Wie die neuen Rechten die Nation retten: "Mit der Faust im Tornister"
gegen "großstädtische Zersetzungsdenker
Rechts tut sich was. Außerhalb des etablierten Rechtsradikalismus von DVU,
Republikanern und anderen Neo-Nazi-Gruppen formiert sich eine intellektuelle Rechte,
die außer mit Büchern mit einem Berliner Appell und mit einer Fronde
innerhalb der Berliner FDP auf sich aufmerksam machte. Die intellektuelle Rechte,d
ie sich hauptsächlich auf CDU/CSU-Mitgliedern, freischwebenden Konservativen,
rechten Redakteuren und Publizisten zusammensetzt, gibt sich in ihrem Aufruf pluralistisch("gegen
Extremisten von links und rechts"), doch weit gefehlt: ihre intellektuellen
Wortführer, die im Sammelband "Die selbstbewußte Nation" vertreten
sind, kennen keinerlei Abgrenzung mehr nach rechts. Für diese Führungsriege
schließt der "freiheitlich-demokratische" und "antiautoritäre
Konsens" Figuren ein wie Botho Strauß und Ernst Nolte, wie den Rechtsradikalen
Gerd Bergfleth oder den "Junge Freiheit"-Redakteur Roland Bubik, wie den
an den Verhältnissen und seiner eigenen Geschichte irre gewordenen Konfusionisten
Hans Jürgen Syberberg oder den nach rechts anschlußfähigen Klaus
Rainer Röhl. Nur einem der Mitautoren, dem FAZ-Redakteur Eduard Beaucamp, wurde
es übel, nachdem er gelesen hatte, in welche Gesellschaft er sich da begeben
hatte: "Beiträgers Erbleichen ...man schämte sich"(FAZ v. 20.10.94)
Die Witwe, immerhin SPD-Mitglied, schwieg bislang.
Wenn sich 27 deutsche Männer und eine Witwe in einer "deutschen Debatte"
über die "selbstbewußte Nation" hermachen, kann man allerhand
hermachen, kann man allerlei erleben. Was zunächst ins Auge sticht: sechs Siebentel
der Teilnehmer an dieser "deutschen Debatte" schreiben ein ganz erbärmliches
Deutsch, aber die Gesinnung stimmt und die Gemütslage ist ausgezeichnet, weil
wir "endlich wieder Deutsche werden"(A.Graw, SFB-Redakteur). Einen Vorgeschmack
vermittelte im letzten Jahr der Sammelband "Westbindung" (herausgegeben
von R.Zitelmann, K.Weismann und M.Grossheim). Außerhalb der rechten Kampfpresse
und rechtsradikalen Postillen nahm das Buch niemand ernst. Wer braucht angesichts
brennender Menschen und Häuser noch Rehabilitierung von Nationalismus, "nationalen
Interessen", "Geopolitik" und dergleichen? Der Mißerfolg scheint
das Haus Ullstein beflügelt zu haben, es mit einer schärferen Version
zu versuchen: "Die selbstbewußte Nation. 'Anschwellender Bockgesang'und
weitere Beiträge zu einer Deutschen Debatte"(herausgegeben von H.Schwilk
und U.Schacht). Die Stammgäste aus dem Vorjahr sind wieder dabei - dieses Mal
hinter dem Zugpferd Strauß(Botho) und seinem "anschwellenden Bockgesang".
Außer Strauß bestimmen die untadeligen Demokraten Carl Schmitt, Martin
Heidegger und Ernst Jünger, wie sich "die selbstbewußte Nation"
den "Pluralismus" vorstellt, der "den linken und rechten Demokraten
gleichermaßen Raum und Entfaltungsmöglichkeiten" (Berliner Appell)
bietet. Was "Raum" und "Entfaltung" im Rechtsdeutsch bedeuten,
schreiben die "neuen" intellektuellen Rechten Wort für Wort von denen
der Weimarer Zeit ab.
