Rassismus und Rechtsextremismus
Der Streit um die Ursachen - von Birgit Rommelspacher


Die Frage nach den Ursachen rassistischer und rechtsextremer Gewalt in der BRD hat inzwischen eine Geschichte: Zunächst waren sich alle relativ einig, daß der Ausbruch der Gewalt viel mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Orientienngslosigkeit zu tun habe. Dies Bild hat sich inzwischen differenziert. So gibt es vielfältige Erklärungen: Rassistische Gewalt als Protest, als Ausdruck von Jugendproblemen, als männlicher Chauvinismus, als aktiver Beitrag zum Aufbau der "Festung Europa", als Ausdruck psychosozialer Problemlagen, als Angst vor dem Fremden oder als Folge des Versagens der Eltern und Pädagoginnen der 68 Generation.
Es wird viel gestritten und die Konfliktlinien. So unübersichtlich sie auch sind, machen sich m.E. immer wieder daran fest, ob Rassismus und Gewalt ein Symptom der herrschenden Gesellschaft ist, ein aus ihrer Logik und ihren Interessen heraus erklärbares Phänomen, oder aber eher eine Krisenerscheinung, die vorübergeht und in der besondere Problemlagen und Belastungssituationen von Randgruppen zum Ausdruck kommt.
Um dies genauer zu beleuchten, werde ich die wichtigsten Erklärungsansätze aus der Soziologie, der Psychologie und von Seiten der Feministinnen einander gegenüber stellen und fragen, welchen Stellenwert sie dem Rassismus im gesellschaftlichen Kontext geben.

1. Die Individualisierungsthese
Zentral in der soziologischen Diskussion ist die These von der Risikogesellschaft (Beck 1986), die besagt, daß die klassischen Werte immer mehr zerfallen, sich traditionelle Lebensformen immer weiter auflösen und unsichtbare Gefahren, wie die drohende ökologische Katastrophe, zunehmend das Leben bestimmen. Darüberhinaus hat die Auflösung der politischen Blöcke zu einer Krise der Weltbilder und einem Verlust traditioneller Feindbilder geführt, so daß viele nun Verläßlichkeit und Halt in rechtsextremen Bezügen suchen.
Völlig unstrittig ist, daß ein solcher Individualisierungsprozess seit Jahrzehnten, wenn man es genau betrachtet sogar seit der Industrialisierung, in Gang ist. Keine Frage, daß die Kapitalisierung aller Lebensbereiche inzwischen zu einer Situation geführt hat, in der die Einzelnen wie nie zuvor auf sich selbst zurückgeworfen sind. daß nun allerdings diese Vereinzelung und Auflösung allgemein verbindlicher normativer Bezüge zwangsläufig zur Suche nach stabilen, rechten Denkmustern führt, ist m.E. keineswegs zwingend. Denn die Individualisierung kann zugleich auch zu einem Mehr an Selbstbestimmung und damit auch an Respekt für die Eigenart führen. Die Pluralisierung der Lebenswelten wird zugleich auch Toleranz und Offenheit fördern und es erleichtern, selbstverständliche Normen und Ausgrenzungen zu hinterfragen. D.h. der Individualisierungsprozess kann sowohl zu einer zunehmenden Orientierungslosigkeit wie auch zu einer wachsenden Fähigkeit führen, Uneindeutigkeiten und Widersprüche besser auszuhalten.
Auffallend ist aber, daß in den vorliegenden Analysen, der Individualisierungsprozess primär oder gar ausschließlich negativ gewertet wird. Bei einer solchen Diagnose liegt dann die Therapie bereits auf der Hand: Eine Wiederherstellung traditioneller Bindungen und Orientierungen.
Gehen wir aber von einer durchaus widersprüchlichen Entwicklung aus, so läßt sich die Frage, in welche Richtung der Prozeß ausschlägt, nicht abstrakt beantworten, hier ist dann die Empirie gefragt.
Zunächst einmal zeigt die Untersuchung von Heitmeyer (1989), dem bekanntesten Vertreter der Individualisierungsthese, daß sich kein Zusammenhang zwischen den von ihm vermuteten Faktoren finden läßt. D.h. weder soziale Einbindungen bezüglich Arbeit und Familie, noch das eigene Selbstkonzept, sei es nun positiv oder negativ, wie auch allgemein Orientierungsschwierigkeiten korrelieren mit autoritär-nationalisierenden Sichtweisen. Auch in seiner neueren Untersuchung, der Bielefelder Rechtsextremismusstudie (1992), ist kein Zusammenhang zwischen den einzelnen Faktoren herzustellen.
Es gibt nur einen signifikanten Zusammenhang, und der besteht zwischen einer instrumentalistischen Arbeitsorientierung, d.h. der vorrangigen Orientierung an Geld, Aufstieg und Status und rechtsextremen Orientierungen. D.h. bei denjenigen Jugendlichen, für die Geld in ihrer Arbeitsorientierung eine hohe Wichtigkeit besitzt, ist die Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft besonders ausgeprägt. Stärke und Überlegenheit sind hier die wichtigsten Normen, und die anderen Menschen werden vorrangig unter dem Aspekt ihres Nutzens beurteilt. Eine solche auf Leistung und Erfolg fixierte Ideologie führt zur Mißachtung all derer, die in diese Verwertungslogik nicht hineinpassen.
In dieselbe Richtung geht die Tübinger Untersuchung von Held, Horn, Leiprecht und Marvakis (1992): Sie befragten repräsentativ für den Tübinger Raum Jugendliche und junge Arbeitnehmer nach ihren politischen Orientierungen und teilten sie in Benachteiligte und Nicht- Benachteiligte auf nach den Faktoren Arbeitsplatz, berufliche Zukunft, Bildung, ökonomische Absicherung und soziale Einbindung. Es zeigte sich, daß die Benachteiligten signifikant weniger rassistisch waren als die Nicht-Benachteiligten. Diese auch für die Forscher überraschenden Ergebnisse versuchten sie genauer zu ergründen und stellten fest, daß sich bei diesen Jugendlichen vor allem Aufstiegs- und Leistungsideologie mit rigiden Ausgrenzungsforderungen gegenüber Einwanderinnen verbinden. Sie fassen diesen Komplex in den Begriff des "Wohlstandschauvinismus", in dem die ökonomische Überlegenheit mit politisch-kulturellem und persönlichem Vormachtsanspruch identifiziert wird. Er zeigt sich in einer Überidentifikation mit "deutschen Wirtschaftsinteressen" nach dem Motto: Wir sind die besten und es ist unser Verdienst. Wie bei Heitmeyer herrscht bei diesen Jugendlichen ein instrumentelles Nutzendenken vor: Einwanderer und Flüchtlinge werden ausschließlich danach beurteilt, ob sie schaden oder nützen. Sie selbst sind meist in gutsituierten Positionen und fühlen sich nicht realiter, aber allgemein und diffus von den Einwanderinnen bedroht.
Wie ist diese Diskrepanz zwischen Bedrohtheitsgefühlen und realer Absicherung zu erklären?
Hier hilft eine neue Untersuchung von Hoffmeister und Sill (1993) weiter: Auch sie gingen von der Individualisierungsthese aus und untersuchten knapp 500 Jugendliche und junge Erwachsene hinsichtlich der Frage, ob Verunsicherungen zu autoritären Einstellungen führen.
Auch diese Forscher erlebten, wie sie selbst sagen, bei der Auswertung eine Überraschung, als sie feststellten, daß es keinen Zusammenhang zwischen Versorgtsein und Autoritarismus gibt. Erfreulicherweise halten sie dann - im Unterschied zu Heitmeyer - nicht mehr an ihrem theoretischen Konzept fest, sondem untersuchen weiter die zwei voneinander unterschiedlichen Variablen von Autoritarismus und Instabilität.
D.h. die Instabilen sind nicht notwendig autoritärer, in der Summe sogar etwas weniger als die Stabilen. Demgegenüber sind relativ viele Jugendliche, die aus gut situierten stabilen Verhältnissen kommen und mit einem entsprechend stabilen Selbstbild ausgestattet sind, autoritär und neigen zu rechten und rassistischen Einstellungen.
Diese Jugendlichen haben die Forscher nun genauer betrachtet und festgestellt, daß sie durchweg unter einem sehr hohen Leistungsdruck stehen, den sie unkritisch von ihren Eltern übernommen haben. Sie bewundern und idealisieren ihre Eltern ob ihres beruflichen und ökonomischen Erfolgs, und für sie ist selbstverständlich, daß sie selbst auch einmal zu den Erfolgreichen gehören werden. Allerdings widerspricht das oft ihren Erfahrungen, etwa wenn sie schlechte Noten in der Schule haben oder auch Alkoholprobleme etc. Dennoch halten sie ihr Ideal aufrecht und projizieren ihre Versagensängste auf alle anderen: auf unfähige Lehrer, korrupte Politiker und arbeitsscheue Ausländer. Diese müssen alle abgewertet werden, um sich selbst und das Prinzip von Leistung und Disziplin hochzuhalten. Die Jugendlichen haben sich selbst (noch) nicht bewährt, gehören aber ihrer Meinung nach selbstverständlich zur Elite, und diese Diskrepanz mündet in einem allseitigen Bedrohtheitsgefühl. Alle könnten ihnen irgendwie ihren Platz streitig machen. So werden sie mißtrauisch beäugt, und das Leben als ein ständiger Kampf aller gegen alle erlebt, in dem der Stärkste sich durchsetzt.
Es gibt natürlich auch die instabilen Jugendlichen, die autoritär sind. Auch sie empfinden ihre Umwelt überwiegend als feindselig. Aber das Motiv ist ein anderes: Sie hatten i.d.R. in ihrem Leben ständig mit einer Unzahl von Widrigkeiten zu kämpfen. Sie haben meist eine sehr schwierige Familiengeschichte und viel negative soziale Erfahrungen hinter sich. Insofern hat ihr Mißtrauen auch viel mit der Realität zu tun. Dahei werden ihre Auffassungen auch durch neue Erfahrungen wieder verändert. Das geht bis hin zu einer extremen Außenorientierung und einem ständigen Schwanken zwischen widersprüchlichen Einschätzungen. Dementsprechend lassen sie sich auch leicht beeinflussen. Wohingegen sich bei den Stabil-Autoritären Mißtrauen und Kriegermentalität zu einem allgemeinen Weltbild verfestigt haben, die sie gegen alle kämpfen läßt, die ihren Vormachtsanspruch in Frage stellen könnten.
