Über den Mißbrauch der Biologie für die Politik

Die Nazis haben ihre Strategie den modernen Verhältnissen angepaßt, die alte Rechte war unverhohlen rassistisch und eugenisch und werteten zum Teil offen Minderheiten als minderwertig ab, die Neue Rechte propagiert einen "differentiellen Rassismus", der "nur" Unterschiede betont. Der wurde allerdings auch schon bei den Nazis vertreten: "Der Grund der Auschaltung der fremdrassigen Gruppen ..ist nicht ... deren Schlechtigkeit, sondern lediglich die Feststellung der unabweisabren Andersartigkeit."(Rust in Vererbungslehre und Rassenkunde im Unterricht cit. bei D.Franz Biologismus von oben, Das Menschenbild in Biologiebüchern) Dazu bedienen sie sich die neuen wie alten Rechten pseudowissenschaftlicher Theorien, die sie als Wissenschaft ausgeben. Patric Moreau hat die Thesen des neorassistischen biologischen Realismus folgendermaßen zusammengefaßt:
"- Der Mensch kann sein Verhalten nicht beliebig normieren; ihm sind biologische Grenzen gesetzt."
(biologischer Determinismus)
"- Darum müssen alle aufzustellenden Normen mit den biologischen Gesetzmäßigkeiten übereinstimmen."
(Biologischer Normativismus)
"- Eines der wichtigsten biologischen Grundprinzipien ist das der Erhaltung der Art. Sämtliche Regelungen, die für das menschliche Leben getroffen werden, müssen sich daran orientieren." (Sozialdarwinismus)
"- Ethische Normen und politische Forderungen, die nicht von den konkreten biologischen Gegebenheiten ausgehen, sind unsinnig." (Biologismus)
(Die neue Religion der Rasse, in: I.Fetscher Neokonservative und Neue Rechte, S.126) Die Titel in Klammern sind von mir.

Diese Auffassungen sind falsch und unwissenschaftlich, wie wir sehen werden.
Der Mensch gilt den neuen und alten Nazis als primär durch biologische Evolution, Rasse und Instinkt bestimmtes Wesen. Altnazis und Neunazis unterscheiden sich aber darin, daß die neuen Rechten eher von einer Spannung von Natur und Geist ausgehen, in der der Mensch steht. Die Biopolitik ist "qualitativ" orientiert, d.h. die Bevölkerungsentwicklung soll mit der "Förderung der Familie" und "Schutz des ungeborenen Lebens" sog. "erbgesunde" Familien fördern und es sollen Verschiebungen großer Volksgruppen beendet werden. Das läuft letztlich auf die Legitimierung des Völkermords hinaus. Wie weit Nazis schon öffentliche Diskurse bestimmen, sieht man daran, wie relativ kritiklos das Tötungsverdikt des Bundesverfassungsgerichts zur Abtreibung hingenommen wird. In zivilisierten Ländern wie den USA wurde die Frage der Tötung als unwissenschaflich, d.h. wissenschaftlich nicht entscheidbar vom Supreme Court verworfen. Daß das Verfassungsgericht eine embryologische Definition vom Beginn des Lebens verkündet und damit die individuelle und kulturelle Bedeutung der Abtreibung für unerheblich erklärt ist schon ein Horrorstück.

Ein Grund für die Irrationalität der Abtreibungsdebatte sind die Idealisierung der Mutter in unserer Kultur und eine Identifikation mit dem Aggressor (im Falle von unerwünschten Kindern), in dem Fall der Mutter:
"Es sind diese realen frühkindlichen Verlassenheitserfahrungen, die dazu beitragen, daß Erwachsene gegen "die Kindestötung durch Abtreibung" sind. Und der Widerstand gegen die Autonomie der Mutter ist verständlich, wenn man der Einschränkung der Autonomie sein Leben verdankt. Anstatt über die nichtideale Mutter zu trauern, wird der Schmerz und die Enttäuschung über sie verdrängt. Unter dem Banner des Lebensschutzes sollen die Frauen statt dessen gezwungen werden unerwünschte Schwangerschaften auszutragen. Die Lebensschützer wiederholen tragischerweise das Schicksal, das sie allzu oft ihr Leben lang selber ertragen müssen. Ihr gut gemeinter Schutz sorgt dafür, daß unerwünschte Kinder weiterhin geboren werden und daß sie die bedrückenden Erfahrungen der "Lebenschützer" wiederholen müssen. Die Abwehr der verschollenen Erinnerungen macht den Ruf nach ewigen Gewißheiten über den Lebensbeginn dann nur zu verständlich."(Gerhardt Amendt, Drei Fragen zu den Rätseln der Abtreibungsdebatte, in Leviathan 1995 S. 284)
Welchen Schaden die Abtreibungsgegner anrichten kann man z.b: am Schicksal unerwünschter Kinder erkennen (vgl. Amendt/Schwarz, Das Leben unerwünschter Kinder Frankfurt 1992) Die Beziehungswelt unerwünschter Kinder ist von tiefer Zerrissenheit der elterlichen Gefühlswelt geprägt und der Schaden ist wahrscheinlich kaum noch gutzumachen, zu reifen Objektbeziehungen wird es kaum kommen. Die Mütter oszillieren zwischen Mißhandlung und Überfürsorglichkeit und prägen so eine Mutterimago, die dem faschistischen Bewußtsein entgegenkommt.
Mit dem geboren Leben sind die Rechten ja bekanntlich nicht so zimperlich.
"Die Rasse, der Rassismus, das ist die Akzeptabilitätsbedingung des Tötens in einer Normalisierungsgesellschaft. Dort, wo Sie eine Normalisierungsgesellschaft vorfinden, dort, wo Sie eine Macht vorfinden, die zumindestens in erster Instanz, in erster Linie eine Bio-Macht ist, dort ist der Rassismus notwendige Bedingung dafür jemanden zum Tode bringen zu können. Die Tötungsfunktion des Staates kann, sobald der Staat nach dem Modus der Bio-Macht funktioniert, nicht anders gesichert werden als durch den Rassismus.
Somit läßt sich die Bedeutung...des Rassismus für die Ausübung einer solchen Macht verstehen: Er ist die Bedingung, unter der das Recht zu töten ausgeübt werden kann. Wenn die Normalisierungsmacht das alte souveräne Recht des Tötens ausüben will, dann muß sie sich des Rassismus bedienen."(M.Foucault Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus in: Bio-Macht Diss-Texte Nr. 25 S.43)
Wie bereitet man nun einen solchen Völkermord vor? Nach Auschwitz ist es für die Rechten schwieriger geworden unverhohlen von Rassen zu sprechen, daher redet sie in der Regel von "Ethnien" oder von "Völkern" bzw. von "Ethnopluralismus" und fordert die Homogenität des Volkes anstatt im Sinne von Ploetz von Rassenhygiene zu sprechen. Sie können es allerdings ausnutzen, daß NS-"Gedankengut" in bundesrepublikanische Schulbücher eingewandert sind. Vgl. D.Franz, Biologismus von Oben: "Für die Nachkriegsschulbiologie gelten aufgrund der anderen Rahmenbedingungen andere Zielvorstellungen und Inhalte. Diese Zielvorstellungen sind heterogen, ein einheitliche Ausrichtung, ein Gesamtkonzept fehlt. Didaktisch und im Aufbau der Schulbücher werden Elemente aus dem Nationalsozialismus übernommen, der dank seiner Propagandatechniken - einen Fundus an gut aufgearbeiteten und leicht verständlichen Inhalten für Biologieschulbücher hinterließ.
Rassismus und Bio-Politik, die im Nationalsozialismus untrennbar verschmolzen sind, werden auseinandergebrochen. Die bio-politischen Ideologien in ihrer Mikroebene für die Schüler wird aus der Sexualkunde und aus der vorgeblich von Rassimus gereinigten Genetik begründet.
Der zusätzlich überformende biologisierende Rassimus ist weiterhin wirksam, steht aber nicht mehr so stark im Vordergrund; doch Ideologieelemente, die zur Begründung der Volksgemeinschaft dienten, bleiben erhalten. (...)
Erhalten bleibt, aufgefüllt mit diversen ideologischen Vorstellungen, eine für Naturwissenschaften seltsam anmutende Zukunftsethik, In dieser leben die Autoren ihre spontanen Ideologien und Ängste, meist in Form von negativen Utopien aus. "Bevölkerungsbombe", genetische Degeneration, Umweltkrisen (Waldsterben, Seestreben, Energiekrise..) bilden ihre zeittypischen Ingredienzien, die sich vielfältig mit einander verbinden lassen und deren angebotene Problemlösungen meist staatlich-administrativ oder großtechnisch sind. Damit verläßt die Schulbiologie ihre Aufgabe, naturwissenschaftliches Wissen zu vermitteln, und wird zum ideologischen Transmissionsriemen."(S.75)
Die alte unterscheidet sich von der Neuen Rechten von der Konsequenz her gar nicht, nur ihre Terminologie ist eine andere und die einzige Zutat ist der Ethnopluralismus, der sich gern den Anstrich des Multikulturellen gibt. D.h. es sollen Themen besetzt werden, die die Linke vormals besetzte. Dabei verfolgt die Rechte nach ihren eigenen Aussagen folgende Strategie:
"Eine politische Revolution bereitet sich immer im Geist vor, durch eine langwierige ideologische Entwicklung der zivilen Gesellschaft. Um zu ermöglichen, daß die neue politische Botschaft Fuß faßt (Tätigkeit der Partei), muß man zuerst Einfluß auf die Denk- und Verhaltensweisen der zivilen Gesellschaft nehmen (Metapolitik oder kulturelle Tätigkeit). Die politische Mehrheit stützt sich also zuerst auf eine kulturelle, d.h. ideologische Mehrheit." (Kollektiverklärung in: elemente Januar/März Kassel 1987 S. 4)
Diese Verblödungsform der Theorie des kommunistischen Theoretikers Gramsci spielt in der Neuen Rechten eine große Rolle.
Hierbei spielt die Vereinnahmung pseudobiologischer Auffassungen, wie die oben erwähnten, eine wesentliche Rolle, sie sollen nämlich ins Alltagsleben übergehen.
Eines der pseudowissenschaftlichen Thesen ist, daß das menschliche Verhalten durch die Gene bestimmt sei. Das ist offensichtlicher Blödsinn, den schon ein Interview mit einem gerade geborenen Säugling widerlegt, der hat die Gene nämlich schon. Trotzdem findet man genau diesen Blödsinn am Stammtisch.
Darüber, daß die Gene aggressives Verhalten bestimmten kann man nur lachen. Wer so ein Stuß behauptet, weiß nicht was Gene sind.
Selbstverständlich gründet - weil der Mensch ein Naturwesen ist - auch das menschliche Verhalten in der Natur, darum kann es in der ganzen Debatte ja auch gar nicht gehen. Der Mensch muß sich die Natur aneignen und steht ständig im Stoffwechsel mit der Natur, d.h. er steht stets in einer Umweltbeziehung. Und diese Beziehungen waren es gerade, die in der Evolution vererbbare Merkmale beeinflussen und schaffen. Man kann also schon hier nicht Gene und Umweltbeziehungen trennen.
Nun belehrt uns die Biologie durchaus über Konflikte im Tierreich, die auch tödlich enden und Schimpansen, die blutige Auseinandersetzungen miteinander haben. Nur: läßt sich daraus schließen, daß es so etwas wie eine biologisch, evolutionäre gegründete Fremdenfeindschaft gebe, der man sozial Rechnung tragen müsse, weil sie unvermeidbar sei? Wohl kaum. Mit anderen Worten: unterliegt menschliches Verhalten einem biologischen Determinismus? Oder die Frage anders gestellt: Ist die Soziobiologie selber ein Sozialdarwinismus und eine normativer Biologismus? Auch das ist zu verneinen, es sei denn man erklärt das Geschmiere von Rieger und Co. für Wissenschaft.
Darwins Theorie basierte auf den drei Grundprinzipien der 1. Verschiedenartigkeit der Lebewesen, 2. der Vererbung von Merkmalen, des Ressourcenmangels und 3. der Eingeschränktheit der prinzipiell uneingeschränkten Fortpflanzungsmöglichkeit. Keineswegs zog Darwin allerdings die Konsequenzen der Rassisten, wie z.B. Herbert Spencer, dessen Formulierung vom "survival of the fitest" Darwin übernahm, ohne - wie Spencer - die Fürsorge für Kranke, Schwache und Arme als Ausschaltung des Mechanismus der "natürlichen" Selektion und Degeneration der Menschheit zu bezeichnen. Dieses Argumentation folgen nur Eugeniker und Rassenhygieniker wie Hitler oder Rosenberg. Darwin hatte dies strikt abgewiesen, weil die Menschen damit ihre "edelste Natur verlören".
Der Mensch ist ja gerade die Krone der Schöpfung, weil er eine edlere Natur hat, eben nicht die eines Raubtiers. Die Sozialdarwinisten übertrugen den "Kampf aller gegen alle" des Tierreichs auf die Nationen und Rassen. Damit übersehen sie, daß der Mensch sich gerade dadurch von Tier unterscheidet, daß er sich über seine Natur erhebt. Das macht das Menschsein erst aus.
