Was ist Rechtsextremismus (aus der empirischen Forschung 1981)
Was damals als signifikant rechtsextrem gehalten wurde, ist heute in aller Munde
und erscheint als Massenbewußtsein. Dazwischen liegen 15 Jahre, vor allem
die deutsche Vereinigung und die Asylgesetzgebung hat zu diesem Umschwung nach rechts
beigetragen. Es ist interessant damals und heute zu vergleichen.
"Volk, Vaterland und Heimat"
Einen zentralen Stellenwert besitzen für fast alle untersuchten rechtsextremen
Gruppen die Begriffe "Volk" und "Vaterland", die emotional sehr
stark besetzt sind und von denen andere Werte abgeleitet werden. "Volk und
Vaterland" spenden - insbesondere in der idealisierenden Interpretation der
Gesprächspartner - Sinn und Geborgenheit. Die krampfhafte Überhöhung
dieser Werte kann gleichsam als "Kennzeichen" für Rechtsextremismus
gelten.
Obwohl vor allem "Vaterland" in der Regel als erste Assoziation zu dem
Begriff "Deutschland" genannt wird, bereitet auf Grund der Teilung Deutschlands
etlichen Gesprächspartnern eine emotionale und lokale Zuordnung des Begriffs
"Deutschland" erhebliche Schwierigkeiten.
Punker und Rocker besitzen kaum ein gefühlsmäßige Bindung an die
Begriffe "Deutschland" oder "Deutscher" und verstehen diese
rein funktional (NPD- und JN-Mitglieder sowie Militante sprechen bedauernd von "Paß-Deutschen).
Lediglich beim Thema "Fußball" werden mit "Deutschland"
emotionale Werte assoziiert. Der geographisch diffuse Begriff "Vaterland"
ist für diese Personengruppe gefühlsmäßig weit stärker
besetzt. Zum einen wird "Vaterland" mit beiden deutschen Staaten gleichgesetzt,
zum anderen unterscheidet man dagegen zwischen dem "richtigen" Deutschland,
der Bundesrepublik und dem "anderen" Deutschland, der DDR, "die rußlandhörig
und abhängig ist".
Eine Ausweichmöglichkeit in dieser Situation, den Begriff "Deutschland"
heute geographisch nicht exakt zuordnen zu können - worunter einige Gesprächspartner
sichtlich leiden-, bietet der Begriff "Heimat", mit dem Geborgenheit im
weitesten Sinne assoziiert wird. Deutschland "ist meine Heimat", "dort
fühle ich mich geborgen"(ein Militanter).
Die engere Heimat wird gleichgesetzt mit einer intakten Umwelt, Infra- und Sozialstruktur
und führt zur Verklärung der traditionellen sozialen Strukturen, die als
besonders erhaltenswert erachtet werden.
Von dieser Ausgangsposition aus neigen vor allem Ökogruppen eher zu ansonsten
überholten Leitbildern: Da die Natur den Überlebenskampf der Völker
bestimmt, sind für ein Volk natürliche, gesunde Lebensgrundlagen wesentlich.
Die Bewahrung der Natur, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bilden
zugleich einen Schutz für die Gemeinschaft und wirken der Staatsauflösung
entgegen.
Zum Zentralbegriff wird daher die "Gesundheit": Volksgesundheit, gesundes
Lebe. Das hohe ökologische Bewußtsein dieser Gruppen setzt sich freilich
meist nur in diesem Bereich in politische Aktivität um, im Kampf gegen Atomkraftwerke,
die als unrentabel, gefährlich und als Bedrohung der "natürlichen"
Gensubstanz und Instrument zum Massenmord gelten.
Ähnlich am Begriff "Volksgesundheit" ausgerichtet ist der Einsatz
der Jungen Nationaldemokraten für die "Krebshilfe" und den "Schutz
des deutschen Waldes" sowie die Problematisierung der Vor- und Nachteile von
Mülldeponien.
Die Sorge um die Volksgesundheit zielt zum Teil nicht nur auf die Erhaltung des
Volkes, sondern auch auf die "Reinhaltung" des Völkischen, der Rasse.
Diese wird primär für genetisch fixiert gehalten und von den Ludendorffern
als "gottgewollt" angesehen. NPD-Anhänger gehen bei der "Reinhaltung
der Rasse" sogar so weit, daß sie offen für die Euthanasie eintreten.
Ethnozentrismus und Rassismus
Entsprechend dem hohen emotionalen Stellenwert von "Volk", "Vaterland"
und verwandten Begriffen sind die meisten Gesprächspartner stolz darauf, Deutsche
zu sein. Begründet wird dies mit "typisch deutschen" Eigenschaften
wie Fleiß, Strebsamkeit, Disziplin, Ordnung, Pflichtbewußtsein, Vaterlandsliebe,
Mut, Treue etc., aber auch mit Hinweisen auf besonders intellektuelle Fähigkeiten:
"Volk der Dichter und Denker", Deutsche haben außergewöhnlichen
Erfindungsgeist: "Wenn man einen Deutschen mit einem Streichholz einsperrt,
kommt er mit einem Panzer wieder raus."
Infolge der völkischen Grundeinstellung ist Ethnozentrismus gerade bei Ökogruppen
wie den Ludendorffern stark ausgeprägt. Ein Kontrabild zum "Deutschtum"
des "nordischen Menschen", wie es sich etwa in den oben aufgeführten
Eigenschaften ausdrückt, liefern vor allem die "Fremdarbeiter". Die
Gesprächspartner wenden sich gegen jede Integrationspolitik oder gar Einbürgerung
der ausländischen Arbeitnehmer und empfehlen statt dessen eine wirtschaftliche
Förderung der Herkunftsländer. Die kulturelle Entwurzelung der Gastarbeiter
führt nach Ansicht der Gesprächspartner aus den Öko-Gruppen dazu,
daß diese sozial schädliche Verhaltensweisen entwickeln, zu Gewalt, Kriminalität
und Abnormitäten neigen und besonders anfällig für Sexualdelikte
sind. Die Ehen von Deutschen und Gastarbeitern werden als "animalisches Aufeinandertreffen"
abgelehnt.
