Ein Beitrag zur Hrdlicka-Debatte
Von Henryk M. Broder
Stellen wir uns einmal, nur zum Spaß, den folgenden Fall vor; Ein rechter
deutscher Politiker sagt an die Adresse eines jüdischen, nachdem dieser sich
abfällig über die Ausländerpolitik seiner Partei geäußert
hat: "Sie wollen nicht mit den Asylgesetzen leben, die der Bundestag beschließt?
Ich wünsche Ihnen die Nürnberger Rassengesetze an den Hals!" - Wie
lange würde es dauern, bis dieser Politiker alle seine Parteiämter loswäre,
seine Partei sich von ihm distanziert, die gesamte deutsche Öffentlichkeit
seine Worte verurteilt hätte? Wahrscheinlich keine 24 Stunden. Und kein Mensch
würde es heute wagen, des PoIitikers Meinung durch schräge Interpretationen
zu rechtfertigen. Die Sache nimmt einen vollkommen anderen Kurs, wenn es sich nicht
um einen rechten Politiker, sondern einen antifaschistischen Künstler handelt.
Alfred Hrdlicka wünscht Wolf Biermann die Nürnberger Rassengesetze an
den Hals, und das halbe deutsche Feuilleton steht auf, um Hrdlicka - nicht Biermann
- beizustehen. Das Feuilleton der SZ ist gleich mit zwei Beiträgen dabei, Sigrid
Löffler, die sich eben noch den Kopf darüber zerbrochen hat, ob Spielberg
den Holocaust nicht verharmlost hat, nennt Hrdlickas Worte eine,,mißverständliche
Entgleisung ,für die er sich deswegen nicht entschuldigen mag, weil sein Kopf
"wodkabenebelt" ist. Ja, mit ein wenig guten Willen und einem Pusteröhrchen,
wie sie die Polizei zu Alkoholtests verwendet, könnte man auch die bekannte
Stürmer-Parole "Die Juden sind unser Unglück" in den Rang einer
Zweideutigkeit befördere, die man so, aber auch so auslegen kann, zumal auch
Julius Streicher gerne einen Über den Durst getrunken hat.
_Alkoholisierte Antifaschisten_
Während bei Unfällen unter Alkoholeinfluß die selbstverschuldete
Benebelung strafverschärfend gewürdigt wird gilt bei einem "Antifaschisten
mit alkoholisiertem Antlitz" (Malte Lehming) der Suff als ein mildernder Umstand.
Konsequenterweise könnte man eine Promillestaffel aufstellen: bis O,5 Promille
ist "Saujud" ein zärtliche Anmache, von 0,5 bis 1.0 Promille gilt
"Haut doch ab Palästina" als ein Vorschlag für eine Urlaubsreise,
und wer von 1,0 Promille aufwärts "Juda verrecke!" brüllt provoziert
allenfalls ein Mißverständnis. So hat es auch seine innere Richtigkeit,
daß Frau Löffler den Skandal nicht bei Hrdlicka lokalisiert, sondern
bei denjenigen, die über den Fall berichtet haben, selber frei nach Karl Kraus,
der mal gesagt hat: "Der Skandal fängt da an, wo die Polizei ihm ein Ende
macht." Auf der medialen Strecke bleibt das "rabiate Enfant terrible",
der "Salon-Berserker' Hrdlicka, dem offenbar die Tatsache, daß ihm die
Mittel fehlen, seinen Ruf nach den Nürnberger Rassengesetzen praktisch umzusetzen,
als ein weiterer mildernder Umstand angerechnet wird, Ein "Antifaschist' darf
sogar nach den Nürnberger Gesetzen schreien, er ist und bleibt ein Verbündeter
der salonlinken Förderation der Guten und Edlen, die sich dem "politisch
korrekten Tugend-Terror" (Löffler) in den Weg stellen, wenn sie nicht
gerade damit beschäftigt sind, Resolutionen gegen den drohenden Rechtstrend
zu unterschreiben.
Linke Nazis
Zwei Tage nach Löffler hat sich auch Eva-Elisabeth Fischer mit ihrem Beitrag
(,Die neue Farbenlehre") zu Wort gemeldet. Auf meine Feststellung, Hrdlicka
sei ein "linker Nazi", und auf Kommentar von Ignaz Bubis über "Rotlackierte
Nazis" stellt Frau Fischer die Frage: "Haben die Herren... all ihr historisches
Wissen fahren lassen? Wie, bitteschön, verwandelt sich ein Ultralinker in einen
Nazi, also einen Ultrarechten?"' Ein linker Nazi" meint Frau Fischer,
wäre doch ein Widerspruch in sich selbst'.
Ein Widerspruch in sich selbst liegt also nicht da vor, wo ein erklärter "Antifaschist"
einem Juden die Nürnberger Gesetze an den Hals wünscht, er stellt sich
erst dann ein, wenn dieser "Antifaschist". ein linker Nazi genannt wird.
Da gerät Frau Fischer ins Grübeln. Wie kann der Mann ein "Ultrarechter"
sein, wo doch ein anerkannter "Ultralinker" ist?
Der Frau kann geholfen werden. Seit 1945 ist der Nazismus kein Verein, keine Partei,
keine Wanderbewegung. Er ist ein Geisteszustand oder eine Geistesverwirrung, in
jedem Fall das, was der Brite "a state of mind" nennt. Die einen feiern
Führers Geburtstag, den anderen fallen automatisch die Nürnberger Gesetze
ein, wenn sie einem Juden ein Verhängnis an den Hals wünschen. Dieser
"state of mind" ist von einer politischen Haltung vollkommen unabhängig.
Hrdlicka ist ein Nazi, weil er sich zu der Rassenpolitik der Nazis, dem Herzstock
der nationalsozialistischen Philosophie, bekennt und er ist ein linker Nazi, weil
er sich selbst für einen Linken hält. Es gibt keinen Grund, diese SeIbsteinschätzung
für verkehrt zu Der Nationalsozialismus war auch eine Variante des Sozialismus,
es gab in der NSDAP einen linken Flügel, und viele. Maßnahmen des Nationalsozialismus,
von der Arbeitspolitik bis zur kollektiven Urlaubsgestaltung, wurden von realsozialistischen
Staaten übernommen. Kurzum "Links" und "Nazi" schließt
sich ebenso wenig aus wie "reich" und "Sozi".
Interessant und aufschlußreich an diesem Fall ist weniger der "Antifaschist"
Hrdlicka, dem man in der Tat zugute halten könnte, daß er nicht weiß,
wovon und worüber er redet, interessant und aufschlußreich sind seine
Exegeten und Apologeten. Nicht, einmal Hrdlickas Feststellung, Heym, Gysi und Biermann
würde "im rassisch selben Boot" sitzen, hat sie irritiert,
Wir sind Alfred Hrdlicka zu Dank verpflichtet. Ohne seine Initiativen würden
wir uns über den real existierenden Antifaschismus noch immer Illusionen machen.
SZ 11.11.1995
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt