Literatur zum Faschismus
Zusammenfassung von Wolfgang Wippermann Europäischer Faschismus
im Vergleich 1922-1982
Ohne allgemeinen Faschismusbegriff kommt man kaum aus, so wie man theorielos keine
Geschichtsforschung betreiben kann. Wippermann vergleicht die diversen Faschismustheorien
in einem Spektrum von Dimitroff bis Nolte und mißt sie an der Empirie. Das
Buch ist bei Suhrkamp erschienen und noch nicht vergriffen. Allerdings ist in den
letzten 13 Jahren einiges passiert, so daß die Entwicklung von REP, Bund freier
Bürger, Asyldebatte und ähnliche Phänomene noch nicht vorkommen können.
Aber die Distanz ermöglicht wo möglich den unvoreingenommeneren Blick.
Wippermann plädiert als erste Stufe der Aneignung für eine "generischen
Faschismusbegriff", der sich - zwar nicht induktiv - aber im Sinne einer reflektierenden
Urteilskraft aus den betreffenden Erscheinungen zu entwickeln hätte. Das umgeht
die Schwierigkeiten, in die man sich verstrickt, wenn partikulare Merkmale für
den Faschismusbegriff als zureichenden Grund heranzieht, wozu verschieden Theorien
neigen. So wird auch aufgewiesen, wie z.B. Bracher auf der einen Seite Bedenken
hat die verschiedenen Erscheinungsformen des Faschismus unter einen Begriff zu fassen,
dann aber ausgerechnet dem Totalitarismusbegriff verfällt, der dann auch noch
Phänomene mit umfaßt, die sich von den Faschismen mehr unterscheiden
als diese untereinander. Auch wird die vulgärmarxistische These der Erklärung
des Faschismus als bloßes "Kampfinstrument der Großbourgeoisie
gegen das Proletariat" kritisiert, die einen inflationistischen Begriff predigt,
der dann in der Sozialfaschismusthese mündete, die dann Dimitroff 1935 wieder
zurücknahm und forderte: "die Eigenart der Entwicklung des Faschismus
und der verschieden Formen der faschistischen Diktatur in einzelnen Ländern
und verschiedenen Etappen konkret zu studieren und zu berücksichtigen"(Protokoll
des VII Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, I 724f). Die Frage ist
dann in der ganzen dogmatisch-marxistischen Diskussion folgenlos geblieben, obwohl
die Forderung hin und wieder aufgeworfen wurde. Die kritisch-marxistische Tradition
hat dagegen keineswegs eine Faschismusbegriff, der bloß als Schimpfwort und
Propagandabegriff fungiert, gehabt und sich intensiv mit dem Problem auseinandergesetzt,
ob der Faschismus ein singuläres auf Italien nur beziehbares Problem oder ein
generelles Phänomen sei. Auch auf der bürgerlich-rechten Seite hat es
ähnliche Inflationierungen des Begriffs gegeben, wie im Vulgärmarxismus,
neben Bracher, bei dem alles was nicht unter parlamentarische Demokratie fällt
subsumiert, A.James Gregor(nichtdemokratische Bewegungen) oder Henry A. Turner (antimodernistische
Bewegungen). Daß die Autoren auf der anderen Seite zwischen den einzelnen
Faschismen so große Unterschiede sehen, daß sie auf einen allgemeinen
Begriff zu verzichten neigen und gleichzeitig einen noch abstrakteren vertreten,
ist deren Selbstwiderspruch.
Mit 16 DM ist das Werk auch erschwinglich. Eine Leseprobe folgt.
Die eingangs gestellte Frage, ob man an einem allgemeinen Faschismusbegriff festhalten
kann, ist, wie der vorliegende Bericht über die Geschichte und Struktur der
verschiedenen Faschismus gezeigt hat, mit einem allerdings eingeschränkten
Ja zu beantworten. Im Hinblick auf ihre Erscheinungsbild, ihre Ideologie, Zielsetzung
und politische Taktik gibt es große Übereinstimmungen.
Die analysierten faschistischen Parteien weisen ein vergleichbares Erscheinungsbild
auf. Sie waren hierarchisch nach dem Führerprinzip gegliedert, verfügten
über uniformierte und bewaffnete Abteilungen und wandten einen damals neuartigen
und spezifischen politischen Stil an. Dieses gilt für Massenbewegungen, die
Massenaufmärsche, die Betonung des männlichen und jugendlichen Charakters
der Partei, die Formen einer gewissen säkularisierten Religiosität, wie
sie bei Fahnenweihen, Totenehrungen, bei Liedern und Festen zum Ausdruck kam, und
dies gilt schließlich und nicht zuletzt für die kompromißlose Bejahung
und Praktizierung der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, im Wahlkampf
im wörtlichen Sinne.
Faschistische Parteien verfolgten eine vergleichbare Ideologie und Ziele, die durch
durchgehende Ambivalenz gekennzeichnet sind. Die faschistische Ideologie, die mehr
war als bloße verschleiernde und instrumentalistische Propaganda und Manipulation,
weist antisozialistische und antikapitalistische, antimodernistische und spezifisch
moderne, extrem nationalistische und tendenziell transnationale Züge auf. Dieses
ambivalente Verhältnis ist aber nicht bei allen Faschismen in der gleichen
Form anzutreffen. Es gibt quantitative, aber keine qualitativen Unterschiede zwischen
den einzelnen Faschismen und innerhalb der Geschichte einer faschistischen Partei.
Die antikapitalistischen Programmpunkte, die meist bewußt verschwommen formuliert
waren, wurden bei dem italienischen PNF und bei der NSDAP im Laufe der Entwicklung
immer weiter zurückgedrängt. Relativ ausgeprägt war sie bei den ungarischen
"Pfeilkreuzern", der rumänischen "Eisernen Garde", bei
Teilen der Falange, bei der französischen PPF Doriots und bei den österreichischen
Nationalsozialisten vor dem "Anschluß". Relativ schwach waren sie
dagegen bei den österreichischen Heimwehren, der norwegischen "Nasjonal
Samling", dem belgischen Rex, bei Teilen der übrigen französischen
faschistischen Parteien und der holländischen NSB ausgeprägt.
Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich bei den antimodernistischen und spezifisch
modernen Elementen innerhalb der faschistischen Ideologie. Extrem antimodernistische
Zielsetzungen findet man bei der NSDAP, der "Eisernen Garde" und der "Ustascha".
Doch auch diese Bewegungen haben keinesfalls auf den Einsatz spezifisch moderner
propagandistischer, politischer, militärischer und wirtschaftlicher Instrumente
und Methoden verzichtet. Faschismus generell kann daher weder als ausschließlich
antimodernistisch oder gar "soziale Revolution" charakterisiert werden.
Alle faschistischen Parteien waren schließlich extrem nationalistisch und
orientieren sich meist an bestimmten 'glorreichen' Perioden der jeweiligen Nationalgeschichte.
Dennoch mußten gerade die kleineren faschistischen Bewegungen, ob sie wollten
oder nicht, gewisse Rücksichten auf die nationalen Interessen anderer faschistischer
Bewegungen und vor allen Dingen der faschistischen Bewegungen nehmen. Gerade wegen
ihrer Orientierung an einem ausländischen, nämlich faschistischen Vorbild
wurden die Parteien nicht nur von den Linken, sondern auch von den extrem national
orientierten rechten Kräften bekämpft. Dadurch wurde ihr Aufstieg wesentlich
erschwert. Dies gilt vor allen Dingen für die kleineren faschistischen Parteien,
die zu einem Zeitpunkt entstanden, als sich die faschistischen Regime in Italien
und Deutschland schon konsolidiert hatten und eine primär nationale Politik
betrieben, durch die die Solidarität mit den faschistischen Bruderparteien'
stark beeinträchtigt wurde. Es kann generell gesagt werden, daß das Spannungsverhältnis
zwischen der nationalen und der tendenziell transnationalen (faschistischen) Orientierung
und Bindung der faschistischen Parteien nicht aufgelöst wurde. Es war keineswegs
zufällig, daß die Bestrebungen, nach dem Muster der Weltbewegung eine
"faschistische Internationale" ins Leben zu rufen, nahezu bedeutungslos
blieben. Andererseits hat es gerade das Dritte Reich verstanden, seinen Kampf gegen
den Bolschewisten als eine transnationale Aufgabe darzustellen. Viele Faschisten
aus ganz Europa haben sich in den Reihen der SS am Vernichtungskampf gegen die Sowjetunion
beteiligt. Auch die gerade vom Nationalsozialismus intensiv betonte rassistische
Komponente wie eine gewisse transnationale Färbung auf, die dazu führte,
daß einige Faschisten aus Frankreich, Belgien, Holland und den skandinavischen
Ländern die Zielsetzung des Dritten Reiches unterstützten, um eine Neuordnung
Europas nach rassischen Kriterien durchzuführen. Dennoch konnte durch die propagandistische
Betonung der 'europäischen Aufgabe' des Dritten Reiches die Tatsache nicht
verdeckt werden, daß der im Zeichen des Antikommunismus und des transnationalen
Rassismus geführte Kampf im Grunde den Zielen des deutschen Imperialismus diente.
Alle faschistischen Parteien weisen ferner einen dezidierten und kompromißlosen
Vernichtungswillen gegenüber politischen Gegnern und - teilweise willkürlich
ausgewählten - Minderheiten auf. Die Gegner in den kommunistischen, sozialdemokratischen,
liberalen und konservativen Parteien wurden erbarmungslos bekämpft und gleichzeitig
- auch dies ein erneutes Zeichen für die grundlegende Ambivalenz des Faschismus
- umworben. Fast alle faschistischen Parteien haben sich besonders intensiv gegen
die jeweilige jüdische Minderheit gewandt. Dieser Antisemitismus wurde mit
religiösen, sozialen und vor allem mit rassischen Momenten 'begründet'.
Der italienische PNF, die spanische Falange, die finnische Lapua-Bewegung, die norwegische
'Nasjnonal Samlin' und die holländische NSB stellen in dieser Hinsicht eine
Ausnahme dar, weil sie entweder gar keine oder eine gemäßigte antisemitische
Zielsetzung vertraten. Das hatte mehrere Ursachen. Einige faschistische Parteien,
z.B. die holländische NSB, haben eine offen antisemitische Sprache offensichtlich
aus taktischen Gründen vermieden, weil dies auf die Kritik großer Teile
der Bevölkerung stieß. In anderen Ländern war der Antisemitismus
wirkungslos, weil es - wie in Norwegen - kaum Juden gab oder weil - wie in Spanien
- andere nationale Minderheiten (Slowenen, Kroaten und Südtiroler) verfolgte.
Ebenso übersehen wird die Tatsache, daß die Nationalsozialisten neben
Juden auch andere nationale Minderheiten (besonders Zigeuner und Polen) erbarmungslos
verfolgt haben. Dennoch muß berücksichtigt werden, daß sich die
Nationalsozialisten zwar nicht unbedingt in der Intensität und Brutalität
ihres Vernichtungswillens von anderen Faschismen grundlegend unterschieden - erinnert
sei nur an die Terrormaßnahmen der kroatischen "Ustascha" und der
rumänischen "Eisernen Garde" gegen Juden und andere Minderheiten-;
die bürokratische Perfektion aber bei der Umsetzung des ideologischen Ziels
in die Praxis des fabrikmäßigen Massenmords an Juden ist ein singuläres
Kennzeichen des deutschen "Radikalfaschismus". Wenn der Nationalsozialismus
sein utopisch-reaktionäres Ziel der Rassenzüchtung und Rassenvernichtung
so unbeirrt von ökonomischen, militärischen und politischen Kalkülen
verwirklichen konnte, lag dies auch an der im Vergleich zum italienischen Faschismus
unterschiedlichen Entwicklung und Struktur des Nationalsozialismus.
Der PNF verfügte im Jahr 1922, als er in die Regierung aufgenommen wurde, nur
über 35 von insgesamt 535 Mandaten im italienischen Parlament. Seine Macht
verdankte er einem beispiellosen Terrorfeldzug, wobei zunächst von Dorf zu
Dorf, dann von Stadt zu Stadt und schließlich von Provinz zu Provinz politische
Gegner eingeschüchtert, geschlagen, gefoltert und ermordet und die Stützpunkte
der gegnerischen Parteien zerstört worden waren. Die NSDAP dagegen hatte nach
ihrem fehlgeschlagenen 'Marsch auf Berlin' im Jahr 1923 zwar auch einzelne Terroraktionen
durchgeführt, im Grunde aber das Ziel verfolgt, als stärkste parlamentarische
System zu zerschlagen. Bei den Juli-Wahlen von 1932 erreichte sie 37,2% der Stimmen
und 230 von 608 Mandaten im Reichstag. Trotz der Verluste, die sie bei den Wahlen
vom November 1932 hinnehmen mußte, war die NSDAP auch am 30.Januar 1933 noch
die bei weitem stärkste politische Partei in Deutschland. Daher gelang es der
NSDAP innerhalb von knapp vier Monaten, ihre politischen Gegner aus- und die konservativen
Bündnispartner weitgehend gleichzuschalten. Mussolini benötigte dafür
fast sechs Jahre, blieb jedoch immer auf die Unterstützung seiner Bündnispartner
- Bürokratie, Militär, Industrie und Kirche - angewiesen. Obwohl auch
im Dritten Reich die polykratischen Züge nicht zu übersehen sind war das
nationalsozialistischen Deutschland weitaus totalitärer als der italienische
"stato totalitario".
Von den übrigen faschistischen Bewegungen ist es nur der österreichischen
Heimwehr, der rumänischen "Eisernen Garde" und der sehr schwachen
spanischen Falange gelungen, ohne ausländische Hilfe in die Regierung zu gelangen.
Anders als in Deutschland und Italien gelang hier jedoch das Einrahmungskonzept
der konservativen Bündnispartner. Die spanische Falange, die 1936 nur über
35.600 Mitglieder verfügte, stellte nur einen Teil der 1937 gegründeten
francistischen Einheitspartei dar, die von Anfang an von Franco kontrolliert wurde
und der es auch in der Folgezeit nicht gelang, den vorherrschenden Einfluß
des Militärs, der Industrie und der Kirche zurückdrängen. Die Heimwehren
in Österreich, die 1930 eine Mitgliederzahl von 150.000 besaßen, bei
Wahlen jedoch nur 6% der abgegeben Stimmen gewonnen hatten, sind von den autoritären
Regierungschefs Dollfuß und v.Schuschnigg Schritt für Schritt in ihrem
Einfluß zurückgedrängt worden, bis sie ihre Unabhängigkeit
völlig einbüßten. Die rumänische "Eiserne Garde",
die bei den Wahlen von 1937 16% der Stimmen und 66 von insgesamt 390 Parlamentssitzen
aufgenommen worden, dann jedoch in einem blutigen Terrorfeldzug vernichtet worden.
Die ungarischen Pfeilkreuzer, die bei den Wahlen von 1935 25% der Stimmen errungen
hatten, kamen ebenso wie die kroatische Ustascha und die zahlenmäßig
nahezu bedeutungslose "Nasjonal Samling" (nur 2,8 % bei den Parlamentswahlen
von 1933) nur mit Unterstützung der ausländischen faschistischen Mächte,
insbesondere des Dritten Reiches, an die Regierung und waren mehr oder minder von
der deutschen Schutz- bzw. Besatzungsmacht abhängig.
Von den übrigen Faschismen erreichten nur die faschistischen Bewegungen in
Frankreich eine Massenbasis. Erwähnenswert sind ferner die faschistischen Parteien
in England, Finnland, Belgien und Holland, die einen gewissen, allerdings temporären
politischen Einfluß errangen, während die faschistischen Parteien in
Dänemark und Schweden bedeutungslose Sekten blieben, denen nur wenige Tausend
Mitglieder angehörten. Die Regime in der Slowakei, Polen, den baltischen Staaten,
Bulgarien und Portugal gehören dagegen eher in die Gruppe der autoritären
als der faschistischen Diktatoren.
Versucht man, die einzelnen Faschismen nach geographischen Gesichtspunkten zu gliedern,
ergeben sich keine klaren Korrelationen. In Nord- und Westeuropa hat es neben relativ
starken - Frankreich und mit einem gewissen Abstand England, Belgien und Finnland
- auch äußerst schwache - Schweden, Dänemark und Holland - faschistische
Bewegungen gegeben. Ähnlich ist es in Mittel- und Südeuropa. Anders als
in Deutschland, Italien und Österreich gab es in der Schweiz und auch in der
Tschechoslowakei nur sehr schwache faschistische Parteien (Z.B. die sudetendeutsche
Partei, die noch 38 in freien Wahlen 92 % bekam /MB). In Ost- und Südeuropa
weisen Kroatien, Ungarn und Rumänien starke faschistische Bewegungen auf, während
sie in Polen, den baltischen Staaten, Bulgarien und Griechenland äußerst
klein waren oder sogar gänzlich fehlen. In Spanien und besonders Portugal sind
die vorhandenen - relativ schwachen - faschistischen Parteien in die jeweilige Staatspartei
inkorporiert und entmachtet worden.
Sucht man nach einem sozioökonomischen Gliederungsprinzip, stößt
man auf noch größere, unlösbar scheinende Probleme. In hochindustrialisierten
Ländern gab es ebenso wie in agrarischen Gesellschaften starke und schwache
faschistische Bewegungen. Theorien, die den Faschismus generell in eine gewisse
Beziehung zu einem bestimmten Stadium der Entwicklung des Kapitalismus oder des
Modernisierungsprozesses setzen, sind nicht zutreffend.
Da die faschistischen Parteien der Zwischenkriegszeit in Ländern entstanden,
die sich in soziökonomischer Hinsicht stark unterschieden, weisen die einzelnen
faschistischen Parteien auch in ihrer sozialen Basis deutlich erkennbare Unterschiede
auf. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die vergleichende Erforschung
dieser Frage noch nicht sehr weit gediehen ist. Häufig fehlen zuverlässige
und vergleichbare Angaben zur sozialen Herkunft der Führer, Aktivisten, Mitglieder
und Wähler der einzelnen faschistischen Parteien. Hinzukommt, daß sich
die soziale Zusammensetzung der faschistischen Parteien in regionaler und zeitlicher
Hinsicht wandelte. Die NSDAP sei hier als Beispiel genannt, die sich zunächst
fast ausschließlich aus dem alten Mittelstand rekurrierte,, dann aber in einigen
Regionen auch Mitglieder des neuen Mittelstande und der Arbeiterschaft gewann. Abgesehen
von den faschistischen Sekten, die sich wie faschistische Parteien im Anfangsstadium
überhaupt überwiegend aus Studenten, Offizieren, Angestellten sowie einigen
Arbeitern und Bauern rekrutierten - eine konkrete soziale Zuordnung ist wegen der
geringen Größe nicht möglich-, sind von den übrigen faschistischen
Bewegungen die österreichischen Heimwehren, einige französische Gruppen,
die belgische Rex- und die finnische Lapua-Bewegung sowie die kleinere holländische
NSB durch einen eher mittelständischen Charakter gekennzeichnet. Doch auch
hier ist das Verhältnis zwischen dem alten - Bauern, Handwerker, kleine Gewerbetreibende
- und dem neuen Mittelstand - Angestellte und Beamte - sehr unterschiedlich. Überwiegend
agraisch geprägt waren neben der Lapuabewegung auch die österreichischen
Heimwehren, während die holländische NSB ihre Hochburgen in den Städten
fand. Einen relativ hohen Anteil an Arbeitern weisen dagegen die ungarischen Pfeilkreuzer
(geschätzter Arbeiteranteil 41%), der französischen PPF und - mit gewissen
Abstand - auch die "Britisch Union of Fascist", die österreichischen
Nationalsozialisten und die Falange (im Anfangsstadium) auf. Die ungarischen Pfeilkreuzler,
die rumänische "Eiserne Garde" und auch die kroatische "Ustascha"
kann man durchaus als Parteien der Unterschichten ansehen. Der heutige Stand der
vergleichenden Faschismusforschung erlaubt jedoch nicht die Schlußfolgerung,
Faschismus generell als Mittelstands- oder als Volkspartei anzusehen.
So wichtig auch die weitere Erforschung der sozialen Basis des Faschismus insgesamt
ist, man darf dabei nicht übersehen, daß dieses Problem durch die Frage
nach der sozialen Funktion des Faschismus nicht nur ergänzt, sondern sogar
teilweise relativiert wird. Schließlich gelang den Faschismen der Aufstieg
keineswegs nur aus eigenen Kraft, sondern er beruhte auf auf der Unterstützung
von seiten der Industrie, der Landwirtschaft und der bürgerlichen Parteien.
Allerdings führt hier die vulgärmarxistische cui-bono-Frage nicht weit.
Nur die von dem französischen Parfümfabrikanten Coty gegründete und
finanzierte "Solidarité Francaise" entsprach dem Bild, das von
kommunistischen(gemeint sind die östlich geprägten MB) Faschismustheoretikern
für den Faschismus generell gezeichnet worden ist. Ihre immer wieder hervorgehobene
Behauptung, daß faschistische Parteien von Anfang an von einflußreichen
Kreisen der Industrie finanziert und geleitet worden sein sollen, wird durch die
bisherige Forschung eher widerlegt als bestätigt (Vgl. A.Barkeis neuere Arbeiten
MB). Allerdings sind die Forschungslücken gerade bei diesem Problem besonders
groß. Neben der PNF, die in der Anfangsphase bedeutende finanzielle und politische
Unterstützung von den Agrariern erhielt, sind die finanziellen Zuwendungen
für die österreichischen Heimwehren, die finnische Lapua-Bewegung und
für den belgischen Rex nachweisbar. Auch die NSDAP hat materielle Zuwendungen
von seiten der Industrie und der Landwirtschaft erhalten. Allerdings sind größere
Summen erst gezahlt worden, nachdem die NSDAP zur Massenpartei geworden war (das
bestätigt auch Barkeis Arbeit MB). Wichtiger als die finanzielle war schließlich
die politische Unterstützung, die der PNF und die NSDAP von den industriellen
und agraischen Eliten sowie von den konservativen politischen Kräften erhalten
haben. Doch während es in Italien und Deutschland zu einem 'Bündnis' zwischen
der faschistischen Partei und den industriellen, agraischen und konservativen politischen
Kräften kam, war dies in allen anderen Ländern, in denen es faschistische
Parteien gab, die über eine Massenbasis verfügten, nicht der Fall.
Während sich die bisherige Forschung vor allem auf das Problem konzentriert
hat, welche sozialen und wirtschaftlichen Faktoren dem Aufstieg der faschistischen
Parteien eine besonders große Anziehungskraft auf relativ junge Männer
ausgeübt haben, zwar konstatiert, aber bisher nur in einer sehr unzureichenden
Weise erklärt worden. Eine vergleichende sozialpsychologische Erforschung der
Faschismen gibt es nur in Ansätzen. Ob und in welchem Umfang die überwiegend
jugendlichen und fast ausschließlich männlichen Anhänger des Faschismus
in Europa durch bestimmte psychische Merkmale wie Angst, Aggression und andere autoritäre
Charakterzüge gekennzeichnet waren, weiß man bisher nicht.
Dagegen konnte die von fast allen Faschismustheoretikern vertretene These, wonach
faschistische Parteien in der Situation einer Krise entstehen und aufsteigen können
bestätigt werden. Allerdings kommt es nicht nur auf das Ausmaß der ökonomischen
Krise, sondern vor allem darauf an, ob die wirtschaftliche zu einer Krise im sozialen
und politischen Bereich führte. Hier gibt es verschiedene hemmende und fördernde
Faktoren. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist es jedoch noch nicht möglich,
feste Korrelationen zwischen der Schwere und dem Ausmaß der wirtschaftlichen
Krise und anderen sozialen Faktoren herzustellen.
Als besonders wichtig für den Bestand der Demokratie und die Abwehr des Faschismus
erwies sich vor allem die Kompromißbereitschaft zwischen bürgerlichen,
agraischen und sozialdemokratischen Parteien. Gerade in Schweden und Norwegen hat
das von den Konservativen und Liberalen tolerierte Bündnis zwischen der Sozialdemokratie
und der jeweiligen Bauernpartei wesentlich dazu geführt, daß die schwedischen
und norwegischen faschistischen Parteien einflußlose Sekten blieben. Das Beispiel
Hollands zeigt, daß die Existenz eines festgefügten katholischen, sozialdemokratischen
und protestantischen Milieus oder 'Lagers' ebenfalls dazu führte, daß
der Aufstieg des Faschismus verhindert wurde. Als ähnlich resistent hat sich
auch die katholische und - in geringeren Maße - auch sozialdemokratische Wählerschaft
der Weimarer Republik erwiesen. Die Existenz von nationalen und religiösen
Minderheiten hat dagegen meist zum Aufstieg des Faschismus geführt. Die Schweiz
stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme, da hier die Sprachen- und Minderheitenfrage
in vorbildlicher Weise gelöst war und nicht von der Agitation der faschistischen
Partei ausgenutzt werden konnte (ähnlich vorbildlich war das allerdings in
der CSR gelöst, was allerdings die Sudetendeutschen nicht davon abhielt 35
zu 66% und 38 zu 92% Hitlervassallen zu wählen MB). In einigen Ländern
(Dänemark, Schweden, Norwegen) hat schließlich die staatsinventionistische
und am Prinzip des deficit spending orientierte Wirtschaftspolitik zu einer schnelleren
Überwindung der Arbeitslosigkeit beigetragen, so daß die jeweiligen faschistischen
Parteien die wirtschaftliche Situation nicht mehr für ihre Agitation ausnutzen
konnten. Insgesamt gesehen muß jedoch noch einmal darauf hingewiesen werden,
daß man heute noch nicht sagen kann, welche Formen der Wirtschaftskrise, von
der nahezu alle Länder Europas betroffen waren, den Aufstieg der jeweiligen
Faschismen gefördert haben.
Als positiv für die Entstehung und den Aufstieg von faschistischen Parteien
hat sich in einigen Ländern die Existenz von antiparlamentarischen Massenbewegungen
ausgewirkt, die schon im 19.Jahrhundert nationalistische, antisozialistische, antikapitalistische
und antisemitische Zielsetzungen vertraten. Das gilt für die Alldeutschen in
Österreich und Deutschland ebenso wie für die italienische "Associatione
Nazionalista" und vor allem der "Action Francaise". Ob man diese
Bewegungen jedoch als "frühfaschistisch" (da bezieht er sich auf
Nolte MB) einstufen kann, ist umstritten. Dieser Begriff stellt ebenso wie der "Philo-Faschismus"
eine bloße Hilfskonstruktion dar. Problematisch, ja abzulehnen ist dagegen
die Verwendung des Ausdrucks "Neofaschismus", weil die nach 1945 entstandenen
faschistischen Parteien in ideologischer und organisatorischer Hinsicht eindeutig
vom Vorbild des 'klassischen' Faschismus geprägt sind. Hätten sie tatsächlich
neue Elemente entwickelt, müßte für sie eine andere, neue Bezeichnung
gefunden werden.
Insgesamt sind die europäischen Faschismen durch eine gewisse Varietät
gekennzeichnet, wobei vor allen Dingen der deutsche "Radikalfaschismus"
vom "Normalfaschismus"(diese Unterscheidung ist übrigens von Nolte,
aber trotzdem durchaus sinnvoll MB) Italiens und den übrigen faschistischen
Bewegungen unterschieden werden muß. Dennoch kann man wenigstens im heuristischen
Sinne an einem allgemeinen, aber in sich differenten Faschismusbegriff festhalten.
Die Mahnung Angelo Tascas: "Faschismus definieren, heißt zu allererst
die Geschichte des Faschismus schreiben", hat auch heute nichts von ihrer grundsätzlichen
Richtigkeit eingebüßt. Wie es Tascas eigenes vorzügliches Werk über
den italienischen Faschismus beweist, heißt dies jedoch nicht, daß man
bei der vergleichenden Erforschung der Faschismen auf die Theorieansätze, Thesen
und selbst Hypothesen der nun 60jährigen internationalen Faschismusdiskussion
verzichten sollte. Sie müssen als "Theorien mittlerer Reichweite"
gebündelte werden, denn monokausale Erklärungen und globale Theorien können
weder der "Varietät" der Faschismen noch der Tatsache gerecht werden,
daß sich die einzelnen faschistischen Bewegungen im Verlaufe ihrer Entwicklung
auch gewandelt haben. Das Suchen nach einer alles umfassenden und alles erklärenden
globalen Theorie scheint dagegen im Augenblick wenig förderlich zu sein und
führt nur zu einem unfruchtbaren und unbefriedigenden Streit um Begriffe. Wichtiger
und nützlicher ist es, die empirische und methodenpluralistisch arbeitende
vergleichende Faschismustheorie voranzutreiben.
[ Top | Zurück
]
Most recent revision: April 07, 1998
E-MAIL:
Martin Blumentritt