Nicht zuletzt auf Grund ihrer hohen Geburtenrate werden die Ausländer als "tödliche
Bedrohung" für unser Volk" wahrgenommen, da die Überfremdung
ständig zunehme (weshalb eine rigide Ausländer-Gesetzgebung nach Schweizer
Muster und schärfe administrativ-polizeiliche Maßnahmen vor allem von
NPD-Anhängern gefordert werden).
Gegen die ausländischen Arbeitnehmer, die häufig mit deutliche abwertenden
Akzent als "Fremdarbeiter" oder "die Ausländer" bezeichnet
werden, richten sich in erster Linie Aggressionen der NPD-Anhänger und Militanten,
die oft auch zur Androhung physischer Gewalt führen.
Gegen die ausländischen Arbeitnehmer werden dabei überwiegend negative
Klischees ins Feld geführt: Sie kommen hier ans große Geld, nehmen den
Deutschen Arbeitsplätze weg (besonders verbreitet bei arbeitslosen Rockern
und Punkern sowie statusgefährdeten NPD-Anhängern), drücken sich
vor der Arbeit, streichen Kindergeld zu lasten des deutschen Steuerzahlers ein,
werden vor deutschen Gerichten angeblich bevorzugt etc.
Ambivalent ist die Haltung der meisten befragten "Jungen Nationaldemokraten".
Während einerseits die genannten Aversiongründe zumindestens tendenziell
bestehen, gibt es andererseits für die meisten Gesprächspartner eine Art
"Solidarität der Nationalisten". So werden die Türken gelobt,
weil sie sich nicht assimilieren wollen, und Beihilfen der öffentlichen Hand
für den Aufbau von Koranschulen und Kulturzentren werden begrüßt.
So gibt es offenkundig Kontakte zwischen deutschen Rechtsextremisten und den türkischen
"grauen Wölfen". Ähnliche Kontakte werden auch zum italienischen
MSI(Neofaschisten) gesucht.
Antisemitismus ist zumindestens latent in allen rechtsextremen Gruppen feststellbar.
Am offensten beklagen Angehörige der NPD und Militante, daß die Juden
heute wieder einen zu großen Einfluß auf Wirtschaft und Politik ausüben.
Dabei wird zum Teil die in rechtsextremen Publikationen gängige Meinung geäußert,
gegen den einzelnen Juden habe man nichts einzuwenden, wohl aber gegen das "Weltjudentum"
als organisierte Macht.
Rechtsextreme Einstellungen schließen fast immer rassistische Vorurteile ein:
Vielfach wird dabei auf die Erkenntnisse der Vererbungslehre zurückgegriffen
und Rassenunterschiede als genetisch begründete charakterliche Einstellungen
bezeichnet. Nach den Ludendorffern ermöglicht zwar die Rassenvielfalt eine
Mannigfaltigkeit kulturellen Erlebens, es ist daher gottgewolt und gut, dennoch
sind bei ihnen ein besonderer Stolz auf die eigene Rasse und Ressentiments gegen
Andersrassische - vor allem gegen Neger - unverkennbar. Auch von Jungen Nationaldemokraten
wird zwar darauf hingewiesen, daß die von ihnen konstatierten Rassenunterschiede
wertfrei seien ("Neger sind musikalischer"), doch belegen andere Äußerungen
deutliche Aversionen. Aus dieser Perspektive werden auch darwinistische Theoreme
auf die menschliche Gesellschaft übertragen: Die Stärkeren setzen sich
durch.
Mit großer Sorge wird die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt beobachtet
und Entwicklungshilfe langfristig für uns sogar als gefährlich betrachtet.
Wenn Entwicklungshilfe befürwortet wird, dann punktuell und unter humanitären
Gesichtspunkten. Grundsätzlich sollte nach Ansicht von NPD- und JN-Mitgliedern
die deutsche Interessenlage im Vordergrund stehen und politische Wohlverhaltensklauseln
eingebaut werden.
"Law and Order" und Militarismus
Die Anwendung von mehr Härte, Disziplin und Ordnung gilt Rechtsextremen als
gesellschaftliches Allheilmittel. Generell wird der Abbau von sozialen Rechten ("Übersozialisierung"
wird als eine der Ursachen für die gegenwärtige gesellschaftliche Krisensituation
betrachtet) und die Übernahme von mehr Pflichten propagiert.
Heftig kritisiert wird von Militanten und JN-Mitgliedern die allgemeine Verweichlichung
in der Gesellschaft. Für NPD-Anhänger ist die heutige Jugend "verdorben,
bevor sie denken kann". Entsprechend wird verlangt, in der Schule müßten
Disziplin und Gehorsam weit mehr gefördert werden, als es jetzt der Fall sei.
Auch in der Kindererziehung sei mehr Strenge erforderlich. Ein rechtsextremer Jugendlicher
vergleicht den Erziehungsprozeß eines Kindes mit dem eines jungen Hundes,
der durch Schläge lernen müsse, wie weit er gehen dürfe. "Auch
Prügel tut not, aber nur im Rahmen."
Eine Ausnahme bilden hier die Ludendorffer, die Härte und Disziplin als unmenschlich
ablehnen. Überzeugen sei nicht durch Gewalt möglich, sondern nur durch
Argumente, was eine gewisse Bildung voraussetze.
Im Bereich von Rechtssprechung und Strafvollzug wir eine Ende der Liberalisierung
gefordert ("Gefängnisse sind keine Altersheime") und nachdrücklich
für die Einführung der Todesstrafe plädiert.
NPD-Anhänger vertreten in diesem Zusammenhang, Gesetze aus der NS-Zeit hätten
ruhig übernommen werden können. Vor allem solche, die ein "härteres
Durchgreifen" ermöglichen würden. Eine wesentliche Verschärfung
der Rechts- und Strafprozeßordnung fordern die Anhänger der Mun-Sekte,
für die Recht und Ordnung die entscheidenden Staatsprinzipien bilden.
Ein drastisches Vorgehen der Polizei fordern fast alle Gesprächspartner beim
Thema "Terrorismus". Wenden sich ("hier gehören eiserne Besen
er", Todesstrafe und KZ, "Etwas anderes hilft da nicht"), so verlangen
Punker, daß man mit "diesen brutalen Typen" gleich "kurzen
Prozeß macht": "Das geht nicht andres, als daß du die umbringst,
weil die sonst nicht aufhören." Schnellprozesse und die Todesstrafe für
Terroristen fordern auch die Mitglieder der Mun-Sekte, da bei Gefängnisaufenthalten
der Terroristen die Gefahr der Befreiung gegeben sei.
Gemeinsam ist den Gesprächspartnern auch die Forderung nach einem rigiden Vorgehen
gegen Kommunisten, außenpolitisch durch eine Einstellung der Entspannungspolitik
und einen Konfrontationskurs gegenüber dem Ostblock, innenpolitische zumindest
durch eine Verschärfung des Kampfes gegen Kommunisten, in erster Linie gegen
kommunistische Lehrer.
Besondere Bedeutung hat der Kampf gegen die Kommunisten für die jugendlichen
Anhänger rechtsextremer Sekten. Als ersten Schritt wünschen sie einen
Regierungswechsel in Bonn, der das Ende der (kommunismusverdächtigen) SPD bedeuten
würde. Sie propagieren eine massiv antikommunistische Staatsgewalt, die schärfstens
gegen Kommunisten vorgehen und auch vor illegalen Tötungen nicht zurückschrecken
solle. Eine "Endlösung" der Kommunistenfrage sei freilich nur durch
den dritten Weltkrieg möglich, den sie für unvermeidlich halten und den
sie begrüßen würden.
Eine ähnliche "radikale" Veränderung der Staatsform halten die
Militanten für erforderlich, um die gegenwärtigen Zustände zu überwinden.
Fordern NPD-Anhänger noch eine Ausweitung der exekutiven Befugnisse der Polizei
bzw. eine "starke Regierung" oder einen "starken Mann" an der
Spitze, so glauben die Militanten, daß in der derzeitigen Staatsform, mit
dem gegenwärtigen Führungspersonal oder bei dessen Austausch nach Wahlen
sich nichts wirklich Grundlegendes verändern lasse. Dies sei nur möglich
im "autoritären, nationalen Staat". Denn die "Geschichte zeigt
eindeutig", daß man "einige radikale Mittel anwenden muß",
wen man "eine gute Sache erreichen will".
Entsprechend der fast durchgängig festzustellenden positiven Grundeinstellung
zu Härte und Disziplin werden die Existenz einer Armee und die allgemeine Wehrpflicht
von allen Gesprächspartnern ausgesprochen positiv beurteilt. Dies gilt auch
für die Angehörigen von Öko-Gruppen, für die "Schutztruppen"
zur Existenzerhaltung der Lebensgemeinschaft notwendig sind.
Der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr ("Gammelhaufen"), die häufig
auch als "Wehrmacht" bezeichnet wird, wird allgemein bedauert. Zurückgeführt
wird er als auf die geringe Achtung vor soldatischen Tugenden in der Gesellschaft
allgemein sowie auf Versuche zur Demokratisierung der Bundeswehr ("Staatsbürger
in Uniform", "innere Führung"), die besonders von NPD-Anhängern
und Militanten scharf abgelehnt werden.
Herber Kritik wird vielfach das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ("Kuckucksei
der Verfassung") unterzogen. Für Mun-Anhänger gelten Kriegsdienstverweigerer
als "Drückeberger und Kommunisten", die "auch andere davon abhalten,
für ihr Vaterland was zu tun". Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung
räumen Angehörige von Öko-Gruppen nur im Falle eines drohenden Krieges
zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein, da der Gedanke, gegen die "eigene
Rasse" in den Krieg zu ziehen, unerträglich sei. In den übrigen Fällen
ist Kriegsdienstverweigerung für Angehörige ein Symptom von Eigennutz,
wie es nur in der Demokratie entstehen kann. Werde Kriegsdienstverweigerung schon
zugelassen, solle ein Arbeits- oder Jugenddienst eingeführt werden.
Für fast alle Gesprächspartner symbolisiert der Dienst in der Armee nicht
nur die Bereitschaft, sein Leben für "Volk und Vaterland einzusetzen,
sondern zugleich auch die Verwirklichung eines Männlichkeitsideals. Der einzelne
muß wehrfähig sein, "auf Zack". Vielfach wird ein großes
Interesse für Waffen und Kampfsportarten bekundet. Uniformen üben eine
starke Anziehungskraft aus.
Für die Befragten der älteren Generation hatte das Kriegserlebnis prägende
Wirkung. Im nachhinein werden die eigenen Erfahrungen verklärt, die Kriegsjahre
als die "schönste Zeit meines Lebens" bezeichnet. Die Sehnsucht nach
"Kameradschaft" drückt sich aus in den Vorstellungen einiger Jugendlicher
(Punker, Rocker) aus, wenn sie über ihre künftige Zugehörigkeit zur
Bundeswehr sprechen.
Zur Staats- und Gesellschaftsordnung Nachkriegsdeutschlands
Das sozio-politische System der Bundesrepublik und ihre politische Führungsschicht
wird mit unterschiedlicher Intensität - bis zum blanken Haß - abgelehnt.
Dem politischen System der Bundesrepublik wird als "Geburtsfehler" vorgeworfen,
es sei ein Oktroi der Alliierten, die führenden Politiker seien "Marionetten
der Sieger" und das Grundgesetz von der Bevölkerung bis heute nicht durch
Referendum gebilligt.
