Wagner und der Antisemitismus (Zusammenfassung von P.L. Rose)

 

Eine Opernkarriere


Wagners Opern tragen eine schwerere antisemitische Last, als diemeisten Apologeten, aber auch neutralen Kritiker bisher zuzugebenbereit waren. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist sowohl inInszenierungen als auch in der Wagnor-Forschung gern ihr »klar«revolutionärer Gehalt herausgestellt worden. Daß der Ring wenigereine Geschichte atavistischer germanischer Helden als eine Allegorieauf die Welt der Macht und des Kapitalismus, des Geldes und derHerrschaft, der starren Ordnung und des falschen Bewußtseins sei, dasselbst die Liebe unterdrückt - daß es darin in Wirklichkeit um dasJungsche Liebesverlangen, um die Erlösung des Menschen gehe -, alldas wird in modernen Inszenierungen des Zyklus häufig dargetan.Leider ist dabei weitgehend außer acht gelassen worden, daß derAntisemitismus ein Eckpfeiler jenes revolutionären Gedankengebaudeswar, das im Ring und in den theoretischen Schriften des Komponistenzutage tritt. Wagners Antisemitismus ist nichts Nebensächliches, dasman bedauern und einfach beiseite schieben kann, wenn man sich mitseiner Revolutionsideologie oder deren Ausdruck in seinen Musikdramenauseinandersetzt. Im Ring eine Verherrlichlmg der Revolutionsidee zusehen und gleichzeitig seinen antisemitischen Hintersinn zu leugnenist ein Widerspruch in sich.

Durch praktisch alle Opern Wagners zieht sich wie ein roter Faden derHaß auf das Jüdische, wenn auch in den frühen weniger offensichtlichund bestimmend. So sehen zum Beispiel im Fliegenden Holländer dieDorfbewohner in der Ankunft des Geisterschiffs nur eine Gelegenheit,Geschäfte zu machen während sich in der Heldin beim Anblick desHolländers die Hoffnung auf Erlösung, auf eine grundlgende -revolutionäre - Vänderung ihres Daseins regt. Unter der romantischenOberfläche gibt es einen Subtext, der die Geldgier der Dorfbewohnerals das spezifisch Jüdische in der bürgerlichen Gesellschaftausweist. Selbst in Tristan, der Wagner-Oper mit dem geringsten"Praxis"-Bezug, fehlt das jüdische Element nicht. Erlösung bedeutetdort Selbstentäußerung und Aufgabe des egoistischen Willens: unddieser ist bekanntlich aufs vollkommenste in den Juden verkörpert diesich ihren Gott nach dem Bilde ihres eigenen Willens formen. In denMeistersingern - deren Schlußchor immer als eine Akklamation derpolitischen Überlegenheit des deutschen Volkes verstanden wurde,jetzt aber oft zu einer Hymne auf die deutsche Kunst verharmlost wirdbegegnen wir dem Ideal der Erlösung durch wahre deutsche Liebe undwahre deutsche Kunst. Doch die Oper muß im Kontext der in densechziger Jahren entstandenen "deutschen" Schriften gesehen uerden.Wie Deutsche Kunst und deutsche Politik enthüllt, hatte Wagner beimSchlußchor übor deutsche Kunst eine "deutsche Rovolution" aufpolitischem Gebiet im Sinn die mit der Renaissance wahrer deutscherKunst einhergehen würde. Mögen sich die politischen undkünstlerischen Elemente der deutschen Revolution formal auchunterscheiden, im Bewußtsein sowie im praktischen Leben gehen sieineinander über.

Der Ring hat sich fur Inszerierungen, die ihn als eine Allegorie aufdas bürgerlich-kapitalistische, kurz vor einer Revolution stehendeDeutschland des 19.Jahrhunderts deuten, als wahre Fundgrube erwiesen.Die ihm zugrundeliegende Schreckensvision einer von Machthunger undHerrschaftsstreben getriebene Welt - beide Tendenzen galten demdeutschen Revolutionsschrifttum seit jeher als wesenhaft "judisch" -ist in den  habgierigen Nibelungenbrüdern Alberich und Mimepersonifiziert, die allein schon durch die Art ihres Gesangs an dasgemahnen, was Wagner im Judentum in der Musik "die semitischeAussprechweise" genannt und als "zischenden, schrillenden, summsendenund murksenden Lautausdruck" beschrieben hat. Freilich sind selbstdie germanischen Götter so sehr von jüdischen Eigenschaftenkontaminiert, daß sie, anstatt die Menschheit vom Fluch des Judentumserlösen zu wollen, im Zuge einer allgemeinen Erlösung vielmehr selbstvernichtet werden mussen. Walhall ist, wie die bürgerliche Ordnung inEuropa, archetypisch jüdisch, geht doch von dort das Bemühen aus, dieQuelle menschlicher Erlosüng zu vernichten: die Liebe selbst, jeneLiebe nämlich die in der Walküre auf Hundings Altar der bürgerlichenEhe geopfert wird. Doch am Ende triumphiert im Ring wie in denanderen Opern die Liebe und bringt die Erlösung. Trotz seines"jüdischen" Interesses an Macht und Gesetz wird Wotan von Liebe zuBrünnhilde bewegt und trägt so den Keim zu seiner Erlösung in sich.

Und hier liegt die Erklärung dessen, was oft für das Haupthindernisgehalten worden ist, Wagners revolutionären Antisemitismus in seineOpern hineinzulesen. Wie Dostojewski, dessen Judenhaß nicht minderwahnhaft war, ließ Wagner in seinen Musikdramen keine "jüdischen"Charaktere auftretell. Bei Wagner hat diese Zurückhaltung zweiGründe. Zum einen wollte er mit seiner Kunst vor allem auf dasUnterbewußtsein des Publikums einwirken. Figuren mit jüdischen Namenin die Opern einzuführen hätte diese nach seiner Auffassung zu sehrin die Nahe gesellschaftskritischer Schriften gerückt und so ihremKunstwerkcharakter geschadet. Nicht der Verstand sollte angesprochenwerden, sondern die Emotionen, die Phantasie und, nicht zuletzt, diereligiösen Bedürfnisse. Rational faßbar und klar zu sein, galt alsundeutsch: Der echte deutsche Zuschauer würde intuitiv erfassen, wasWagner ihm in der Oper mitteilen wollte, und nach der Vorstellunginnerlich verwandelt und gereinigt nach Hause gehen, vielleicht sogarohne sich dessen bewußt zu sein. Die Juden und die Franzosen imTheater mochten sich zwar einbilden, sie verstünden, worum es in derOper ging, sie wurden aber nur einer Selbsttäuschung erliegen.

Der zweite Grund, weshalb in Wagners Opern keine Juden vorkommen, istder, daß diese Musikdramen Erlösungsparabeln sind und in ihnen keinPlatz für Juden ist, für die es keine wirkliche Erlösung geben kann.Dies läßt sich an der Art und Weise zeigen, wie Wagner mit dem vonihm immer wieder aufgegriffenen Ahasver-Mythos umgeht, der bei ihmnicht als Symbol fur die Juden, sondern für die erlösungsfabigenHelden firmiert. Wotan, Tannhäuser, Lohengrin, der Holländer undschließlich Parsifal sind allesamt Wanderer und spiegeln dieprometheischen Aspekte des Mythos vom Ewigen Juden wider, der seitGoethe zum festen Motivbestand der Romantik gehörte. Dieserromantische Ahasver ist kein jüdischer Mythos, sondern steht furMenschheitsrevolution und Erlösung. Daher ist der Holländer, obgleichihn Wagner einen "Ahasverus des Ozeans" nennt, entschieden keinjüdischer Ahasver. Wagners Ewige Juden sind keine wirklichen Juden,und es liegt auf der Hand, daß sie in seinen Augen einen dem desursprünglichen Ahasver diametral entgegengesetzten Schicksalswegverfolgen, der wirklich den des jüdischen Volkos symbolisiert undeben nicht die universelle Revolution. Die Wanderungen derahasverischen Helden Wagners führen zu einem Ziel, denn sie lehrensie, Leiden zu ertragen und Mitleid zu empfinden, und enden mit derErlösung. Die Wallderungen der echten Juden aber sind sinnloseTorturen der Verzweiflung und werden bis zum Ende aller Zeiten keineErlösung bringen. Wie Ahasverus, sehnt sich der Fliegende Holländerdanach, daß sein Leiden durch den Tod ende: Dem Holländer jedoch wirddiese Erlösung durch eine Frau zuteil, während sie dem Ewigen Judenverweigert ist. In Parsifal allerdings gibt es auch eine weiblicheVersion des Ewigen Juden, namlich Kundry, die von Wagner als "eineArt von Wanderndem Juden" beschrieben wird und die wohl tatsächlichdas Judentum verkörpert. In ihren verschiedenen Masken kann die HexeKundry als Symbol fur die Verwandlungen gedeutet werden, die einfeindliches, destruktives Judentum im Lauf der Geschichte durchlaufenhat. Durch Tod und "Dienst" wird ihr schließlich Erlösung zuteil.

Wagner hält daher Juden als solche von der Bühne fern, aber dashindert seine Opern nicht daran, treue mythologischeWiderspiegelungen dessen zu sein, was er in seinen Aufsätzen als einedurch das Jüdische verdorbene deutsche Welt beklagt, von welchem siedurch "Vernichtung" oder "Untergang" erlöst werden müsse. Es gibtindes eine imaginative Einheit zwischen Wagners Opern und seinenantisemitischen Schriften der Ahasverus-Mythos, der in den Opern alsdas umgekehrte Spiegelbild figuriert, das den nichtjüdischenWanderern Erlösung gewährt und sie den Juden stillschweigendverweigert. Dem jüdischen Ahasverus im Judentum in der Musik wird dieErlösung nicht zuteil.

Nichtsdestoweniger ließ Wagner in einigen seiner Opern Figuren aufder Bühne erscheinen, die man als jüdische Karikaturen bezeichnenkönnte. Im Beckmesser der Meistersinger etwa parodierte er dasmangelnde Verständnis der Juden für wahre deutsche Kunst, währendAlberich im Ring die jüdische Gier nach Macht verkörpert. Und dannist da noch Wagners gehässigste Judenkarikatur: die Figur desKlingsor, der Geist der Verneinung, der in die Gralsbruderschaftaufgenommen werden will, aber abgewiesen wird, weil er zu wahrerLiebe unfähig ist und somit auch die Bedeutung des Grals nichterfassen kann. Wie Wagners jüdische Freunde, die sich so verzweifeltbemühten, Arier zu sein und in den Bayreuther Kreis aufgenommen zuwerden, hat sich Klingsor selbst entmannt, im Unterschied zu jenenjedoch tatsächlich. Fur Wagner bestand keine Notwendigkeit, Figurenmit jüdischen Namen in seinen Opern auftreten zu lassen. Lange bevorer sich als antisemitischer Komponist verstand, schrieb er Opern, dievon ihrem Gehalt und ihrer Struktur her tendenziell antijüdischwaren. Was dann nach 1847 geschah, war, daß er sich über diesenunterschwelligen Antisemitismus bewußt zu werden und ihn ganz gezielt- mit der Geschicklichkeit des Künstlers - in seinen weiteren Operneinzubauen begann. Solbst Wagners großer Bewunderer Thomas Mannbekannte 1940, er stelle ein Element von Nazismus fest, nicht nur inWagners fragwürdigem Schrifttum, sondern auch in seiner Musik, inseiner Dichtung, wenn auch in einem erhabeneren Sinn, obgleich er,Mann, dieses Werk so geliebt habe, daß er noch heute tief aufgewühltsei, wenn ein paar Takte aus dieser Welt an sein Ohr drängen.

Die Laufbahn eines Rebolutionärs

In einem besonderen Anfall von Großenwahn vertraute Wagner 1865seinem Tagebuch an, er halte sich für eine Verkörperung der deutschenRevolution. Worin diese besteht, erklärt er in dem Tagebucheintragund auch, daß man der deutscheIl Revolution 1813 in den Rückengefallen sei und worin seine eigene messianische Rolle bestehe, siewiedererstehe zu lassen:

"Das war anno 1813 in Deutschland anders: da liefen die 14jährigenKnaben und di 60-jährigen Männer auch in die Heerlager! Das war eineinnige, heilige Sache ... das war eine Hoffnung! Ein Deutschlandsollte werden. Was das sein sollte, das zeigte sich, als gesiegt undverrathen worden war. Da kam die Burschenschaft drarn. Da ward derTugendbund gestiftet. Alles so phantastisch, daß kein Mensch esbegreifen konnte. Aber ich hab's begriffen. jetzt begreift mich keineinziger Mensch: ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutscheGeist. Fragt den unvergleichlichen Zauber meiner Werke, haltet siemit allen Übrigen zusammen. Ihr könnt für jetzt nichts anderes sagen,als - es ist deutsch."

Vierzehn Jahre später, also 1873 zog Wagner in einerautobiographischen Skizze, die Wolzogen als eine Art "ghost-writer"für armerikaniische Leser schrieb, die Summe seiner Erfahrungen alsRevolutionär. Es ist eine bemerkenswerte Gcschichte, in dler er dieverschiedenen Strömungen revolutionärer Tradition zusammenführt. Vorallem sollte Wagners überragende Leistung präsentiert werden: Er seidie Kraft gewesen, die die grundlegenden Elemente von Revolution undDeutschtum miteinander verschmolzen habe.

Mit dem Deutschtum fing Wagner an. Die deutsche Kultur, heißt es imLebens-Bericht, sei dank der ihr innewohnenden "Idealitat" alleinanderen Kulturen überlegen und breite sich durch die wachsende Stärkedes "deutschen Blutes" in England und Amerika aus. Wagner erinnertejedoch daran, wie ebendiese deutsche Kultur in seiner Jugend durchein Netz von "der deutschen Rasse vollig fremden" kulturellenTendenzen gefährdet gewesen sei:

"Immer mehr breitete sich vor meinen Augen über das deutsche Volk dasfremdartige Gespinnst einer undeutschen Zivilisation aus, welches inzwei Farben abwechselnd schillerte, in der vergilbten Farbe derRestauration dos alten französischen Begriffs des Herrenthumes und inder röthlichen Farbe der Revolution nach dem neuen, ebenfallsfranzösischen Begriffe der 'Freiheit', deren eigenthümlichekonstitutionelle Verwebung und Ausgleichung nun doch ein drittesfremdes Element, das zu immer größerer Macht gelangende jüdische, zubesorgen unternahm. Wie anders noch hatte in der Zeit meiner Geburtdie deutsche Jugend sich die Zukunft der deutschen Kultur erträumenkönnen!"

Statt einer wahrhaft deutschen Kultur und Politik habe einefremdartige Kombination aus französischer "Reaktion" und "liberalerRevolution" floriert, befördert durch das noch fremdere "jüdischeElement", das der ganzen Idee einer deutschen Revolution fundamentalentgegengesetzt gewesen sei.

Trotz dieses ziemlich aussichtslosen politischen Klimas (fuhr Wagnerfort) hatten die Burschenschaften versucht, die Idee einer wahrendeutschen Revolution hochzuhalten, mit der Folge, daß ihr Ruf nach"deutscher Freiheit" von den deutschen Fürsten als Ausbruch einesliberalen Revolutionismus nach Art der Franzosen mißverstanden wurde.Ironischerweise begannen dann sogar andere deutsche Revolutionäre,sich diese "franzäsische Vorstellung von Revolution" zu eigen zumachen und die deutsche Sache aufzugeben. Dieser ausländischeRevolutionsgeist sei auch einer todgeweihten deutschen Literatureingeprägt worden, und zwar durch die Bewegung des JungenDeutschland, der er sich selbst mit seinem Freund Laube angeschlossenhabe, nur um erkennen zu müssen, daß sie von den Juden Börne undHeine geführt wurde, die "jenem Volke der Vermittler entstammten,dessen Einfluß von nun an mehr und mehr uber Deutschland seinethatsachlich 'internationale' Gewalt gewinneIl sollte". Auch jüdischeMusiker hatten die Idee der Revolution in ihren Werken verraten. Daseien Meyerbeers schein"revolutionäre" Musik in Les Haguenots undMendelssohn, der die "Stürme der Revolution" in einschmeichelndeSalonmusik umgeleitet habe. Das gleiche gelte für Schumannsgeschmackvolle deutsche Genrestucke, die nur ein ganz vages"deutsches" Element enthielten. So sei die revolutionäre Freiheit inder ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts verkommen. Intuitiv verwarfWagner diesen Prozeß aufs äußerste: Sein Rienzi war voll des gleichen"revolutionären Feuers", das schon in seiner früheren Oper DasLiebesverbot gelodert hatte, aber leider habe ihm noch dasentscheidende Element des "Deutschtums" gemangelt. Zu diesem habe erdann schließlich gefunden, als er die ideale Formenwelt deutscherSagen und Legenden entdeckte, die er vom Fliegen Holländer in seine"deutschen Opern" integriert habe. Da endlich sei er in der Lagegewesen, sich eine wahre deutsche Revolution und deren künstlerischenAusdruck vorzustellen: "Eine neue Welt tat sich mir auf.«