Die Soziobiologie dagegen ist weder eine Wissenschaft, die gesellschaftliche Ungleichheiten biologisch begründet noch eine, die sie rechtfertigen könnte. Und sie ist eine genetische Theorie, keine deterministische. Es ist völlig blödsinnig zu behaupten, daß etwa die Gene die Merkmale von Tieren und Menschen unabhängig von Umwelteinflüssen beeinflussen würden. Merkmale und Verhalten von Organismen sind bereits ein Produkt der Wechselbeziehung von Genen und Umwelt. Es macht ebensowenig einen Sinn Verhalten oder Merkmale in genetische und umweltbedingte Anteile zu zerlegen:
"Zwar ist die Evolution notwendigerweise ein genzentriertes Prinzip, weil nur in den überdauernden Genen Informationen akkumuliert werden kann, die - weil sich ständig replizierend - Lebenskontinuität und Stammesgeschichte begründet. Die natürliche Selektion jedoch setzt an der Variabilität der Phänotypen an, als an den Produkten der Gen/Umwelt-Interaktion. Es geht dabei um die Tauglichkeit und reproduktive Effizienz der Beziehung zwischen den Genen und ihrer Umwelt - und nicht um die Gene selbst." (Eckart Voland, Die Evolution des menschlichen Sozialverhaltens in: Veröffentlichungen des Überseemuseums, Naturwissenschaften 11, 119-35 1992, hier S. 132
"Sich für die evolutionsbiologischen Ursachen und Konsequenzen sozialer Ungleichheit, Konkurrenz und Unterdrückung zu interessieren, bedeutet selbstverständlich nicht, die Existenz solcher Phänomene zu rechtfertigen...."(Voland, Soziobiologie S. 19)
Das Schließen von einer Faktizität auf eine Sollen, auf die Normativität wird bekanntlich als naturalistischer Fehlschluß kritisiert. Das wäre ja auch ein schöner Arzt, der wenn festgestellt würde, daß 90 Prozent der Bevölkerung Krebs hätte, diesen Zustand zur Normalität erklärt und damit die Behandlungen einstellte. Die Biologen beginnen auch schon vereinzelt sich gegen ihre Vereinnahmung durch Rassisten zu wehren:
"Die entscheidende Verfehlung der Biologen bestand seit Beginn der Debatte über die Anwendung evolutionsbiologischer Erkenntnisse auf den Menschen darin, nicht vehement dagegen widersprochen zu haben, ja nur allzuoft - im Drang sich und ihre Wissenschaft wichtig zu machen - selbst dafür eingetreten zu sein, daß das, was in der Natur vorgeht, zur Maßgabe menschlichen Verhaltens und zur Begründung und Rechtfertigung moralischer Normen verwendet wurde."(Hubert Markl, Evolution, Genetik und menschliches Verhalten 1986, S. 43)
Ein wesentlicher Schritt zur Zivilisation war gewesen, daß die Norm "Du sollst nicht morden(hebr. razach= Töten außerhalb der Gesetze)", als universelle>/I> Norm gilt. Damit ist die Einschränkung der sozialen Tugenden auf den Stamm in dieser Weltreligion überwunden, die schon Darwin demaskierte: "Die sozialen Tugenden werden jedoch fast ausschließlich nur innerhalb der Gemeinschaft eines Stammes gepflegt: die ihnen entgegengesetzten Gesinnungen gelten, wenn sie sich auf Menschen fremder Stämme beziehen, nicht als Verbrechen." (Darwin, Entstehung der Arten, 148)
Diesen zivilisatorischen Fortschritt will die Rechte rückgängig machen, darauf reduziert sich letztlich ihr Programm, die universellen Menschenrechte zu zerstören. Dabei hat sie Schwierigkeiten, das öffentlich auszusprechen, weil wir das Ende solchen Unterfangens, den millionenfachen Massenmord ja kennen. Und an den erinnert sich jeder, wenn er Rechte reden hört. Daher wollen sie auch mit Gelaber vom "Linksfaschismus" und der Auffrechung von Toten Auschwitz - wenn nicht leugnen - so denn doch relativieren oder normalisieren. Wobei das Leugnen weniger schlimm ist, wird mit dem Leugnen ja der außergewöhnlich verbrecherische Charakter des Massenmords bekräftigt, den man nicht zu leugnen bräuchte, wenn es kein Verbrechen antirationalen, antizivilisatorischen Ausmaßes gewesen wäre. Daß man ständig sich vor einer vermeintlichen "Ausschwitzkeule" fürchtet, ständig Schluß machen will mit der Erinnerung, beweist nur eins: Derjenige, der die Erinnerung an Auschwitz unterbinden will, möchte die Verbrechen oder Ähnliches wiederholen, sonst hätte er ja keinen Grund die Erinnerung daran zu fürchten.
