»Es gab einmal einen Menschen, der war so dumm, daß es ihm sogar schwer fiel, am Morgen nach dem Aufstehen seine Kleider zusammenzusuchen. Eines Abends nahm er schließlich einen Zettel und notierte, wo er jedes Kleidungsstück beim Ausziehen hinlegte. Am nächsten Morgen las er vergnügt den Zettel ab: die Mütze - ah, da ist sie ! - und er setzt sie auf. Die Hosen - sieh da - er zog sie an; uns so weiter, bis er alles angezogen hatte. Aber dann kam Angst über ihn: Ja, wo bin denn ich? Wo bin ich nur geblieben. Er suchte und suchte, aber vergeblich. Er konnte sich nicht finden. - So geht es uns«, schloß der Rabbi.1
Ich werde zeigen, daß Bloch und Sartre auf verschiedene Weise das Dunkel des Augenblicks bzw. des präreflexiven Cogito zu lichten suchen.
Bei Bloch zeichnet das Dunkel des gelebten Augenblicks den metaphysischen Kern seiner Philosophie aus. D.h. dem subjektiven Dunkel korreliert ein objektives Dunkel:
»Wohl aber - entscheidend wichtig - ist die Zukunft, der Topos des Unbekannten in ihr, (...) selber nichts anderes als unser vergrößertes Dunkel in der Ausgebärdung seines Schoßes, in der Vergrößerung seiner Latenz.«2
»Der rechte Begriff eines Dings an sich - materialistisch aufgegriffen und berichtigt - bedeutet aber das Ansich als noch währendes Wurzeldunkel des materialistischen Kerns selbst, mithin die riesige kosmische Entsprechung zum Dunkel des gelebten Augenblicks.«3
Dies ist ein durchaus Schellingsches Motiv:
»Jeder, auch der, der noch übrigens in der Endlichkeit befangene, ist von Natur getrieben, ein Absolutes zu suchen, aber indem er es für die Reflexion fixieren will, verschwindet es ihm. Es umschwebt ihn ewig, aber es ist, wie Fichte sehr bezeichnend sich ausdrückt, nur da, inwiefern man es nicht hat, und indem man es nicht hat, verschwindet es. Nur in Augenblicken dieses Streits, wo die subjektive Thätigkeit sich mit jenem Objektiven in eine unerwartete Harmomie setzt, die eben deßwegen, weil sie unerwartet ist, vor der freien, sehnsuchtslosen Erkenntnis der Vernunft dieß voraus hat, als Glück, als Erleuchtung oder als Offenbarung zu erscheinen, tritt es vor die Seele. Aber kaum ist jene Harmonie gestiftet, so kann die Reflexion eintreten, und die Erscheinung flieht.«4
»Vielerlei mithin weist derart auf den wechselseitigen Zusammenhang von Dunkel und Staunen der Frage hin: zunächst negativ, sofern beide niemals selbst zu sehen sind, also letzthin unobjektiv bleiben, und dann positiver, sofern beide nicht nur formal das Novum an sich in der Welt darstellen, sondern auch material dasselbe Wir meinen, die gleiche Gegenstandsbeziehung auf die herauszugrabende Subjektivität und unser moralisch-mystisches Inkognito innehalten.«5
*
Sartres Ausgangspunkt ist das Cogito, das er als ein Abstraktum bezeichnet, sofern es von seinem cogitatum isoliert ist, es hat ebenso wie Blochs Dunkel ein objektives Korrelat. Das unmittelbare Selbstbewußtsein ist zunächst einmal unauflöslich mit dem Gegenstandsbewußtsein verknüpft:
»... jedes objektsetzende Bewußtsein ist gleichzeitig nicht-setzendes Bewußtsein von sich selbst. Wenn ich die Zigaretten in der Schachtel zähle, habe ich den Eindruck einer objektiven Eigenschaft dieser Zigarettenmenge: es sind zwölf. Diese Eigenschaft erscheint meinem Bewußtsein als die in der Welt existierende Eigenschaft. Ich muß nicht unbedingt eine setzendes Bewußtsein davon haben, daß ich sie zähle. Ich ´erkenne mich nicht als zählend´.(...) Ganz im Gegenteil, das nicht-reflexive Bewußtsein ermöglicht erst die Reflexion: es gibt ein präreflexives Cogito, das die Bedingung des kartesischen Cogito ist. Gleichzeitig ist das nicht-thetische Bewußtsein, zu zählen, eben die Bedingung meiner Additionstätigkeit«6
»Ich kann mich selber nicht erleben und innehaben. Nicht einmal dieses, daß ich jetzt rauche, schreibe, gerade dieses nicht will, als zu nah, vor mir stehen.«7
»...es gibt kein Ich auf der unreflektierten Ebene. Wenn ich einer Straßenbahn nachlaufe, wenn ich auf diese Uhr schaue, wenn ich mich in die Betrachtung eines Porträts vertiefe, gibt es kein Ich. Es gibt Bewußtsein von-der-einzuholenden-Straßenbahn usw. und nicht-positionales Bewußtsein von dem Bewußtsein. De facto bin ich also in die Welt der Objekte versenkt, sie sind es, die die Einheit meines Bewußtseins konstituieren, die sich mit Werten, attraktiven und repulsiven Qualitäten präsentieren; aber ICH bin verschwunden, ich habe mich vernichtet.«8
»Das Ego ist nicht Eigentümer des Bewußtseins, es ist dessen Objekt.«9
»Es ist freilich wahr, ´niemand kann sicher sein, daß er denkt und existiert, wenn er nicht weiß, was Denken und Existenz ist´. Dies braucht aber kein reflexives Wissen zu sein oder ein Wissen, daß auf dem Wege des Beweises erworben ist, und noch weit weniger ein Wissen von reflexiven Wissen, ... Vielmehr genügt es durchaus, daß man das weiß durch jene unmittelbare Erkenntnis, die der reflexiven immer vorangeht.«10
Das Bewußtsein existiert als Zirkel, der freilich keinen vitiösen Zirkel beinhaltet, denn dieser würde besagen, daß dem Bewußtsein ein neues Bewußtsein hinzugefügt werde, das als Grund des ersten fungiert, aber gleichzeitig aus ihm vorab hergeleitet wäre:
»Dieses Bewußtsein (von) sich dürfen wir nicht als ein neues Bewußtsein betrachten, sondern als den einzig möglichen Existenzmodus für ein Bewußtsein von etwas.«12
An Descartes kritisiert Sartre deswegen die Substantialisierung des cogito, ihm gilt das cogito als ein nicht-substantielles Absolutes:
»Der ontologische Irrtum des kartesischen Rationalismus besteht darin, nicht gesehen zu haben, daß, wenn sich das Absolute durch den Primat der Existenz vor der Essenz definiert, es nicht als eine Substanz erfaßt werden kann. Das Bewußtsein hat nichts Substantielles, es ist eine reine ´Erscheinung´, insofern es nur in dem Maß existiert, wie es sich erscheint. Aber gerade weil es reine Erscheinung ist, weil es eine völlige Leere ist (da die ganze Welt außerhalb seiner ist), wegen dieser Identität von Erscheinung und Existenz an ihm kann es als das Absolute betrachtet werden.«13
»Dieses Cogito setzt freilich kein Objekt, es bleibt innerhalb des Bewußtseins. Aber es ist dem reflexiven Cogito nichtsdestoweniger homolog, insofern es als die erste Notwendigkeit erscheint, daß dieses von ihm selbst gesehen wird; es enthält also ursprünglich diese aufhebende Eigenschaft, für einen Zeugen zu existieren, obwohl dieser Zeuge, für den das Bewußtsein existiert, es selbst ist.«14
»Denn das präreflexive Bewußtsein ist Bewußtsein (von) sich. Und eben diesen Begriff Sich muß man untersuchen, denn er definiert das Sein des Bewußtseins selbst.«15
Dies bedeutet allerdings nicht eine Reduktion des Seins auf das Denken, denn Sartre unterscheidet ausdrücklich das im Bewußtsein erscheinende Seinsphänomen vom bewußtseinstranszendenten Sein des Phänomens.
»...das Seinsphänomen ist ontologisch in dem Sinn, wie man den Gottesbeweis des heiligen Anselm und des Descartes ontologisch nennt.«17
»Das Sich kann nicht als ein reales Existierendes erfaßt werden: das Subjekt kann nicht Sich sein, denn die Koinzidenz mit sich läßt, wie wir sahen, das Sich verschwinden. Aber ebensowenig kann es Sich nicht sein, da das Sich Anzeige des Subjekts selbst ist. Das Sich stellt somit eine ideale Distanz in der Immanenz des Subjekts zu sich selbst dar, eine Weise, nicht seine eigene Koinzidenz zu sein, der Identität zu entgehen.«18
Das Bewußtsein dagegen hat es mit sich selber zu tun und dem entspricht im Für-sich der »Spalt im Inneren des Bewußtseins«. Sartre möchte allerdings die erste Spontaneität des präreflexiven Bewußtsein nicht einem Trieb, unbewußten Willen überlassen, das verbietet das Konzept der Transluzidität des Bewußtseins, die auch die moralische Implikationen des Bewußtseinsmodells, nach dem Verantwortlichkeit an Wissen und Erkenntnis gebunden ist, bedingt. Das Präreflexive wird wie ein Reflexives gewertet. Dadurch kommt auch in jenes eine duale Struktur hinein, die dieser nachgebildet ist. Dadurch entsteht ein Widerspruch zwischen einer Konstruktion totaler Verantwortlichkeit und Freiheit, einer absoluten Ermächtigung des Bewußtseins und seiner Entmächtigung zugleich, denn diesem wird auch Verantwortung zugesprochen für das, was es nicht wissen konnte und was sich der Verfügung entzieht, wie die situativen Bedingungen der Geburt, die unabänderliche Vergangenheit und der Ort an dem ich mich gerade befinde.
Das ego cogitans Sartres hat zwei Bedingungen, einmal das An-sich-Sein des Existierenden, das es nicht selber ist und seine präreflexive Existenz, das Sein des Bewußtseins, das es immer schon ist. Wir haben also zweierlei transphänomenales Sein, das Sein der Phänomene (An-sich-sein) und das Sein des Bewußtseins(Für-sich-sein), das dem Phänomen des Seins (dem Für-uns-sein) gegenübergestellt wird. Dies wiederum ist nicht damit zu verwechseln, daß das An-sich und Für-sich als nichtmenschliches und menschliches Sein unterschieden wäre. Das menschliche Sein ist nur als der Unterschied von Für-sich und An-sich:
»Wir hatten bereits in der Einleitung das Bewußtsein als einen Ruf nach Sein entdeckt und gezeigt, daß das Cogito unmittelbar auf ein An-sich-sein als Gegenstand des Bewußtseins verwies. Aber nach der Beschreibung des An-sich und des Für-sich erschien es uns schwierig, zwischen beiden eine Verbindung herzustellen, und wir fürchteten, in einen unüberwindlichen Dualismus zu geraten. Ein solcher Dualismus drohte uns noch auf andere Art: insofern man nämlich vom Für-sich sagen konnte, daß es ist, befanden wir uns zwei radikal verschiedenen Seinsmodi gegenüber, dem des Für-sich, das das zu sein hat, was es ist, das heißt, das das ist, was es nicht ist, und das nicht das ist, was es ist, und dem des An-Sich, das das ist, was es ist. Wir haben uns daraufhin gefragt, ob die Entdeckung dieser beiden Seinstypen nicht auf einen Hiatus hinausliefe, der das Sein, als allen Existierenden zukommende allgemeine Kategorie, in zwei nicht kommunizierbare Regionen spaltet, in deren jeder der Seinsbegriff in einer ursprünglichen und besonderen Bedeutung erfaßt werden müßte.
Unsere Untersuchungen haben uns ermöglicht, die erste Frage zu beantworten: das Für-sich und das An-sich sind durch eine synthetische Verbindung vereinigt, die nichts anderes ist als das Für-Sich selbst. Das Für-sich ist nichts andres als die reine Nichtung des An-sich; es ist wie eine Seinsloch innerhalb des Seins. (...) das Für-sich erscheint als eine winzige Nichtung, die innerhalb des Seins ihren Ursprung hat; und diese Nichtung genügt, damit dem An-sich eine totale Umwälzung geschieht. Diese Umwälzung ist die Welt.«19
Sartre geht von einer einheitlichen und individuellen Grundgestimmtheit aus, die weder vom Ich abhängig ist, noch des Ichs bedarf. Die »existentielle Psychoanalyse« hat die Aufgabe den ursprünglichen Entwurf freizulegen, der zwar im präreflexiven Bewußtsein ist, also bekannt aber nicht erkannt ist. Erst im reflexiv gewordenen Bewußtsein wird das auftauchende Ich zum Zeichen von Persönlichkeit. Das Ich steht auf dem Boden des ursprünglichen Entwurfs, zeigt diesen aber nur unvollständig. Glaubte Sartre zuerst, daß mit dem Konzept der Intentionalität das Solipsismusproblem gelöst sei, so sieht Sartre in »Das Sein und das Nichts« Husserl an der Klippe des Solipsismus gescheitert und rekurriert auf das Selbstbewußtseinskapitel aus Hegels Phänomenologie des Geistes, das er insbesondere in den Vorlesungen Kojéves in den dreißiger Jahren kennengelernt hatte. Hegel wird anthropologisch gedeutet und das Reflexionsmodell des Selbstbewußtseins kritisiert:
»Der geniale Einfall Hegels besteht darin, mich in meinem Sein vom Anderen abhängig sein zu lassen. Ich bin, sagt er, ein Sein für sich, das nur durch ein Anderen für sich ist. (...) So scheint der Solipsismus außer Gefecht gesetzt worden zu sein.«20
Die negatorische Separation des Selbstbewußtseins vom bloßen Leben und der unorganischen Natur, die Distanzierung von Natur, ist die erste Bestimmung der Subjektivität als negatives Wesen, reines Selbstbewußtsein, das sich vom animalischen Selbstgefühl oder unmittelbaren Selbstbewußtsein unterscheidet. Es ist nicht mehr die Begierde, die auf Natur sich richtet, sondern eine Begierde, die sich auf eine andere Begierde richtet. Von hier aus ist auch zu verstehen, was mit Nichts gemeint ist, wenn Sartre davon spricht, daß das menschliche Dasein »das Sein, durch das das Nichts zur Welt kommt«21 ist. Sartre schließt sich hierbei eng an Heidegger an, wenn er schreibt, daß das menschliche Dasein »das Sein (ist), dem es in seinem Sein um das Nichts seines Seins geht«22
Die Welt des An-sich stellt Sartre die des Für-sich entgegen. Von hier aus wird die ganze Dialektik des Selbstbewußtsein verstanden, das bei Hegel mit dem Kampf um Leben und Tod beginnt, über die Unterwerfung des Menschen im Herrschaftsverhältnis geht, um in der anschließenden Emanzipation vom Herrn, als einer gleichberechtigten Anerkennung zu münden. Herr wie Knecht sind frei, aber im verschiedenen Sinne: Die Freiheit des Herrn besteht in der Distanzierung von bloßer Natur, zuerst durch das Einsetzen des Lebens im Kampf und dann nach Unterwerfung des Knechts, in der Freiheit vom faktischen Zwang zur Naturbeherrschung. Die Freiheit des Knechts gründet in der entfremdeten Arbeit, d.h. darin, daß er für den Herrn, nicht für seine eigene bloße Existenz arbeitet und damit ein Reich der Freiheit schafft, das allerdings nicht ihm zugute kommt, sondern dem Herrn. Modifiziert finden wir diese Denkfigur in der Marxschen Revolutionstheorie. Die entfremdete Arbeit des Lohnarbeiters ist von revolutionstheoretischer Bedeutung, weil diese gleichzeitig immer auch Produktion von Produktivität ist, d.h. die produktiven Kräfte menschlicher Befreiung schafft, allerdings - entgegen der affirmativ geschichtsphilosophischen Deutung dieses Sachverhalts, werden hierbei nur die Bedingungen produziert, nicht der zureichende Grund der Revolution selber. An die Dialektik der Anerkennung Hegels knüpft Sartre allerdings, wie erwähnt, modifiziert an, denn er kritisiert Hegel, weil er nur ein thetisches Bewußtsein vom Anderen kennt:
»So bleibt Hegel bei der vom Idealismus gestellten Frage - wie kann der Andere für mich Gegenstand werden? - auf dem Boden des Idealismus stehen: wenn es in Wahrheit ein Ich gibt, für das der Andere Gegenstand ist, so deshalb, weil es einen Anderen gibt, für den das Ich Gegenstand ist. Immer noch ist die Erkenntnis hier Maß des Seins, und Hegel kann sich nicht einmal denken, daß es ein Für-Andere-sein geben kann, das nicht letztlich auf ein 'Gegenstand-sein' reduzierbar ist. Deshalb kann das allgemeine Selbstbewußtsein, das sich durch alle diese dialektischen Phasen hindurch zu befreien sucht, auch seinem eigenen Geständnis einer reinen leeren Form gleichgesetzt werden: dem 'Ich bin Ich'.«23
»Um irgendwelche Wahrheit über mich zu erfahren, muß ich durch den anderen hindurchgehen. Der andere ist meiner Existenz unentbehrlich, ebensosehr wie der der Erkenntnis, die ich von mir selbst habe, unentbehrlich ist. Unter diesen Bedingungen enthüllt die Entdeckung meines Innersten mir gleichzeitig den andern, als eine mir gegenübergestellte Freiheit, die nur für oder gegen mich will. Somit entdecken wir sofort eine Welt, die wir 'Zwischen-Ichheit' (Intersubjektivität) nennen wollen, und in dieser Welt entscheidet der Mensch, was er ist und was die anderen sind.«24
»Als ich unlängst mein Vorwort zu einer Ausgabe dieser Stücke - ´Die Fliegen´, ´Bei geschlossenen Türen´ und andere - las, war ich geradezu entsetzt. Ich hatte geschrieben: ´Gleich, unter welchen Umständen, in welcher Lage: der Mensch ist stets frei, zu wählen, ob er ein Verräter sein will oder nicht....´ Als ich das las, habe ich mir gesagt: ´Unfaßbar, daß ich das wirklich gesagt habe!´
Heute würde ich den Begriff der Freiheit folgendermaßen formulieren: Freiheit ist jene kleine Bewegung, die aus einem völlig gesellschaftlich bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht in allem das darstellt, was von seinem Bedingtsein herrührt.« 25
Moralphilosophie und Metaphysik der Innerlichkeit beziehen sich - ähnlich wie bei Sartre - auf das »sich in Existenz Verstehen« Kierkegaards, von dem Bloch meinte, er hätte ihn »bedeutungsvoller als dieser (Hume MB) aus dem dogmatischen Schlummer«26 geweckt. Ähnlich wie bei Sartre macht das »Daß« des Existierens das Unkonstruierbare der daran sich entzündende Frage aus. Das Dunkel des gelebten Augenblicks, der nie da ist, bezieht sich auf ein Selbst, das ebensowenig da ist. Die Anfänge Blochscher Schriften verweisen immer wieder auf diesen Sachverhalt. Die erste Fassung von Geist und Utopie formuliert:
»Wir haben kein Organ für das Ich oder Wir, sondern liegen uns im gelben Fleck, im Dunkel des gelebten Augenblicks, dessen Dunkel letzthin unser eigenes Dunkel, uns Unbekanntsein, Vermummt und Verschollensein ist, wie denn alles Zerfließende darin aus dem derzeitigen Zustand der Subjekte herstammt als der noch zerstreuten, ungesammelten, dezentralisierten, wenngleich nie abreißenden Funktion des Bewußtseins überhaupt.«27
»Hier wie dort tritt der gelebte Augenblick, das Wirsubjekt an sich selbst aus dem Flor des falschen Bewußtseins in immer unabgelenkteren Selbstobjektivierungen seiner Nähe als wirklich hervor.«28
Dies ist aber kurz vor der Jahrtausendwende viel mehr als 1923 gar nicht so wirklichkeitsuntüchtig, obgleich die utopischen Erwartungen weniger groß sein dürften. Die Disjunktion zwischen Nahzielen, konkret erreichbaren Zielvorstellungen und dem Fernziel, der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die Frieden mit der Natur schließt, erscheint keine vollständige mehr zu sein. Denn wir sind heute in eine ähnliche Lage geraten, in der die alten Sozialutopisten waren, deren Utopien verdammt dazu waren, abstrakt zu bleiben:
»Besonders Sozialutopien konnten abstrakt sein, weil ihr Entwerfen mit der vorhandenen gesellschaftlichen Tendenz und Möglichkeit nicht vermittelt war; und sie konnten nicht nur, sondern mußten abstrakt sein, sofern sie - genau wegen der vorhandenen Tendenzen und Fälligkeiten - zu früh kamen. Darum bildeten die Utopisten eine neuere bessere Welt oft allzu unvermittelt aus ihrem Herz und Kopf...«30
»Die Entwürfe der idealen Gesellschaft blieben stets abhängig von der bestehenden. Auch dort, wo die Philosophie vorgibt, das Verhältnis von Macht und Recht nach abstrakten Prinzipien zu konstruieren, gehen positiv oder negativ Kategorien der bestehenden Gesellschaft in sie ein.«31
Daraus zu schließen, die Menschenrechte - z.B. von der NATO zu Kriegszwecken instrumentalisiert - seien nichts als die Herrschaftslegitimation des Imperialismus, würde nur die Lebenslügen ehemaliger totalitärer Ideologien wiederholen. Zu leugnen, daß sie auch Herrschaftslegitimation, Ideologie darstellt, begeht selber den Verrat an den Menschenrechten, den solche Argumentation dem Imperialismus vorwirft. In der kapitalistischen Marktgesellschaft sind Menschenrechte nur dann gern gesehen, wenn sie dem reibungslosen Funktionieren des Betriebs dienlich sind; stören sie die Geschäfte, etwa in der VR China, werden sie suspendiert. Ebenso finden wir keine Menschenrechtsdeklarationen gegen das Prinzip der Lohnarbeit auf der Basis der Einsicht, daß Menschenrechte nur in einer gesellschaftlichen Situation realisiert werden können, in denen die sozialen Umstände Freiheit, nichtrepressive Gleichheit und Würde zulassen. Darum könnte man einen Satz Horkheimers variieren: Wer aber vom Sozialismus nicht reden will, sollte auch von den Menschenrechten schweigen.
Es ist genau eines der Elemente einer aporetischen Situation, die den Hiatus von Nahziel und Fernziel bedingt. Konnte konkrete Utopie - etwa die Marxens - in den gesellschaftlichen Bedingungen selber Tendenzen zur Befreiung als reale Möglichkeit aufzeigen, so benötigen wir heute etwas mehr Phantasie und genau der radikal-subjektiven Impulse, die in der Philosophie Sartres allzu stark vertreten sind, um zu versuchen, die Bedingungen der realen Möglichkeit der Realisierung des Fernziels überhaupt erst herzustellen. Zwischen Nah- und Fernziel schiebt sich in dieser Art und Weise ein mediales Ziel. Wenn die objektive Tendenz die Menschen nicht dazu drängt, dann gewinnt der voluntative Faktor, der freie Wille unfreiwillig ein Gewicht, das er verlieren müßte, wenn das Fernziel dem nahen sich wieder angliche. Wir müssen die Freiheit wollen oder wir verfallen dem Determinismus oder gar einem Fatalismus, der übersieht, daß wir es ja sind, die die gesellschaftlichen Verhältnisse produzieren und reproduzieren und daher sie auch bei entsprechenden Willen ändern könnten. Die objektiven Gegebenheiten zwingen nicht das Verhalten auf, sondern nur die Wahl der nahen und medialen Ziele, mittels deren Realisierung wir auch das »ökonomische Bewegungsgesetz« des Kapitals außer Kraft setzten könnten. Dessen bloß relativen Determinismus in einen absoluten psychologischen Determinismus zu transformieren, ist ein Entschuldigungsverhalten der Resignierenden, die, nachdem der Wärmestrom des Marxismus, von dem Bloch spricht, ein wenig erkaltet ist, mit dem, was bloß ist schließlich sich identifizieren und diese Resignation vor sich und anderen rationalisieren.
»Der psychologische Determinismus ist, bevor er eine theoretische Konzeption wird, zunächst ein Entschuldigungsverhalten. Er ist ein reflexives Verhalten gegenüber der Angst, er behauptet, daß es in uns antagonistische Kräfte gibt, deren Existenztypus dem der Dinge vergleichbar ist, er versucht die Leeren, die uns umgeben, auszufüllen, die Verbindungen der Vergangenheit zur Gegenwart, der Gegenwart zur Zukunft wiederherzustellen, er versieht uns mit einer Natur, die unsere Handlungen hervorbringt, und er macht aus eben diesen Handlungen transzendente, er stattet sie mit einer Inertheit und einer Exteriorität aus, die ihnen ihren Grund in anderem als in ihnen selbst zuweisen und die außerordentlich beruhigen, weil sie ein unaufhörliches Spiel von Entschuldigungen konstituieren, er leugnet diese Transzendenz der menschlichen Realität, die sie in der Angst jenseits ihres eigenen Wesens auftauchen läßt; indem er uns darauf reduziert, immer nur das zu sein, was wir sind, führt er gleichzeitig die absolute Positivität des An-sich-seins in uns wieder ein und integriert uns wieder in das Sein. Aber dieser Determinismus als reflexive Abwehr der Angst bietet sich nicht als eine reflexive Intuition dar. Er vermag nichts gegen die Evidenz der Freiheit, deshalb bietet er sich als Zufluchtsglaube dar, als das ideale Ziel, zu dem wir vor der Angst fliehen können.«32
»Wir wollen die Freiheit um der Freiheit willen und durch jeden besonderen Einzelumstand hindurch. Und indem wir die Freiheit wollen, entdecken wir, daß sie ganz und gar von der Freiheit der anderen abhängt. Gewiß hängt die Freiheit als Definition des Menschen nicht vom andern ab, aber sobald ein Sichbinden vorhanden ist, bin ich verpflichtet, gleichzeitig mit meiner Freiheit die der anderen zu wollen, und ich kann meine Freiheit nicht zum Ziel nehmen, wenn ich nicht zugleich die der andern zum Ziel nehme.«33
»Das Individuum verlangt seine Erfüllung als Individuum, die Anerkennung seines konkreten Seins und nicht das objektive Auseinanderlegen einer allgemeinen Struktur. Ohne Zweifel setzen die Rechte, die ich beim anderen geltend mache, die Allgemeinheit des Selbst; die Achtbarkeit der Personen verlangt die Anerkennung meiner Person als allgemeiner. Aber es ist mein konkretes individuelles Sein, das in dieses Allgemeine einfließt und es ausfüllt, für dieses Da-sein beanspruche ich Rechte, das Einzelne ist Träger und Grundlage des Allgemeinen; das Allgemeine kann in diesem Fall keine Bedeutung haben, wenn es nicht zum Zwecke des Individuellen existiert.«34
»Nun aber erkennt er die Tatsache an, daß die Existenz des Menschen in der empirischen Wirklichkeit auf eine solche Weise organisiert ist, daß seine Freiheit völlig ´entfremdet´ ist und daß nichts als eine revolutionäre Veränderung in der Struktur der Gesellschaft die Entfaltung seiner Freiheit wiederherstellen kann. Wenn das wahr ist, wenn durch die Organisation der Gesellschaft die Freiheit des Menschen in solchem Ausmaße entfremdet sein kann, daß sie fast zu existieren aufhört, dann ist menschliche Freiheit wesentlich nicht durch die Struktur des ´Für-sich´ bestimmt, sondern durch die spezifischen historischen Kräfte, welche die menschliche Gesellschaft formen.«35