Durch den Erfolg seines Rienzi nach Deutschland zurückgerufen, habeer, so Wagner weiter, große Dinge erwartet, doch    während seines Aufenthalts in Dresden in den vierziger Jahren    seien ihm nach und nach die Augen geöffnet worden über den    tatsächlichen Zustand der deutschen Kultur und Politik, wozu    noch die persönliche Enttäuschung über die bürgerliche Philisterwelt    hinzugekommen sei, von der er abhängig gewesen war:

"... desto schärfer auch mußte ich erkennnen, daß es noch keineAllgemeinheit gab, an welche ich mich vertrauensvoll wenden könnte.Das deutsche Volk hatte sein eigenes Wesen noch nicht wiedergefunden,owohl die Begriffe deutscher Freiheit und Einheit seinen politischenSchwärmern und Schwätzern immer geläufigere Phrasen wurden ... sobrachte es doch andererseits meine Stellung mit sich, daß ich auchhier, um der Existenz willen die Wahrheit meines Wesens und meinerMeinungen vielfach hinter dem verhaßten Heuchelscheine einer sozialenKonvention verbergen mußte ... umso tiefer erkannnte ich nun auch ...daß ich in dieser Welt, sowohl als Künstler und als Deutscher.wiederum durchaus ein Fremder sei. In meiner Abscheu gegen diebestehenden Kulturzustände überhaupt und meiner Sehnsucht nachBefreiung von ihnen begegnete ich mich nun mit dem rings um mich herimmer stärker sich regenden allgemeinen revolutiorären Geiste." (S.35ff.)

Aber Wagner war von der daraus folgenden Revolution von1848 enttäuscht gewesen, deren Parteiengezank das deutscheFreiheitsstreben erstickt habe:

"In der Geschichte hatte mich von jeher nur der Trieb desMeneschlichen in seiner Empörung gegen hemmenden, zum Unrechtgewordenen historisch-juristischen Formalismus angezogen undbegeistert ... Als ich mich von den ganz in den Interessen der Zeitbefangenen Politikern mit dieser Mahnung an den wahren Kern derRevolution durchaus mißerstanden fand, wandte ich mich von derWirklichkeit ab und wiedler meiner idealen Musik zu."

An dieser Stelle vereinigte Wagner die beiden Schlüsselideale derdeutschen "Rasse" und der "Revolution" zu einerMenschheitsrevolution, an deren Ende die Vernichtung des Judaismussteht, der die Antithese alles dessen darstellt, was menschlich, edelund ideal ist - mit einem Wort die Antithese alles dessen, was"deutsch" ist. Dies war seine Vision von revolutionärer Zukunft, eineVision der deutschen Revolution, die ihn automatisch stets auf dieJudenfrage zurückbrachte, wie Cosima in ihrem Tagebuch festhielt:"... auf dem Spaziergang sagte R.: ,Es ist mir peinlich. immer aufdas Thema der .Juden zurückzukommen, aber man kann es nicht.vermeiden, wenn man in die Zukunft blickt ..."

Revolutionäre Vernichtung, revolutionäre Erlösung

Wagners Idee einer deutschen Revolution reichte immer in den Bereichder Politik hinein. Zwar hatte er 1851 erklärt, seineRevolutionsauffassung gehe über das rein Politische hinaus: "Ich inweder Republikaner noch Demokrat oder Sozialist noch Kommunist,sondern Künstler, und als solcher, wohin auch mein Blick, meinVerlangeb und mein Wille auch sich erstrecken, durcn und durchRevolutionär, ein Zerstörer des Alten durch die Schaffung vonNeuem." Aber dieser destruktive Revolutionismus ließ sich nichtso ohne Weiteres in der Welt der Kunst und des Geisteseindämmen, wie Wagner hier vorgibt. Ein paar Monate später verrieter sich in einem privaten Brief:

"Meine ganzc Politik ist nichts witcr mehr als der blutigste Haßunsrer ganzen Civilisation, Verachtung alles desse, was ihrentsprießt, und Schnsucht nach der Natur ... daß wir Menschen sind,weiß keiner in ganz Frankreich außer höchstens etwa Proudhon -und auch der nur unklar! im ganzen Europa sind mir aber dieHunde lieber als die hündischen Meneschen. An einer Zukunftverzweifle ich dennoch nicht, nur die furchtbarste undzerstörerendste Revolution kann aber aus unsern civilisirten Bestienwieder 'Menschen' machen."

Wagner war sich sehr wohl bewußt, wie dieses revolutionäre Kredo derVernichtung auf die Juden angewandt werden sollte. Seit 1850 hatte erdie "Vernichtung" oder den "Untergang" des Judentums gefordert. Esfragt sich natürlich, was er darunter verstand. Meinte er damit, sofragen die meisten Wagner-Interpreten nur eine Vernichtung imübertragenen oder eine im konkreten physischen Sinn? Doch es heißtdas ganze Problem verkennen und eine falsche Dichotomie aufstellen,wenn man die Frage auf zwei sich gegenseitig ausschließendeAlternativen verkürzt. Bei jeder Antwort man sich zunächste denhistorischen Hintergrund des revolutionären Denkens über dieJudenfrage zur Zeit Kants und Fichtes vergegenwärtigen. Das Ideal der"Vernichrtung des Judentums" war die grundlegende Idee desrevolutionären Denkens über den Judaismus. Wie bereits mehrfachangedeutet, läßt sich der Begriff "Vernichtung", der von dendeutschen Revultionären gern im Munde geführt wurde, nicht einfachauf seine metaphorische beziehungsweise wörtliche Bedeutungreduzieren, denn er ist mehrdeutig und wandelbar. In diesersemantischen Verschwommenheit steckt recht eigentlich das Geheimnisder mythischen Suggestion, die Wortern wie Untergang und Vernichtungin der deutschen Sprache und Mentalität innewohnt.

Wenn also deutsche Autoren des 19.Jahrhunderts die Judenfrageerörterten, so war immer, egal wie abstrakt oder metaphorisch dieArgumtentation sein mochte, eine realistische, konkrete Komponentemit im Spiel. Andererseits ist in moralischen Handlungsanleitungen,die von der Notwendigkeit einer Selbstentäußerunh oder derVernichtung des alten Adam ausgehen, nicht die tatsächliche physischeVernichtung gemeint. Nietzsche etwa spricht mit diesempseudoreligiosen Erlösergestus und so auch Wagner, wenn er verkündet,er sei der "Plenipotentarius der Vernichtung". Sobald jedoch dieJudenfrage gestellt wird, tritt unweigerlich ein Element vonKonkretheit in den Bedeutungsrahmen, da Juden und Judentum jagleichzeitig als Symbole und als Realitäten zuverstehen sind.

Manchmal mag durchaus die konkrete Bedeutung deutlich hinter demmetaphorischen Gehalt zurücktreten. Als Wagner HermanIl Levi zuverstehen gab, "er - als Jude - habe nur zu lernen zu sterben",empfahl er dem unglücklichen Dirigenten natürlich nicht, Selbstmordzu begehen Aber man sollte nicht übersehen, welche Wirkung einsolches Diktum in der ohnehin empfindsamen Psyche des Adressatenhinterlassen haben muß Es läßt eine sadistische Neigung Wagnersvermuten, die sich wohl auch mit einem tatsächlichen Selbstmordabgefunden hätte, auch wenn derlei Gedanken unterdrückt wurden. (Umdiesen Aspekt seiner Persönlichkeit zu veranschaulichen, braucht mansich nur Wagners ziemlich herzlose, ja sogar etwas hämische Reaktionauf den Tod Tausigs in Erinnerung zu rufen.)

Um beurteilen zu kommen, ob Wagner von "Vernichtung des Judentums" imübertragenen oder wörtlichen Sinne sprach, muß man natürlichberücksichtigen, zu welchem Zeitpunkt er sich hierzu äußerte. 1850beispielsweise beendet er Das Ju- dentum in der Musik mit dem frommenWunsch, die Juden möchten durch einen Untergang erlöst werden, derden Fluch des Ahasverus von ihnen nehme. Hier spricht er freilichvorwiegend in einem metaphorischen Sinn, aber einem, der im Anklangan Fichte dennoch eine gewisse Sehnsucht nach einer vielleichtmöglichen konkreten Lösung der Judenfrage beinhaltet. In denAufklärungen, die dem 1869 als Broschüre neu aufgelegten Aufsatzbeigegeben sind, deutet er immerhin an, daß eine konkrete Losungvielleicht am Ende doch nicht ausgeschlossen sei. Es gebe jetzt, sagter, nur zwei Losungen der Judenfrage: Assimilation oder Vertreibung.Doch verschämt weicht er davor zuruck, Farbe zu bekennen, unter demVor wand, er sei mit den politischen Mitteln, die zweite Alternativedurchzusetzen, "nicht vertraut". Anders als einst Laube in seinemStruensee-Vorwort schreckt er aber vor einer drastischen Lösung nichtgrundsätzlich zurück. In seinen späteren Schriften, in denen einrassisch definierter Begriff des Jüdischen auftaucht, wird klar, daßsich die Juden en masse nicht assimilieren lassen. Auch wenn er Levimanchmal eine Erlösung durch die Taufe (oder den 'Tod') in Aussichtstellt, besteht kein Zweifel daran, daß Levi ihm, wie Börne imJudentum in der Musik, lediglich als Ausnahmejude gilt. Als er mitCosima über den Aufsatz Erkenne dich selbst diskutiert, in dem dasJudesein als ein unentrinnbares genetisches Faktum bezeichnet wurde,bemerkte er: "Ob die Juden überhaupt erlöst werden können, ist dieFrage, die sich uns, daran anknüpfend, aufwirft - ihr Wesenverurteilt sie zur Realitat der "Welt." Wagners Weltbild im letztenLebensjahrzehnt ist von der Überzeugung durchdrungen, daß dierevolutionäre deutsche Lösung der Judenfrage die Vertreibung seinmüsse, da eine Assimilation umöglich sei.

De Juden eine Chance auf Erlösung offenzuhalten war zweifelohne einWeg, sich seine "Humanität" zu bewahren. So konnte Wagner 1881 ineinem Brief an König Ludwig salbungsvoll erklären ".. und wen vonHumanität gegen die Juden die Rede ist, darf ich getrost Anspruch aufLob erheben." Das aber hinderte ihn nicht daran, sich im privatenKreis immer deutlicher für praktische Schritte zur Lösung derJudenfrage auszusprechen. Als Cosima ihm 1879 eine gegen die Judengerichtete Rede Stoeckers vorlas, reagierte Wagner unmißverständlich:"R. ist fur völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, daß wirklich, wiees scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfesgemacht hat." Etwas weniger optimistisch äußerte er sich dann 1880:"Jetzt sei nichts zu machen, er, R. würde aber die Jüdischen Festtageverbieten, wo sie keine Waren den Christen verkaufen, und dieprahlerischen Synagogen." Als ihn im August 1881 die Nachricht vonrussischen Pogromen erreichte, verstieg er sich gar "zu der Äußerung:'Das ist das einzige, was sich tun läßt, die Kerle hinauswerfen unddurchprüglen." Und einige Tage später,. so liest man in CosimasTagchuch: "Die Zeitung bringt wieder Nachrichten von Hetzen gegen dieJuden in Rußland, und R. meint, es gäbe nur das, Äußerurng derVolkskraft, und sagt: Gobineau hat recht, sie fühlen - die Russen -sich noch als Christer." Die Russen legten einen spontanenAntisemitismus an den Tag, einen, zu dem, so hoffte Wagneroffenkundig, auch die Deutschen wieder zurückfinden würden."Äußerungen wie diese beweisen, daß Wagners "Bayreuther Idealismus«durchaus eine handfeste Basis hatte. Wagner scherzte nicht nur: alser Ende 1881 "im heftigen Scherz" zu seiner Frau sagt, "es solltenalle Juden in einer Aufführungg des 'Nathan' verbrennen". Der Gedankewurde ausgelöst durch den Bericht über eine Aufführung des berühmtenStücks von Lessing, "wo bei der Stelle, Christus war auch ein Jude,ein Israelit im Parterre bravo gerufen habe". Dies hatte Wagnerirrsinnig erbost. (Bei diesem "Scherz" denkt man unweigerlich anHitlers Bemerkung in Mein Kampf "Hätte man zu Kriegsbeginn undwährend des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieserhebräisschen Volksverderber so unter Giftgas gehaltem wieHunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allenSchichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre dasMillionenopfer der Front nicht vergebich gewesen")

Der Eindruck, daß das Wort "Vernichtung« eine zunehmend praktischeBedeutung annahm, verstärkt sich, wenn man die Sehriften andererrassisch oder revolutionär gesinnter Antisemiten aus dieser Zeitliest. Karl Eugern Dührings Sprache etwa wurde immer bizarrer unddrohender (sein Stil war selbst für Wagners Geschmack zu brachial).Mit der Zeit sah sich Dühring schließlich unter dem Druck derEreignisse genötigt, zur Art der "Vernichtung" offen Stellung zubeziehen, und so verkündetc er (um 1894), daß die völlige "Ertötungund Ausrottung" der Juden unabdingbar sei. Als er nach der NiederlageDeutschlands 1918 eine neue Ausgabe seines antisemitischen Hauptwerksvorbereitete, bedauerte er, daß in früheren Auflagen "nurunvollständige Maßnahmen empfohlen und erörtert wurden" An andererStelle hatte er den "Rassenmord" als das "höhere Gesetz derGeschichte" proklamiert. Wenn er wie weiland Jakob Friedrich Fries(1819), von der Polizei befragt worden wäre, was er mit seinerFordererung nach "Ausrottung der jüdischen Händlerkaste" meine, hätteDühring bestimmt wie jener behauptet, nurr im übertragenen undmoralischern Sinne gesprochen zu haben.

Ein anderer maßgeblicher antisemitischer Prophet der siebziger Jahrewar Paul de Lagarde, um dessen geistige Unterstützung Wagner damalsbuhlte. Lagarde führte ein weiteres, gleichzeitig metaphorisch undkonkret zu gebrauchendes Bild ein, das die ältere Vorstellung, dieJuden seien Parasiten auf dem Körper Europas, biologistischmodernisierte. Er fand beklemmende Wendungen wie diese: "MitTrichinen und Bazillen verhanldelt man nicht, und sie sind auch nichtzu erziehen. Sie müssen so schnell und gründlich wie möglichausgerottet werden" Analog dazu verglich Wagner im privaten Gesprächdie Juden zuweilen mit "Trichinen"oder auch mit "Ratten und Mäusen"und bezeichnete das Chloral, das Cosima abends einnahm, als"Judenbeize" Dies war die Metaphorik, die die Geisteshaltung desrevolutionären Antisemitismus im ausgehednen 19. Jahrhundert formte.Es bedurfte nur der Niederlage von 1918 und der durch sie ausgelöstenpolitischen Krise, damit aus dieser Mentalität eine politischeHandlungsanweisung wurde.

Wie lange diese ambivalente Geisteshaltung fortbestand, wird ausfrühen Reden Hitlers deutlich. In seiner ersten wichtigenantisemitischen Rede Wrum wir Antisemititen sind (1920) sprach er -metaphorisch von Notwendigkeit, daß sich die Deutschen entjudeten,und dies auf eine moralisierrende Art, die an Wagner denken läßt, dereinst gepredigt hatte: "Wir müssen den Juden aus uns entfernen" EinJahrzehnt später gab sich Hitler in einem Gespräch ebenso beflissenwie weiland Wagner, der Juden gegenüber seino Humanitätherauszukehren, wobei er freilich erkannte, daß die Metapher einesehr konkrete Konnotation haben konnte:

"Wenn ich die Blüte der Deutschen in die Stahlgewitter deskommenenden Krieges schicke sollte ich dann nicht das Rccht haben,Millionen einer minderwertigen, sich wie Ungeziefer vermehrendenRasse zu zu beseitigen, nicht indem ich sie ausrotten lasse, sondernnur in dem ich systematisch verhindere, daß sich ihre großenatürliche Fruchtbarkeit auswirkt.. Wir beweisen unserer Humanität,indem wir dies auf langsame und unblutige Weise vollziehen..."

Im Oktober 1941, als schon fast eine Million Juden durch Erschießenund Aushungern umgebracht und die Endlösung mittels Vergasen bereitsbeschlossene Sache war, beendete Hitler einen langen Monolog über denarischen Jesus und die Juden, die das Christentun zu einer Religionvon grausamer Intoleranz verfälscht hatten, mit der Bemerkung, manwerde der Menschheit einen Dienst erweisen, wenn man "diese Pestausrotte". Metaphorische und reale Berleutungsebene des Begriffs"Judenvernichtung" waren nun eins.

Der rassischisch-revolutinäre Erlöser

Die Frage, ob sich Wagner des in seinen Opern verborgenenAntisemitismus bewußt war, ist insofern entscheidend, als sie seinenBeitrag zu den geistigen Grundlagen des Dritten Reiches betrifftBefrachtete er seine Werke mit einer antisemitischen, arischen Last,die die Nazis ohne weiteres für ihre Zwecke auschlachten konnten,oder lasen die Nazis eine antisemitische Parabel in die Opern einesunschuldigen Wagner hinein? Es ist oft behauptet worden, daß Wagnerganz arglos gegenüber solch antisemitischen Deutungen seiner Operngewesen sei. Doch er selbst wollte sein Werk als eine Klage über denUntergang der deutschen Rasse verstanden wissen, wie aus einernTagebucheintrag Cosimas hervorgeht: "Er bedauert es, daß seineDichtungen nicht in einem etwas weiteren Sinne besprochen wordensind, z. B. der Ring nach der Bedleutung des Goldes und desUnterganges einer Race daran." Erfreulicherweise lenkte Parsifal dieDiskussion sowohl in der Presse als auch anschließend durchbegeisterte Bayreuthjünger auf die unterschwellige Botschaft derOper, auch wenn deren Auslegung durch mystisches Geschwafel verneheltwerden sollte.

Hitler freilich legte 1934 einem seiner musikalisch intessiertenGefolgsleute die arische Deutung von Parsival unverblümter dar:

"Hinter der abgeschmackten, christlich aufgeputen äußeren Fabel mitihrem Karfreitagzauber erscheint etwas ganz anderesals der eigentliche Gegenstand dieses tierfsinnigen Dramas. Nichtdie christlich-Schopenhauersche.Mitleidesreligion wird verherrlicht.sondern das reine, adlige Blut ... Da leidet der König an demunheilharen Siechtum, dem verdorbenen Blut. Da wird der unwissende,aber reine Mensch in die Versuchung gestellt, sich in demZaubergarten Klingsors der Lust und dem Rausch hinzugeben ...Mir sind die Gedankengänge Wagners aufs innigste vertraut ... Ichkehre auf jeder Stufe meines Lebens zu ihm zurück ... Streichenwir alles Dichterische ab, so zeigt sich, daß es nur der fortge-gesetzten Anspannung eines dauernden Kampfes eine Auslese undErneuerung gibt....' Hiter summte das Motiv 'Durch Mitleidwissend...'"

Das Verhältnis zwischen Wagner und Hitler ist zwar ein Thema für einweiteros Buch doch es sollte auch hier daran erinnert werdien daß esim emotionalen Bereich etliche Berührungspunkte zwischen beiden gab.Die nackte Brutalitat, die aus großen Teilen von Wagners Musikspricht,  die ungezügelte Leidenschaft udd Derbheit desSchmiedlemotivs in Siegfried und des Trauermarschs in derGötterdämmerung sind zweifellos heroisch zu nennen, aber es geht vonbeiden Kompositionen etwas unangenehm Aufwühlendes, ja Beklemmendesaus, das man beispielsweise bei Vrdis Amboßszene oder demTrauermarsch in Beethovens Eroica nicht empfindet. Auf dieserpsychologischen Ebene entdecken wir eine Seelenverwandschaft zwischenWagner und seinem Schüler, die über rein ideologische Ähnllichkeitenhinausgeht. Als Hitler 1936 in seinem Salonwagen triumphierend durchdas zurückgewonnene Rheinland fuhr und das nächtliche Dunkel vomroton Schein der Hochöfen erhellt sah, ließ er sich im Hochgefühl deserrungenen Sieges einen Plattenspieler bringen. Während er demVorspiel zu Parsival Iauschte, führte er Selbstgespräche: "AusParsifal baue ich mir meine Religion ... Im Heldengewand allein kannman Gott dienen." Und unter den Klängen des Trauermarschs aus derGötterdämmerung sagte Hitler: "Ich hahe ihn zuerst in Wien gehört. Inder Oper. Und ich weiß noch, wie wenn es heute gewesen wäre, wie ichmich beim Nachhauseweg wahnsillllig erregte über einige mauschelndeKaftanjuden, an denen ich vorbeigehen mußte. Einem unvereinbarerenGegensatz kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Dieses herrlicheMysterium des sterbenden Heros und dieser Judendreck!"

Wie Hitler betrachtete sich auch Wagner als dem höchsten Exponentender deutschen Revolution. Aber während der "Führer" obwohl er sichselbst als Künstler fühlte, bereit war um der Revollltion willen seinKünstlertum der Politik zu opfern zog Wagner sich zurück und überließdie Tagespolitik lieber den Politikern. Während des Dritten Reichestaten es ihm seine Erben gleich: In Bayreuth hieß Winifred WagnerHitler als "Freund" willkommen und spendete für seine Parteikasse,beharrte aber gleichzeitig auf dem Standpunkt, daß "seine Politik"etwas anderes sei und nichts mit den künstlerischen Interessen desHauses Wahnfrieds zu tun habe. Man ist versucht, diese Heuchelei aufdas verworrene Bayreuther Denken zurückzuführen, aber eine ähnlichzwiespältige Haltung war in deutschen Intellektuellenkreisen damalsweit verbreitet. Ein Beispiel dafür ist Heidegger. Nachdem er anfangsden Nationalsozialismus öffentlich gutgeheißen hatte schien es ihmangebracht sich in ein kryptisches apolitisches Gelehrtendaseinzurückzuziehen: die anderen würden die Sache schon richtig machen.Sowohl Winifred Wagner als auch Heiclegger begrüßten die "deutscheRevolution" als Rettung und eine Verheißung, daß sich unter derpolitischen Oberfläche eine viel tiefgründigere geistige oderkünstlerische Revolution im deutschen Volk vollziehen werde. Somitkonnten sie politische Maßnahmen des NS-Regimes aus ihrem Bewußtseinverdrängen und gleicnzeitig das geistige Fundament dieser Politikbilligen.

Wie Hans von Wolzogen es 1919 ausdrückte: "Man darf unser Eintretenfür das deutsche Volk nicht als Engagement für irgendeine politischePartei auffassen." Wolzogen lehnte es zwar ab, der Nazi-Parteibeizutreten, war jedoch ein glühender Anhänger Hitlers, was wohl auchWagner gewesen wäre, wenn er noch gelebt hätte. Man redete inBayreuth gern über Kunst, wenn man Politik meinte. Als derFestspielort zum kulturellen Mittelpunkt des Dritten Reiches wurde,war Wagners vergeblich angestrebtes Ziel, Bayreuth zum Sitz desdeutschen "Nationaltheaters" zu machen, endlich erreicht.

Das, was man bei den Nazis unter "deutscher Revolution" verstand,deckte sich so nahtlos mit Wagners Visionen, daß er dem Dritten Reichseine Zustimmung höchstwahrscheinlich nicht verweigert haben würde,vielleicht mit den üblichen Vorbehalten, es mangele dem öffentlichenLeben an wahrer deutscher Geistigkeit. Schließlich waren weitausweniger doktrinäre Gestalten, wie etwa Heidegger, Furtwängler undHeisenberg, bereit, sich anzupassen, und zumindest den beidenletztgenannten war jener erbitterte Judenhaß fremd, der Wagnerbeseelt hatte. Jedenfalls hätte Wagner, eben weil er sich alsVerkörperung der "deutschen Revolution" sah, in einer Zeit sodramatischer Veränderung unmöglich neutral bleiben können.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, das Wagner-Bild einesgroßen deutschen Schriftstellers vor Augen zu führen, der alsapolitischer Künstler seine Laufbahn begonnen hatte, aber nach undnach unter dem Druck der Ereignisse und seines eigeneIl Gewissens zumerbitterten Gegner des Nazi-Regimes wurde. Jahrelang hatte ThomasMann seinen geliebten Wagner zu verteidigen versucht, indem er dieMusik der Opern von deren latenten Antisemitismus schied und denKomponisten als einen idealistischen Revolutionär hinstellte, derdurch und durch apolitisch und gegen jede Art von Staat mißtrauischwar. Aber irgend einmal mußte dann auch Mann sein einfühlsamesPlädoyer fallenlassen und den revolutionären Idealismus Wagners alsdas erkennen, was er in Wirklichkeit war - der Vorläufer desHitlerisrmus. Obwohl Mann noch immer die Musik Wagners bewunderte,bekannte er im Janua 1940, daß er nun "Elemente des Nazismus" darinentdecke: "Der Ring ist ebenso ein Produkt desbürgerlich-humanstischen Zeitalters wie der Hitlerismus. Mit seinor... Mischung aus Erdverbundenheit und Zukunftsvision, seinerSehnsucht nach einer klassenlosen Gesellschaft, seiner mythischenRevolutionsbegeisterung, ist er der geistige Vorläufer der'metapolitischen' Bewegung, die heute die Welt terrorisiert."

(Paul Lawrence Rose, Wagner und der Antisemitismus, Zürich 1999,S.259-279)

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