Bei zentralen Bewertungsgesichtspunkten lassen sich zwischen einzelnen Erhebungsbereichen
allerdings signifikante Unterschiede ausmachen. Von den Öko-Gruppen (z.B. von
den Ludendorffern) wird Demokratie in normalen Zeiten als geeignete Staatsform bezeichnet,
da sie auf Grund der Gewaltenteilung nur geringe Möglichkeiten zum Machtmißbrauch
biete und ein Diktator zu viele positive Kräfte im Volk vernachlässige.
In Krisenzeiten allerdings wird eine Diktatur akzeptiert. Generell herrscht hier
eine elitäre Intepretation der Demokratie vor: Führen müssen die
richtigen Männer mit den richtigen Gedanken und den entsprechenden Fähigkeiten.
Bei NPD-Anhängern und Militanten finden sich dagegen mehrfach scharfe Ablehnungen
demokratischer Prinzipien bzw. der Demokratie überhaupt.
Demokratie ist ein "falscher Denkansatz" (ein Militanter). Diktatur müsse
"bloß gut sein", dann sei nichts dagegen einzuwenden.
Bei vielen klingt unverhohlen durch, daß sie das Führerprinzip der Demokratie
vorziehen. Selbst dort, wo der Führerstaat als historisch widerlegt gilt, wie
bei Angehörigen von Ökogruppen, wird auf die naturgegebene Ungleichheit
der Menschen verwiesen und auf die Existenz von Führernaturen auf der einen
Seite und auf das Bedürfnis, geführt zu werden, auf der anderen Seite.
In den Worten eines Punkers: "Das ist irgendwie im Menschen drin, so wie bei
den Schafen, daß es einen gibt, der sagt, wie's läuft."
Als ideologische Stütze dient in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die "Hackordnung"
des Tierreichs. In der Version von Sektenanhängern heißt das: Das Führerprinzip
ist gottgewollt, da es im Tierreich als natürliches Prinzip gilt und der Führer
in der Kirche als Gottgesandter zu betrachten ist.
Auf Effizienzkriterien verweisen vor allem Militante. Rigorose Führer seien
erforderlich, "weil sich die Leute immer mit ihren Schwächen rausreden
wollen" und weil sich die Leute immer mit ihren Schwächen rausreden wollen"
und weil ein Führer "nicht immer Rücksicht nehmen (muß) auf
kleinliche Beschwerden".
Zum Führer berufen ist nur, wie mehrfach betont wird, wer auch gelernt hat,
sich unterzuordnen. Weitere Eigenschaften des "idealen Führers" sind
Durchsetzungsvermögen, Kompetenz, taktisches Geschick, Unbestechlichkeit, Volksverbundenheit
und Glaubwürdigkeit.
Staatsbürgerliche Freiheiten und ein begrenzter Pluralismus werden von etlichen
Befragten in gewissem Umfang taktisch akzeptiert, da sie die Grundlage für
das Wirken ihrer betreffenden Gruppe darstellen. Dieser formale Toleranzanspruch
wird allerdings nicht auf linksextreme Gruppen ausgedehnt.
NPD und JN, die verbal nachdrücklich für die staatsbürgerlichen Freiheiten
des Grundgesetzes eintreten, weisen auf die Diskrepanz zwischen Verfassungstext
und Verfassungswirklichkeit hin, da durch Verbote zahlreiche Veranstaltungen (Kundgebungen,
Demonstrationen etc.) gerade ihre Organisationen betroffen seien.
Die freie Meinungsfreiheit in Wort und Schrift wird von den meisten Rechtsextremen
abgelehnt: "80% der Journalisten gehören sofort eingesperrt." Auch
aus der Aversion gegenüber Intellektuellen wird kaum ein Hehl gemacht.
Das Parlament wird als "unfähiger Debattierklub" bezeichnet, als
dessen hervorstechende Merkmale Ineffizienz und mangelnde Entscheidnungsfreudigkeit
gelten. Parteien und Gewerkschaften werden als schädliche Interessengruppen
angesehen, die nur ihren Eigennutz, nicht aber das Gemeinwohl im Sinn haben und
das Volk nur "auseinanderdividieren".
Durch Parlamentsdebatten werden nicht Probleme geklärt, sondern die fundamentalen
Prinzipien des Staates aufgeweicht. Außerdem betrachten die Parteien und ihre
Funktionäre den Staat nur als "Selbstbedienungsladen".
Diese Entfremdung drückt sich auch in heftiger Kritik an exponierten Politikern
("Gesinnungslumpen", "Regierungslumpen" etc.) aus: "Unsere
Politiker sind nicht vertrauenswürdig, weil jeder seine Sekretärin auf
dem Schoß hat. Die vertreten nur ihren Eigennutz und ihre Hurerei..."
Als "Gesellschaft mit Vorbildcharakter" wird von fast allen rechtsextremen
Gruppen das Dritte Reich genannt, wobei unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund
gerückt werden. Während sich ein Militanter pauschal mit dem Dritten Reich
genannt, wobei unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund gerückt werden.
Während sich ein Militanter pauschal mit dem Dritten Reich identifiziert ("das
waren Taten, die man heute noch bewundern kann") hebt ein Punker, für
den die eigene Arbeitslosigkeit das politische Weltbild determiniert, die Beseitigung
der Arbeitslosigkeit hervor. Als vorbildlich gelten weiter die vermittelten Ideale
(in der Waffen-SS: Härte, Kameradschaft, Treue) und die Jugenderziehung und
Wehrertüchtigung.
Für eine schärfere Ausländergesetzgebung gilt die Schweiz als beispielhaft,
Frankreich auf Grund der dort bestehenden Todesstrafe, und Chile, weil es den Marxismus
besiegt hat. Entsprechend ihrer speziellen antikommunistischen Zielsetzung betrachten
Anhänger der Mun-Sekte (deren Gründer aus Südkorea stammt) auf Grund
des Kampfes gegen Kommunisten im Innern und nach außen sowie wegen des starken
Willens zur Wiedervereinigung Süd-Korea als Vorbild und wünschen ein "einiges
großes Deutschland" wie unter Bismarck.
