Ausländer raus!
Natürlich sind die Deutschen nicht ausländerfeindlich. Jahr für Jahr
fahren rund 15 Millionen Deutsche ins Ausland, nach Spanien und
Griechenland, in die Türkei und auf die Seychellen, nach Kenia und
auf die Bahamas. Hätten die Deutschen etwas gegen Ausländer
würden sie nicht in solchem Massen unter sie schwärmen. Zugleich
aber halten, laut Infas, 51 Prozent der Deutschen, eine knappe
Mehrheit also, die Parole "Deutschland den Deutschen!" für
weitgehend richtig, 26 Prozent unterstützen die Forderung "Ausländer
raus!".
Auf den ersten Blick scheint zwischen dem Verhalten der Deutschen
und ihrer Haltung gegenüber ein Widerspruch vorzuliegen. Er Läßt
sich aber leicht erklären. Es macht eben einen Unterschied aus, ob
man auf Mykonos Calamares ißt, sich also der Umgebung kulinarisch
anpaßt, oder vor der eigenen Küchentür mit artfremden Angeboten
wie Döner und Falafel provoziert wird. Seit der Kulturkampf
zwischen der deutschen Bratwurst und dem amerikanischen
Hamburger zugunsten des US-Imperialismus entschieden wurde, seit
Coca-Cola die letzte Erinnerung an die gute alte Faßbrause
ausgelöscht hat, steht nicht nur die ideelle Neubewertung der alliierten
Landung in der Normandie im deutschen Raum. Es müssen auch
Fragen der nationalen Identität neu gestellt und anders als bisher
beantwortet werden. Der Begriff "multikulturell" zum Beispiel, den
man in denn letzten Jahren genauso oft wie "Bruttosozialprodukt" und
"Emanzipation hören konnte, hat sich aus den öffentlichen
Diskussionen verflüchtigt. Es ist nicht zu übersehen, daß seine
fleißigsten Protagonisten sich mitten in einem Prozeß der
Umorientierung befinden. Man trifft sie, in Berlin zum Beispiel, nicht
mehr wie früher im "Terzo mondo", wo zum Schafskäsesalat
revolutionäre Musik von Mikis Theodorakis gespielt wurde, sondern -
immer öfter und immer lieber - bei "Hardtke", einem echt deutschen
Etablissement mit Eisbein, Sauerkraut und Heino.
Dies mag, zum Teil wenigstens, den Übermut des Mobs erklären,
dem sich keine moralische Instanz in den Weg stellt. Hinter jedem
Stein, der gegen ein Asylantenheim geworfen wird, steht nicht nur die
dumpfe Gewalt des wildgewordenen Lumpenproletariats, das zur
politischen Avantgarde der Republik aufgestiegen ist, die Flugbahn
der Steine und der Molowtowcoctails wird auch von der zunehmenden
Unlust der Intellektuellen bestimmt, sich durch Übungen in
angewandter Solidarität von den relevanten Dingen des Lebens
abhalten zu lassen. Die eben noch für Frantz Fanon und "Die
Verdammten dieser Erde" geschwärmt haben, wollen um keinen Preis
eine Film mit Heinz Erhard verpassen, was nicht gegen Heinz Erhard,
sondern nur vom raschen Wandel des kritischen Bewußtseins unter
veränderten Bedingungen zeugt.
So gilt es also, die Parolen "Ausländer raus!" und "Deutschland den
Deutschen" ernst zu nehmen, sie nicht als Phantastereien von
Extremisten abzutun, sondern als Vorzeichen eines Konsens, der am
nationalen Horizont aufsteigt. Was wäre nur mal so angedacht -, wenn
man alle Ausländer aus Deutschland rausschmeißen, Deutschland in
toto den Deutschen überlassen würde? Die unmittelbaren Folgen sind
bereits ermittelt worden: Die Müllabfuhr würde zusammenbrechen, in
den Krankenhäusern gäbe es nicht genug Ärzte und
Krankenschwestern, der Handel mit Gebrauchtwagen würde 70
Prozent seiner Umsätze einbüßen, in den Montagehallen der großen
Automobilwerke bliebe jeder dritte Arbeitsplatz leer. Die deutsche
Wirtschaft würde also zusammenbrechen, noch ehe der letzte Ruf
"Ausländer raus!" verhallt wäre. Die Sache selbst fängt erst da an
interessant zu werden, wo die Grenzen der Menschlichkeit nicht mehr
von der ökonomischen Vernunft gezogen werden. Wenn es in
Deutschland keine Ausländer mehr gäbe, gegen wen würde sich dann
die Wut der Pogromveranstalter wenden? Der Fremdenhaß hat nur
bedingt etwas mit den Fremden zu tun. Sie sind die Empfänger, nicht
die Ursache eines Ressentiments, das sich eine Rechtfertigung sucht
nachdem es sich entladen hat. Mann kann die Ausländer außer Landes
schaffen, aber der kollektive Affekt, der zu ihrer Entfernung geführt
hat, bliebe dem Lande erhalten. Wer käme dann an die Reihe? Die
Linkshänder? Die Radfahrer? Frauen in kurzen Röcken? Männer mit
langen Bärten? Menschen unter 1,60? Oder über 1,90? Vegetarier?
Teetrinker? Diabetiker? Opernfreunde? Hobbymaler? Würden dann
vielleicht statt elender Ausländerwohnheime Finanzämter und
Polizeipräsidien von Deklassierten und Frustrierten angegriffen, die
sich in ihrer Not nicht anders zu helfen wissen? Was wäre also los,
wenn es keine Ausländern in Deutschland mehr gäbe?
Die Frage wäre ein kleines Experiment wert. Man sollte alle
Ausländer aus dem Lande bitten, probeweise für vier bis sechs
Wochen. Dann sollten die Scharen von Demoskopen, Sozialarbeiter
und ADAC-Stauberater ausschwärmen, um die Befindlichkeit der
Bürger zu erkunden. Ginge es den Menschen in Hoyerswerda,
Rostock und Quedlinburg dann besser? Oder hätten sie rasch Ersatz
für ihre Aggression gefunden? Anders als mit einem praktischen
Versuch läßt sich die Frage nicht beantworten. Trial an error heißt die
Methode. Auch die Ausländer, die derzeit noch unter uns leben,
müßten für so ein Vorgehen Verständnis haben. Es geschähe
schließlich auch in ihrem Interesse. Wenn sie es nicht sind, die uns in
Rage treiben, könnten sie rehabilitiert wieder zurückkehren. Und
ihrerseits Forderungen stellen: "Deutsche, raus aus Deutschland,
damit's hier endlich Ruhe gibt!"
aus: H.M.Broder, Erbarmen mit den Deutschen,
(Jedem Deutschen als Geschenk zu empfehlen:-)
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt