillessen meint, stellte das Bild von der "zweiten Säule" des
NS-Staates nicht einen Wunsch Hitlers dar, sondern das Selbstverständnis
der Führung von Wehrmacht und Heer. Sie hatte seit 1933 alles daran
gesetzt, die Wehrmacht "in den NS-Staat" zu führen, in der Hoffnung,
in diesem Staat eine führende Rolle spielen zu können. Die Basis
war dabei, wie Manfred Messerschmidt schon vor dreißig Jahren überzeugend
gezeigt hat, eine "Teilidentität der Ziele", bei der ein radikaler
Antikommunismus, bei vielen Soldaten gekoppelt mit einem radikalen Antisem
r. Die Wehrmacht wurde in diesem Sinne indoktriniert und diese Indoktrination
wurde im Ostkrieg mit verheerenden Folgen wirksam.
Viele verstanden sich nicht als "Soldaten des Führers"
Wieweit man die Wehrmacht als "Hitlers Armee" bezeichnen kann, wird
umstritten bleiben. Ich selbst würde diesen Begriff nicht verwenden.
Die Verwendung ist aber im Wesentlichen auch eine Frage der Perspektive.
Mit Sicherheit hat es viele Soldaten gegeben, die sich nicht als "Soldaten
des Führers" verstanden. Der Anteil dieser Soldaten an der Gesamtwehrmacht
dürfte allerdings 1940 bis 1942, in der Phase der Siege, entschieden
niedriger gewesen sein als nach Stalingrad, als die Niederlage immer klarer
abzusehen war.
Aus der Sicht der Wehrmachtführung und vieler Truppenführer
war aber die Schaffung dieser "Armee des Führers" ein Ziel, das es
nach unten durchzusetzen galt. Ähnliches gilt für die Frage,
in welchem Maße die Wehrmacht als eine verbrecherische Organisation
angesehen werden kann. Manche der Kritiker unterstellen den Organisatoren
der Ausstellung in manchmal bewußtem Mißverständnis, sie
verwendeten den Begriff im Sinne einer quasi freiwilligen Organisation
von Verbrechern - was offenkundig absurd wäre.
Anders stellt sich das Problem aus der Perspektive der Führung
von Wehrmacht und Heer unter der Frage dar, welchen Beitrag die Organisation
Wehrmacht dazu leistete, die nationalsozialistischen Verbrechen zu ermöglichen.
Man wird dann schwerlich darum herumkommen, die Wehrmacht als eine verbrecherische
Organisation anzusehen. Manfred Messerschmidt hat dafür den Begriff
geprägt, die Wehrmacht sei der "stählerne Garant des NS-Systems"
gewesen. Daß Soldaten in untergeordneten Stellungen dabei oft wenig
oder gar keine Entscheidungsmöglichkeiten hatten, ist offenkundig.
Hans-Adolf Jacobsen, emeritierter Politologe an der Universität
Bonn, Jahrgang 1925, selbst noch Wehrmachtsoffizier, kritisiert an der
Ausstellung ebenfalls, sie differenziere nicht genug. Man dürfe nicht
von der Wehrmacht als Ganzem sprechen und müsse mehr die "Möglichkeiten
und Grenzen absoluter Verhaltensweisen von Soldaten" im Ostkrieg verdeutlichen.
Er vertritt gleichwohl in der Frage der Verantwortung für die Verbrechen
eine andere Position: Die Wehrmacht sei das ausschlaggebende Instrument
der NS-Kriegsführung gewesen, Wehrmacht und SS hätten, "gewissermaßen
arbeitsteilig, den gleichen Krieg mit den gleichen Zielen" geführt.
Auf jeden Fall seien die Soldaten der Wehrmacht "allesamt nicht nur Opfer
einer gewissenlosen Führung, sondern auch im historischen Sinne Mittäter"
- im historischen, nicht im strafrechtlichen Sinne. Es sei in "erster Linie
ihrem Kampfgeist, ihren Leistungen und bestimmten [...] Unterstützunon
SS und Polizei zu verdanken", daß der Genozid an den Juden eingeleitet
werden konnte.
Ganz allgemein kann man sagen, daß diejenigen Kritiker, die
selbst wissenschaftlich über den Krieg im Osten gearbeitet haben,
in ihrer Kritik an der Ausstellung wesentlich zurückhaltender und
sachlicher sind als historische Laien oder Historiker, deren Spezialgebiete
in anderen Bereichen liegen. Ich denke dabei etwa an Horst Möller,
den jetzigen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, dessen eigentliche
Forschungsarbeit sich auf die Zeit vor dem Nationalsozialismus erstreckt.
Ich bin sicher, daß weder Helmut Krausnick noch Martin Broszat, seinen
Vorgängern, sein unsäglicher Vergleich der Wehrmachtsausstellung
mit Ausstellungen totalitärer Regime in den Sinn gekommen wäre.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage, ob und wieweit sich die Wehrmacht
mit dem Gedanken des Vernichtungskrieges identifiziert habe. Einzelthemen,
die dabei eine besondere Rolle spielen, sind die Behandlung der sowjetischen
Kriegsgefangenen und die Durchführung des Kommissarbefehls, der Partisanenkrieg
und die Judenmorde der SS-Einsatzgruppen. Dazu ist festzustellen, daß
es zwar Truppenteile gab, die ihre Gefangenen anständig behandelten,
daß dies aber, zumindest im Jahr 1941, mit Sicherheit nicht die Regel
war.
Die Belege, die für die Nichtdurchführung des Kommissarbefehls
angeboten werden, können nicht überzeugen. Es wird dabei immer
wieder auf die vielen Dutzende eidesstattlicher Versicherungen verwiesen,
in denen Generalstabsoffiziere 1945/46 vor alliierten Vernehmungsoffizieren
versicherten, in ihrem Verband sei der Befehl nicht durchgeführt worden.
Wie zuverlässig solche Versicherungen sind, mag ein Beispiel zeigen.
Der ehemalige Oberbefehlshaber der Panzergruppe 2, Generaloberst Guderian,
behauptete in seinen Memoiren, er habe den Befehl nicht gekannt, er sei
wohl schon von der - ihm übergeordneten - Heeresgruppe Mitte nicht
weitergegeben worden.
Der ehemalige 1. Generalstabsoffizier der 17. Panzerdivision, Oberst
i.G. Bogislav von Bonin - später Militärexperte des Spiegel -
versicherte an Eides statt, der Befehl sei auf dem Dienstweg von der Panzergruppe
2 an die Division gekommen. Der erschießen
die Argumentation im Zusammenhang mit dem Partisanenkrieg. Die Ausstellung,
sagen die Kritiker, werde der Realität des grausamen Partisanenkrieges
nicht gerecht, den Stalin gegen die Wehrmacht entfesselt habe.
Die sowjetischen Partisanen hätten unter völliger Mißachtung
von Haager Landkriegsordnung und Genfer Konvention einen grausamen Krieg
geführt, und die Maßnahmen der deutschen Seite - also auch die
auf den Fotos in der Ausstellung gezeigten Hinrichtungen - seien rechtens
gewesen: Auch die Haager Landkriegsordnung erlaube die Exekution von Freischärlern.
Wissenschaftlich haltbar ist diese simplifizierende Darstellung längst
nicht mehr. Bei allem, was man Stalin sonst vorwerfen kann - den Charakter
des Partisanenkrieges bestimmte nicht er. Hitler hatte beschlossen, den
Krieg im Osten außerhalb aller völkerrechtlichen Bindungen zu
führen. Die militärische Führung stimmte dem zu, nicht zuletzt
aus militärischen Gründen. Angebliche Proteste der militärischen
Führung haben sich als Legende erwiesen. Die Kriegsziele im Osten,
besonders die Ausbeutungsziele, ließen großen Teilen der Bevölkerung
von vornherein nur die Alternativen bedingungslose Unterwerfung mit der
Aussicht, bei Sklavenarbeit zu verhungern, oder verzweifelter Kampf. Schon
in der Planungsphase erwartete die deutsche Führung wegen der vorauszusehenden
Hungersnöte als Folge der geplanten Ausplünderung der Nahrungsquellen
der UdSSR die Entstehung einer Partisanenbewegung. Der sogenannte Kriegsgerichtsbarkeitserlaß
vom 13. Mai 1941 h r sowjetischen Bevölkerung durch präventive
Gewalt zu sichern. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die vom Generalstabschef
des Heeres, Generaloberst Halder, eingefügte Klausel, daß bei
Angriffen aus Ortschaften "kollektive Gewaltmaßnahmen" - Niederbrennen
von Häusern, Erschießen von Einwohnern - verhängt werden
sollten. Die Führung des Heeres und die Befehlshaber in der Truppe
schworen die Verbände auf die entsprechende Kriegführung ein.
Nach der verbindlichen Auslegung der Heeresführung sollte dabei schon
die Nichtbefolgung deutscher Befehle als "Widerstand" mit Exekutionen geahndet
werden.
Die Kriegführung der Wehrmacht war von allem Anfang an erbarmungslos
- sicher nicht in allen Verbänden, aber in der Summe. Vom ersten Tag
an wurden Dörfer niedergebrannt und die Dorfbevölkerung mit Frauen
und Kindern umgebracht. Versprengte Rotarmisten oder entflohene Kriegsgefangene
galten nach örtlich festgelegten Fristen automatisch als Partisanen
und wurden erschossen, selbst wenn sie unbewaffnet aufgegriffen wurden.
Eine organisierte Partisanenbewegung war im Jahr 1941 weitgehend nicht
existent. Die dann 1942 sehr stark anwachsende Partisanenbewegung war weit
mehr eine Folge der Kriegführung der Wehrmacht als der organisatorischen
Potenz der KPdSU. Stalin hatte eine organisatorische Vorbereitung des Partisanenkrieges
vermieden, da er befürchtete, daß sich diese gegen ihn wenden
könnte.
Die Partisanen des Jahres 1941 waren in erster Linie versprengte Rotarmisten
und entflohene Kriegsgefangene, für die der Partisanenkampf die einzige
Überlebenschance war. Die Stärke der Partisanenbewegung wird
für Anfang 1942 auf wenige Zehntausend, für Sommer 1942 auf 120
- 150.000 geschätzt. Allein im Rückwärtigen Heeresgebiet
Mitte wurden aber in der Zeit vom Juni 1941 bis Mai 1942 80.000 angebliche
Partisanen als "erledigt" gemeldet - bei 1024 eigenen Verlusten (= 1,3Prozent).
Schon diese Zahlen zeigen a), daß im Jahr 1941 von einer echten Partisanengefahr
keine Rede sein konnte, und b), daß von Wehrmachtverbänden im
Rahmen der "Partisanenbekämpfung" Zehntausende Unschuldige umgebracht
wurden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir völlig berechtigt, daß
in der Ausstellung (Katalog, S. 138) für das Jahr 1941 von einem "Partisanenkrieg
ohne Partisanen" gesprochen wird. Auf der anderen Seite bedeutet das, daß
ein großer Prozentsatz derjenigen Zivilisten, die 1941 als angebliche
Partisanen exekutiert wurden, gar keine Partisanen waren. Dies traf nicht
zuletzt auf Juden zu, deren Ermordung vielfach damit begründet wurde,
daß sie "Partisanen" oder "Partisanenhelfer" seien. Der Einwand,
daß die Haager Landkriegsordnung die Hinrichtung von Freischärlern
erlaube, ist völlig unhaltbar, weil die deutsche Seite selbst im Ostkrieg
von vornherein das Völkerrecht beiseite geschoben hatte und der Sowjetunion
gegenüber die Haager Landkriegsordnung gar nicht anwendete.
aus: Aufbau - deutsch-jüdische Zeitung in New York 26/99
Der Heidelberger Historiker Christian Streit ist Verfasser der bahnbrechenden Studie "Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945", 1978.