R.Zitelmann leiht den Titel seines Beitrags ("Positition und Begriff")
bei Carl Schmitt aus und möchte begründen, daß zur "pluralistischen
Demokratie" außer der Mitte, um die sich alle balgen, eine Rechte ebenso
selbstverständlich gehöre wie eine Linke. Der Jammerton des Berliner Appells
läßt darauf schließen, daß Zitelmann dabei ebenso mitredigiert
hat wie beim Rechtsaufruf der Berliner FDP mit dem ehemaligen Bundesanwalt von Stahl
als Aushängeschild. Der gelernte Maoist Zitelmann macht jetzt umtriebig auf
rechte Rechtsstaats- Rettung. Aus der "pluralistischen Demokratie" ausgrenzen
möchte er deshalb Rechts-bzw. Linksextreme. Das Unternehmen scheitert im Ansatz,
weil sich die Neuen Rechten von der gewalttätigen Rechten ziemlich mißverständlich,
halbherzig oder gar nicht abgrenzen kann. Martin Walser sprach jüngst verniedlichend
von "Skinheadbuben", und Zitelmann qualifiziert den Protest gegen Neonazis
nach den Morden in Ost- und Westdeutschland als "Inszenierung" und "Kampagne".
Dieselbe Unentschiedenheit und Zweideutigkeit kennzeichnet das Verhältnis der
neuen Rechten zum Nationalsozialismus. Zur Berliner Mode gehört, in der Wolle
gefärbte Antisemiten zu zitieren und hinzuzufügen, "ich will dies
alles jetzt ... nicht moralisch deuten"(H.Lange). Da wird im Stil und im Windschatten
Ernst Noltes verharmlost mit Vokabeln wie "Bewältigungsexzeß",
mit seichten Analogien, mit der "Freiheit des Fragens" oder mit dem "nüchternen
Blick" auf den technischen Vorgang des Vergasens" (E.Nolte). Einer der
Herausgeber spricht, um die gegen Neonazis erhobenen Mordvorwürfe zu kontern,
von den "Wohlfahrtsausschüssen der Bonner Republik" und vom "Kostüm-
Humanismus", der "noch primär in Talk-Shows und Leitartikeln ausmerzt"
und nicht in der Realität: "Aber damit fängt es an." Die Differenz
zum ganz gewöhnlichen Revisionismus ist minimal. Was der national durchwirkte
Restverstand als "postdeutsche nationalsuizidale Geschichtsschreibung"
denunziert, wird auf eine Stufe gestellt "mit dem totalen Vernichtungswillen
NS-Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk"(U.Schacht), "Welt
am Sonntag"). Der Philosophieprofessor R.Maurer aus Berlin fragt: "Was
kann man aus Auschwitz oder Bosnien lernen", als ob es sich dabei um Verbrechen
auf gleicher Stufenleiter handelte. R.Bubik von der "Jungen Freiheit"
verkündet die rechte Zeitrechnung als Clearing- Verfahren durch Vergessen:
"Doch 1990 war nicht mehr 'nach der deutschen Einheit".
Die neue Rechte steht vor zwei bislang ungelösten Dilemmata: Erstens kann sie
sich nicht überzeugend vom älteren und neueren Rechtsradikalismus absetzen,
weil ihre Thesen dann in sich selbst zusammensacken würden. Implizit wird das
auch zugeben, wenn behauptet wird, "immer mehr Demokratie, immer mehr Aufklärung,
immer mehr Emanzipation" brächten nichts als den Untergang von "Identität,
Transzendenz und Bindung"(A.Graw). Sollte man denn, wie die alte Rechte seit
Burke, Bonald und Maistre immer schon meinte, Demokratie, Aufklärung und Emanzipation
nicht gleich über Bord werfen? Einige wollen dies mit Sicherheit. Noch mag
es keiner für zeitgemäß halten, denn damit würde die weitgehend
fiktive Grenze zum Neonazismus ganz fiktiv. Und zweitens steht die neue Rechte (wie
die alte) immer noch dafür, daß ihr intellektuelles und geschmackloses
Niveau nach unten keine Grenzen kennt. Der Berliner Professor R. Maurer dokumentiert
den intellektuellen Standard des Sammelbandes und der Bemühungen von rechts
bündig mit dem einfältigsten aller Tricks - mit dem Spiel mit Eigennamen:
Jürgen Habermas habe es, so Maurer, mit den "Habermäusen". Wenn
Maurer von "kulturellen Unterschieden" und "höherer Kultur"
daherredet, weiß man ungefähr, woher der Wind bläst und wohin die
Reise gehen soll. Der FAZ-Autor K.R.Röhl (Ex-'Avanti') belegt seine eminente
Kenntnis "renommierter" Lexika dadurch, daß er eines auf acht Zeilen
zweimal mit zwei unterschiedlichen, aber gleich falschen Titeln herbeizitiert.
Die neuen Rechten verwahren sich dagegen, Nationalisten zu sein, mit dem Argument,
es gelte zwischen "Nationalismus" und "vernünftigen Nationalbewußtsein"
zu unterscheiden. Das hat man nun schon seit etwa hundert Jahren versucht, aber
es ist nie gelungen.. Und der vorliegende Band ist ein Schulbeispiel dafür,
daß die Unterscheidung nicht gelingt. Die bescheidener Strukturierten weichen
deshalb auf Schummriges in der Preislage von "Zusammenheitsgefühl"
aus, was ohne Zweifel jede Räuberbande auch besitzt, mindestens solange die
Geschäfte laufen. Die Anspruchsvolleren sprechen von eine quasi- natürlichen
"Bedürfnis", das einfach da sei. Aber die meisten landen wie e und
je beim Kitsch. G. Bergfleht, mit "einem Draht zum einfachen Volk" ausgestattet,
plädiert für uriges "Deutschsein" und für die "Heimkehr
zur heiligen Mutter Erde". Und der angeblich "andere Anfang" beginnt
wieder auf den ausgetretenen Holzwegen durch den Schwarzwald. Noch plädiert
er für den "Aufstand gegen die Entortung" (was immer das sei); daraus
kann im Handstreich ein Kampf gegen die Entartung werden. Die "höhere
Kultur" hatten wir schon bei Maurer, die "Partei des echten Lebens"
bei Bubik, und die Trauer um die goldenen Zeiten, als "Ehebruch noch strafbar"
war, bei Meier Bergfeld ("Rheinischer Merkur"). Es kommen härtere
Zeiten, denn A.Graw plädiert für "Opferbereitschaft, Staatsbewußtsein,
Nationalbewußtsein" und Kampfbereitschaft", und M.J.Innacker ("Welt
am Sonntag") pfeift den Marsch vom "Staat als Schicksals- und Selbstbehauptungsgemeinschaft".
Wo es den Autoren darum geht, das angeblich "Vernünftige" am Nationalbewußtsein
darzulegen, erscheint in der provinziellen Berliner Privatdozentenphilosophie der
Hinweis auf "die deutsche Sehnsucht nach Metaphysik"(T.Krause). Offensichtlicch
erschöpft sich das vom national strukturierten Bewußtsein avisierte "Vernünftige"
in der irrational-brutalen Einfachheit des homogenisierten "Wir" gegen
Andere und Fremde. "Die intensivere Art des Seins", eine historisch bekannte
Form des "vernünftigen Nationalbewußtseins", beginnt erst,
wenn "wir die Lieder unseres Volkes" wieder singen und "Einpassung"
(R.Bubik) kein Fremdwort mehr ist, dagegen Aufklärung eines wird.
Die Abteilung Kitsch ist die mit Abstand dotierte im Sammelband. In der nationalreligiösen
Boutique biete U.Wolff mit "doppelter Optik und spirituellen Tiefgang"
Rezepte gegen "Bindungslosigkeit", "Dekadenz" und "Transzendenzverlust"
an, aber auch unfreiwilligen Trost für die gebeutelte FDP: "Am Ende des
Jahrtausends ist der Ewige Deutsche liberal geworden" - wogegen jetzt mit einer
Ethik des Dienens" mobil gemacht werden soll. Für den ehemaligen Offizier
und Friedensforscher A. Mechtersheimer ist der historische Frischling Nation eine
"Urkraft" und obendrein "das wesenhaft Tägliche". Eine
"deutschpositive Haltung" erscheint deshalb so selbstverständlich
wie die Spindordnung. "1989" steht für Nation, d.h. "den hundertjährigen
Kampf gegen die Revolution". Durch diesen "nationalen Problemlösungszugang"
erhält der fast allein von deutschen Eliten entfesselte Weltkrieg eine aparte
Umdeutung.
Vom Radau-Rechtsradikalismus unterscheiden sich die neuen Rechten durch ihre Kulturkritik.