D.h. hier schließt sich also die obige Verständnislücke: Ein solcher gut situierter Jugendlicher ist real z.B. nicht von den Einwanderinnen bedroht, sondern viel eher von seinem eigenen Versagen, dem Unvermögen, das er sich nicht zugestehen kann und will. Er muß es auf andere projizieren. Je größer also die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, je stärker die Realität in Idealisierungen gepreßt wird, desto größer ist der Projektionsbedarf, um sich in diese idealisierte Gemeinschaft hinein zu definieren und sich der Zugehörigkeit zu dieser Elite zu vergewissern.
An der Stelle ist also die Psychologie gefragt. Zuvor aber noch eine zusammenfassende Einschätzung der soziologischen Analysen:
1. Übereinstimmend wird festgestellt, daß ökonomische Notlagen, kein erhöhter Risikofaktor für rechtsextreme Einstellungen sind. Die Annahme, rassistisches Denken wäre vorwiegend in unteren Schichten zu finden, erweist sich, wie schon in früheren Untersuchungen, als Mittelschichtvorurteil.
2. Auch soziale Integration im Bezug auf Arbeitsplatz, Familie und Freundeskreis schützt nicht vor rechten und rassistischen Orientierungen.
3. Und schließlich ist auch kein Faktor Orientierungslosigkeit oder Instabilität auszumachen, der für autoritär-nationalistische Einstellungen prädestinieren würde.
In allen drei genannten Untersuchungen kristallisiert sich aber ein relevanter Komplex heraus, den Heitmeyer eine instrumentalistische Arbeitsorientierung, die Tübinger Wohlstandschauvinismus und die Münsteraner Leistungsvergötterung und Kriegspfadmentalität nennen. Darin zeigt sich eine forcierte Identifikation mit den Werten von Leistung, Wohlstand, Karriere und Geld aus der heraus sich die Abwehr gegen alle die begründet, die als leistungsunfähig gelten oder anscheinend ohne eigene Anstrengung versorgt werden.
Für die Relevanz dieses Einstellungskomplexes spricht die Tatsache, daß die Eskalation rassistischer Gewalt in Deutschland in den letzten 2-3 Jahren nicht nur Flüchtlinge, Migrantinnen und schwarze Deutsche getroffen hat, sondern auch Behinderte, Schwule und Lesben, Obdachlose und Linke, vor allem wenn sie sich als Anti-Rassisten exponiert haben.
Darüberhinaus setzte sich diese Gewalt auf die bereits "normale" sexistische Gewalt auf, die es bei uns zum Alltag gemacht hat, daß Frauen vergewaltigt, mißhandelt und umgebracht werden.
Das Gemeinsame in dieser Gewalt ist, daß es sich hier nicht um individuelle Verbrechen im Sinne gewöhnlicher Kriminalität handelt, sondern um das, was im angloamerikanischen Raum als "Hate-Crimes", Haß-Verbrechen, bezeichnet wird. In diesen Verbrechen kommt in erster Linie ein Haß gegenüber einer bestimmten Gruppe von Menschen zum Ausdruck. D.h. sie sind in erster Linie _instrumentelle_ und nicht _expressive Akte_, wie wir in der Psychologie sagen. Sie haben nicht einfach ihren Sinn in sich selbst, indem Gefühls- und Triebspannung ausagiert werden, sondern mit ihnen soll etwas gezeigt und bewiesen werden.
Gezeigt werden soll mit diesem Gewalthandeln, daß die Täter sich eine weiße, heterosexistische, patriarchale Gesellschaft wünschen, in denen nur die Leistungsfähigen, Angepaßten und Erfolgreichen die Macht und das Sagen haben und beweisen wollen sie, daß sie diejenigen sind, die dazu gehören.
Angegriffen werden alle, die diesen Vorstellungen widersprechen und sie tatsächlich oder scheinbar in Frage stellen. Sie werden auf "ihren Platz" verwiesen an den Rand der Gesellschaft oder ganz aus ihr hinaus gedrängt.
Insofern hat der daß auf die sog. Fremden sehr viel mit der eigenen Selbstvergewisserung zu tun, mit der Angst nicht zu genügen und zu denen zu gehören, die erfolgreich und mächtig sind.
Dies Motiv greift, wie gesagt, die psychologische Debatte auf: Für sie sind es nicht die Fremden da draussen, die uns bedrohen, sondern die abgespaltenen, verdrängten Anteile in uns selbst: Wir sind uns selbst fremd, und nur wenn wir diese Spaltung in uns überwinden, ist ein Zugang zu den Fremden möglich.

2. Die Fremdenangst

Wie bereits die Münsteraner Untersuchung zeigte, ist es vor allem die Angst zu versagen, die verdrängt werden muß. Es sind die eigenen Schwächen, die Wünsche nach Versorgtwerden, sich gehen lassen zu können, diese passiven Bedürfnisse, die durch eine Fixierung aufs Leistungsprinzip abgespalten werden müssen. Die "Fremden" spiegeln nun diese verdrängten Impulse wieder: Sie sind es scheinbar, die unbekümmert in den Tag hinein leben können, sich um nichts zu sorgen haben und nur die "Hand aufhalten" müssen und reichlich bekommen. Der aggressive Neid ist hier unverkennbar. Insofern ist es m.E. nicht zufällig, daß vor allem Sinti und Roma besonders reizen. Sie sind es, bzw. ihr Bild von ihnen ist es, das unsere Werte wohlanständiger Seßhaftigkeit und die Dominanz des Leistungsprinzips besonders effektiv in Frage stellen.