Ungern läßt der Neue Rechte die unvermeidlichen Erinnerung an die Naziideologie aufkommen, wenn er Rassenbiologie und Sexismus mit seiner Pseudowissenschaft betreibt. Daran soll man sich nicht erinnern, zu ähnlich klingt das dem, was sie selber behaupten. Man muß nur die alten Worte an die Stelle der alten setzen und schon hat das Alte als bloß neu verpackt erkannt.
Aus der Natur menschliches Verhalten normieren zu wollen ist Faschismus, schlimmer noch es ist Naziideologie, es läuft auf das Morden hinaus, denn die Natur verbietet das Morden nicht. Wer die Menschen auf die Normen der Natur einschwören will, ist Nazi. Keinesfalls kann und soll der Mensch in Einklang mit der Natur leben. Wer möchte schon Kackerlaken als Zimmergenossen haben, da hört der Lebensschutz und der Erhalt der Vielfalt der Arten mit Recht dann doch bei den größten Tierschützern auf und sie ekeln sich. Der Widerstreit von Mensch und Natur hört niemals auf, der Mensch mußte von Anfang an alles der Natur abringen und die Natur beherrschen, um nicht unterzugehen. Das Humane am Humanismus ist, daß er den sozialen Fortschritt, der darin besteht sich von der Natur zu emanzipieren, preist.
Die Rassisten und Biologisten spielen mit der (Natur-) Wissenschaftsgläubigkeit der Menschen, denen sie ihre Pseudowissenschaft verkaufen wollen. Karrieresüchtige Beamte, Professoren nützen das oft aus, um ihre Geltungssucht zu befriedigen und ihre Autorität zu unterstreichen. Dem ist zu widersprechen.
"Wissenschaftsgläubigkeit in einer sonst eher desorientierten geistigen Welt aber verführt immer wieder zu der Wunschvorstellung, man könne die 'richtigen' Prinzipien und sittlichen Normen menschlichen Zusammenlebens durch naturwissenschaftliche Analysen ermitteln. Damit geraten Evolutionsbiologen, Ethnologen und Anthropologen in die ständige Gefährdung, den 'naturalistischen Trugschluß' zu begehen und damit gesellschaftspolitischen Ideologien Vorschub zu leisten, die gewissermaßen nahtlos Erkenntnisse aus dem Bereich des Faktischen in den des Normativen überführen, aus der Naturbeschreibung direkt sittliche Maximen ableiten wollen; Ideologien, die in aller Regel schnell ins moralische Abseits' führen und der Menschheit von jeher weit mehr geschadet als genützt haben. Die Versuchung aber tritt offenbar immer wieder neu auf: normativer Biologismus bleibt eine ständige Gefahr unseres politischen Lebens."(C.Vogel, Evolution und Moral in: Zeugen des Wissens H.Maier-Leibnitz Hrg. 1986, S.493)
Davon mal abgesehen, welchen Stuß man heutzutage für Wissenschaft ausgibt, folgte - selbst dann, wenn es wahr wäre - gesellschaftspolitisch nichts daraus. Soziale Gleichheit ist eine politische bzw. soziale Kategorie, keine natürliche. So wie aus der faktischen Rechtsprechung nichts über Gerechtigkeit folgt, aus dem faktisch bestehenden Staat nicht folgt, ob man ihn bekämpfen muß oder nicht, folgt auch aus der Faktizität der Natur nichts.
Der Mensch ist kein bloßes Naturwesen, sondern ein geschichtliches Wesen und er geht gerade über das untermenschliche Verhalten der Tiere hinaus. Selbst wenn er eine aggressive Natur hat, folgt daraus kein aggressives Verhalten, gerade weil er dieses mit der Vernunft beeinflussen kann und weil er soziale Normen als zweite Natur verinnerlicht. Aus der zweckgerichteten freien - auch von der Natur freien - Tätigkeit lassen sich Normen schlußfolgern, der Begriff menschlicher Praxis als die Tätigkeit eines vernünftigen Lebewesens hat ein Oberzweck, die allgemeine menschliche Glückseligkeit, die als oberste Aufgabe gesetzt ist und die niemanden vorenthalten werden darf. Sofern ist die menschliche Wirklichkeit stets eine Einheit von Sein und Sollen, keine pure Faktizität aus der man per Fehlschluß Normen herleiten kann, schon gar nicht aus den Genen, dessen Möglichkeiten wir nie vollständig realisieren und dessen Potentiale dermaßen vervielfältigt werden durch menschliche Praxis, daß aus ihnen nichts Konkretes folgt.

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Most recent revision: April 07, 1998

E-MAIL: Martin Blumentritt