Unterschiedlich akzentuiert, deuten sie auf Defizite und Fehlentwicklungen in der
Gesellschaft. Sie tun dies unter dem Generalnenner des Wertezerfalls und beklagen,
"der angebliche Pluralismus der Lebensstile, der unbändige 'Individualismus',
der sich in den freien Gesellschaften zeige", sei "bei näherem Hinsehen
ein Ergebnis der Warenwelt und der Werbung" (E.Straub, Stifterverband Deutsche
Wissenschaft). So vordergründig präzis einzelne Einsichten auf diesem
Feld registriert werden, so wenig überzeugend sind dann auch die Erklärungen,
die die neuen Rechten dafür anbieten. Nicht etwa die fast unbegrenzte Dynamik
von kapitalen Verwertungs- und Profitinteressen, die die modernen Gesellschaften
weitgehend bestimmen, werden dafür verantwortlich gemacht, sondern pauschal
"Demokratie", demokratische Gesellschaft" und "Demokratisierung",
ganz so, als ob im Bundestag über Warenproduktion, Konsum, lifestyle-Klim-Bim
und Fun-Business entschieden würde und nicht in den Führungsetagen der
Konzerne und PR-Agenturen. Auch die neue Rechte prägt das alte Ressentiment
gegen die parlamentarische Demokratie. Sie spricht es nur nicht so deutlich aus
wie die Herrenreiter der Weimarer Republik.
Zur demagogischen gesellt sich eine rustikale, genuin rechte Erklärungsvariante:
"Wie müssen zukünftig nicht weniger, sondern mehr Staat haben, wenn
unsere Lebensform weiterexistieren soll"(K.Weißmann). Nichts gerät
von rechts so unter Beschuß wie Emanzipation und Selbstverwirkichung. Schlechter
als der "Totalitarismus des Konsumierens"(H.Schwilk, "Welt am Sonntag)
kommen nur "Feminismus" und "Multikulturalismus"(R.Zitelmann)
weg. "Das große nationale Abenteuer"(J.Thies, "Die Welt")
sieht im Feminismus eine Gefahr für die "Staatsmoral": "Der
Staat aber muß im Extremfall - vom Leben seiner Söhne als Soldaten zehren;
das kann keine Frauenmoral billigen. Sich die Staatsmoral als erweiterte Familienmoral
zurechtzuschustern, das bedeutet aber das Ende des Staates" (P.Meier-Bergfeld,
"Rheinischer Merkur"). Damit stellt er sich den Thesen der Herausgeber
entgegen, wonach "Erfahrungsraum und Identität von Familie und Nation
... das Gemeinsame" konstituieren (H.Schwilk /U.Schacht). Zumindest Schwilk
belegt dann schnell, daß er auch anders herum kann: Gegen die "Pazifizierung"
und "Effemminierung" der Gesellschaft beruft er sich auf Ernst Jünger.
"Den Heroismus" der "Stahlgewitter" beschwört ein anderer
Autor. "Lehrmeister Krieg"(K.O.Hondrich) und "Lehrmeister Schmerz"
stehen ebenfalls bereit. Staat und Nation bilden die "höheren Werte"
in der "Ethik des Schmerzes", nach der gilt, im Namen einer "politischen
Ästhetik des Erhabenen...den eigenen Tod (zu) riskieren...Schmerzbewußte
Gegen-Aufklärung" mit einer "Institution" als "Halt"
soll dem "Geist der Zersetzung" trotzen (H.Schwilk) - Stammtischnietzsche,
dekoriert mit Nachkriegs-Gehlen. Ein 24-jähriger, der sich erregt, daß
sich "die Masse der Menschen" an RTL und "am Schund ergötzt",
beschwört die guten alten Zeiten: "1914 stürmten deutsche Soldaten
mit dem 'Faust' im Tornister in die Schlacht, den sie alle gelesen hatten (den Tornister?
LL), wenn nicht gar auswendig konnten"(Bubik).
Fazit: "Rechts zu sein, bedarf es wenig" (FAZ v. 29.9.94) - einige zoologische
Grundkenntnis genügen. Die intellektuellen Rechten nehmen Tauben als Lehrmeister:
die kennen nämlich "keine Tötungshemmung gegen ihre Artgenossen"(P.Meier-Bergfeld),
und die Witwe viriler Kerle auf graniten Kriegerdenkmälern durchrütteln
ließ, dirigiert dazu den Choral mit dem Titel: "Über Liebe zum eigenen
Land".
Aus: Ludi Lodovico, Wie die neuen Rechten die Nation retten: "Mit dem 'Faust'
im Tornister" gegen "großstädtische Zersetzungsdenker
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Most recent revision: April 07, 1998
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