Die Mehrheit des Volkes ist nach Auffassung der Rechtsextremisten weder fähig
noch willens, selbst Regierungsaufgaben zu übernehmen, ja nicht einmal in der
Lage, politische Zusammenhänge zu erkennen. Dies ist demnach nur einzelnen
Persönlichkeiten möglich, die auf ihre Aufgabe entsprechend intensiv vorbereitet
werden müßten. Solche "selten gewordenen Persönlichkeiten"
leiten den Staat uneigennützig, nur am Gemeinwohl orientiert. Sie sind jedoch
von den heute in der Staatsführung vorherrschenden "Managertypen"
verdrängt worden, die primär auf persönlichen Nutzen bedacht (daher
eine angebliche Häufung von Korruptionsfällen), in der Wählerschaft
nicht das "Volk", sondern die für die nächste Wahl zu gewinnenden
"Massengesellschaft" sehen.
Selbst die sonst so verketzerten Staaten des Ostblocks werden für die effektive
Art der Rekrutierung ihres Führerpersonals gelobt, weil sie die Regierung einstimmige
Zustimmung zu ihren Beschlüssen erlangen kann und damit "sachgerechte
Lösungen" möglich werden ("Die Bauernschaft Nr.4/1977).
Den heutigen Gewerkschaften wird- abgesehen von ihrer "zersetzenden Tätigkeit"
- unter anderem vorgeworfen, das Vermögen der "Deutschen Arbeitsfront"
zu mißbrauchen, das ihnen nach Kriegsende von den Alliierten übergeben
worden sei und das jetzt das "Fettpolster des DGB" bilde.
Die Neigung des Rechtsextremisten, sich an Argumente der aktuellen öffentlichen
Diskussion anzulehnen, sobald sich Anknüpfungspunkte bieten, kommt auch in
folgendem Beispiel zum Ausdruck: Rechtsextremisten behaupten, die gegenwärtige
Dekadenz und Auflösung der Gesellschaft manifestiere sich unter anderem auch
in einem _Zerfallsprozeß der deutschen Sprache_, die das wichtigste kulturelle
Gut des deutschen Volkes darstelle.
Das Geschichtsbild
War der Rechtsextremismus in der deutschen Gesellschaft 1945 völlig diskreditiert
und mußten seine Anhänger in den ersten Jahren nach Kriegsende entsprechend
vorsichtig agitieren, so war schon seit Anfang der fünfziger Jahre zu beobachten,
daß mit wachsenden zeitlichen Abstand zum Ende der nationalsozialistischen
Herrschaft deren Gedankenwelt zumindest in Teilen wieder unbefangener propagiert
wurde.
Die Grundthemen rechtsextremer Publikationen haben sich seither zwar kaum verändert,
die "Emanzipation" der äußersten Rechten ist inzwischen jedoch
so weit fortgeschritten, daß der Nationalsozialismus und insbesondere die
Person Adolf Hitler zum Teil offen verherrlicht und als Vorbilder propagiert werden.
Wie Marx-, Lenin- oder Mao-Zitate bei den Linken, finden sich heute in den Publikationen
der Rechtsextremen Zitate von Hitler, Goebbels und anderen Nazigrößen.
Die "Hitler-Welle" Mitte der siebziger Jahre hat wahrscheinlich ein Tabu
gebrochen. Hitler wird in rechtsextremen Schrifttum heute wieder ungeniert als "positiver
Held" vorgestellt und gefeiert.
Vorbildcharakter kommt dabei der NS-Staats- und Gesellschaftsordnung zu. In vielen
Interviews(NPD, JN, Wiking-Jugend, Militante) werden ähnliche Institutionen
wie Reichs-Arbeitsdienst, Hitlerjugend, Wehrmacht etc. als auch für unsere
heutige Gesellschaft wünschenswert bezeichnet, wobei in dieser Hinsicht selbst
die sonst kategorisch abgelehnten kommunistischen Staaten (UdSSR, DDR) als beispielhaft
bezeichnet werden.
Teilweise nostalgisch verklärt wird die - von vielen zumindestens so wahrgenommene
- massive Unterstützung des Mittelstandes und die Unterbindung gesellschaftlichen
Konfliktaustrags (das von mehreren Gesprächspartnern begrüßte "Zusammenführen
von Arm und Reich"), die einem bei den meisten Rechtsextremen feststellbaren
Streben nach Harmonie und einer Scheu vor Konflikten entgegenkommen. Die so wahrgenommene
"Volksgemeinschaft" ohne Gruppenegoismus unterläßt es - neben
dem Hinweis auf die rasche Beseitigung der Arbeitslosigkeit im Dritten Reich - zu
erwähnen, daß im damaligen Staat Zucht und Ordnung herrschten und der
Zustand der Gesellschaft insgesamt weit besser war als heute.
Außenpolitisch wird dem Dritten Reich und in besonderem Maße der Person
Hitlers hoch angerechnet, daß das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen durchgesetzt
wurde. Hitler wird von den meisten Befragten als "Großer Staatsmann"
und bedeutende Persönlichkeit gewürdigt.
Die Judenverfolgungen werden von den meisten offen gebilligt.
Einige Punker glauben, "das Problem hätte sich auch durch Deportationen
lösen lassen". In anderen Fällen (Teile von NPD, JN und Rockern)
wird die Jugendbewegung grundsätzlich ebenfalls gerechtfertigt, ihr Ausmaß
aber als "übertrieben" hingestellt. Im Extremfall wird das Stereotyp
von der "Vergasungslüge" übernommen.
Bei der Schuldfrage für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zeigt sich ein
analoges Bild. Ein Alleinschuld Deutschlands wird - auch von den Rechts-Konservativen
- grundsätzlich bestritten. Der Zweite Weltkrieg habe seine Wurzeln im "Versailler
Diktat", so daß die Siegermächte des Ersten Weltkriegs wenn nicht
die Hauptschuld, so doch eine erhebliche Mitschuld treffe.
Die Militanten und Teile der NPD, JN und WJ sind überzeugt von der "Kriegsschuldlüge".
Hitler habe keineswegs einen Krieg oder gar Weltkrieg gewollt. Dieser sei durch
die Westmächte (durch ihre "Einmischung in den deutsch-polnischen Konflikt")
und den mit dem Westen zusammenarbeitenden deutschen Widerstand verursacht worden.
Daß Hitler scheiterte und der Zweite Weltkrieg verlorenging, wird weniger
auf Fehler der Nationalsozialisten als auf Sabotage von innen (Widerstand durch
Kreise der Wehrmacht) zurückgeführt.
Zum Nationalsozialismus im allgemeinen und zu Fragen, die mit dem zweiten Weltkrieg
zusammenhängen im besonderen ist bei Rockern, Punkern und Sektenmitgliedern
ein fast vollständiger Mangel an Kenntnissen festzustellen. Die spärlichen
meist entstellten Informationen über diese Zeit stammten entweder von den Eltern
bwz. Großeltern ("früher war alles besser") oder - in den Interviews
mehrfach erwähnt - aus Landser-Heften.
Für die Rechtsextremen aller Schattierungen bedeutet das Jahr 1945 einen Kontinutitätsbruch,
dessen Konsequenzen auf den verschiedensten Ebenen vehement abgelehnt werden.
Die "Umerziehung" gilt als die Wurzel allen Übels.
Deutschland wurde geteilt bzw. "ausverkauft", ist heute praktisch ein
besetztes Land. Alle Rechtsextremen verweisen darauf, daß die Bundesrepublik
auch nach dem Grundgesetz nur als Provisorium zu verstehen ist. Besonders von NPD-
und JN-Mitgliedern wird darauf verwiesen, daß die Spaltung Deutschlands nicht
nur von den Siegermächten zu verantworten sei, sondern auch von den verschiedenen
Bundesregierungen, angefangen von Adenauers erstem Kabinett 1949.
Während die Bundesregierung und die "staatstragenden" Parteien immer
mehr versucht hätten, die Bundesrepublik mit Deutschland gleichzusetzen, wird
von allen rechtsextremen Gruppen die "Wieder-" bzw. "Neu"-Vereinigung
Deutschlands mit an die Spitze der politischen Forderungen gestellt. Welchen territorialen
Umfang das wieder-/neuvereinigte Deutschland haben soll, bleibt in den meisten Fällen
offen. Während die Rechts-Konservativen sich auf eine Vereinigung von Bundesrepublik
und DDR als Ziel beschränken (diesem allerdings keineswegs absolute Priorität
beimessen), liegt der geringste von Rechtsextremisten genannte territoriale Umfang
des künftigen Deutschland bei den Grenzen von 1937. Angehörige der JN
sprechen offen von einer "großdeutschen" Frage. Im Extremfall würde
Deutschland neben der Oder-Neiße-Gebieten auch Österreich (mit Südtirol),
das Sudetenland, Westpreußen mit Danzig, Elsaß-Lothringen, Luxemburg
sowie die deutschsprachigen Gebiete in der Schweiz, Belgien und Dänemark umfassen.
In anderer Umschreibung: Deutschland ist "das Land aller Deutschen, von der
Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt"(JN-Mitglied)
Als ähnlich gravierend wie die Teilung Deutschlands werden die Folgen der Umerziehung
beurteilt. Die Deutschen wurden ihrem eigenen Wesen und ihrer Geschichte entfremdet.
Die Deutschen wurden ihrem eigenen Wesen und ihre Geschichte entfremdet. Die deutsche
Geschichte, vor allem die Zeit von 1933 bis 1945, wird durch die "Siegermächte"
bzw. die "Kommunisten" (deutsch-polnische Schulbuch-Kommission) völlig
entstellt. Tradition als wichtige Quelle für Gegenwart und Zukunft geht verloren,
die Deutschen sind geschichtlich entwurzelt.
Ihnen wurde von den Siegermächten mit Hilfe ihrer deutschen "Marionetten"
und der Propaganda in Schule und Massenmedien ein politisches und vor allem ein
kulturelles System aufoktroyiert, das ihrem Wesen fremd ist. Der bei den Rechtsextremen
durchweg festzustellende Anti-Amerikanismus wird in diesem Zusammenhang besonders
emotionsgeladen artikuliert:
"Coca-Cola-Imperialismus, Beat-Subkultur, Drogenkultur, Discowelle; University-,
Hollywood- und Jeanswelle" sind für uns "wesensfremd". "Da
wird eine standardisierte amerikanische Koloniegesellschaft herangezüchtet,
ein Abklatsch von den Amerikanern."
Diese Vorstellungen erstrecken sich auch auf den Bereich der Wirtschafts- und Sozialstruktur.
Mit "amerikanischen Zuständen" wird ein dichotomes Gesellschaftsmodell
aus "Arm" und Reich" verglichen, in dem "die Reichen immer reicher
und die Armen immer ärmer werden". Solche Befürchtungen werden von
der NPD nahestehenden, in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdeten Angehörigen
des Mittelstandes geäußert, die in der sich anbahnenden Gesellschaft
nach US-amerikanischem Muster keine ökonomische und soziale Überlebenschance
mehr sehen.
Krisenwahrnehmung: Materialismus und sittliche Dekadenz
Alle Gesprächspartner konstatieren bei der Beurteilung der innergesellschaftlichen
Situation in der Bundesrepublik mehr oder weniger ausgeprägte Krisensymptome,
die sich aber nur zum Teil im wirtschaftlichen Bereich manifestieren. Als weit gravierender
wird eine tiefgreifende Sinnkrise angesehen.
Die Wahrnehmung wirtschaftlicher Probleme ist gruppen- und altersspezifisch verschieden
und stark bedingt durch persönliche Betroffenheit. So sehen die - überwiegend
zur älteren Generationen zählenden - NPD-Anhänger, die selbständig
sind, durch die wirtschaftliche Entwicklung primär ihren sozio-ökonomischen
Status bedroht, während JN-Mitglieder ebenso wie andere Jugendliche (Punker;
Rocker) die Jugendarbeitslosigkeit als wichtigsten sie betreffenden Mißstand
betrachten.
Der Ruin mittelständischer Betriebe und die Zerstörung des Mittelstands
überhaupt wird bei der Aufzählung der einzelnen Krisenphänomene (Energiekrise,
Rohstoffverknappung, Wachstumskrise) als besondere Gefahr bezeichnet.
Als Hauptursache für die Sinnkrise wird auf der Wertebene der Materialismus
angesehen. "Der Wohlstand ist das Verderben für das Volk." Hinzu
treten "Liberalismus und Kommunismus", "die Totengräber Deutschlands".
Die Erosion traditioneller Werte bringen vor allem Angehörige von JN und NPD
in Zusammenhang mit der "Umerziehung" nach dem Zweiten Weltkrieg.
Beklagt wird von fast allen die einseitige Ausrichtung auf materielle Werte und
der Mangel an Idealen, so daß die Deutschen zu "einem Volk von Konsumenten"(JN-Mitglied)
degeneriert seien, die sich kaum mit geistigen Problemen auseinandersetzten und
daher auch kaum in der Lage seien, den wahren Zustand des deutschen Volkes zu erkennen
und daraus politische Konsequenzen zu ziehen.
Am ausführlichsten beschreiben die Angehörigen der Öko-Gruppen, vor
allen die Ludendorffer, die aus dem rein materiellen Streben resultierenden negativen
Konsequenzen. Es werde ein neues Bewußtsein geschaffen, in dem Wohlstands-
und Luxusdenken, Verschwendung und Überfluß dominierende Werte seien,
Dies führe zu überhöhten Anforderungen, zu Entwurzelung, Verlust
der naturgegebenen Werte und zur Verleugnung deutscher Traditionen. Die Folge seien
die allmähliche Auflösung der Familie, eine Orientierungslosigkeit der
Jugend, die Verweigerung gesellschaftlicher Verpflichtungen zugunsten egoistischen,
materiellen Luststrebens, Arbeits- und Leistungsunwilligkeit und ein Zerfall der
öffentlichen Moral.
Den Zusammenhang zwischen wachsenden materiellem Wohlstand und sittlichen Auflösungserscheinungen
wird von Befragten aus allen Erhebungsbereichen gesehen. Teilweise wird die Beweisführung
sogar mit historischen Beispielen untermauert bis hin zum Untergang des römischen
Reiches.
Als eines der Hauptsymptome für die zunehmende Dekadenz in unserer Gesellschaft
gilt die auf den Materialismus zurückgeführte Kinderfeindlichkeit und
der damit verbundene Bevölkerungsrückgang. Scharf verurteilt wird daher
die Liberalisierung des 218. Eine Abtreibung sollte nach Meinung eines NPD-Anhängers
allenfalls erlaubt werden "bei Vergewaltigung durch eine Neger oder so".
Für manche Sektenanhänger besteht der Sinn des Lebens ohnehin vor allem
im "Kinderkriegen", so daß sie die Ergebnisse der Entwicklung in
den letzten Jahren nur als "Satansfrüchte" bezeichnen können.
Mit großem emotionalen Engagement wird jegliche Liberalisierung der Sexualmoral
abgelehnt, wobei fast immer die gleichen Themen angesprochen werden: Sex- und Pornowelle,
Sexualunterricht, Verbreitung der Anti-Baby-Pille, Zusammenleben Unverheirateter,
öffentliche Verteidigung von Homosexualität.
Radikale andere Ansichten vertreten hier allerdings Rocker und Punker.
Weitere Kennzeichen für die allmählich zu einer "Katastrophe"
führende sittliche Dekadenz unserer Gesellschaft sind neben einem rücksichtslosen
Egoismus und einem Mangel an vertrauensvollem Zusammenleben die aus der Haltlosigkeit
der Jugend erwachsenden Probleme: Alkoholismus, Drogenkonsum, Kriminalität.
Politisch verantwortlich für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände
ist das nach 1945 etablierte System, das eine "Konsumgesellschaft" ohne
Ideale mit sich gebracht hat.
Weit verbreitet sind besonders in diesem Zusammenhang antiamerikanische Ressentiments,
die zum Teil von Kritik am Kapitalismus bzw. "US-Imperialismus" begleitet
werden. "Die Amerikaner haben uns den Augiasstall gebracht" und die Deutschen
systematisch ihre eigenen Kultur entfremdet.
Personengruppen, denen für die Verfestigung der heutigen Zustände besondere
Verantwortung zugeschrieben wird, sind neben den Parteien (bei NPD- und JN-Mitgliedern
natürlich abgesehen von der NPD) und Gewerkschaften auch Lehrer und Studenten,
die Politiker mit falschen Zielvorstellungen und Journalisten, gegen die sich heftige
Emotionen richten. "Das Volk wird von diesen Schreiberlingen systematisch vergiftet,
Sex und Kritik bestimmen das Bewußtsein der Öffentlichkeit." Bei
den Politikern gelten Brandt, Wehner und Bahr als Symbolfiguren dafür, wie
weit die Kommunisten die Bundesrepublik bereits haben zersetzen können.
Ökologische Sehnsüchte
In jüngster Zeit mehren sich die Berichte über Verbindungen rechtsextremer
Gruppen zur Ökologie-Szene. Tatsächlich mögen in erster Linie opportunistische
oder wahltaktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, wenn etwa die "Grüne
Liste Umweltschutz" in Rheinland-Pfalz auf Veranlassung der NPD gegründet
wurde. Auf Grund unseres Materials ergeben sich jedoch auch inhaltliche Beziehungen,
die eine Verbindung zwischen Rechtsextremen und bestimmten Öko-Gruppen plausibel
erscheinen lassen.