Dem Bedürfnis nach Versorgtwerden steht das harte "Selbst ist der Mann" entgegen, der alles nur alleine sich selbst zu verdanken hat und mit Tüchtigkeit und Disziplin alle Abhängigkeiten und Verwöhnungswuensche von sich weist. Diese Selbstdisziplinierung und Haerte gegen sich, wendet sich in Haß all denen gegenüber, die angeblich sorglos und vor allem auf Kosten anderer ihr Leben genießen.
Auch im Falle der Behindertenfeindlichkeit bzw. des eugenischen Rassismus sind solche Abspaltungen zu beobachten: Hier ist es vor allem die Angst vor eigener Verletzlichkeit, die Angst vor sozialer Isolation und vor Abhängigkeit. Diese Ängste werden uns in der Begegnung mit Behinderten zurückgespiegelt. Um diese Ängste zu bearbeiten, läge es durchaus nahe, sich mit den Behinderten zu solidarisieren, wenn sie für menschenwürdige Lebensbedingungen und gleichberechtigte Chancen kämpfen. Schließ,slich muß jede/r damit rechnen, irgendwann einmal zum Pflegefall zu werden. Insofern gäbe es durchaus gemeinsame Interessen.
Dieser Solidarisierung mit den Behinderten steht aber die Gefahr entgegen, aus dem Kreis der Privilegierten ausgeschlossen zu werden. Insofern muß die eigene Angst vor Beschädigung mit allen Mitteln versucht werden abzuwehren, um sich der Zugehörigkeit zu den Leistungsfähigen, Mächtigen und Privilegierten zu vergewissern.
D.h. es genügt offensichtlich nicht zu fordern, wie in den meisten psychologischen Analysen (vgl. beispielsweise Kristeva 1990 oder Bauriedl 1992), sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und seine Verdrängungen aufzuheben und die abgespaltenen Anteile zu integrieren, sondern es muß gleichzeitig nach dem Warum der Verdrängung gefragt werden. Warum sind so viele bereit, so elementare Bedürfnisse zu unterdrücken und sich selbst zu disziplinieren? Warum machen soviel freiwillig an ihrer eigenen Unterdrückung mit?
Hier können wir m.E. aus der Geschlechterpsychologie eine Menge lernen: Die Disziplin und der Erfolgsdruck, unter dem die meisten westlichen Männer von Kindheit an stehen, scheint sich für sie wohl zu lohnen. Auch wenn die Sensibleren unter ihnen über Defekte in ihrer Persönlichkeitsstruktur klagen, darüber daß ihnen vieles sozial und emotional versperrt sei, so ist das für kaum einen Mann Grung genug, seine Situation zu ändern. Gesellschaftliche Macht und Ansehen scheinen reichlich für die beklagten Defizite zu entschädigen.
D.h. die psychologischen Analysen, die allein den Verdrängungsprozess betrachten, sind an dem Punkt verkürzt, an dem nicht die Rolle materieller und sozialer Privilegien mitgedacht wird. Nur dann ist zu verstehen, warum die Selbstdisziplinierung so eine große Rolle bei uns spielt und warum vor allem diejenigen Aggressionen provozieren, die Werte wie Autonomie und Leistungsfähigkeit in Frage stellen.
So wenig in diesen psychologischen Analysen die Privilegierung gesehen wird, sowenig wird hier auch die Machtbeziehung zwischen den Mehrheiten und Minderheiten angesprochen. Ja es hat sogar den Anschein, daß die Psychologisierung diese Dimension direkt auszublenden versucht. So wird z.B. so gut wie nie gefragt, ob z.B. das Unbehagen der Weissen gegenueber ethnischen Minderheiten, vor allem denen mit dunkler Hautfarbe, nicht auch etwas mit der Kolonialgeschichte zu tun hat, ob dies Unbehagen nicht auch aus verbotenen Überlegenheitsgefühlen resultiert. Gefühle sind nicht einfach abstrakte oder gar natürliche Gegebenheiten, die uns überkommen. Sie sind ein Niederschlag der persönlichen Erfahrungen, in die auch die Geschichte der Nation oder des Volkes eingegangen ist.
Sehr deutlich wird dieser Niederschlag der Geschichte bei uns z.B. im Verhalten und in den Gefühlen in der Begegnung mit Juden und Jüdinnen. Die meisten nicht-jüdischen Deutschen empfinden dabei Beklommenheit und diffuse Schuldgefühle. Dies Unbehagen kommt nicht von Ungefähr, denn in diesen Gefühlen kommt die Erinnerung an unsere Zugehörigkeit zu diesem Volk und seinen Untaten unbegriffen zum Ausdruck.
Wenn hingegen ein solcher Kontakt in der psychologischen Analyse zu einer Begegnung zwischen "dem Selbst" und "dem Fremden" abstrahiert wird, dann wird das hierin wirksame Machtverhaeltnis und deren konkrete Geschichte negiert und die Beziehung zwischen den Dominanten und Diskriminierten zu einer Episode der Selbsterfahrung entwirklicht. Da wird Fremdheit zum Spiegel der Selbstentfremdung, zu einer Aufforderung, sich umso intensiver mit sich selbst zu beschäftigen und die Tiefe der eigenen Tragik auszuloten.
Frantz Fanon (1986), der schwarze Psychoanalytiker aus der Karibik, spricht in dem Zusammenhang von einem Superioriätskomplex der Weißen, die Schwarzen dazu benützen, um ihr Selbst aufzublasen.
Eine solche Funktionalisierung des Anderen ist nach dem Muster eines männlichen Selbstverständnisses gestrickt, das sich vor allem in Abgrenzung zum Anderen und in Unterwerfung der Anderen selbst bestätigt. Insofern sagen die Feministinnen m.E. zurecht, dass dieses Dominanzstreben tief in unserer patriarchalen Tradition verankert ist.
Auch der Augenschein spricht für diese These: Sind es doch Männerhorden, die Flüchtlingsheime stürmen, Minderheiten überfallen und ermorden. Die Frage also, ist Rassismus ein Männerproblem?
Zuvor aber noch eine zusammenfassende Einschätzung der psychologischen Argumentation:
1. Zweifellos bildet sich im Rassismus und Fremdenhass auch die eigene Problematik der dominanten Mehrheit ab. Sie externalisiert ihre Widersprüche und inneren Konflikte und benützt bzw. funktionalisiert die anderen um die eigenen Probleme auszuagieren. In diesem Sinn kann man auch von einer psychologischen Ausbeutung sprechen.
2. Die Problematik der Mehrheitsgesellschaft rührt vor allem aus den Anstrengungen, die zur Absicherung ihrer Dominanz und ihrer Privilegien notwendig sind. Insofern sagt eine psychologische Analyse nur die halbe Wahrheit, wenn sie Verdrängung und Selbstentfremdung als Ursache erkennt, nicht aber auch den Gewinn mitbenennt, der daraus gezogen wird. D.h. wenn nicht nach dem Warum der Verdrängung gefragt wird und welche Vorteile sie mit sich bringt.
3. Die Einstellungen und Gefuehle "dem Fremden" gegenueber sind nicht abstrakte, anthropologische Konstanten, die über Raum und Zeit sich gleich bleiben, sondern sie haben ein je konkret historisches Gesicht: In der Beziehungen zu EinwanderInnen und ethnischen Minderheiten bildet sich auch unsere Geschichte mit ab, die vor allem auch vom Kolonialismus und Holocaust geprägt ist. Eine psychologische Abstraktion, die nur "das Fremde" sieht, trägt zur Verdrängung dieser Geschichte bei und sieht nicht, wie sehr auch ökonomische, kulturelle und psychologische Ausbeutung die Beziehung zwischen Mehrheit und Minderheiten prägt.
Angesichts der realen Machtverhältnisse zwischen Einheimischen und Einwanderinnen hier in Deutschland entpuppt sich die Angst vor "dem Fremden" in erster Linie als Angst vor der Infragestellung der hier herrschenden Normen und Lebensgewohnheiten, in denen zugleich auch die ökonomische und politisch-ideologische Vormachtstellung der westlichen Welt verankert ist.
Die Angst vor Machtverlust und Infragestellung von Dominanz wird in der Diskussion aber meist gleichgesetzt mit den existentiellen Ängsten um Arbeit, Wohnung und Lebensperspektive. Ängstliche Besitzstandswahrung wird hier zum Kampf ums Überleben umgedeutet.
Je mehr einer zu verlieren hat, desto mehr ist er auf Absicherung bedacht. Nur so läßt sich erklären, warum die armen Laender ein Vielfaches an Flüchtlingen im Vergleich zu den reichen aufnehmen. Und genauso wie wir die Mauern um das reiche Westeuropa immer höher ziehen, so ziehen wir auch die Mauern um uns selbst immer höher mit Hilfe der Ansprüche, was uns zusteht im Vergleich zu den Einwanderinnen.
Nun aber zur Frage ueber den Zusammenhang von Rassismus und Sexismus.

3. Rassismus = Männergewalt?
Wenn wir die gewalttätigen rassistischen Ausschreitungen betrachten, ist der Zusammenhang offensichtlich: Es sind in der Tat fast ausschließlich Männer, nämlich zu 95%. In den rechtsextremen Cliquen herrscht protziges Männergebaren. Frauen agieren, wenn, dann als Freundinnen unterstützend im Hintergrund.
Diese brutale Gewalt der Männer ist allerdings nicht neu. Hunderte von Frauen werden jährlich Opfer sexistischer Gewalt. Neu ist, dass sie sich öffentlich zeigt und explizit Bestandteil eines politischen Konzepts ist.
Zweifellos besteht ein enger Zusammenhang zwischen Rassismus und Sexismus. Allein im Begriff "Herrenrasse" wird deutlich, daß in erster Linie die Herren davon zu profitieren gedenken. Auch sind die Ausgrenzungsmechanismen gegenüber Frauen und ethnischen Minderheiten in der Konstruktion der/des "Anderen" kulturgeschichtlich in vielen Dimensionen nahezu identisch (kindlich, emotional, sexualisiert im Sinne von bedrohlich und verführerisch zugleich).
Daraus nun in der Umkehrung zu schließen, Frauen seien weniger rassistisch ist keineswegs zwingend. Gerade ihre Unterdrückung innerhalb der patriarchalen Herrschaft könnte für sie Grund genug sein, sich nun ihrerseits wiederum an den Schwächeren schadlos zu halten. Zudem ist es gerade das Kennzeichen "herrschender" Ideologien, daß sie Teil des Selbstverständnisses der Unterdrückten werden. Und die Geschichte zeigt - zumindest die deutsche Geschichte - daß Frauen weder in Zeiten des Kolonialismus noch im NS in besonderer Weise gegen Rassismus und Antisemitismus immun waren oder gar aktiv dagegen gekämpft hätten.
Insofern müssen wir die Äußerungsformen von Rassismus auf ihre geschlechtsspezifischen Erscheinungsformen hin untersuchen. Dabei ist festzustellen, daß Gewalttaten fast ausschliesslich von Männern verübt werden. Beim Wahlverhalten jedoch sind die Unterschiede nicht mehr so krass: Rechtsextreme Parteien werden zu 2/3 von Männern und zu einem Drittel von Frauen gewählt. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für alle westlichen Industrienationen, ein internationaler gender gap. Schliesslich finden sich bei Einstellungsuntersuchungen zur Ausländerfeindlichkeit meist keine Unterschiede mehr zwischen Frauen und Männern. (Roth, 1989. Das gilt auch fuer die oben zitierten soziologischen Untersuchungen, die i.d.R. zwar immer eine etwas geringere ausländerfeindliche Einstellung bei Mädchen und jungen Frauen im Vergleich zur männlichen Vergleichsgruppe feststellen. Diese Differenz erreicht aber nie ein relevantes Signifikanzniveau.)
Frauen gehen also dann offensichtlich in Distanz, wenn rassistisches Verhalten mit männlich-chauvinistischem Gebaren amalgiert. Ebenso haben sie wenig Interesse an einer Partei, die vornehmlich Männerinteressen vertritt. Aber in ihrer rassistischen Programmatik wird auch eine rechtsextreme Partei für Frauen interessant. Daraus erklärt sich z.B. der zwar verminderte aber durchaus relevante Anteil von Frauen an den Wahlerfolgen der Republikaner.
Aber Frauen hängen sich nicht nur an Männer an, sondern es gibt durchaus auch frauenspezifische Formen des Rassismus, so wenn Tagesmütter sich weigern, schwarze Kinder in Pflege zu nehmen, oder im schwarzen Mann den Prototyp des Vergewaltigers ausmachen. Das hat für sie die Entlastungsfunktion, sich nicht selbst mit der Gewalt und Mißachtung der "eigenen" Männer auseinandersetzen zu müssen - auch hier eine Form der psychologischen Ausbeutung, die letztlich selbstschädigend ist, da sie der Auseinandersetzung mit den konkreten Gewalttätern aus dem Weg geht.
D.h. nur solange wir uns allein auf den gewalttätigen Rassismus konzentrieren, läßt er sich mit Sexismus identifizieren. Dann wird Rassismus in erster Linie zur Männersache, für die Frauen nicht verantwortlich zu machen sind. Der Entlastungsgewinn ist hier offensichtlich.
Dennoch stimmt, daß es eine enge Verwandtschaft zwischen Rassismus und Sexismus gibt, denn beidesmal werden Unterschiede zur Diskriminierung benützt, die an biologischen Merkmalen festgemacht werden. Auch verweist die männliche Selbstdefinition ueber Abgrenzung und Entwertung anderer, das Primat von Autonomie und Leistungsstreben in ihrem Selbstverstaendnis auf diesen Zusammenhang. Aber das macht Rassismus nicht zu einer exklusiven Männersache, denn insoweit weiße Frauen Teil dieses Systems sind und ihre Interessen sich mit denen des weißen Mannes verknüpfen, insoweit ist er genauso auch ihr Problem.

Resümee
Wenn wir nun die verschiedenen Erklärungsansaetze Revue passieren lassen, so wird in ihren jeweiligen Argumentationen und vor allem in der Verabsolutierung ihres Standpunktes ihr Abwehrcharakter deutlich:
Bei den Feministinnen liegt in der Überbetonung des männlich chauvinistischen Anteils die Abwehr, daß Rassismus im wesentlichen Sache der Männer sei.
In der psychologischen Argumentation erscheint die Abwehr in der Internalisierung "des Fremden" als Eigenes, als Widerspiegelung des Verdrängten. Damit wird die Fremdenangst zu einer ahistorischen, anthropologischen Konstante abstrahiert und die konkreten Interessen und Machtverhältnisse ausgeklammert.
Und schließlich verschieben die soziologischen Analysen in Form der Individualisierungsthese das "Problem" auf die unteren Schichten, Randgruppen, und vor allem machen sie es zu einem Jugendproblem. Jugend und Gewalt heißt dann das Thema, das so seines politischen Charakters beraubt zur Verzweiflungstat oder zum Hilfeschrei der Modernisierungsverlierer hochstilisiert wird.
Zugleich kristallisiert sich in all diesen Ansätzen ein gemeinsamer Nenner heraus: Anfällig fuer autoritär-nationalistische und rassistische Einstellungen sind vor allem die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich mit den herrschenden Werten von Geld, Karriere und Erfolg identifizieren und unkritisch die Anforderungen ihrer Eltern übernehmen, das Leistungsprinzip verabsolutieren und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf ihre Funktionalität für die Eigeninteressen hin reduzieren.
D.h. entgegen der Erwartungen der meisten Forscher ist dies kein vorrangiges oder gar ausschliessliches Problem der Zukurzgekommenen, sondern in seiner systematischen Erscheinungsform vor allem ein Problem der Etablierten, bzw. jener, von denen erwartet wird und die es von sich selbst erwarten, daß sie einmal dazu gehören werden - mit aller Gewalt. Einer Gewalt, die sich gegen sie selbst und gegen die anderen richtet.
Insofern kann wohl kaum von Protest gesprochen werden, sondern eher von dem verbissenen Versuch, mitzuhalten.
Angesichts dieser Gewaltträchtigkeit muß die Gesellschaft sich fragen, wie hoch sie eigentlich die Latte hängen möchte, um ein Entree zu gewaehren, wie eng die Lebensentwürfe sich allein auf Leistungsstreben und Erfolg reduzieren müssen, um in die vorgegebenen Raster hineinzupassen und wie selbstverständlich überall in unserer westlichen Dominanzkultur, ökonomischer Erfolg mit kultureller, politischer und menschlicher Überlegenheit gleichgesetzt wird.
So erscheint es geradezu kontraproduktiv, wenn nun nach einer Rückbesinnung auf die alten Werte von Fleiß, Ordnung und Familie gerufen und den 68ern vorgeworfen wird, sie hätten die Autoritäten zu sehr in Frage gestellt und damit die nachfolgende Generation sich selbst überlassen. Nicht zuviel, sondern zuwenig 68 möchte ich dagegen halten. Denn wo hat sich denn tatsächlich die Kritik von damals an der Wirtschaftswundermentalität durchgesetzt, die tüchtig und fleißig "die Vergangenheit weggeschafft" hat? Gerade diese Reduktion auf den homo oeconomicus und die elterlichen Verdrängungsbemühungen wurden von den 68ern angegriffen. - Was nicht bedeutet, daß sich in ihrer Bewegung teilweise analoge Einstellungen in Form eines moralischen Rigorismus und Autoritarismus widerspiegelten.
Auch war z.B. die ganze sog. Ausländerpolitik der Nachkriegszeit nichts anderes als Wirtschaftspolitik, d.h. die Immigrantinnen wurden auf wirtschaftliche Faktoren reduziert. Und diese funktionalistische Denkweise kommt nun in den Einstellungen der Jugendlichen zurück - verschärft unter dem Druck, den Erfolgsansprüchen der Elterngeneration genügen zu müssen.
Und vor allem: Analysen, die so unbefangen nach Familie, naturwüchsigen Milieus und Arbeitstugenden hier in Deutschland als Bollwerk gegen Rassismus rufen, sind nicht nur unpolitisch, sondern gefährlich geschichtsvergessen. Wenn die Aufarbeitung der Vergangenheit sich nicht an der Anzahl der Gedenkfeiern und der Buchpublikationen bemißt, sondern daran, wie gegenwärtig die Vergangenheit in unserem Denken ist, so kann man nur sagen, daß solche Autoren von dieser Aufarbeitung weitgehend unberührt geblieben sind. Dazu paßt die Tatsache, daß in all den zitierten Untersuchungen nach den politischen Traditionen in den Familien nicht gefragt wurde.
D.h., daß in der Tat eine Wertediskussion geführt werden muß, nämlich eine solche, die die Werte dieses Wohlstandschauvinismus in Frage stellt.
Dazu gehört z.B. die entschiedene Kritik der Frauenbewegung an der Dominanz des sog. Produktionsbereichs und der wirtschaftlichen Verwertungslogik gegenüber der Bedeutung von Beziehung, Mitmenschlichkeit und Privatheit. Oder aber die Ökologiebewegung mit ihrer Distanzierung von einem Fortschritts- und Wachstumsdenken, an dessen Stelle sie Verantwortlichkeit für uns, die nachfolgende Generation und die Natur einfordert.
Dabei müssen wir im Besonderen aber auch unsere Verantwortung fuer die Ausbeutung von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten wahrnehmen.
Das erfordert eine kritische Reflexion des eigenen Dominanzanspruchs, der nicht zuletzt auch durch die Verdrängung der NS-Vergangenheit genährt wird. Denn die spezifische deutsche Variante des Rassismus, die sich durch eine besondere Brutalität auszeichnet, ist nicht zuletzt auch durch diese Vergangenheit bestimmt, die uns einmal suggerierte, es gäbe ein ethnisch homogenes Deutschsein. D.h. die Vorstellung, deutsch können nur diejenigen sein, die weiß, christlich sozialisiert und von deutschen Vorfahren abstammen, diese Vorstellung lebt heute bei uns noch weiter fort und legitimiert die Gewalttäter, Menschen aus dem Lande zu jagen, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen.
Damit wird aber auch deutlich, daß allein eine Wertediskussion nicht genügt, sondern diese nur bei einer gleichzeitigen Veränderung der politischen Realität Bestand haben kann. Dazu gehört in erster Linie ein gleichberechtigter Umgang mit allen Menschen, die hier leben, gleich welcher ethnischer Herkunft sie sind, sowie die aktive Unterstützung ihrer politischen und gesellschaftlichen Partizipation. D.h. hier ist nicht nur die Politik im engeren Sinn gefragt, sondern in gleicher Weise Gewerkschaften und Arbeitgeber und andere gesellschaftliche Institutionen, um die faktische Diskriminierung ethnischer Minderheiten am Arbeitsplatz, in den Schulen, im Wohnbereich, in den Medien etc. abzubauen. Denn eines der wichtigsten Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung in Bezug auf ein produktives interkulturelles Zusammenleben ist, daß eine ungleiche Repräsentanz der ethnischen Gruppen auf verschiedenen Statuspositionen die Ungleichheit und damit ein entsprechendes Über- bzw. Unterlegenheitsgefühl tagtäglich reproduziert und so alle wohlmeinenden Bemühungen um Antirassismus und Interkulturalität letztlich unterläuft. Erst wenn die türkische Professorin genauso selbstverständlich geworden ist wie der deutsche Putzmann oder der schwarze Politiker genauso wie seine islamische Kollegin, kann davon ausgegangen werden, daß sich auch die Einstellungen der Einheimischen verändert haben.
Das bedeutet aber auch, daß alle, die hier als Mitglieder der Mehrheit aufgewachsen sind, die Dominanzerfahrungen als Einstellungen internalisiert haben. Diese Haltungen und Gefühle sind bewußt zu machen und einer kritischen Bewertung zu unterziehen. Insofern ist auch je individuell notwendig ein "unlearning of racism/antisemitism", wie das im englischen Sprachraum benannt und mit entsprechenden Programmen umgesetzt wird. Hier stehen wir noch ganz am Anfang, z.B. auch was die kritische Prüfung der Schulbücher und anderer Sozialisationsinstrumente anbetrifft.
Wir leben in einer Dominanzkultur und haben uns daran gewöhnt, einen Vormachtsanspruch geltend zu machen und andere für unsere Interessen zu funktionalisieren. Eine Gegenstrategie, den den Anspruch auf Gleichheit und Freiheit auch nur im Ansatz gerecht werden möchte, muß deshalb gleichzeitig an den verschiedenen Ebenen der individuellen, sozialen und politischen Verstrickung ansetzen.

Literatur:
Bauriedl, Thea: Wege aus der Gewalt. Analyse von Beziehungen. Freiburg: Herder 1992
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp, 1986
Fanon, Frantz: Schwarze Haut, weiße Masken. Frankfurt: Syndikat, 1980
Heitmeyer, Wilhelm: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Muenchen: Juventa, 1989
Ders.: Die Bielefelder Rechtsextremismusstudie. Muenchen: Juventa 1992
Held, J. & Horn, H.W. u.a.: "Du mußt so handeln, daß Du Gewinn machst...". Diss. Text Nr. 18, Duisburg 1991
Herek, Gregory M. & Berrill, Kevion T.: Hate Crimes. Confronting Violence Against Lesbians and Gay Men. London: Sage, 1992
Hoffmeister, Dieter & Sill, Oliver. Zwischen Aufstieg und Ausstieg. Autoritäre Einstellungsmuster bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Opladen: Leske u. Budrich, 1992
Holzkamp Christine und Rommelspacher, Birgit: Frauen und Rechtsextremismus. Paed. Extra, H1991, S.33-39
Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt: Suhrkamp, 1990
Senatsverwaltung f. Jugend u. Familie (Hg): Gewalt gegen Schwule - Gewalt gegen Lesben. Ursachenforschung und Handlungsperspektiven im internationalen Vergleich. Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation des Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen Nr. 6 Berlin 1992
Rommelspacher, Birgit: Ethnischer und eugenischer Rassismus. Aspekte psychologischer und kultureller Dominanz. In: Randschau Zeitschrift für Behindertenpolitik Nr.2193
Dies.: Rechtsextremismus und Dominanzkultur. In: Foitzik A. u.a.: "... ein Herrenvolk von Untertanen" Rassismus-Nationalismus-Sexismus Duisburg: Diss, 1992
Dies.: Nationale Identität und Größenwahn. In: B. Schoch (Hg): Deutschlands Einheit und Europas Zukunft. Frankfurt: Suhrkamp, 1992.
Roth, Dieter. Forschungsgruppe Wahlen: Charakteristische Einstellungsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Unv. Manuskript 1989
Willems, Helmut: Strukturen und Ausbreitungsmuster fremdenfeindlicher Gewalt. Vortrag Soziologentag v. 28.9.-2. 10.92 in Düsseldorf
aus: Rechte Gewalt und der Extremismus der Mitte, herausgegeben vom Referat fuer Öffentlichkeitsarbeit des Bundesvorstands von Bündnis90/Die Grünen

[ Top | Zurück ]


Most recent revision: April 07, 1998

E-MAIL: Martin Blumentritt