Faßt man den Bereich "Ökologie" etwas breiter als nur die physische
Umwelt betreffend, die es vor Zerstörung zu schützen gilt, und bezieht
man politische, ethische, kulturelle und andere Wertvorstellungen mit ein, so wird
rasch deutlich, daß aus der Sicht der Rechtsextremen eine viel umfassendere,
meist nostalgisch verklärte "Umwelt" bedroht ist, die es zu bewahren
bzw. wiederherzustellen gilt.
Die ökologische Argumentation setzt zunächst an der physischen Umweltverschmutzung
an und mündet dann in eine generelle Zivilisationskritik. Mit anderen Worten:
Man spricht beispielsweise von den gesundheitlichen Folgen der Chemisierung, der
Anwendung von Insektengift etc., sucht dann die Brücke zu nichtmateriellen
Ökologie-Bereichen, etwa in einer idealisierenden Sicht der Funktion des Bauern
"Kultur ist ein gärtnerischer Vorgang, ist Teilhabe am Wachsenden"),
um schließlich beim Vorbild des alten Cato zu enden, "der morgens seinen
Acker bestellt und nach Feierabend Weltpolitik macht".
Es verwundert kaum, wenn ein solches in sich stimmiges Weltbild, in dem der Beruf
sowie politische und kulturelle Werte vollendet harmonieren, als Ideal betrachtet
wird, an dem gegenwärtige Zustände gemessen werden. Und es liegt nahe,
daß zumindest unterschwellig die negativen Folgen der technischen Entwicklung
auch ein negatives Bild der Auswirkungen des sozialen Wandels in anderen Bereichen
begünstigen: Zersetzung der überkommenen Werte, Entwurzelung des einzelnen
aus seinen angestammten Bindungen, die eine "pluralistische Gesellschaft nicht
kompensieren könne. Auch die Konfliktfeindlichkeit, die der Aversion gegen
Parteien und Gewerkschaften häufig zugrunde liegt, dürfte in der Sehnsucht
nach der "heilen Welt" eine wichtige Wurzel haben. Das ganze Spektrum,
das ein so verstandener Ökologie-Begriff umfassen kann, zeigt ein Flugblatt
der "Deutsch-Völkischen-Gemeinschaft": Vom Kampf gegen Umweltverschmutzung
über die Ablehnung von Ehen mit Ausländern und das Verbot von Abtreibungen
bis zum Postulat, unsere Bauern zu fördern.
Ein bevorzugtes Thema aller Öko-Gruppen ist die Kritik am weiteren Ausbau von
Kernkraftwerken. Von rechtsextremen Gruppierungen wird dabei mit drei Hauptargumenten
operiert:
Ein forcierter Einsatz der "Atomenergie" bringt unabsehbare Gefahren für
die Volksgesundheit mit sich.
Regierung und "Atomindustrie" informieren falsch, Forschungsergebnisse
werden verheimlicht etc. Offenbar spielen dabei auch Befürchtungen eine Rolle,
durch Strahlungsschäden könnten Erbschäden, Manipulationen des "Rasseerbguts"
eintreten.
Die Bundesrepublik läßt sich danach auch militärisch nicht mehr
verteidigen. "Volltreffer auf Atomkraftwerke" machen eine Verteidigung
illusorisch. Die Bundesrepublik wird damit erpreßbar durch Feinde von außen
und im Innern (zum Beispiel Terroristen). Zusammen mit dem ungelösten Entsorgungsproblem
stellt sich für Rechtsextreme die Frage, ob sich die Bundesregierung bewußt
(also nicht nur fahrlässig) über die Interessen des "Deutschen Volkes"
hinwegsetze. Mit dem Hinweis auf die Gefährdung der im Grundgesetz garantierten
Unversehrtheit wird unter Berufung auf Art. 20 GG sogar zum Widerstand gegen die
Regierung aufgerufen.
Allerdings wird die Anwendung der Kernenergie auch in rechtsextremen Kreisen nicht
einhellig verurteilt. Die _Deutsche Nationalzeitung_ plädiert "aus energiepolitischer
Notwendigkeit" für einen Ausbau der Kernkraftwerke, freilich bei "noch
mehr Vorsicht" und "noch mehr Sicherheitsmaßnahmen" (Nationalzeitung,
13.4.1979)
An positiv formulierten Zielsetzungen wird von den rechten Öko-Gruppen eine
Förderung des Völkischen, Bodenständigen, der natürlichen Lebensformen
propagiert. Im Mittelpunkt steht dabei eine Wiedergesundung der deutschen Familie
und des deutschen Bauerntums.
Durch eine Rückkehr zu traditionellen wirtschaftlichen Strukturen, zu auf Autarkie
angelegten mittelständischen Betrieben, soll wieder eine "echte Gemeinschaft"
im Volk und eine größere Bürgernähe von Staat und Verwaltung
erreicht werden. In gemäßigter Form heißt das: Die Veränderungen
werden auf evolutionären Wege angestrebt. Ziel ist ein Wachstum ohne den Einsatz
von Kernenergie, aber auch ohne Maschinenstürmerei.
Die Haltung zur gesamten Öko-Bewegung ist bei den rechten Öko-Gruppen
höchst ambivalent. Das sich ausbreitende ökologische Bewußtsein
wird zwar begrüßt, selbst fühlt man sich aber weniger als Teil der
Öko-Bewegung denn als Teile der nationalistischen Bewegung, die schon immer
ökologische Lösungen vertreten habe.
Für JN-Mitglieder bietet die Öko-Bewegung dagegen trotz "linker Unterwanderung"
eine "aufgeschlossenes Potential für volkshaftes Denken", zum Beispiel
bei den badisch-elsässischen Protestaktionen gegen Kernkraftwerke am Oberrhein.
Mehrere Gesprächspartner sehen Ansatzpunkte für punktuelle gemeinsame
Interessen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit linken Öko-Gruppen
und betrachten den Umweltschutz-Bereich grundsätzlich als zukunftsträchtiges
Aktionsgebiet für JN und NPD.
aus: 5 Millionen Deutsche "Wir sollten wieder einen Führer haben.."
Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt